Nach 1978, 1990 und 1994 wurde im Oktober die 4. Fassung des Rationalisierungsschemas
der unter Literatur (s.u.) genannten Gesellschaften und Verbände zur Anwendung wissenschaftlich
gesicherter Kostformen vorgestellt. Inzwischen haben sich in der Ernährungsmedizin
Paradigmenwechsel vollzogen, die gleichermaßen in der Prävention wie in der Therapie
ernährungsabhängiger oder -mitbedingter Krankheiten diätetische Konsequenzen nach
sich ziehen müssten.
Zu den vorrangig betroffenen Kost-/Diätformen gehören proteindefinierte, wie sie bei Patienten mit akuter und chronischer Niereninsuffizienz sowie chronischen
Lebererkrankungen indiziert sind. Entscheidend für die Lebenserwartung ist bei ihnen
die weitgehende, besser noch gänzliche Vermeidung einer Protein-Energie-Malabsorption (PEM). Wegen des erhöhten Energieverbrauches und des gesteigerten Proteinstoffwechsels
steht für Patienten mit chronischer Leber- und Niereninsuffizienz darum im Mittelpunkt
jeglicher ernährungstherapeutischer Strategie heute eine vorzugsweise oral zugeführte
adäquate Menge an Nahrungsenergie und Protein.
Für Patienten mit einer Nierenschädigung und Niereninsuffizienz, eine diabetische
Nephropathie eingeschlossen, werden in den National Kidney Foundation Practice Guidelines
for Chronic Kidney Disease von 2000 ebenso wie in der AWMF-Leitlinie »Diabetische
Nephropathie« (Nr. 057/005K, Entwicklungsstufe 3, Stand: Mai 2002) für die Energiezufuhr
30-35 kcal/kg Körpergewicht/Tag und für die Eiweißzufuhr 0,6-0,75 bzw. 0,8 g/kg KG/Tag
vorgeschlagen. Die empfohlene Eiweißzufuhr entspricht somit der in den D-A-CH-Referenzwerten
für die Nährstoffzufuhr von 2000 angegebenen Werten für Gesunde! Entscheidend dabei
ist, dass die Erhöhung der Eiweißzufuhr mit einer Reduktion der Phosphataufnahme einhergeht;
diese sollte 800 mg/Tag nicht überschreiten.
In den bereits 1999 publizierten Leitlinien der GALS ist zur Diätetik bei Leberkrankheiten
und Lebertransplantationen davon ausgegangen worden, dass bei den meisten Patienten
eine Mangelernährung in Form der PEM vorliegt. Dementsprechend hat für sie eine adäquate
Nahrungsaufnahme ebenfalls entscheidendenden Einfluss auf die Prognose. Aus diesem
Grunde sollten selbst adipöse Patienten nicht extrem hypokalorisch ernährt werden.
Die nicht mit Eiweiß zugeführte Nahrungsenergie sollte 25-30 kcal/kg KG/Tag und nach
diagnostizierter Mangelernährung 35 kcal/kg KG/Tag betragen. Da Patienten mit Leberzirrhose
in aller Regel einen erhöhten Eiweißbedarf haben, werden Zufuhren von 1,0-1,5 g Eiweiß
bzw. Aminosäuren/kg KG/Tag empfohlen. Aus dem Rationalisierungsschema geht hervor,
dass selbst bei Vorliegen einer Enzephalopathie eine Reduktion auf 0,5 g Eiweiß/kg
KG/Tag allenfalls kurzfristig (maximal 2 Tage) erfolgen sollte. Die Supplementierung
mit verzweigtkettigen Aminosäuren ist lediglich bei Patienten mit Eiweißintoleranz
angezeigt.
Das Fazit lautet also: Patienten mit chronischen Leberkrankheiten benötigen mehr Nahrungseiweiß als Gesunde,
die empfohlene Zufuhr liegt demgemäß über derjenigen der D-A-CH-Referenzwerte. In
der klinischen Praxis ist dieser Paradigmenwechsel leider noch nicht allgemein erkannt
und mit diätetischen Konsequenzen umgesetzt worden.
