Der HCG-Test wird routinemäßig zur Differenzierung einer Anorchie vom abdominal gelegenen
Hoden eingesetzt. Ob eine kontrollierte HCG-Gabe auch einen Pendelhoden von einem
nicht deszendierten Hoden differenzieren und ggf. therapieren kann, war Gegenstand
der Studie von Miller et al. (J Urol 2003; 169: 2328-2331).
67 Patienten (Durchschnittsalter: 4 Jahre) mit insgesamt 90 Pendelhoden oder nicht
deszendierte Hoden wurden untersucht. Nach einer ausführlichen körperlichen und skrotalen
Untersuchung zur Differenzierung des Hodenbefundes erhielt jeder Patient 50 IU/kg
HCG i. m. 5-mal alle 5 Tage. Eine Woche nach Therapieende erfolgte eine erneute klinische
Evaluierung.
Leeres Skrotum bei Hodenhochstand (Bild: Praxis der Urologie, GTV, 2003).
Bei Therapiebeginn wurden 64 Hoden als hochstehend und 26 Pendelhoden festgestellt.
13 der hochstehenden Hoden (20 %) befanden sich nach Abschluß der HCG-Therapie im
Skrotum. Deutlich besser schnitt die Gruppe der Patienten mit Pendelhoden ab: hier
befanden sich 15 der 26 Pendelhoden (58 %) nach Therapieabschluss im Skrotum. Dabei
waren alle initial hochskrotal getasteten Hoden deszendiert, jedoch nur 40 % der inguinal
gelegenen. Beim Vergleich von unilateralen versus bilateralen Prozessen zeigte sich
ein signifikanter Unterschied bei den unilateral betroffenen Patienten: 5 von 6 (83
%) unilateralen Pendelhoden waren nach Therapieabschluss intraskrotal, wogegen nur
5 von 38 (13 %) hochstehenden Hoden nach Therapieende intraskrotal lagen (p<0,001).
Der Altersgipfel mit dem besten HCG induzierten Ergebnis lag zwischen 4 und 7 Jahren.
Die überwiegende Anzahl der Patienten mit Hodenhochstand wird in einem Alter unter
2 Jahren diagnostiziert und sollte so früh wie möglich behandelt werden. Die Erfolgsrate
dieser Studie lag bei unter 2-Jährigen bei Behandlung mit HCG nur bei 15 %. Dies zeigt
die Limitierung der Therapie in dieser Altersklasse.
Deutlich besser zeigte sich die HCG-Therapie in diagnostischer und therapeutischer
Funktion beim Pendelhoden bei über 3-Jährigen, insbesondere bei normal entwickeltem
ipsilateralen Hemiskrotum. Zusammenfassend spielt HCG nur eine sehr limitierte Rolle
in der Differenzierung zwischen Hodenhochstand und Pendelhoden und bietet meistens
keine Therapiealternative zur Operation
Dr. Anke Diehl, Essen
Kommentar
Der Hodenhochstand ist eine der häufigsten Anomalien mit einer Inzidenz von 3-5 %
der Neugeborenen und 33 % bei Frühgeborenen. Durch Spontandeszensus im 1. Lebensjahr
liegt die verbleibende Inzidenz nach einem Jahr bei 1-3 % mit deutlicher familiärer
Häufung.
Die Ätiologie ist bislang noch immer unklar, sicher ist nur, dass es sich um ein multifaktorielles
Geschehen handelt. Wahrscheinlich spielt ein zumindest passagerer hypogonadotroper
Hypogonadismus eine Rolle, der möglicherweise durch einen gestörten Östrogenhaushalt
der Mutter ausgelöst wird. Das Risiko der späteren Infertilität bzw. Subfertilität
ist bei einseitigem Hodenhochstand mit 15 % (Vaterschaftsrate bei 89 %) und bei beidseitigem
Hodenhochstand mit ~50 % (Vaterschaftsrate bei 62 %) deutlich erhöht. Der normalerweise
in den ersten 6 Lebensmonaten stattfindende Gonadotropin- und Testosteron-Anstieg
fällt je nach ein- oder beidseitigem Geschehen vergleichsweise geringer aus. Durch
Ausbleiben dieses frühen Priming-Effektes kommt es zu einer verminderten bis ausbleibenden
Transformation von primitiven Gonozyten, den fetalen Stammzellen, zu adulten Spermatogonien,
den adulten Stammzellen, aus denen mit der nächsten Maturationsstufe etwa mit dem
5. Lebensjahr die ersten Spermatozyten entstehen.
Pathologische Hodenlagen/Retentio testis (Bild: Urologie, GTV, 2002).
