Hintergründe
Hintergründe
Musik und Rausch scheinen gemeinsame emotionale Verarbeitungsformen zu haben, zumindest
was die Verarbeitung im limbischen System betrifft. Wohl jeder bevorzugt eine besondere
Musikrichtung, die ihm gefällt. Einzelne Musikstücke daraus können einem sogar einen
Schauer („Chills”) über den Rücken laufen lassen und anhand dieser haben Blood und
Zatorre zeigen können, dass die musikalische Information auch Gehirnstrukturen erreichen,
die an der Vermittlung von Emotionen beteiligt sind. Während der Lieblingsmelodie
änderte sich nicht nur die Aktivität des autonomen Nervensystems, wie durch Herzschlagänderungen,
Muskelspannung, Hautwiderstand und Atemtiefe deutlich wurde, sondern auch der Blutfluss
in Hirnstrukturen, die nach gegenwärtiger Erkenntnis auch bei der Verarbeitung emotionaler
Reize beteiligt sind. Das Muster der Aktivierung (Blutfluss) von Regionen im Gehirn
(Zunahme: ventrales Striatum, dorsomediales Mittelhirn, Insula, orbitofrontaler Kortex;
Abnahme: Amygdala, linker Hippocampus, ventromedialer präfrontaler Kortex) zeigte
eine verblüffende Ähnlichkeit mit Aktivitätsmustern, die von Drogen hervorgerufen
werden, die, wie beispielsweise Kokain, eine primär euphorisierende Wirkung haben,
was darauf hindeutet, dass die Wahrnehmung von geliebter Musik direkt mit Strukturen
interagiert, die mit Emotionen assoziiert sind [1 ].
Drogenrituale und Kultur
Drogenrituale und Kultur
Walter Freeman [2 ] diskutiert, wie Musik und Tanz mit der kulturellen Evolution des menschlichen Verhaltens
und Bindungsformen in Beziehung standen. Er sieht einen Zusammenhang in dem tradierten
Wissen über veränderte Wachbewusstseinszustände, ausgelöst durch chemische und verhaltenstechnische
Induktionsformen. Die so erreichten Trancezustände sorgten einerseits für eine gezielte
Durchbrechung von erlernten Gewohnheiten und Glaubenssystemen über die Wirklichkeit,
aber andererseits auch für eine erhöhte Aufnahmebereitschaft neuer Informationen.
Solche gezielten Veränderungen führten möglicherweise zu Formationen von „eingeweihten”
Gruppen und Vertrauen bei der Weitergabe von wichtigen Erkenntnissen. Insbesondere
musikalische Fähigkeiten schienen für die effiziente Tradierung von Wissensbeständen
von Bedeutung zu sein.
Taeger [3 ] untersuchte interpersonelle Zusammenhänge von Psychedelika und religiös-mystischen
Aspekten in der Gegenkultur der 70er-Jahre. Er fand viele Hinweise auf spirituelle
Erfahrungsmuster und Haltungen von Musikern und Künstlern auf den LP-Hüllen und in
Texten von Popkünstlern der 60er- und 70er-Jahre. Psychedelika boten einen Zugang
zum kollektiven Unterbewussten der Menschheit. Viele Bilder und Symbole von Textinhalten
zeugten von einer durch Psychedelika hervorgerufenen mystischen Erfahrung, wie sie
schon von C. G. Jung in seiner Archetypenlehre beschrieben worden war [3 ]. Sheila Whiteley analysierte Musikstücke von Pink Floyd, den Beatles und anderen
Musikgruppen der 60er- und 70er-Jahre und entwickelte das Konzept des „Psychedelic
Coding” [4 ], das symbolische und semiotische Kodierungen von Inhalten der „psychedelischen Kultur”
in der Komposition beschreibt. Durch die Analyse von Text und musikalischem Material
diskutiert sie Verbindungen von kultureller Semantik und Drogenwirkungen in Musik
und soziokulturellem Kontext der analysierten Bands, die sich in der Produktion eines
bestimmten Sounds ([5], vgl. Whiteley in [6]) von anderen Bands unterschieden. Nach
Böhm [7 ] sind Sound, Improvisation und Ekstase stilbildende Elemente des Psychedelic Rock.
Er untersuchte mögliche Wirkungen von Psychedelika auf den kompositorischen Prozess
am Beispiel der Beatles-Schallplatte „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band”. Durch
gezielten Einsatz von Klangmodulatoren und Studiotechnik lässt sich eine „Musik produzieren,
wie sie eine Person unter dem Einfluss von psychedelischen Drogen hören möchte” [7 ].
