Bei einer derzeitigen Prävalenz von etwa 120000 Patienten ist die Multiple Sklerose
(MS) eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr
in Deutschland. Der Krankheitsverlauf ist höchst variabel und die Prognose im Einzelfall
noch immer zweifelhaft und schwer vorherzusagen. Da sich die Erkrankung bevorzugt
zum ersten Mal im jungen Erwachsenenalter manifestiert und da sie chronisch verläuft,
entstehen durch die Multiple Sklerose in Deutschland Krankheitskosten von ungefähr
vier Milliarden Euro jährlich [7]. Der Hauptanteil entfällt dabei mit zirka 43 % auf so genannte indirekte Kosten
wie Fehlzeiten durch Arbeitsunfähigkeit bzw. frühzeitige Berentung, während die Ausgaben
für Krankenhausversorgung und medikamentöse Therapie lediglich rund 17 % der Gesamtsumme
ausmachen (Stand 2001).
Die Ätiologie der Erkrankung ist bis heute unklar. Zu beobachten ist ein (auto)immunologisch
vermittelter, entzündlich-demyelinisierender Prozess im zentralen Nervensystem (ZNS),
der teilweise früh von einer axonalen Schädigung begleitet wird ([Abb. 2], [3], [4], [5]). Neuere histologische Untersuchungen an Autopsiegewebe belegen die ausgesprochene
Heterogenität in den Entmarkungsmustern verschiedener Patienten und postulieren unterschiedliche
pathologisch voneinander abgrenzbare MS-Unterformen [9].
Diagnosekriterien
Die ursprüngliche conditio sine qua non zur Diagnosestellung einer gesicherten Multiplen
Sklerose war deren klinisch nachweisbare, örtliche und zeitliche Dissemination. Die
Diagnose wurde demzufolge erst dann gestellt, wenn mindestens zwei schubförmige Ereignisse
in neuroanatomisch unterschiedlicher Lokalisation im zentralen Nervensystem aufgetreten
waren, die sich auf einen entzündlichen Prozess zurückführen ließen und mindestens
vier Wochen auseinander lagen.
Zu Beginn der 80er Jahre gewann die differenzierte Liquoruntersuchung zunehmend an
Bedeutung, und die Ergebnisse der Zusatzdiagnostik wurden als so genannte „paraklinische
Befunde” in die Diagnosestellung mit einbezogen und als Poser-Kriterien formuliert
[13]. Auch diese ermöglichten es allerdings nicht, bereits nach dem ersten Krankheitsschub
eine Multiple Sklerose sicher zu diagnostizieren. Allerdings konnte die Eingrenzung
über die Begriffe einer „laborunterstützt sicheren” bzw. „laborunterstützt wahrscheinlichen”
Multiplen Sklerose die diagnostische Treffsicherheit hinsichtlich einer sich später
entwickelnden definitiven MS bereits deutlich verbessern.
Dieses Konzept wurde kontinuierlich weiterentwickelt. Erst vor gut zwei Jahren wurden
die „Neuen Diagnostischen MS-Kriterien” nach McDonald formuliert und veröffentlicht
[10], die auch den prädiktiven Wert früher MRT-Veränderungen berücksichtigen [Tab. 1]. Dies änderte allerdings nichts daran, dass die oben genannten „konservativen” Kriterien
grundsätzlich noch gelten. Nach wie vor kann also die Diagnose einer Multiplen Sklerose
rein klinisch gestellt werden, wenn eine örtliche und zeitliche Dissemination nachgewiesen
ist. Eine wesentliche Neuerung ist jedoch, dass paraklinische Befunde aus dem Magnetresonanztomogramm
und der Elektrophysiologie klinische Ereignisse ersetzen können [Tab. 1].