2 Punkte stehen bei der hormonellen Therapie zur Debatte. Zum einen stellt sich die
Frage, inwieweit die Hormonbehandlung mit HCG oder GnRH einen Einfluss auf die verbesserte
Reifung des kryptorchen Hodens und die Entwicklung von reifen Keimzellen hat. Zum
anderen ist nach wie vor offen, ob und wie ausgeprägt die Gabe von HCG oder GnRH den
ausgebliebenen Deszensus unterstützen bzw. sogar vervollständigen kann. Erstens: Die
Verbesserung der Reifung kryptorcher Hoden, war nicht das Thema der hier vorgestellten
Studie. Hierzu ist zu sagen, dass als Vorreiter vor allem Hadziselimovic die Hodenbiopsie
fordert, um die Knaben mit einem Maturationsarrest der Keimzellen zu identifizieren.
Diese sollten postoperativ eine Hormontherapie erhalten. In der Mehrzahl der Fälle
hat dieses Regime zu einer Normalisierung der testikulären Histologie geführt mit
besseren Spermiogramm-Ergebnissen zum Ende der Pubertät als in der unbehandelten Gruppe.
Bezüglich des zweiten Punktes, der Unterstützung des Deszensus dagegen stehen sich
die Lager Europa und USA teils kritisch gegenüber. Während in Europa die Hormontherapie
nahezu zum etablierten Standard gehört, wird sie in den Vereinigten Staaten wesentlich
restriktiver angewandt. Daten für beide Standpunkte sind in der Literatur zu finden.
So werden für die reine Therapie mit HCG oder GnRH etwa gleiche Erfolgsraten von 15
bis über 50 % und für die Kombinationstherapie sogar von 63 % beschrieben. Eine Metaanalyse
randomisierter kontrollierter Studien von Pyorola et al. aus dem Jahr 1995 fand dagegen
für LHRH eine Erfolgsrate von lediglich 21 % inklusive Pendelhoden und lediglich 12
%, wenn Pendelhoden ausgeschlossen wurden. Für HCG betrug der Erfolg mit oder ohne
Pendelhoden insgesamt 19 %. Beide Hormone waren auf jeden Fall besser als Plazebo.
Hinzu kommt, dass bis zu 24 % der erfolgreich deszendierten Hoden wieder reaszendierten.
Der tatsächliche Wert der Hormontherapie bleibt damit also kritisch zu sehen. Auf
der anderen Seite wiederum gibt es zahlreiche Berichte, die beschreiben, dass vor
allem nicht-palpable Hoden in bis zu 90 % nach Hormontherapie tastbar waren, was z.
B. eine sonst fällige Kaskade von diagnostischen Prozeduren bis hin zur Laparoskopie
verhindern kann. Darüber hinaus werden verschiedentlich die operative Situation verbessernde
Eigenschaften der präoperativen Hormontherapie wie eine Zunahme der Durchblutung beschrieben.
Diese Berichte lassen allerdings zumeist objektive Messparameter vermissen, die diese
These belegen.
Die hier vorgestellte Studie befasst sich mit der Frage, ob durch die Gabe von HCG
hochstehende Hoden von Pendelhoden differenziert werden können. Dafür analysieren
die Autoren prospektiv 67 Knaben mit 64 hochstehenden und 26 Pendelhoden. Dass Pendelhoden
besser ansprechen, konnte erwartungsgemäß nach- gewiesen werden (58 % vs. 20 % bei
Hochstand, bei unilateralen Pendelhoden sogar 83 %), eine eindeutige Differenzierung
lässt sich aber daraus nicht ableiten. Interessant ist dagegen der Befund, dass kryptorche
Hoden im späteren Alter (> 3 Jahre) besser auf die Hormontherapie ansprechen. Dies
könnte theoretisch auf eine erhöhte Sensibilität in der hormonellen Ruhephase der
Hoden hinweisen.
