In den USA hat sich die Inzidenz für Nierenkrebs unter Frauen kaukasischen Typs zwischen
den 70er- und 90er-Jahren jährlich um mehr als 3% erhöht, was sich nicht allein durch
verbesserte diagnostische Möglichkeiten erklären lässt. Im Rahmen der "IOWA WomenŽs
Health Study (IWHS)" hatten US-Wissenschaftler eine großangelegte Befragungsaktion
unter älteren Frauen durchgeführt, um mehr über nierenkrebsassoziierte Risikofaktoren
erfahren zu können (Int J Cancer 2004; 108: 115-121).
Im Jahr 1986 war an 99 826 55- bis 69-jährige Frauen, die nach dem Zufallsprinzip
aus der Liste der Führerscheininhaber des US-Staates Iowa ausgewählt worden waren,
ein Basisfragebogen versandt worden. Der Rücklauf hatte 42% betragen (n = 41 836),
wobei nur 34 637 Frauen in die Untersuchung aufgenommen werden konnten, bei denen
initial kein Hinweis auf eine Nierenkrebserkrankung vorgelegen hatte. Über 15 Jahre
wurde die Nierenkrebsinzidenz anhand des bundesstaatlichen Krebsregisters identifiziert.
Für die 124 neu aufgetretenen Nierenkrebsfälle (darunter 116 Nierenzellkarzinome)
wurden mögliche Zusammenhänge mit Faktoren wie z. B. dem Körpergewicht, der Ernährung,
einer Vitaminsupplementation oder Hormonersatztherapie untersucht.
Im Ergebnis war - nach Abgleich verschiedener bekannter Risikofaktoren wie dem Lebensalter
- Nierenkrebs eng mit dem Körpergewicht assoziiert. Eine Rolle spielte dabei zum einen
eine bereits in jüngeren Lebensjahren auftretende Adipositas als auch das zum Zeitpunkt
der Befragung festgestellte Verhältnis aus Taillenumfang zu Hüftumfang. Obwohl für
die meisten Nahrungsmittel kein Zusammenhang zu Nierenkrebs hergestellt werden konnte,
hatten Frauen mit Alkoholkonsum (zumindest 3 g/Tag) im Vergleich zu Nichttrinkerinnen
grundsätzlich ein geringeres relatives Risiko (RR). Rauchen spielte eine untergeordnete
Rolle (RR = 0,93). Die regelmäßige Zufuhr von Multivitaminpräparaten hatte eine Risikominderung
von 37% zur Folge. Kupfer-Supplemente erhöhten das relative Risiko auf das 4,43-fache,
Magnesium- Supplemente auf das 2,07fache. Die Zufuhr von Vitamin C war positiv, die
von Vitamin E dagegen negativ mit dem Krebsrisiko assoziiert. Hatten Frauen in der
Vergangenheit Östrogene z. B. im Rahmen einer Hormonersatztherapie eingenommen, steigerte
dies ihr Risiko auf das 1,62fache. Dies traf jedoch nicht auf eine gegenwärtige Hormoneinnahme
zu. Nulliparität (RR = 1,82), 3 oder 4 Geburten (RR = 1,84) und mehr als 5 Geburten
(RR = 1,72) erhöhten im Vergleich zu 1 bis 2 Geburten das Risiko für Nierenkrebs.
Fazit
Zusammenfassend waren postmenopausale Frauen insbesondere für Nierenkrebs präsdestiniert,
wenn sie in jüngeren Jahren ab ca. 30 adipös gewesen waren und/oder in späteren Jahren
Übergewicht vor allem um die Körpermitte hatten. Der Stellenwert weiterer möglicher
Risikofaktoren wie Parität, ein niedriger Alkoholkonsum sowie die Mengen von Nahrungsergänzungsstoffen
und Vitaminen sollte in weiteren Studien untersucht werden.
