Tinnitus ist der medizinische Fachausdruck für alle Arten von Ohr- und Kopfgeräuschen
unabhängig von deren Ursachen. Vor allem mit einem akuten Beschwerdebild in Verbindung
mit Hörverlust oder Schwindel kommen die Patienten in die ärztliche Behandlung.
Epidemiologie
Epidemiologie
Es ist schwierig, die Häufigkeit des Vorkommens zu bestimmen, da wohl jeder Mensch
das Phänomen Tinnitus kennt. Nach Ergebnissen einer 1998 durchgeführten repräsentativen
Erhebung der Deutschen Tinnitus-Liga [2] kommt es jährlich bei ca. 10 Millionen Deutschen zu Tinnitus (Neuerkrankungsrate),
der bei ca. 250000 in eine chronische Form übergeht. Ca. drei Millionen Erwachsene
in Deutschland (4 % der Bevölkerung) sind somit von chronischem Tinnitus betroffen
(Punktprävalenz). Die Ohrgeräusche werden von 37 % nur bei Stille wahrgenommen, bei
44 % lässt sich der Tinnitus durch Umgebungsgeräusche überdecken, wohingegen er sich
in 17 % der Fälle selbst durch starken Lärm nicht übertönen lässt.
Prognose
Prognose
Bei akutem Tinnitus beträgt die Spontanheilungsrate 60-80 %. Bei subakutem (länger
als 3 Monate) bzw. chronischen Tinnitus (länger als ein Jahr) sind die Chancen einer
Spontanheilung gering. Verläufe mit quälendem Tinnitus über viele Jahre sind nicht
selten. Bei Patienten mit chronischem Tinnitus nimmt dieser nur bei 8-13 % der Patienten
im Laufe der Zeit zu. In der Regel wird er nach ca. 18 Monaten leiser bzw. verliert
seinen zentralen Stellenwert. Innerhalb von zehn Jahren wird er bei mehr als der Hälfte
der Betroffenen nur noch intermittierend oder gar nicht mehr wahrgenommen [1].
Pathophysiologie des Tinnitus
Pathophysiologie des Tinnitus
Ohrgeräusche sind ein Symptom des Hörsystems. Ähnlich dem optischen System, das bei
Störungen nur mit Sehminderung, subjektiven Lichtblitzen oder Lichtempfindlichkeit
reagieren kann, führen Störungen des eigentlichen Hörsystems ausschließlich zu Hörminderung,
Tinnitus oder Geräuschüberempfindlichkeit. In einer Vielzahl von Modellen wurde versucht,
die Entstehung von Tinnitus auf den verschiedenen Ebenen des auditiven Systems darzustellen,
um mögliche therapeutische Vorgehensweisen abzuleiten. Ursachen, die in der Cochlea
(Innenohr), dem Hörnerv und der zentralen Hörbahn liegen [Abb. 1], können nur nach Anamnese- und Befunderhebung hypothetisch zugeordnet werden. Festlegungen
auf Pauschalhypothesen wie Durchblutungsstörung oder Stress werden der Differenziertheit
des Tinnitus nicht gerecht [5].
Für die primäre Tinnitusentstehung sind Schäden der inneren Haarzellen (IHZ) und äußeren
Haarzellen (ÄHZ) in der Cochlea sowie Störungen des Signaltransfers im Synapsenbereich
von wesentlicher Bedeutung [Abb. 2]: Durch Schädigung oder komplette Zerstörung der ÄHZ (z.B. Lärmschädigung, ototoxische
Einflüsse etc.) wird der dämpfende und modulierende Effekt auf die IHZ gestört und
kann somit neben einer Einschränkung differenzierter Hörvorgänge zu einer Geräuschempfindlichkeit
und Tinnitus führen (Rekruitment). Bei zusätzlicher Schädigung der IHZ kann die Umwandlung
von Schallwellen in elektrische Nervenimpulse nur noch teilweise realisiert werden
- einhergehend mit Hörminderung und fehlerhaften Entladungen der Haarzellen (Transformationstinnitus;
15).
