Nicht erst durch die Einführung der „Diagnosis Related Groups” (DRG) für alle medizinischen
Fachdisziplinen außer der Psychiatrie ist die Diskussion über ein der modernen psychiatrischen
und psychotherapeutischen Versorgung angemessenes Finanzierungssystem aktuell geworden
[1]
[4]. Die seit Anfang der 1990er Jahre gültige Psychiatrie-Personalverordnung (PsychPV)
hat dazu geführt, dass sich insbesondere die personelle Ausstattung deutlich verbessert
hat und dass damit die Psychiatrie zu der Situation der anderen medizinischen Fächer
aufschließen konnte. Die massiv gesunkene Verweildauer bei steigenden Fallzahlen sowie
die Verschiebung des Indikationsspektrums, die seit einigen Jahren zu beobachten ist,
wird jedoch durch die Kriterien der PsychPV nicht ausreichend abgebildet [2]
[3]
[9]
[10]
[11]
[12]
[13]
[14]
[15]. Auf der anderen Seite suchen die Krankenkassen Planungssicherheit und eine Begrenzung
der in den letzten Jahren angestiegenen und auch weiterhin noch ansteigenden Kosten
für die psychiatrische Versorgung.
Durch das DRG-System sind in vielen Kliniken bereits die Weichen hin zu einem stärker
als bisher an der Leistung orientierten Finanzierungssystem gestellt worden. Es wird
dabei aber auch zunehmend deutlich, dass durch die damit gesetzten Steuerungseffekte
die Finanzierungsprobleme des deutschen Gesundheitswesens sicherlich nicht abschließend
gelöst werden können.
Auch an neue Finanzierungsmodelle für psychiatrische Versorgungsleistungen knüpfen
sich eine Vielzahl unterschiedlichster Erwartungen [5]
[6]
[7]
[8].
Uns erscheinen dabei von besonderer Bedeutung u.a. folgende Aspekte:
-
die Sicherstellung der erforderlichen Behandlungsqualität
-
die Berücksichtigung gemeindepsychiatrischer Aspekte
-
die Flexibilisierung der Behandlungsmöglichkeiten
-
die Förderung des Prinzips „ambulant vor stationär”
-
die Begrenzung des Kostenanstiegs sowie
-
eine Reduktion des „Drehtüreffektes”.
Ob ein an managed-care orientiertes Finanzierungssystem diesen Erwartungen gerecht
werden kann, wird gegenwärtig im Kreis Steinburg (Schleswig-Holstein) im Rahmen eines
Modellprojekts geprüft.
Entwicklung des Modell-projektes
Entwicklung des Modell-projektes
Die Entwicklung des Modellprojektes nahm ihren Ausgang in der Diskussion über die
Krankenhausplanung in Schleswig-Holstein im Jahre 2000. Ziel war die Entwicklung aussagekräftigerer
Zielparameter für die psychiatrische Versorgung als die bisher verwendete sog. „Bettenmessziffer”
(Betten pro 1000 Einwohner). Die ersten Gespräche zwischen den Krankenkassenverbänden
und verschiedenen psychiatrischen Kliniken fanden im Jahr 2001 unter dem Dach der
Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein statt. Als wesentliche Voraussetzung für
die Einrichtung eines Regionalen Budgets wurde von Beginn an definiert, dass für die
gesamte Region ein einzelner Leistungsanbieter als Ansprechpartner auftritt. Diese
Voraussetzung war für den Kreis Steinburg gegeben, da sich die beiden psychiatrischen
Kliniken (Klinikum Itzehoe und Psychiatrisches Centrum Glückstadt) bereits seit mehreren
Jahren in einer engen Kooperation befinden. [Tabelle 1] vermittelt einen Eindruck von der Größe und Struktur der beiden, an dem Modellprojekt
beteiligten Einrichtungen. Der Vertrag zwischen den Kostenträgern und dem Klinikum
Itzehoe wurde im August 2003 unterschrieben und ist rückwirkend zum 1.1.2003 in Kraft
getreten. Das Modellprojekt ist bis zum 31.12.2007 vereinbart.