Kommentar zur Studie
Die Iowa Women's Health Study: diesmal - fette Frauen und Nierenkrebs
Die "Iowa Women's Health Study" (IWHS) ist eine der großen amerikanischen, epidemiologischen
Studien. In der PubMed-Datenbank werden unter dem Suchbegriff aktuell 99 Publikationen
aufgelistet, in denen aus dem zentralen Daten-Pool der Studie vielfältige Rückschlüsse
über die Gesundheit postmenopausaler Frauen extrahiert wurden. Es finden sich Analysen
zu den 10 häufigsten Tumorerkrankungen der Frau (häufigste Krebsneuerkrankungen in
Deutschland bei Frauen in absteigender Reihenfolge: 1. Mammakarzinome (24,4 %), 2.
Darmkarzinome (17,6 %), 3. Lungenkarzinome (5,4 %), 4. Korpus-/Endometriumkarzinome
(5,1 %), 5. Magenkarzinome (5,1 %), 6. Ovarialkarzinome (5,0 %), 7. Pankreaskarzinome
(4,0 %), 8. Harnblasenkarzinome (3,6 5) 9. Zervixkarzinome (3,4 %), 10. Non-Hodgkin
Lymphome (3,4 %), sowie zum Typ-II-Diabetes, der rheumatoiden Arthritis, der kardialen
Ischämie, dem Schlaganfall, der Endometriose und den Schenkelhalsfrakturen.
Diesmal ging es darum, potenzielle Risikofaktoren für die Entstehung der elfthäufigsten
Tumorerkrankung der Frau, des Nierenkarzinoms besser wissenschaftlich abzusichern
als bisher. Das Thema muss uns interessieren, denn nach der 4., aktualisierten Ausgabe
(2004) der Krebshäufigkeiten (Hrsg.: Arbeitsgemeinschaft bevölkerungsbezogener Krebsregister
in Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut; s.o.) ist in der Europäischen
Union die geschätzte, altersstandardisierte Häufigkeit für Frauen, an einem Nierenkarzinom
zu erkranken, in Deutschland am höchsten (etwa 10/100 000). Griechische und portugiesische
Frauen haben in der EU das niedrigste Erkrankungsrisiko (3-5/100 000).
Und nun ist es heraus: Junge Frauen mit schlanker Taille, die einen Führerschein besitzen
und auch gerne mal ein Schlückchen Rotwein konsumieren, solche Frauen, die im Laufe
ihrer reproduktiven Phase auf Östrogenpräparate verzichten und wenigstens eines, aber
am besten nicht mehr als 2 Kinder gebären, Frauen mit einem solchem Profil haben nach
ihrer Menopause ein signifikant niedrigeres Risiko, an einem Nierenkarzinom zu erkranken.
Diese Leitbilder sind zweifelsfrei sympathisch - für beide kaukasischen Geschlechter;
und für westliche Staatsmänner und Gesundheitsökonomen.
Hinter der Arbeit von Kristin Nicodemus steht das Johns Hopkins in Baltimore und die
Universität von Minnesota, sodass sicher kein Zweifel an den geistreich konstruierten
und lege artis angewandten statistischen Verfahren oder an den filigran aufeinander
abgestimmten epidemiologischen Berechnungs-, Vergleichs- und Wichtungsmodellen besteht.
Und die Rohdaten?
Zugrunde gelegt wurden in der IWHS Informationen, die (postmenopausale) Frauen im
Alter von 55-69 Jahren in einer nur ein einziges Mal durchgeführten Fragebogenaktion
freimütig über sich selbst preisgegeben haben. Sensible Fragen gehörten dazu, die
an das eigene Körperbild, den Lifestyle und das Konsumverhalten (Nahrungszufuhr, medizinische
und komplementär-medizinische Medikamente und Präparationen) rührten. Die erbetenen
Angaben umfassten Attribute, wie das konkrete Körpergewicht, die jemals maximal auf
die Waage gebrachten eigenen Pfunde und den realen Bauch- und Hüftumfang; Attribute
also, denen Frauen bekannterweise völlig unbefangen gegenüberstehen. Der Neigung auf
eine "geschönte" Authentizität der eingetragenen Körperdimensionen wurde methodisch
damit begegnet, dass dem postalisch zugestellten Fragebogen ein einheitliches Längen-Maßband
aus Papier beigelegt wurde.