Es kann sich aber auch um pathologische Prozesse im Bereich der Synapsen (exzitotoxischer
Tinnitus) sowie um Spontanentladungen von Fasern des 8. Hirnnervs selbst (z.B. Akustikusneurinom)
und schließlich um Spontanentladungen oder Versagen von Hemmfunktionen zentraler Hörbahnbereiche
handeln (primär-zentraler Tinnitus). Hiermit gut vereinbar sind neuere Untersuchungen,
nach denen transkranielle Kortexstimulation über dem temporo-parietalen Kortex zu
einer vorübergehenden Tinnitusreduktion führt [14].
Analog zur Trigeminusneuralgie wird auch die Möglichkeit von ephaptischen Erregungen
benachbarter, teilweise demyelinisierter Axone durch Gefäßschlingenkompression des
Nervenaustrittes am Hirnstamm diskutiert [4].
Weitere Prozesse der Tinnitusauslösung sind Störungen des Ionengleichgewichts in den
verschiedenen Medien der Cochlea, Resorptionsstörungen, Osmolaritätsänderungen, Endolymphhydrops
[Abb. 3], Durchblutungsstörungen der Stria vascularis sowie eine unausgewogene Aktivität
der Nervenfasern [4]
[7]
[15].
Die bisherigen Modellvorstellungen der peripheren und primär-zentralen Tinnitusgenerierung
gingen davon aus, dass über die pathologische Hörnervenaktivität bzw. eine veränderte
Spontanaktivität das auditorische System irritiert wird und der Tinnitus auf der Hörrinde
als abnormes Muster abgebildet wird. Zwischenzeitlich werden auch Plastzitätsvorgänge
im auditiven Kortex vermutet, die unabhängig von den ursprünglichen peripheren Ursachen
zu einer Verselbstständigung im Sinne einer „Zentralisierung” führen und damit zu
den eigentlichen Tinnitusgeneratoren werden. Der Tinnitus wäre damit das Pendant zum
Phantomschmerz (Phantom-Tinnitus sekundär-zentraler Tinnitus) [9]
[15].
Die Kombination mehrerer Tinnitustypen ist grundsätzlich möglich und gilt insbesondere
für den sekundär-zentralen Tinnitus. Vergegenwärtigt man sich die hier skizzierte
neurophysiologische Differenziertheit des Hörsystems, erscheint besonders beim chronischen
Tinnitus die Dichotomisierung in somatogenen und psychogenen oder peripheren und zentralen
Tinnitus problematisch [5].
Tinnitusursachen und deren Therapie
Tinnitusursachen und deren Therapie
Mehr als zwei Drittel der Tinnitusfälle lassen sich auf Innenohrschwerhörigkeit als
chronisch-progrediente Form oder als Lärmschwerhörigkeit, gefolgt von Morbus Menière
und Hörsturz zurückführen ([Abb. 3]; [4]
[7]). Bei 25 % bis 40 % der Fälle bleibt die Ursache unklar („idiopathischer Tinnitus”).
Zur umfassenden Analyse der verschiedenen Tinnitusursachen kann das evaluierte „Strukturierte
Tinnitus-Interview (STI)” herangezogen werden [10]. Zur Graduierung des Tinnitusschweregrades dient der in Deutschland etablierte „Tinnitus-Fragebogen
(TF)” von Goebel & Hiller [6].
Tinnitus mit Hörstörungen
o Bei Innenohrschwerhörigkeit: Generell ist davon auszugehen, dass ein Hörschaden
gleich welcher Art eine Prädisposition für eine veränderte Aktivität zentraler Hörbahnabschnitte
darstellt und sich als Tinnitus manifestieren kann. Etwa zwei Drittel von Personen
mit Schwerhörigkeit geben Tinnitus an, von denen wiederum etwa 20 % das Ausmaß eines
dekompensierten Tinnitus aufweisen. Bei einem Drittel der Schwerhörigen lassen sich
familiäre Dispositionen eruieren (hereditäre Schwerhörigkeit; 7). Therapie: Eine frühzeitige
Versorgung mit Hörgeräten ist im Hinblick auf eine langfristig erfolgreiche Kompensierung
des Tinnitus indiziert [4]
[9]
-
Bei Otosklerose: Otosklerose ist gekennzeichnet durch eine entzündlich bedingte fortschreitende
Immobilität des Steigbügels (Schallleitungsschwerhörigkeit) und ist in 70 % mit Tinnitus
vergesellschaftet. Therapie: Der Tinnitus sistiert nach mikrochirurgischer Revision
(Stapesplastik) in ca. 30-50 % der Fälle, er kann sich aber auch operativ bedingt
verschlechtern
-
Bei Hörsturz: Der idiopathische Hörsturz ist charakterisiert als ein akuter, aus scheinbarem
Wohlbefinden heraus auftretender einseitiger Hörverlust im Sinne einer Schallempfindungsschwerhörigkeit.