Paul McCartney antwortete auf die Frage, was die Musik der Beatles in der Zeit der
Veröffentlichung des Albums „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band” inspiriert hätte
oder zum Ausdruck bringen wolle: „Vor allem Drogenerfahrungen. Aber versuchen Sie
sich zu erinnern, unser Drogenkonsum stand 1967 in einer langen Musikertradition.
Wir wussten von Louis Armstrong, Duke Ellington und Count Basie, das sie zeitlebens
gekifft hatten. Nun war unsere Musikerszene dran, ihre Erfahrungen zu machen. Drogen
fanden ihren Weg in alles, was wir taten. Sie färbten unsere Sicht der Dinge bunt.
Ich glaube, dass wir damals realisierten, dass es weniger Grenzen für uns gab als
wir angenommen hatten. Und uns wurde klar, dass wir Barrieren durchbrechen konnten”
[8 ].
Jeder populäre Musikstil ist zugleich Ausdruck eines Lebensstils und entsprechender
Konsumvorlieben der die Musikstile prägenden Künstler und Künstlerszenen [4 ]
[9 ]. So ist die Vorliebe einer kulturellen „Szene” für bestimmte Drogen immer auch eine
Mode, sich „anzutörnen“, d. h. sich in bestimmte physiologische Zustände zu versetzen,
um Alltägliches und Besonderes, Ereignisse und Stimmungen intensiver und aus einer
anderen Perspektive zu erfahren und dies kreativ zu nutzen.
Barbara Kerr [10 ] fand in einer Befragung zu Konsumgewohnheiten unter Künstlern (n = 86) eine signifikant
höhere Konsumbereitschaft für Cannabis unter Musikern als bei anderen Künstlern. Baumeister
[11 ] reflektiert den Acid-Rock der 60er- und 70er-Jahre, Reggae-Musik und Kultur der
Rastafaris in Jamaika untersuchten Blätter und Rubin [vgl. 9, 12], und Behr berichtet
über die durch Cannabis inspirierte Rembetiko-Musik im Griechenland der 30er-Jahre
[vgl. 13]. Entwicklungen im Punk, Grunge, Hip-Hop, Metal, Techno, Goa-Trance etc.
[14 ]
[15 ]
[16 ] können hier nur kurz erwähnt werden. Alkohol, Tabak, psychotrope Medikamente und
Kaffee als Vertreter der legalen Drogen halten sich als Begleiter der Musiker bis
in die heutige Zeit [17 ]. Berlioz’ „Symphonie Phantastique”, in der dem Programmheft nach auch Opiumerfahrungen
vertont werden, und Wagners musikalische Beschreibungen der „bewusstseinsverändernden
Qualitäten von Isoldens Liebestrank” [18 ] lassen erahnen, dass die derzeit üblichen opiumhaltigen Genussdrogen auch den Komponisten
nicht unbekannt waren.
Rave-Parties
Rave-Parties
Mit der Entwicklung des Techno, der - wie Philip Tagg es formulierte - den rhythmischen
Hintergrund der Musik in den Vordergrund geholt hat, ging eine Partykultur einher,
die zu maschinengenerierten Grooves mit bis zu 300 bpm in nächtelangen Tanzparties
(„Raves”) moderne Trancerituale inszenierte. Wie schon Rouget [19 ] zeigte, sind verschiedene Tanzformen während institutionalisierter oder privater
Trancerituale aus fast allen Kulturen bekannt. Trancemusik und hier auch Techno zeichnet
sich „durch eine allmähliche steigernde Intensität aus. Akzelerierendes Tempo, Zunahme
der Lautstärke, zusätzliche polyrhythmische Verschiebungen oder ein intensivierter
neuer Einsatz der Musik nach einer abrupten Pause führen die Zuhörer und Tänzer oft
zur tranceauslösenden ‚Krise’” [20 ]. Die 21 Interviewpartner in Mitterlehners Studie berichteten übereinstimmend von
einer „Schwelle”, die überwunden werden muss.
Während Musik und ihre manipulierte Lautstärke, Tanz und visuelle Stimulation durch
Licht, Farben, etc. die psychophysiologischen Veränderungen - intensiviert noch durch
die synthetische Droge Ecstasy (MDMA) - hervorrufen, bereitet der symbolische Rahmen
der Rave-Party das „technoschamanische” Setting für veränderte Wachbewusstseinszustände.
