Anamnese
Der Patient wurde erstmals im Alter von 61 Jahren mit Nykturie bei einem Urologen
vorstellig. Hier fiel eine leichtgradige, nicht näher charakterisierte Proteinurie auf. Wenige Monate später kam es zu progredientem Leistungsabfall und langsam zunehmenden Knochenschmerzen im Bereich der Rippen und Wirbelsäule.
Untersuchungen
Bei Erstvorstellung war der Allgemeinzustand des Patienten leicht reduziert. Abgesehen
von einem blassen Hautkolorit und einem Klopfschmerz über dem knöchernen Thorax war
die körperliche Untersuchung unauffällig. Die Laboruntersuchungen ergaben eine „Sturzsenkung” (BKS 80/105 mm) sowie eine normozytäre Anämie (Hb 9,0 g/dl); eine Niereninsuffizienz ließ sich laborchemisch nicht nachweisen.
Bei einem Gesamteiweiß von 9,5 g/dl zeigte die Serum-Eiweißelektrophorese einen M-Gradienten in der γ-Globulinfraktion. In der Immunfixationselektrophorese des Serums wurde eine monoklonale IgG-Gammopathie vom Leichtenkettentyp λ nachgewiesen. Die IgG-Serumkonzentration (4 g/dl) sowie das β2-Mikroglobulin im Serum (5,3 mg/l) waren deutlich erhöht. In
der Urinanalyse zeigte sich eine monoklonale Leichtkettenproteinurie Typ λ. Histopathologisch wurde eine 70 %ige Infiltration des Knochenmarks (KM) durch Plasmazellen in einer Beckenkammbiopsie festgestellt. Die konventionellen Röntgenaufnahmen ergaben
fortgeschrittene Osteolysen des gesamten Skelettes sowie das Bild eines „Schrotschuss-Schädels”. Es wurde ein Multiples Myelom (MM) vom Typ IgG λ mit einer Begleit-Bence-Jones-Proteinurie
(Stadium IIIA nach Durie und Salmon) diagnostiziert.
Therapie und Verlauf
Wegen des fortgeschrittenen Erkrankungsstadiums wurde eine Therapie mit Idarubicin
(10 mg/m2 p. o., Tag 1-4) und Dexamethason (40 mg p. o., Tag 1-4, Wiederholung ab Tag 21) eingeleitet.
Nach vier Zyklen dieser konventionellen Chemotherapie fiel die IgG-Konzentration als Ausdruck einer rückläufigen Paraproteinämie. Mit dem
Ziel einer Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation erfolgte zur weiteren Reduktion der Myelomzellmasse und zur zytostatischen Stammzellmobilisation
eine Therapie nach dem IEV-Protokoll (Ifosfamid 2500 mg/m 2 i. v., Tag 1-3, Etoposid 150 mg/m 2 i. v., Tag 1-3, Epirubicin 100 mg/m 2 i. v., Tag 1, G-CSF 5 µg/kg s. c., ab Tag 5) mit anschließender Apherese von autologen
Stammzellen aus peripherem Blut . Nachfolgend erhielt der Patient zwei Zyklen (Abstand
3 Monate) einer Hochdosischemotherapie mit Melphalan (100 mg/m2, Tag -3 und -2 vor Stammzelltransfusion) einschließlich Reinfusion der autologen
Stammzellen . Diese Therapien wurden vom Patienten abgesehen von kurzzeitigen Neutropeniephasen
ohne Fieber, einer transfusionsbedürftigen Thrombozytopenie sowie geringgradigen Mucositiden
gut vertragen. In den abschließenden Untersuchungen zeigte sich eine partielle Remission
der Myelomerkrankung mit einer Normalisierung des peripheren Blutbildes, einer deutlichen
Rückbildung der Bence-Jones-Proteinurie (< 0,2 g/24 h), einer residualen monoklonalen
Gammopathie (IgG quantitativ 0,8 g/dl) und einer 10 %igen Restinfiltration des Knochenmarks
durch Plasmazellen.
3 Jahre nach Beendigung der zweiten Hochdosischemotherapie kam es zur Progression
des MM mit erneutem Anstieg des Paraproteins im Serum. Bei zunehmender Anämie mit
subjektiver Leistungsminderung wurde nun die Indikation zu einer palliativen Therapie
gestellt. Der Patient erhielt eine Monotherapie mit Thalidomid (200 mg p. o.), die komplikationslos vertragen wurde und zu einer Besserung der klinischen
Situation mit Stabilisierung der krankheitsassoziierten Laborauffälligkeiten führte.
Während des gesamten Krankheitsverlaufs waren die multiplen Osteolysen unter einer
supportiven i. v.-Behandlung mit dem Bisphosphonat Pamidronat ohne Auftreten ossärer Komplikationen stabil.
Fazit
Zum Diagnosezeitpunkt lag ein fortgeschrittenes und damit behandlungsbedürftiges Multiples
Myelom vor. Durch eine konventionelle Chemotherapie mit nachfolgender zweifacher Hochdosischemotherapie
inklusive autologer Stammzelltransplantation wurde eine über 3 Jahre stabile partielle
Krankheitsremission erreicht. Der Stellenwert der autologen Stammzelltransplantation
gilt mittlerweile als gesichert, die therapieassoziierte Mortalität liegt heute bei
2 % [1]. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist von einem Überlebenszeitvorteil von 2-3 Jahren
im Vergleich zu konventionellen Chemotherapien auszugehen [1].