Tinnitus kommt dabei in 70 % der Fälle vor [4]. Therapie: Spontanremissionen sind besonders bei Tieftonhörstürzen häufig. Zur Behandlung
wird 6 %-iges HAES mit Prednisolon verwandt [13]
-
Bei Schädel-Hirn-Trauma: Der meist hochfrequente Tinnitus dauert meist nur einige
Stunden. Bei Innenohrläsion kann er jahrelang anhalten. Therapie: Unter der Annahme
eines gleichzeitigen Knalltraumas kann eine Therapie mit Prednisolon erwogen werden
-
Bei Lärm-/Knalltrauma infolge akuter oder chronischer Lärmexposition: Therapie: Beim
akuten Lärmtrauma wird über therapeutische Effekte von Prednisolon in Kombination
mit hyperbarer Sauerstofftherapie (HBO) berichtet [13]
-
Bei Akustikusneurinom: Langsam fortschreitende oder fluktuierend auftretende einseitige
Hörminderung mit intermittierendem hochfrequenten Tinnitus ist oft der erste Hinweis
auf ein Akustikusneurinom. Viele Neurinome manifestieren sich initial nur mit einem
Tinnitus. Therapie: Operation oder radiochirurgische Therapie. Ziel der Therapie ist
primär die Funktionserhaltung des 7. und 8. Hirnnerven. Nicht immer sistiert als „Nebeneffekt”
der Tinnitus (s. unten)
-
Nach ototoxischen Medikamenten oder Giften: Aminoglykoside (bes. Kanamycin, Streptomycin,
Neomycin, Bykomycin), Cisplatin, Schwermetalle. Therapie: Absetzen der Medikamente,
Eliminierung der Giftstoffe. Bleibende Schäden sind möglich.
Tinnitus ohne Hörstörung
Bei vielen Patienten, die über Tinnitus klagen, lassen sich keine relevanten Funktionsstörungen
des Gehörs nachweisen. Bei bis zu 50 % der Betroffenen geht eine Geräuschempfindlichkeit
(Hyperakusis) voraus [8].
Therapie: Im akuten Stadium wird der HNO-Arzt je nach Belästigungsgrad eine Infusionsbehandlung
wie bei Hörsturz anbieten, die in Absprache mit dem Patienten festgelegt werden sollte.
Dabei ist in Anbetracht fehlender Erklärungen des Tinnitus bei einem entsprechend
informierten Patienten auch das Zuwarten ohne Behandlung kein Fehler.
Funktionsstörungen der Halswirbelsäule oder der Kiefer-Kaumuskulatur
Häufig finden sich durch traumatische oder chronische Muskelverspannungen bedingte
degenerative Halswirbelsäulenveränderungen oder Muskelverspannungen, die über efferente
Verschaltungen mit der Hörbahn unterschiedliche Arten von einseitigem Tinnitus bedingen
oder einen bestehenden Tinnitus sekundär verstärken (zervikogener Tinnitus; Biesinger
2001). Dies gilt auch für Störungen im Kiefergelenkbereich und das häufig verbreitete
Zähneknirschen (stomatognathogener Tinnitus; 7).
Therapie: fachärztliche Behandlung, Krankengymnastik, Relaxationsübungen.
Als Nebenwirkung von Pharmaka
Tinnitus ist eines der Symptome, die häufig als Nebenwirkung vieler Medikamente auf
den Beipackzetteln der Medikamente aufgeführt werden. In der Regel reversibel und
dosisabhängig kann Tinnitus auftreten bei Chinidin, Salizylaten, Indometacin, Carbamazepin,
Propranolol, Salbutamol, Levodopa, Aminophyllin, Koffein, Tetrazyklin, Doxyzyklin,
Antidepressiva, etc. (ausführliche Übersicht 4). Dies bedeutet nicht, dass diese Medikamente
Tinnitusbetroffenen vorenthalten werden sollten. Die Patienten sind darüber aufzuklären.
