Zu den Besonderheiten der menschlichen Haut zählen der Verlust von Pigment und Körperhaaren.
Beide Phänomene sind Merkmale einer phylogenetischen Entwicklung, die dem Menschen
im Vergleich zu der Haut anderer, auch verwandter Spezies eine biologische Sonderstellung
verschafft. Mit dem Verlust beider Merkmale scheinen wichtige Schutzfunktionen aufgegeben
zu sein, die besonders dem Schutz vor UV-Licht und dem schützenden Effekt vor mechanischen
Traumen und der Gefahr einer daraus sich entwickelnden Infektion dienen.
Wenngleich diese Merkwürdigkeiten zur Zeit wohl nur hypothetisch diskutiert werden
können, ist nicht auszuschließen, dass sich im menschlichen Integument in der Folge
ein hochentwickeltes Potenzial an Abwehrfunktionen aufbaute.
Das morphologische und pathophysiologische Korrelat von Abwehr ist die Entzündung.
Sie ist in der menschlichen Haut in höchster Vielgestaltigkeit entwickelt. In keiner
Spezies zeigen sich vergleichbar viele und unterschiedliche Beispiele von „Hautentzündung”
und kein Organ und keine Haut weist eine vergleichbar hohe Morbidität auf. Die hohe
Morbidität des Hautorgans ist weltweit Inhalt der dermatologisch-ärztlichen Versorgung.
Programme der kutan-entzündlichen Abwehr
Programme der kutan-entzündlichen Abwehr
Entzündliche Abwehr wurde früher in unspezifisch und spezifisch unterschieden. Spezifisch nannte man beispielsweise die entzündliche Reaktion auf
Infektionen, die wie Lues oder Tbc mit Granulombildung und lymphozytären Infiltraten
einhergingen. Sie zeigten damit eine bestimmte morphologische Prägung, die sich von
den neutrophilenreichen und eher akuten Infektionsformen unterschied. Großes Interesse
galt dabei den intrazellulär fortbestehenden Erregerformen, während extrazelluläre
Infektionen z. B. mit Streptokokken oder Staphylokokken und anderen häufigen Erregern
vielfach eher vordergründig behandelt wurden.
Durch die Entwicklung der Transplantationsmedizin [1]
[10] trat zwangsläufig die durch Lymphozyten, insbesondere T-Zellen, vermittelte Abwehr
in den Vordergrund. Die erworbene (adaptive) Immunreaktion weitete sich zu einem alles
beherrschenden Wissensgebiet aus, das wie kaum ein anderes das medizinische Denken
bis zum heutigen Tag prägt. Die Kenntnisse über T-Zellaktivierung, Antigen-Präsentation,
Migration und Gedächtnis boomten. Zurück blieb die sog. unspezifische Abwehr.
In den sechziger Jahren begann man sich der unspezifischen Abwehr zu erinnern. Es
entwickelte sich ein zunächst kleiner Wissenschaftszweig, der Interesse fand an der
Biologie der entzündlichen Effektormechanismen, insbesondere an Mediatoren der Entzündung,
der Aktivierung von Neutrophilen, chemotaktischer Migration, Phagozytose, Komplement,
lipidchemotaktischen Faktoren, Bildung von toxischen Radikalen und den damit verbundenen
Krankheiten.
Abwehr von „Fremd” galt in der erworbenen wie in der angeborenen Immunologie als das
alleingültige Prinzip. Bald aber fragte man sich, welche Mechanismen es niederen Lebewesen,
insbesondere Wirbellosen ohne immunkompetente Zellen oder Phagozyten gestatten, in
einer Welt der permanenten mikrobiellen Bedrohung zu überleben. Das war der Beginn
des Verständnisses für die epitheliale Abwehr [2]
[11].
Nachdem Zoologen und Zellbiologen an Drosophila, an Larven und Nematoden gezeigt hatten,
dass bei niederen Lebewesen und Pflanzen Abwehrmechanismen vorkommen, die in Abwesenheit
eines Immunsystems das Überleben wirkungsvoll garantieren, fanden sich vermehrt Wissenschaftler,
die an höheren Lebensformen diese Abwehr studierten.
Vor etwa zwei Jahrzehnten entdeckte man ein Schutzsystem, das an menschlicher Haut
und den epithelialen Säumen innerer Organe, insbesondere Lunge und Darm, der antimikrobiellen
Abwehr diente.
Dieses Schutzsystem ist weitaus älter als alles bisher Erforschte zum Schutz und zur
Aufrechterhaltung der Integrität von Vielzellern. Die Erforschung immunologischer
Schutzfunktionen vollzog sich augenscheinlich entgegengesetzt zur phylogenetischen
Entwicklung: dem zellulären und humoralen System der adaptiven Immunabwehr schenkt
die Wissenschaft (nach wie vor) größte Aufmerksamkeit, während Entzündung und angeborene
(engl. innate) Abwehr bis in jüngster Zeit nachgeordnetes Interesse fanden.