Neben der exakten Definition pathologischer MRT-Kriterien bei der Multiplen Sklerose
ist nun der Nachweis einer zeitlichen Dissemination alleine mithilfe wiederholter
MRT-Untersuchungen im Abstand von mindestens drei Monaten möglich, wenn in dem besagten
Zeitraum neue Herdläsionen im T2-gewichteten Bild bzw. zusätzliche Gadolinium anreichernde
Herde in den T1-Bildern nachzuweisen sind. Demnach erlauben die aktuellen McDonald-Diagnosekriterien
unter bestimmten Voraussetzungen eine definitive Sicherung der Diagnose nach nur einem
Schub, wodurch die Zeitspanne bis zum Einleiten einer immunmodulatorischen Sekundärprophylaxe
verkürzt und dem Patienten frühzeitig eine verlässliche Diagnose mitgeteilt werden
kann.
Ein weiterer wichtiger prognostischer Parameter scheint sich mit der Bestimmung von
Antikörpern gegen das Myelin-Oligodendrozyten-Protein (MOG) bzw. gegen das basische
Myelin-Protein (MBP) zu eröffnen. So ist zum Beispiel das Risiko für Patienten nach
einem ersten MS-verdächtigen Symptom an einer definitiven Multiplen Sklerose zu erkranken,
deutlich höher, wenn Anti-MOG-Antikörper nachgewiesen werden können. Im Vergleich
zu seronegativen Patienten erhöht sich ihr Risiko um das 32-Fache. Sind die Patienten
nicht nur Anti-MOG- sondern auch Anti-MBP-positiv steigt das Risiko sogar auf das
76-Fache [2]. Das Zeitintervall bis zum Auftreten des zweiten Schubes war bei antikörpernegativen
Patienten signifikant verlängert bei einer insgesamt geringeren Läsionslast in der
Magnetresonanztomografie.
Aktuelle Therapie
Das therapeutische Vorgehen bei der Multiplen Sklerose unterscheidet prinzipiell die
Akuttherapie des MS-Schubes sowie eine immunmodulatorische bzw. immunsuppressive Langzeitprophylaxe
mit dem Ziel, die Progression der Erkrankung zu verzögern. Hinzu kommt die symptomatische
Behandlung der mannigfaltigen Krankheitssymptome (z.B. Spastik, Blasenstörung, Ataxie).
In den letzten Jahren hat sich das therapeutische Vorgehen gewandelt: Heute setzt
man auf eine frühzeitigere, den Krankheitsverlauf günstig beeinflussende Immunmodulation.
Dies beruht nicht zuletzt auf der Erkenntnis, dass organisch bedingte Minderungen
der kognitiven Leistungsfähigkeit und ein unter Umständen bereits zu Beginn der Erkrankung
einsetzender axonaler Schaden die voranschreitende und dauerhafte Behinderung des
Patienten entscheidend bestimmen.
Dieser Entwicklung tragen die Ausführungen der Multiple-Sklerose-Therapie-Konsensus-Gruppe
(MSTKG) Rechnung [11], welche der Durchführung einer immunmodulatorischen Stufentherapie mit entsprechenden
Eskalations- und Deeskalationsschritten eine zentrale Rolle zuweisen [Abb. 1].
Behandlung des akuten MS-Schubes
Definitionsgemäß umfasst ein „Schub” das plötzliche Auftreten neuer bzw. eine Verschlechterung
bestehender neurologischer Symptome über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden.
Mehrere schubförmige Exazerbationen innerhalb von vier Wochen gelten als ein Ereignis.
Zuvor müssen kurzzeitige Fluktuationen im Krankheitsverlauf bzw. transiente Ausfälle
- beispielsweise durch eine Erhöhung der Umgebungstemperatur (Uhthoff-Phänomen) -
als Ursache ebenso ausgeschlossen worden sein, wie infektassoziierte Verschlechterungen
bzw. Fieber.