Bei Lauterwerden des Tinnitus ist unter Abwägen der medizinischen Umstände ein Absetzversuch
zu diskutieren.
Tinnitus mit Drehschwindel
Die Trias rezidivierender Tinnitus mit Hörsturz und Drehschwindelanfällen entspricht
dem klassischen Bild eines M. Menièreanfalles. Fast immer besteht auch ein Druckgefühl
auf dem befallenen Ohr. Oft kündigt sich der Anfall auf der betroffenen Seite mit
dem Druckgefühl an und - bei chronischem Tinnitus - mit einem Lauterwerden des Ohrgeräusches
sowie einer Dysakusis (verzerrtes Hören). Selten beginnt die Menière'sche-Krankheit
mit dem Vollbild der typischen Symptome, vielmehr findet sich in der Frühphase nur
eines der Symptome, was die Diagnosestellung zum Krankheitsbeginn erschwert. Ebenso
gelingt es in den beschwerdefreien und symptomlosen Intervallen anfänglich nicht,
typische Krankheitszeichen nachzuweisen. Im späteren Stadium sind dann bleibende Funktionseinschränkungen
im vestibulären und cochleären System nachweisbar.
Ätiologisch handelt es sich um einen endolymphatischen Hydrops des Innenohrs (Scala
tympani; siehe [Abb. 3]), der - bei Einreißen der Reisnerschen Membran - durch Vermischung der lymphatischen
Flüssigkeitskomponenten zur Reizung des betroffenen Vestibularapparates und damit
zum Drehschwindelanfall führt. Entsprechend sieht man im Anfall in der Regel horizontal
rotierenden Nystagmus. Begleiterscheinungen des Anfalles sind gerichtete Fallneigung,
Blässe, Schweißausbruch bis hin zu Diarrhö, Nausea und Erbrechen. Der Schwindel sistiert
üblicherweise innerhalb 24 Stunden [11].
Therapie: Im akuten Stadium: Antiverginosa Dimehydronat (Vomex®, als Drg. oder Supp.;
Prophylaxe: Betahistin 12 bis 16mg 3x tgl. (Aequamen®, Vasomotal®) alternativ Versuch
mit Diuretika Hydrochlorothiazid (Dityde-H®; oder Furosemid 20 bis 40 mg/die (Lasix®),
gegebenenfalls intermittierend kombiniert mit Glukokortikoiden (Decortin® 100 mg absteigend);
bei therapieresistenten schweren Verläufen: Intratympanale Gentamycin-Instillation;
Operation: Saccotomie zur Entlastung des Endolymphsystems; in verzweifelten Fällen:
Transtemporale Vestibularisneurektomie, Labyrinthektomie.
Körpergeräusch (Objektiver Tinnitus) und dessen Therapie
Beim objektiven Tinnitus handelt es sich strenggenommen um keinen Tinnitus: Es finden
sich ausschließlich akustische Signale, die vom Organismus des Patienten ausgehen
(Körpergeräusch), die vom Untersucher mit dem Stethoskop, z.B. über dem äußeren Gehörgang,
gehört werden können. Es lassen sich dabei verschiedene Geräuschformen mit Hinweisen
auf die Ätiologie unterscheiden:
-
Pulssynchrones Geräusch: Ätiologie: vaskuläre Missbildungen im Kopf- oder Halsbereich
wie Aneurysmen, AV-Missbildungen, vaskuläre Tumoren, Durafisteln meist am Sinus transversus,
oder Karotisstenose im Siphon. Therapie: Operativ bei Aneurysmen, Embolisation oder
Operation bei Durafisteln. Das Geräusch kann bestehen bleiben. Die Indikation zur
Operation darf nicht allein durch den Tinnitus begründet werden!
-
Kontinuierliches Rauschen (verschwindet bei Druck auf die distale Vena jugularis):
Ätiologie: venös, häufig einseitig vergrößerter Bulbus jugularis. Kompression durch
ein operables Meningeom. Therapie: Ein hochgelegener Bulbus jugularis kann operativ
korrigiert werden. Andere venöse Malformationen können endovaskulär revidiert werden.