Das Modellprojekt
Das Modellprojekt
Das Modellprojekt basiert auf zwei Grundprinzipien:
-
Die Versorgungsanbieter verpflichten sich, im Rahmen eines auf fünf Jahre festgeschriebenen
Jahres-Budget die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung der Region sicherzustellen
-
Die Kliniken erhalten dafür die Möglichkeit, die Behandlungsmodalität und den Behandlungsort
- vollstationär, teilstationär, ambulant oder Behandlung zu Hause - frei zu wählen.
Voraussetzung für die Behandlung innerhalb des Regionalen Psychiatrie-Budgets ist
die Verordnung von Krankenhausbehandlung durch einen Vertragsarzt, die Aufnahme als
Notfall oder das Vorliegen der Voraussetzungen für die Behandlung in einer Institutsambulanz.
Das Regionale Psychiatrie-Budget ersetzt nicht die ambulante Behandlung durch einen
niedergelassenen Arzt. Einzige Zielgröße für die Erreichung des Budgetzieles ist die
Zahl der innerhalb eines Jahres behandelten Patienten („Köpfe pro Jahr”). Es erfolgt
keine auf die Fallzahl bezogene Betrachtungsweise mehr. Das Budget setzt sich zusammen
aus den vereinbarten Budgets des Jahres 2002 für die vollstationäre sowie die teilstationäre
Behandlung und den Erlösen der Psychiatrischen Institutsambulanz der letzten vier
Quartale.
Das ökonomische Risiko bzw. die ökonomischen Chancen werden für beide Seiten innerhalb
festgelegter Grenzen kontrolliert. Bei Über- bzw. Unterschreitung der Patientenzahl
von mehr als 6 % muss zwischen den Vertragspartnern neu verhandelt werden. Die Kostenträger
verzichten für die Dauer des Modellprojektes auf die Befristung von Kostenübernahmen.
Die Regelungen der Psychiatrie-Personalverordnung (PsychPV) werden für diesen Zeitraum
einvernehmlich außer Kraft gesetzt.
Die Budgets der niedergelassenen Ärzte, der niedergelassenen Psychotherapeuten oder
anderer (komplementärer) Bestandteile der psychiatrischen Versorgungskette sind in
diesem ersten Schritt noch nicht in das Regionalbudget einbezogen.
Wissenschaftliche Begleit-forschung
Wissenschaftliche Begleit-forschung
Das Projekt wird im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitforschung durch die Klinik
und Poliklinik für Psychiatrie der Universität Leipzig unter Leitung von Prof. Dr.
Matthias C. Angermeyer evaluiert. Ziele der Begleitforschung sind die Untersuchung
der Effekte auf die Versorgungsqualität, die Versorgungsstrukturen sowie die ökonomischen
Folgen (insbesondere auf die psychiatrischen Versorgungskosten). Dazu werden jeweils
75 Patienten mit substanzabhängigen Störungen, schizophrenen und schizoaffektiven
sowie mit affektiven Störungen zu drei Zeitpunkten untersucht. Als Vergleichsregion
dient dabei der Kreis Dithmarschen mit der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie
und Psychosomatik des Westküstenklinikums Heide, der eine sehr ähnliche Versorgungsstruktur
wie der Kreis Steinburg aufweist. Dort wird im Rahmen der Begleitforschung die gleiche
Anzahl von Patienten aus den gleichen Diagnosegruppen untersucht.
Die Kosten für die wissenschaftliche Evaluation werden bis zu einer Höhe von 1 % des
vereinbarten Budgets durch die Krankenkassen übernommen. Durch das Ministerium für
Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein wird eine
zusätzliche Studie zur Beurteilung der Auswirkungen auf die Angehörigen finanziert.
Die bei der Begleitstudie eingesetzten Untersuchungsinstrumente ergeben sich aus [Tabelle 2].