Als Standard der Schubbehandlung gilt heute die intravenös zu verabreichende, hoch
dosierte Glukokortikoidtherapie (bevorzugt Methylprednisolon), die sich in einer Studie
zur Optikusneuritis gegenüber der oralen Gabe signifikant überlegen gezeigt hat [1]. Das Methylprednisolon wird dabei nach Ausschluss eines Infekts als morgendliche
Kurzinfusion in einer Dosis von 1000 mg über drei bis fünf Tage gegeben.
Besonders zu beachten sind Nebenwirkungen am Magen-Darm-Trakt, mögliche psychotrope
Effekte, eine gesteigerte Thromboseneigung und Blutzuckerentgleisungen (Cave: Diabetiker!),
weshalb eine initiale Kortison-Stoßtherapie unter stationären Bedingungen sinnvoll
erscheint. Für eine orale Ausschleichphase spricht vor allem die Tatsache, dass einige
Patienten nach Beendigung der Pulstherapie ohne orale Weiterbehandlung einen Rückfall
erleiden. Eine iatrogene Suppression der Nebennierenrindenfunktion dagegen spielt
aufgrund des kurzen Anwendungszeitraumes (bis zu zwei Wochen) keine Rolle.
Vorrangige Therapieziele sind die zeitliche Verkürzung und die Verminderung der Schwere
des aktuellen Schubes. Ob repetitive Anwendungen auch die Krankheitsprogression verzögern
können, ist derzeit noch nicht eindeutig geklärt. Sprechen die Patienten auch auf
die zweimalige Steroid-Pulstherapie nicht an und zeigen sie schwere residuale Ausfallerscheinungen,
kann eine Plasmapheresebehandlung in etwa 40-50 % der Fälle eine Besserung erzielen,
falls die Therapie innerhalb von vier bis sechs Wochen nach Schubbeginn erfolgt [16].
Immunmodulatorische Basistherapie
Beim schubförmigen Verlaufstyp oder auch bereits nach dem ersten MS-verdächtigen Symptom
mit entsprechender paraklinischer Krankheitsaktivität sind als Mittel der ersten Wahl
rekombinante Beta-Interferone bzw. Glatirameracetat anzuwenden [Abb. 1], so die Empfehlung der MSTKG - der Multiple-Sklerose-Therapie-Konsensus-Gruppe [11].
Interferone
Interferone (IFN) sind körpereigene Glykoproteine mit antiproliferativen und immunmodulatorischen
Eigenschaften. In der Behandlung der schubförmigen bzw. sekundär chronisch-progrdienten
Multiplen Sklerose kommen gentechnisch in Bakterien (IFNbeta-1b) bzw. Säugetierzellen
(IFNbeta-1a) hergestellte Interferone zur Anwendung. Allen gemeinsam ist die Applikation
via intramuskulärer bzw. subkutaner Injektion.
Mögliche Wirkmechanismen der Beta-Interferone beruhen auf einer Antagonisierung des
proinflammatorischen und schubfördernden Zytokins IFN-gamma, einer „Abdichtung” der
Blut-Hirn-Schranke für autoreaktive T-Lymphozyten sowie einer Modulation der Immunantwort
in Richtung Entzündungshemmung. Die häufigsten Nebenwirkungen sind grippeartige Symptome
mit subfebriler Körpertemperatur und lokale Reaktionen an der Injektionsstelle. Durch
eine frühzeitige, unter Umständen prophylaktische Gabe von fiebersenkenden Medikamenten
sowie eine saubere Injektionstechnik mit wechselnden Injektionsstellen und ausreichender
Kühlung kann diesen unerwünschten Reaktionen meist begegnet werden.
Alle drei auf dem Markt befindlichen IFN-beta-Substanzen konnten in großen kontrollierten
Therapiestudien (Evidenzgrad I) ihre Wirksamkeit bei der schubförmig verlaufenden
Multiplen Sklerose dokumentieren. Alle Präparate reduzierten in diesen Studien die
Schubrate signifikant (um bis zu 35 %). Gleichzeitig wurde kernspintomografisch -
in Form von Gadolinium aufnehmenden Herden - eine Abnahme der nachweisbaren Krankheitsaktivität
um bis zu 80 % dokumentiert. Hierbei ist von Bedeutung, dass die MRT-Effekte bereits
innerhalb eines Monats nach Therapiebeginn nachzuweisen sind.