Dankenswerterweise haben die Autoren des Rationalisierungsschemas 2004 Empfehlungen
der einschlägigen Fachgesellschaften aufgegriffen und sie für energiedefinierte Kostformen
in einer tabellarischen Übersicht zusammengestellt. Diätassistenten/innen werden diese
als Handlungsgrundlage sicher dankbar annehmen, weil sie ihnen sowohl die stationäre
als auch die ambulante Betreuung betroffener Patienten sehr erleichtert. Zu begrüßen
ist außerdem, dass im Rationalisierungsschema als pragmatische Vorgehensweise bei
proteindefinierten Kostformen die kontrollierte Supplementation mit Mikronährstoffen,
d.h. die ärztlich überwachte Nahrungsergänzung mit Vitaminen, Mineralsstoffen und
Spurenelementen, empfohlen wird.
Leider ist die Ernährungstherapie bei Rheumaerkrankungen nach wie vor ein Stiefkind
der Rheumatologen. Umso erfreulicher ist es, dass diesbezügliche Ziele und Prinzipien
der Ernährungs-therapie sowie deren praktische Umsetzung im Rationalisierungsschema
2004 ausführlich dargestellt werden und die Verwendung Omega-3-reicher pflanzlicher
Öle (Lein-, Raps- und Walnussöl) dabei den ihr gebührenden Rang einnimmt. Von nicht
minderer Bedeutung ist der Hinweis auf den Einsatz calciumreicher Mineralwässer, da
in der Praxis häufig als Argument vorgebracht wird, Calcium werde aus Mineralwässern
nicht oder nicht hinreichend absorbiert. Begrüßenswert eindeutig formuliert sind ferner
Besonderheiten und Empfehlungen zur Ernährung von Patienten mit Dyslipoprotein- oder
Hyperurikämie.
Die ausgesprochenen Vorschläge zur Ernährung von Diabetikern sind weitgehend mit denen
der Arbeitsgruppe Ernährung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) 2000 identisch.
Abweichend davon sind das Fehlen von Empfehlungen zur Zufuhr von 60-70 Energie- %
an Kohlenhydraten und cis-einfach ungesättigten Fettsäuren sowie die weitergehende
Begrenzung der Zulässigkeit täglicher Alkoholaufnahmen (DDG: Männer bis zu 30 g/Tag,
Frauen bis zu 15 g/Tag).
Der Paradigmenwechsel in Bezug auf Nahrungsfette, dem die Erkenntnis zugrunde liegt,
dass Fett per se kein koronarer Risikofaktor ist, spiegelt sich im Abschnitt »Fettmenge
und Fettart haben Einfluss auf koronare Herzerkrankungen« wider. Hier wird der Bogen
zur Prävention geschlagen und dabei auch einer angemessenen Vitaminzufuhr
Beachtung geschenkt. Explizit wird auf die Vitamine C, E, D und Folsäure eingegangen.
An anderer Stelle (Ernährungstherapie bei Rheumaerkrankungen) wird auf den Zusammenhang
zwischen den Vitaminen E und C aufmerksam gemacht. Speziell betrifft dies die Regeneration
von Vitamin E durch Vitamin C und die potenzielle Gefahr einer prooxidativen Wirkung
des nicht wieder zu Tocopherol reduzierten Tocopheroxyl-Radikals.
Insgesamt ist einzuschätzen, dass vom Rationalisierungsschema 2004 die in den vergangenen
Jahren erfolgten Paradigmenwechsel in der Ernährungsmedizin weitgehend berücksichtigt
worden sind. Dem Ruf, ein unverzichtbares Handwerkszeug für Ernährungsmediziner und
Internisten,
Diätassistenten/innen und anderweitige Ernährungsberater sowie für alle mit Fragen
der Diätetik konfrontierten Ärzte zu sein, wird auch die neue Fassung wieder gerecht.