Die Intaktheit der kontralateralen Vena jugularis interna ist vorher zu prüfen. Durch
Einlegen eines Ballonkatheters kann der Therapieeffekt zuvor getestet werden
-
Serie scharfer Klicks (Dauer mehrere Sekunden bis Minuten): Ätiologie: Tetanische
Kontraktionen der Muskeln (Myoklonien) des weichen Gaumens (kann vom Untersucher beobachtet
werden) und/oder des Musculus tensor tympani und Musculus stapedius, die auf Läsionen
im sogenannten Myoklonusdreieck (Nucleus ruber, untere Olive, Nucleus dentatus) zurückgeführt
werden. Therapie: Botulinus-Toxin kann in den weichen Gaumen injiziert werden. Auch
die operative Durchtrennung des Musculus tensor veli palatini oder des Musculus stapedius
ist häufig erfolgreich, sollte aber nur mit zurückhaltender Indikation betrieben werden,
da durch Ausfall des Stapediusreflex eine irreversible Geräuschüberempfindlichkeit
(Hyperakusis) resultiert. Gelegentlich helfen Carbamazepin (Tegretal®, Timonil®)
-
Blasendes Geräusch bei der In- und/oder Exspiration: Ätiologie: abnorm weite Tuba
auditiva Eustachii. Ursache ist häufig ein erheblicher Gewichtsverlust oder unklare
Ätiologie. Therapie: Der Patient ist über die Harmlosigkeit aufzuklären. In Einzelfällen
hilft die operative Verengung der Tuba Eustachii. Muskelaufbautraining mittels gezielter
Anpassung einer einseitig erhöhten Aufbissschiene.
In Tabelle 1 sind alle Ursachen von Körpergeräuschen aufgeführt. Es ist nochmals zu
betonen: Die Behandlung darf nicht allein durch den Tinnitus begründet werden!
Pseudohalluzination
Pseudohalluzination
Tinnitus wird gänzlich anders generiert, als eine strukturierte akustische Information:
Er wird nur in relativ „primitiven” Formen wahrgenommen (Pfeifen, Rauschen, Brummen
etc.). Er ist daher abzugrenzen von akustischen Halluzinationen bei einer Psychose
oder von der selten angegebenen organischen „Pseudohalluzination”, bei der Patienten
plastische Klanggebilde hören (Kirchenglocken, Melodien, Stimmengewirr etc.), die
echoartig nach längerer Einwirkung der jeweiligen Klangbilder noch für Stunden nachhallen
oder auch bei starken Emotionen reaktiv auftreten [8]. Pseudohalluzinationen sind vermutlich auf Störungen in subkortikalen Bereichen
des rechten Temporallappens zurückzuführen [12]. Neuroleptika (z.B. Neurocil® 5 bis 50 Tropfen) können die Pseudohalluzination innerhalb
weniger Minuten beenden (Einschlafhilfe!).
Pragmatische Therapie beim chronischen Tinnitus
Pragmatische Therapie beim chronischen Tinnitus
Hier gibt es zwischenzeitlich akzeptierte Therapien, die eine Defokusierung des Tinnitus
beabsichtigen und deren Effizienz belegt sind (siehe Beitrag in diesem Heft).
Apparative Therapie
Viele Tinnituspatienten empfinden eine Erleichterung, wenn äußere Lautquellen den
Tinnitus überdecken. Dies kann im einfachen Fall Musik mittels CD oder Tonband abends
vor dem Einschlafen sein. In diesem Sinne wird auch Plätschern eines Springbrunnens
oder Rauschen eines Ventilators o.ä. eingesetzt. Häufig führen auch Hörgeräte durch
verstärkte Wahrnehmung zu einer Tinnitussuppression. Empfohlen werden auch ein- bis
zweijährige Behandlungen mit Rauschgeneratoren zusammen mit verhaltenstherapeutischen
Ansätzen [7]
[8]
[9].
Cochleäre Implantate (CI)
Für Tinnitus-Betroffene mit hochgradiger Innenohrschwerhörigkeit besteht in speziellen
Fällen die Möglichkeit, durch Implantation einer elektrischen Sonde in das Innenohr
eine Hörfunktion wiederherzustellen, mit der häufig auch eine teilweise Tinnitussupression
erreicht werden kann [4]. Dieser Eingriff ist nicht geeignet für Betroffene, die noch eine gute Restfunktion
des Innenohrs haben, da das Implantat die physiologische Funktion des Innenohrs zerstört.