In Hinblick auf die geeignete Interferondosis, Applikationsform und Injektionsfrequenz
konnten zwei kürzlich veröffentliche direkte Vergleichsstudien eine gewisse Überlegenheit
höher frequenter und höher dosierter Interferon-Injektionen aufzeigen [5]
[12]. Dabei ist jedoch kritisch anzumerken, dass bei der EVIDENCE[1]-Studie der untersuchte Zeitraum für den primären Endpunkt (Auftreten neuer Schübe)
mit 24 Wochen sehr kurz war. Zudem ließ sich in den weiteren Verlaufsbeobachtungen
(48 und 72 Wochen) keine weitere Zunahme des Effektes durch Rebif® (dreimal 44 μg/Woche)
beobachten. In einer weiteren Studie, die Betaseron/Betaferon® und Avonex® verglich
(INCOMIN[2]), zeigte sich dagegen erst nach sechs Monaten ein signifikanter Unterschied in der
Schubfrequenz zugunsten der Interferon-beta-1b-Formulierung. Problematisch an dieser
Studie war zudem die fehlende Verblindung von Arzt und Patient.
Die Entscheidung für ein bestimmtes Präparat sollte deshalb neben seinen klinischen
Effekten auch die für den Patienten wichtigen Aspekte der Handhabung (Kühlung der
Substanzen, Fertigspritzen), Injektionstechnik (intramuskulär oder subkutan) und mögliche
Nebenwirkungen berücksichtigen. Dies ist gerade im Hinblick auf die Therapietreue
der Patienten innerhalb des ersten Jahres nach Therapiebeginn wichtig. Denn diese
hängt in besonderem Maße von der initialen Patienteninformation, dem Management der
Nebenwirkungen und engmaschigen Kontrolluntersuchungen ab.
In der Behandlung der sekundär chronisch-progredient verlaufenden Multiplen Sklerose
scheinen Interferone besonders bei noch vorhandener Entzündungs- und Schubaktivität
wirksam zu sein. Die Ansprechraten scheinen bei dieser Verlaufsform jedoch insgesamt
niedriger zu liegen, daher muss in vielen Fällen eine frühzeitige Therapieeskalation
auf Mitoxantron erwogen werden.
Glatirameracetat
Glatirameracetat (GLAT) ist ein synthetisches Polymerisat aus vier Aminosäuren - L-Glutaminsäure,
L-Lysin, L-Alanin und L-Thyrosin -, welche im fertigen Präparat in einem zufälligen
molekularen Mischungsverhältnis vorhanden sind. Seine Wirksamkeit scheint unter anderem
auf der Induktion glatirameracetatspezifischer, protektiver T-Zellen zu beruhen, die
vermehrt antiinflammatorische Zytokine produzieren. Dies wiederum führt zu einer Abschwächung
des Entzündungsprozesses. Die Applikation erfolgt mittels täglicher s.c.-Injektionen
in einer Dosis von 20 mg.
Systemische Nebenwirkungen mit grippeartigen Symptomen und Fieber sind im Gegensatz
zu den Interferonen nicht relevant. Allerdings kommt es bei ungefähr 90 % der Patienten
zu milden lokalen Injektionsreaktionen mit Rötung, Schwellung und Gewebsinduration,
die im Verlauf der Therapie jedoch in den allermeisten Fällen nachlassen.
Die europäische MRT-Studie aus dem Jahr 1999 erbrachte eine 35 %ige Reduktion neuer
gadoliniumpositiver Herde sowie 33 % weniger Schübe über einen Zeitraum von neun Monaten
[3]. Zudem war die Umwandlung neuer kernspintomografischer Läsionen in so genannte „black
holes”, die als bildmorphologisches Korrelat einer irreversiblen axonalen Schädigung
zu werten sind, signifikant vermindert.