Zentrale Rolle in dieser angeborenen Form der Abwehr spielt die Epithelzelle, sowohl
in Mukosa wie an der äußeren Haut (den Keratinozyten der Epidermis). Dachten bisher
vor allem Dermatologen und wenige Zellbiologen, die sich dafür interessierten, die
prinzipiellen Aufgaben der Epidermis beschränkten sich auf die Leistungen der terminalen
Differenzierung, der Lipid-Synthese, Keratin-Synthese, Barrierebildung sowie Zellteilung
und Migration, so hat man heute gelernt, das hohe sekretorische und sensorische Potenzial
der Epithelzelle (und des Keratinozyten) zu schätzen.
Psoriasis als Modell für „epitheliale Abwehr”
Psoriasis als Modell für „epitheliale Abwehr”
Für die Erforschung von Mechanismen der epithelialen Abwehr am Menschen diente die
psoriatisch erkrankte Haut als ein Fundus für viele neue Erkenntnisse.
Psoriatisch erkrankte Haut besitzt für das Studium der Abwehr herausragende Qualitäten:
-
wesentliches Merkmal der Erkrankung ist eine persistierende (chronische) Entzündung
der Haut.
-
Eine Vielzahl von Zytokinen und Chemokinen sowie pro-entzündlichen Mediatoren, vor
allem C5a, C5a desarg sowie Lipidmediatoren, sind hochgeregelt und finden sich quantitativ
vermehrt im Schuppenmaterial wieder.
-
Antimikrobielle Proteine und Peptide werden verstärkt an der Oberfläche der erkankten
Haut nachweisbar.
-
Vorherrschender Zelltyp ist neben einzelnen aktivierten T-Zellen der neutrophile Granulozyt.
-
Therapeutische Erfahrungen, die mit TNFa-Blockern bei chronischer Plaque-Typ- wie
auch bei pustulöser Psoriasis gewonnen wurden, weisen dem Panzytokin TNFa eine Schlüsselrolle zu, und
-
Psoriasis zeigt eine auffällige Assoziation mit bestimmten Erkrankungen, die für die
Morbidität der Bevölkerung hohe Relevanz besitzen.
Psoriatische Schuppen boten sich an als ein reichaltiges Ausgangsmaterial für die
Isolation und Charakterisierung von Substanzen der antimikrobiellen Abwehr [6]
[11]. Mit den besonders von J. M. Schröder an der Kieler Hautklinik entwickelten biochemischen
Verfahren gelang es, eine Reihe neuer Abwehrsubstanzen (s. Tab. [1]) zu isolieren und zu charakterisieren.
Tab. 1 Aus menschlicher Haut isolierte antimikrobielle Peptide.
HBD = humanes Beta-Defensin, ALP = Antileukoprotease
Gesunde Haut |
Entzündung |
Lysozym |
HBD 2 |
HBD 1 |
HBD 3 |
ALP |
RNAse 7 |
Dermcidin |
Psoriasin |
Damit entsteht vor unseren Augen ein Phänotyp, der sich durch Anreicherung pro-entzündlicher
Signalsubstanzen, von Abwehrfaktoren, Abwehrzellen und einer verstärkten proliferativen
Aktivität der Keratinozyten auszeichnet. Einem derartigen Phänotyp gleicht das pathophysiologische
Muster einer erhöhten Infektabwehr [3].
Assoziierte Erkrankungen
Assoziierte Erkrankungen
Von besonderem Interesse erscheint die Assoziation der Psoriasis mit bestimmten Erkrankungen,
die auf der einen Seite lange bekannt sind ist, auf der anderen Seite aber durch epidemiologische
Untersuchungen der jüngsten Zeit noch stärker herausgearbeitet wurde [3].
Untersuchungen, die vor fast zwei Jahrzehnten an der Kieler Hautklinik durchgeführt
wurden [7], ergaben, dass Patienten mit Psoriasis eine um die Hälfte verringerte Erkrankungsrate
an Pyodermien und viralen Erkrankungen aufweisen. Geläufige Infekionserkrankungen
wie Impetigo, Follikulitiden, Furunkel u. a. fanden sich signifikant seltener als
in der nichtpsoriatischen Vergleichskohorte (Patienten der Hautklinik) oder an Neurodermitis
und weiteren Merkmalen einer Atopie leidenden Patienten.