Mögliche Folgen des Modellprojektes
Mögliche Folgen des Modellprojektes
Die Einführung eines Regionalen Psychiatrie-Budgets erfordert eine grundlegende Umstrukturierung
der psychiatrischen Versorgung sowohl in inhaltlicher als auch in organisatorischer
Hinsicht. Es wird zu einer Umstrukturierung der Behandlungseinrichtungen kommen, die
sich schrittweise von der bisherigen „setting orientierten” Zusammenarbeit (Team Krankenhaus,
Team Institutsambulanz) entfernt und auf eine „setting übergreifende”, an Diagnosegruppen
orientierte Zusammenarbeit zielt.
Durch die Nutzung der Möglichkeiten des Regionalen Psychiatrie-Budgets sollen die
vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen gezielter an die Bedürfnisse der
Patientinnen und Patienten angepasst werden. Es ist davon auszugehen, dass durch die
Umstrukturierung der psychiatrischen Versorgung eine Verminderung der vollstationären
Kapazitäten eintritt, während die Kapazitäten für die tagesklinische und ambulante
Versorgung eher zunehmen werden. Im Rahmen der veränderten Versorgungsstrukturen erscheint
die Etablierung einer „Behandlung zu Hause” (home treatment) sinnvoll.
Grundsätzlich werden durch die Steuerungseffekte des Regionalen Psychiatrie-Budgets
präventive Ansätze bei psychischen Erkrankungen verstärkt werden. In einem nächsten
Schritt ist die Einbeziehung weiterer Komponenten des Gemeindepsychiatrischen Verbundes
- wie z.B. komplementäre Einrichtungen zum betreuten Wohnen und zum betreuten Arbeiten
und niedergelassene Ärzte - denkbar und wünschenswert.
Fazit
Fazit
Die Einführung des Regionalen Psychiatrie-Budgets zielt darauf, die Kosten der psychiatrischen
Versorgung zu reduzieren oder zu begrenzen und parallel dazu die Behandlungsqualität
auf einem gleich bleibenden Niveau zu halten oder zu erhöhen. Das neue Finanzierungsmodell
soll die Integration von stationären, teilstationären und ambulanten Behandlungsangeboten
verbessern. Durch die höhere Flexibilität der Leistungsanbieter bei der Auswahl geeigneter
Therapiestrategien soll insbesondere eine Reduzierung der Häufigkeit und Dauer vollstationärer
Behandlungen erreicht werden. Die im stationären Bereich eingesparten Ressourcen könnten
dann zumindest teilweise in den Ausbau der ambulanten Versorgung investiert werden,
wodurch wiederum die Möglichkeiten der nicht-stationären Behandlung erweitert würden.
Die Schwierigkeiten bei der Einführung integrierter budgetfinanzierter psychiatrischer
Behandlungsformen liegen sowohl in den organisatorischen als auch in den rechtlichen
Grundlagen des gegenwärtigen Gesundheitssystems. So hat die bisherige strikte Trennung
von ambulanter und stationärer Versorgung einen abgestuften Übergang zwischen diesen
beiden Behandlungsbereichen bislang unmöglich gemacht. Zudem wird eine integrierte
Versorgung dadurch erschwert, dass ambulante psychiatrische Leistungen sowohl von
niedergelassenen Nervenärzten als auch von Sozialarbeitern, gemeinde- und sozialpsychiatrischen
Diensten oder von Institutsambulanzen zu jeweils unterschiedlichen Konditionen angeboten
werden. In Anbetracht dieses stark fragmentierten Versorgungssystems ist eine vollständige,
alle Behandlungssettings umfassende Integration der psychiatrischen Versorgung unter
den gegenwärtigen Bedingungen nicht realisierbar. Die Erprobung des Regionalen Psychiatrie-Budgets
muss sich deshalb in einem ersten Schritt zunächst auf die Leistungsangebote eines
Trägers beschränken. Diese Leistungsangebote umfassen die voll- und teilstationäre
Versorgung einer Untersuchungsregion sowie das Behandlungsangebot einer Institutsambulanz
und die neu geschaffene Möglichkeit des sog. „home-treatments”.
Während das neu eingeführte DRG-System auf einer auf den Krankheitsfall bezogenen
Finanzierung basiert - und damit die Steuerungsanreize möglicherweise hin zu einer
vermehrten Fallzahl setzt -, liegt dem Regionalen Psychiatrie-Budget eine auf den
jeweiligen Patienten bezogene Betrachtung zu Grunde. Diese Finanzierungssystematik
erscheint uns dem psychiatrischen Fachgebiet angemessener.