Azathioprin
Das Purinanalogon Azathioprin (Imurek®) wirkt schwach zytostatisch und wird schon
seit langem zur Behandlung autoimmunologisch vermittelter Erkrankungen eingesetzt.
Mehrere kleinere Doppelblindstudien mit zum Teil heterogenen Patientenpopulationen,
unterschiedlichem Design und Ergebnis wurden in einer großen Metaanalyse zusammengefasst,
die einen gewissen Wert für die Schubreduktion nach längeren Behandlungszeiträumen
zeigen konnte [17].
Daher kommt Azathioprin als Mittel der zweiten Wahl vor allem bei den Patienten infrage,
die eine Dauertherapie mit Interferonen aufgrund von Nebenwirkungen bzw. den notwendigen
Selbstinjektionen nicht tolerieren, oder bei denen die Differenzialdiagnose einer
Vaskulitis bzw. Neurosarkoidose nicht eindeutig geklärt werden konnte bzw. wenn begleitende
Autoimmunerkrankungen vorliegen. Patienten, die unter einer Therapie über viele Jahre
stabil sind, müssen nicht ohne zwingenden Grund auf ein anderes Präparat umgestellt
werden [11].
Häufigste Nebenwirkungen der Azathioprintherapie sind gastrointestinale Beschwerden,
eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte sowie Veränderungen des Blutbildes und der Leberenzyme.
Aufgrund des nach mehr als zehnjähriger Therapiedauer statistisch leicht erhöhten
Lymphomrisikos [4] sollte nach Überschreiten dieses Zeitraumes eine Umstellung der Therapie erwogen
werden. Zumindest aber sind engmaschige internistisch-hämatologische Kontrolluntersuchungen
zu veranlassen, zudem muss der Patient entsprechend aufgeklärt werden. Außerdem muss
unter der Therapie aufgrund der möglichen Teratogenität eine sichere Kontrazeption
gewährleistet sein.
Immunglobuline
Aufgrund ihrer immunmodulatorischen Eigenschaften bei Autoimmunerkrankungen und systemischen
Entzündungen werden polyvalente 7S-Immunglobuline erfolgreich eingesetzt, sie werden
intravenös verabreicht (IVIG). Potenzielle Wirkmechanismen sind die Blockade von Komplement
und Fc-Rezeptoren - also den Rezeptoren, welche die konstante Region (Fc) der Antikörper
mitsamt den daran gebundenen Antigenen binden - sowie eine Verminderung der Produktion
proinflammatorischer Zytokine.
Die derzeitige Studienlage hinsichtlich einer generellen Wirksamkeit dieser Substanzen
bei schubförmig verlaufender Multipler Sklerose ist jedoch uneinheitlich. Dies beruht
nicht zuletzt darauf, dass sich die in den einzelnen Protokollen verabreichten Dosierungen
bzw. die Applikationsintervalle zum Teil erheblich unterscheiden [6]
[14]. Eine kürzlich erschienene Meta-Analyse bisheriger IVIG-Studien kommt zu dem Ergebnis,
dass in allen Untersuchungen gleichsinnig signifikante Therapieeffekte (Reduktion
von Schubrate und MRT-Veränderungen) erreicht werden konnten [15]. Im Gegensatz dazu steht jedoch eine neuere IVIG-Studie, die in allen primären Endpunkten
(Krankheitsprogression, Schubrate und MRT-Parameter) negativ verlaufen ist und zur
Verunsicherung beim Einsatz von IVIG beigetragen hat.
Derzeit läuft eine große Dosisvergleichsstudie, bei der Patienten mit schubförmig
verlaufender Multipler Sklerose intravenöse Immunglobuline erhalten. Noch gelten diese
Substanzen - aufgrund der noch eingeschränkten Datenlage - als Mittel der zweiten
Wahl bei schubförmiger Multipler Sklerose oder bei Unverträglichkeit bzw. Kontraindikationen
der zu injizierenden Präparate [11].