Überraschend häufig waren es übergewichtige Psoriatiker, die an Hochdruck, Diabetes,
Dyslipidämie litten und häufig herzkrank waren. Die Vergesellschaftung von Riskofaktoren
wie Hochdruck, Diabetes mellitus, Adipositas, Dyslipidämie und koronarer Herzerkrankung,
vielfach ergänzt durch belastende Lebensführung (Rauchen, Alkoholabusus) werden als
Metabolisches Syndrom (auch Insulin-Resistenz-Syndrom, IRS) zusammengefasst [5]
[13].
Zeichen des Insulin-Resistenz-Syndroms fanden sich durchweg bei Patienten, die wegen
schwerer und/oder therapieresistenter Psoriasis stationär aufgenommen worden waren.
Daraus wird erkennbar, dass es sich um ausgedehnte und lang dauernde Formen der Psoriasis
handelte.
Die früheren Ergebnisse wurden jüngst in einer detaillierten Studie an 600 Patienten
der Kieler Hautklinik bestätigt [14]. Augenscheinlich zeigen an schwerer Psoriasis erkrankte Patienten signifikant häufiger
die Komplikationen eines Insulin-Resistenz-Syndroms.
Von schwedischen Autoren wurden diese Beobachtungen vor kurzem ergänzt. So fanden
Mallbris et al. [8]
[9] eine im Vergleich zu Kontrollpersonen doppelt so hohe Letalität durch Herzinfarkt.
Es handelte sich um Patienten, die wegen der Schwere der Psoriasis stationär behandelt
wurden, während bei ambulant behandelten Patienten die Infarkthäufigkeit unverändert
war [9].
Auffallend ist eine Ähnlichkeit zum Krankheitsbild der Rheumatoiden Arthritis (RA),
die gleichfalls die Merkmale Dyslipidämie, Hochdruck, Diabetes und vor allem Koronarerkrankung
zeigt. Interessant erscheint auch hier die signifikant erhöhte Bereitschaft zur Entwicklung
einer koronaren Herzerkrankung, die, wie Studien zeigen, eine erhöhte Letalität durch
koronaren Herztod bei Patienten mit RA zur Folge hat [12]
[13]. Die beschleunigt verlaufende Atherogenese mit Bildung atheromatöser Gefäßveränderungen
wird als bedeutende Ursache für Morbidität und Mortalität der RA-Patienten angesehen
[12].
Zusammenhänge zwischen den genannten unterschiedlichen Formen einer organmanifesten
chronischen Entzündung (RA, Psoriasis) und der Entwicklung von Insulinresistenz und
Metabolischem Syndrom wurden in jüngster Zeit genauer definiert. So wird vermutet,
dass besonders die lang dauernde und vom Grad der Entzündung abhängige Freisetzung
von pro-entzündlichen Zytokinen, insbesondere TNFa und Il-6, zu Insulinresistenz mit
Diabetes, Dyslipidämie, Atheromatose und den Folgemerkmalen wie Hochdruck und kardiale
Komplikationen führt [13]. Blutspiegel von TNFa ergaben vielfach nicht erhöhte Werte, so weit übliche Messverfahren
eingesetzt wurden. Jedoch erscheinen geringe Veränderungen von zirkulierenden pro-entzündlichen
Zytokinen bedeutsam für die sich langfristig ergebenden Folgen dieser chronischen
Stimulierung des Endothels, des Fettstoffwechsels und der Insulin-Regulation zu sein.
Bei der Psoriasis scheint offensichtlich die gleiche pathophysiologische Entwicklung
ihren Ausgang zu nehmen. Die relativ selten zu spontanen Remissionen neigende, viel
eher progredient verlaufende Dermatose kann auf der Basis der chronisch persistierenden
Entzündung in die phänotypische Vielfalt des IRS münden. Die Schuppenflechte als eine
Erkrankung der Haut gewinnt damit eine andere, bedeutsame Dimension, da sie langfristig
zu bedrohlichen Folgeerkrankungen führen kann.
Aus den Folgen einer schweren und langwierigen Psoriasis ergeben sich somit entscheidende
Aufgaben:
-
die frühzeitige und dem Krankheitsverlauf angepasste Therapie,
-
frühe Erkennung der Zeichen eines beginnenden IRS,
-
sorgfältige Kontrolle aller internistischer Begleit- und Folgeerkrankungen.
Psoriasis zeigt wie bisher ein buntes Spektrum an neuen Erkenntnissen. Dazu zählen
Einblicke in die längst nicht abgeschlossene Pathophysiologie, die schwierig zu gewinnenden
Einsichten in die Genetik, immer umfangreicher werdende Therapiemodalitäten, Lebensqualitätsfragen
und nun auch die Einbettung in ein Cluster von assoziierten Erkrankungen. Wahrscheinlich
ist die Geschichte der Psoriasis damit noch nicht zu Ende.