Beachtlich war auch das Erinnerungsvermögen der Befragten, die selbst nach vielen
Jahren noch ihr konkretes Körpergewicht im Alter von 18, 30, 40 und 50 Jahren wussten.
Die so eingesammelten Daten wurden von den Wissenschaftlern (als) genauso verlässlich
bei den Auswertungen berücksichtigt, wie ein "Nein" auf die Frage, ob "Frau" eine
Alkohol-Trinkerin ist. Etwaige Verzerrungen der Angaben sind nicht quantifizierbar,
da sie natürlich bei 41 836 Frauen, die geantwortet hatten, nicht im Detail nachvollzogen
werden konnten. Schade ist, dass nicht wenigstens stichprobenweise nachgeprüft wurde.
Schließlich zeichnet es diese epidemiologische Studie zum Nierenkarzinom im Vergleich
zu anderen qualitativ aus, dass sie prospektiv angelegt war und die Kohorte (seit
1986) über die folgenden 15 Jahre beobachtet wurde. Vermutlich ist die prospektiv
erhobene Erkrankungshäufigkeit trotzdem unzuverlässig, da keine regelmäßigen, standardisierten
und kontrollierten Nachuntersuchungen der Frauen im Beobachtungsintervall durchgeführt
wurden. Bei der Erhebung der Tumorinzidenzen verließ man sich ganz darauf, ob für
die Personen/Identitäten im bundesstaatlichen Krebsregister die entsprechenden ICD-Codes
auftauchten. Konnten also durch die Fokussierung der Daten der IWHS auf das Nierenkarzinom
tatsächlich die postulierten Risikofaktoren für Frauen besser abgesichert und neue
Faktoren hinreichend valide identifiziert werden? Ich fürchte: nein.
Dennoch ist die Präsentation der Ergebnisse "konsequent", "trendy", "politisch" und
"plausibel": Publizistisch "konsequent" - wie gezeigt. "Trendy", wenn man bedenkt,
wie viele Beiträge der Wissenschafts- und Laienpresse sich in letzter Zeit hinsichtlich
Krebsentstehung und Alterung auf die gleichen Parameter bezogen haben. "Politisch"
attraktiv, weil jede Darstellung (also auch eine an einer seltenen Erkrankung, wie
dem Nierenkarzinom) hilfreich ist, deren Appelle über die konkrete Entität hinaus
eine breite krankheitspräventive Wirkung nach sich ziehen könnten. Sachlich "plausibel",
weil für die als wichtig deklarierten Risikofaktoren (Adipositas, Alkohol, weibliche
Hormone) griffige Rationalen bestehen und die zentralen Aussagen durch zahlreiche
biochemische (fettgewebs-, alkohol-, schwangerschafts- und medikamentenabhängiger
Östrogenmetabolismus, antioxidative Vitamine etc.), präklinische (Tiermodelle in Hamstern
und Ratten) und klinisch-wissenschaftliche Beschreibungen gestützt werden (können).
Eine kleine Ungereimtheit lässt mich noch zögern: Wieso besitzen griechische und portugiesische
Frauen die geringste Erkrankungshäufigkeit für ein Nierenkarzinom in der EU, obwohl
der Anteil an übergewichtigen Frauen in Griechenland und Portugal mit jeweils 31%
in Europa am höchsten ist? In Deutschland sind es demgegenüber nur 18,9% der Frauen.
PD Dr. Detlef Rohde, Darmstadt
Literatur beim Autor