Gefäßschlingendekompression
Eine Gefäßschlingendekompression am Eintritt des N. acusticus in den Hirnstamm nach
Gardner-Jannetta (analog zur Behandlung der Trigeminusneuralgie) wird durchgeführt
(4). Die Indikation ist sehr zurückhaltend zu stellen. Die Operation kann zu einer
Hörverschlechterung führen, da der achte Hirnnerv besonders vulnerabel ist. Generell
beträgt die Letalität der Operation nach Gardner-Jannetta 1 %.
Medikamentöse Therapie
Hier zeigen sich nur geringe bis fehlende Effektstärken für die meisten der bei Tinnitus
propagierten Pharmaka. Infusionen mit Lidocain (Xylocain®, Lidocain®) können zwar
zu einer Tinnitusreduktion führen, wegen der erheblichen Nebenwirkungen konnte sich
diese Therapie aber nicht durchsetzen. Dies gilt auch für das orale Analogon Tocainide
(Xylotocan®) [4]
[7].
Unwirksam oder obsolet
Für die folgenden Medikamente ist eine spezifische Wirkung bei der Tinnitusbehandlung
nicht belegt: Carbamazepin, Cinnarizin (Stutgeron®), Clonazepam (Rivotril®), Flunarizin
(Sibelium®), Nikotinsäure und -derivate (Niconacid®, Ronicol®), Meclofenoxat (Helfergin®),
Oxazepam (Adumbran®), Sulpirid (Dogmatil®), Pentoxiphyllin (Trental®), Vitamin A,
Ginkgo [3]; Laser-Ginkgo [13].
Auch die Neurektomie wird zur Tinnitusbehandlung allein nicht durchgeführt. Ist aus
anderen Gründen (z.B. Tumor) eine Nervendurchtrennung erforderlich, führt dies nur
bei 45 % der Patienten zu einem Nachlassen des Tinnitus, bei 55 % bleibt er gleich
oder verstärkt sich sogar [4].
Abb. 1
Abb. 2 Die inneren Haarzellreihen (IHZ) stehen über Afferenzen mit dem Gehirn in Verbindung.
Alles, was „hörbar” aus dem Ohr kommt, wird also über diese Sinneszellen vermittelt.
Die drei äußeren Haarzellreihen (ÄHZ) unterliegen überwiegend efferenten Verschaltungen.
Durch ihre Kontraktilität reagieren sie auf eine Vielfalt von Einflüssen des Hörsystems:
Sie modulieren „vor Ort” im Zusammenspiel mit der ihr aufliegenden Tektorialmembran
(TM) die Empfindlichkeit der Cochlea.
Abb. 3 Mehrfachursachen möglich Nach [8]
Abb. 4 Die Trennmebran zwischen Perilymphe und Endolymphe (Reissnersche-Membran; Rm) wird
anfallsweise undicht oder rupturiert, was zu Veränderungen der Kalium-Konzentration
der beiden Kompartimente führt Quelle: Jahnke K. Deutsches Ärzteblatt vom 18.2.94,
Heft 7
Tab. 1 Ursachen von Tinnitus
Mögliche Ursachen Tinnitus
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Mögliche Ursachen Körper-geräusch (objektiver Tinnitus)
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Ursachen bei Innenohrerkrankungen
-
Neurale Ursachen
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zevikogene und stomatognathogene Ursachen
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Extrakranielle Ursachen:
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Fortgeleitete Geräusche einer Halsschlagader
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Aortenklappen-Stenose
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Klicken künstlicher Herzklappen
-
Glomus-caroticum-Tumor
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AV-Fistel nach Verletzungen
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Intrakranielle Ursachen:
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Hämangiom
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Hyperzirkulation bei Anämie
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Hyperämie bei akuter/ chronischer Mittelohrentzündung
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Arterio-venöse Fistel nach Schädelverletzungen
-
Glomus-tympanicum-Tumor
-
Glomus-jugulare-Tumor
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Hochstehender Bulbus venae jugularis
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Muskuläre Ursachen:
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Spasmus des M. tensor tympani (Mittelohr)
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Spasmus des M. stapedius (Mittelohr)
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Klonus der Schlundmuskulatur
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Offene Tuba auditiva
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