Tab. 1 Struktur der an dem Modell-projekt beteiligten Einrichtungen
|
Kreis Steinburg und Kreisstadt Itzehoe
|
|
Einwohner des Kreises: 135000 |
|
„Bettenmessziffer” Psychiatrie: 0,59 Betten/1000 Einwohner |
|
„Bettenmessziffer” Psychotherapeutische Medizin: 0,15 Betten/1000 Einwohner |
|
Klinikum Itzehoe
|
|
Kommunales Krankenhaus der Schwerpunktversorgung (10 Kliniken, 589 Betten/Plätze) |
|
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin
|
|
60 |
Betten für Psychiatrie |
|
20 |
Betten für Psychotherapeutische Medizin im vollstationären Bereich (je 10 Plätze tiefenpsychologisch
bzw. verhaltenstherapeutisch orientiert) |
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15 |
Plätze in der Tagesklinik Itzehoe |
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13 |
Plätze in der Tagesklinik Glückstadt (ab 2005) |
|
Psychiatrischer, psychotherapeutischer und psychosomatischer Konsiliardienst |
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Ambulanter (Psychiatrischer) Pflegedienst |
|
Psychiatrische Institutsambulanz |
|
Leistungsdaten (2002):
|
|
1427 |
Fälle vollstationär |
|
109 |
Fälle teilstationär |
|
903 |
Patienten in der Institutsambulanz |
|
18,7 |
Tage durchschnittliche Verweildauer |
|
Psychiatrisches Centrum Glückstadt
|
|
Einrichtung der Vitanas-Gruppe Berlin |
|
20 |
Betten für klinische (vollstationäre) Psychiatrie |
|
196 |
Plätze im Eingliederungs- und Pflegebereich |
|
Leistungsdaten (2002):
|
|
183 |
Fälle vollstationär |
|
31,4 |
Tage durchschnittliche Verweildauer |
Tab. 2 Parameter der wissenschaftlichen Begleitforschung
|
Zeitpunkt 0 (T0): vor Beginn von strukturellen Veränderungen
Basisdaten:
-
ICD10-Behandlungsdiagnosen
-
Soziodemografische Basisdaten
-
Parameter zum bisherigen Krankheitsverlauf
Inanspruchnahme medizinischer Versorgung / Versorgungskosten
Client Sociodemographic and Service Receipt Inventory (CSSRI)
Indikatoren für die Effektivität der psychiatrischen Versorgung
-
Subjektive Lebensqualität
-
Psychosoziales Funktionsniveau
-
Global Assessment of Functioning Scale (GAF)
-
Global Assessment of Relational Functioning Scale (GARF)
-
Social and Occupational Functioning Assessment Scale (SOFAS)
-
Ausmaß krankheitsbedingter Beeinträchtigungen - objektive, krankheitsübergreifende
Beurteilung
-
Ausmaß krankheitsbedingter Beeinträchtigungen - subjektive, krankheitsübergreifende
Beurteilung
-
Ausmaß krankheitsbedingter Beeinträchtigungen - objektive, krankheitsspezifische Beurteilung
-
Stages of Change Readiness and Treatent Eagerness Scale (SOCRATES 8) - F1
-
Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS) - F2
-
Bech-Rafaelsen Manie und Melancholie Skalen (BRMAS, BRMES) - F3
Zeitpunkt 1 (T1): 1,5 Jahre nach T0
veränderliche soziodemografische Basisdaten: WHOQOL-BREF, EQ-5D, CSSRI, GAF, GARF,
SOFAS, CGI, HONOS, SCL 90-R, SOCRATES, PANSS, BRMAS, BRMES
Zeitpunkt 2 (T2): 3,5 Jahre nach T0
veränderliche soziodemografische Basisdaten: WHOQOL-BREF, EQ-5D, CSSRI, GAF, GARF,
SOFAS, CGI, HONOS, SCL 90-R, SOCRATES, PANSS, BRMAS, BRMES |