Mitoxantron
Schreitet eine Multiple Sklerose unter den genannten Basistherapeutika weiter voran,
kommt als eskalierende Therapie vermehrt das Zytostatikum Mitoxantron zum Einsatz
[Abb. 1]. Ihre Wirksamkeit bei schubförmiger und sekundär chronisch-progredienter Multipler
Sklerose hat die Substanz in einer großen randomisierten, plazebokontrollierten und
untersuchergeblindeten Studie belegt [8]. Dabei sollte eine Mitoxantrontherapie insbesondere bei Patienten mit einem hoch
aktiven Krankheitsverlauf (mehr als zwei Schübe pro Jahr) bzw. rascher Progression
(mehr als einen EDSS[3]-Punkt pro Jahr) erwogen werden. Seine Wirkung entfaltet das synthetisch hergestellte
Anthracendion unter anderem über eine vermehrte Apoptose autoreaktiver T-Zellen sowie
über eine verminderte Produktion von Autoantikörpern.
Die Therapie erfolgt als intravenöse Kurzinfusion in dreimonatigen Abständen. Die
initiale Dosierung von 12 mg/m2 Körperoberfläche kann dabei nach zwölf Monaten bei nachgewiesener Stabilisierung
auf 5 mg/m2 reduziert werden [11]. Bei guter Verträglichkeit der Erstinfusion unter stationären Bedingungen kann die
Behandlung im Allgemeinen ambulant in den Händen eines in der Chemotherapie erfahrenen
Arztes weitergeführt werden.
Limitierendes Element der Therapie ist die aufgrund einer möglichen dilatativen Kardiomyopathie
zu beachtende kumulative Gesamtdosis von 140 mg/m2 Körperoberfläche. Daher sind der Ausschluss kardialer Vorerkrankungen sowie ein sorgfältiges
kardiologisches Monitoring einschließlich regelmäßiger Echokardiografien in mindestens
jährlichen Abständen obligat. Die gastrointestinale Verträglichkeit des Medikaments
ist im Vergleich zu anderen Chemotherapeutika gut. Mögliche Nebenwirkungen lassen
sich mit einer begleitenden antiemetischen Therapie weitest gehend vermeiden.
Die Blutbildveränderungen (Abfall der Leukozyten), die unter der Therapie mit Mitoxantron
zu beobachten sind, sind reversibel und therapeutisch gewünscht. Zielwert sind 2000-3000
Leukozyten/μl 10-14 Tage nach der Infusion. Ansonsten müssen in den ersten vier Wochen
nach der Infusion regelmäßige Kontrollen der Leber- und Nierenretentionswerte erfolgen.
Zudem sollten - nicht zuletzt aus forensischen Gesichtspunkten - männliche MS-Kranke
auf die Möglichkeit einer Samenspende vor Therapiebeginn hingewiesen werden, da die
Therapie unter Umständen die Spermienmotilität beeinträchtigen kann. Eine suffiziente
Kontrazeption unter der Behandlung ist unbedingt erforderlich.
Fazit
Zusammenfassend stehen für die Behandlung der Multiplen Sklerose, insbesondere des
schubförmigen Verlaufstyps, derzeit mehrere nachgewiesen wirksame Präparate zur Verfügung.
Diese sollten frühzeitig und abhängig von der Krankheitsaktivität nach dem erwähnten
Stufenschema der MSTKG eingesetzt werden. Die zukünftigen Herausforderungen liegen
insbesondere in der Weiterentwicklung der gängigen Therapieschemata zum Beispiel in
Form von Kombinationstherapien auf pathophysiologisch rationaler Grundlage, Erhöhung
des Patientenkomforts durch möglicherweise oral zu verabreichende Formulierungen sowie
in der Überwindung der noch immer eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten des primär
chronisch-progredienten Verlauftyps.