Ein weiterer klinischer Aspekt der Arbeit ist erwähnenswert. Bei der Untersuchung
der Kinder sollte immer die Entwicklung des Skrotums mitbeurteilt werden. Bei hypoplastisch
ausgeprägtem (Hemi-)Skrotum ist ein Spontan- wie auch ein hormonell induzierter Deszensus
wesentlich seltener zu erwarten. Dieser Untersuchungsbefund sollte daher immer bei
der Erstuntersuchung mitdokumentiert werden. Sehr wichtig ist es auch, auf die Möglichkeit
einer spontanen Reaszension nach Spontan- oder hormonell induziertem Deszensus in
bis zu einem Viertel der Fälle hinzuweisen. Dies zeigen die jedem bekannten Fälle
kryptorcher Hoden, bei denen Eltern über eine zu einem früheren Untersuchungszeitpunkt
skrotale Lage von Hoden berichten. Unter Kenntnis dieser Tatsache reicht eine einmalig
zu einer frühen Vorsorgeuntersuchung bestätigte normale Hodenposition nicht aus, sie
sollte zu einem späteren Zeitpunkt, am besten vor dem zweiten Lebensjahr noch einmal
gesichert werden. Trotz langjähriger Forschung bleiben nach wie vor verschiedene Fragen
zum Einsatz der Hormontherapie offen: soll die Hormontherapie generell eingesetzt
werden? Ist die Hormontherapie prä- oder postoperativ indiziert? Soll sich der Einsatz
an dem Befund einer Biopsie orientieren und dann nur bei Knaben mit festgestelltem
Maturationsarrest gegeben werden? Und wann ist der beste Zeitpunkt? Welche Dosierung
welchen Präparates über welchen Zeitraum ist optimal?
Klar bleibt zumindest die Tatsache, dass eine operative Verlagerung beim nicht spontan
oder durch hormonelle Stimulation deszendierten Hoden stattfinden muss. Dies bleibt
unumstritten, da alleine die skrotale Lage eine spätere sichere palpatorische Beurteilung
des Hodens zulässt. Hinzu kommt auch ein für den Knaben zu einem späteren Zeitpunkt
nicht zu vernachlässigender kosmetischer Effekt. Der Zeitpunkt der Verlagerung ist
aber nach wie vor unsicher. Zwar besteht mittlerweile ein großer Konsens bezüglich
einer Operation vor dem 2. Lebensjahr und nach dem ersten Lebensjahr, um die Möglichkeit
eines Spontandeszensus abzuwarten. Gerade die durch die bioptischen Untersuchungen
nachgewiesenen verschiedenen Maturationsstufen des Ho- dens lassen aber die Frage
aufkommen, ob nicht ein früherer Zeitpunkt etwa mit 6 Monaten anzustreben wäre.
Sollte die Hormontherapie die frühe, beim nicht-deszendierten Hoden nicht oder nur
teilweise vollzogene Reifung der Gonozyten nachträglich unterstützen, so wäre ihr
Einsatz generell indiziert. Dies nicht nur aus Gründen der Verbesserung der Fertilitätschancen
sondern vor allem auch deswegen, da die sonst ausbleibende Apoptose der fetalen Stammzellen
zu deren Persistenz führen kann mit der potentiellen Gefahr deren später malignen
Entartung. Die Möglichkeit der Vollendung des Deszensus oder zumindest der Lageverbesserung
und der Optimierung der Bedingungen für die spätere operative Verlagerung wie auch
die insgesamt als sehr gering in allen wie auch der vorliegenden Studie beschriebenen
Nebenwirkungen lassen aber insgesamt trotz noch vieler offener Fragen den breiteren
Einsatz der Hormontherapie anstreben.
Prof. Dr. Alexander Lampel, Villingen-Schwenningen