Hutson [16 ] widmete sich in einer Cyber-Ethnographie von Internetforen den Beschreibungen von
spirituellen Erfahrungen und veränderten Wachbewusstseinszuständen. Partys im Freien
oder an besonderen Orten werden von den Besuchern bevorzugt. Dabei wird die „Rave-Party”
eher als ein modernes Stammesritual (vgl. [15]) verstanden, auf dem die „Hohenpriester”
an den Samplern und Plattentellern stehen, die Adepten des Tanzkults ihr „Sakrament”
in Form einer illegalen synthetischen Droge einnehmen und als Höhepunkt ihrer Kultur
und ihres gemeinschaftlichen Ethos eine Million Menschen auf einer ehemals von Militär
und Diktatur symbolisierten Strasse tanzen lassen [21 ]. Einig scheinen sich die Tanzenden in Mitterlehners und Hutsons Befragung jedoch
darin zu sein, dass es auch ohne Drogen zu veränderten Wachbewusstseinszuständen kommt,
die Musik, der Tanz und die Party sich allerdings mit der Droge noch intensiver erleben
ließen.
Schon in den 40er-Jahren konnte festgestellt werden (Walter in [16]), dass rhythmische
Lichtemissionen („photic driving”) visuelle Imaginationen von Bewegung, Mustern und
Farben auslösen. Massenphänomene, Lichtinszenierungen und Einzelstimuli wie Dehydration
ergeben während einer Techno-Party eine individuell erlebte Reizüberflutung. Tanzen
bis zur Erschöpfung, die extreme physische Anstrengung und eine dadurch vermittelte
Ausschüttung von körpereigenen Morphinen, die wiederum angstlösend und euphorisierend
wirken, des weiteren Schwitzen und - durch die lange Dauer solcher Veranstaltungen
- Schlafentzug aktivieren körpereigene Drogen und Belohnungssysteme, d. h. eine Trance
stellt sich nicht einzig aus der Einnahme von Drogen ein. Ebenso wenig ist zu erwarten,
dass die Musik und hier insbesondere der Rhythmus allein einen veränderten Wachbewusstseinszustand
auslösen.
Musikwahrnehmung
Musikwahrnehmung
Cannabis wirkt im Rauschverlauf unterschiedlich anregend, psychedelisch oder beruhigend.
Das hängt von Dosis und Erfahrung ab und in welcher Stimmung und Umwelt sich der Berauschte
befindet [22 ]
[23 ]. Bei hohen Dosierungen kann es zu Synästhesieerfahrungen kommen: „Die Töne bekleiden
sich mit Farben und die Farben enthalten Musik” [22 ].
Curry [24 ] befragte und beobachtete während der 60er-Jahre drogenkonsumierende Musiker und
Hörer in Clubs und auf Konzerten. Drogenwirkungen von Cannabis, Psychedelika und Amphetaminen
auf die Musikwahrnehmung interpretierte er als eine Veränderung des kognitiven Stils,
i. S. e. Hyperfokussierung der Wahrnehmung auf den Klang und eine innere Reise in
den akustischen Raum. „(...) Eine Reorientierung der Wahrnehmung findet statt, der
begrenzte visuelle Raum verschwindet und der als sphärisch erfahrene akustische Raum
wird erlebt und darauf reagiert” [24 ]. Dieser Aspekt einer Hyperfokussierung der Wahrnehmung auf den akustischen Raum
und eine durch synästhetische Muster geprägte innere Reise in den Klang zeigten sich
auch in den Untersuchungsergebnissen von Charles Tart. Er lies 151 Cannabiskonsumenten
folgende Statements auf einer Ratingskala beurteilen [25 ] (vgl. Abb. 1 ).
Von Aldrich [26 ] und Reed [27 ] wurden leichte Verbesserungen beim Seashore-Rhythm-Test nachgewiesen. Melges et
al. erklärten die Auswirkung auf die Zeitwahrnehmung als eine reziproke Beziehung
von subjektiv verlangsamter Zeit, i. S. e. Zeitdehnung und einer cannabisinduzierten
Beschleunigung der „inneren“ Uhr [28 ]
[29 ]. In audiologischen Tests veränderte Cannabis die auditorische (Intensitäts-)Metrik
von Versuchspersonen [30 ] und induzierte Frequenzpräferenzen zugunsten höherer Frequenzen [31 ]. Beschreibungen synästhetischer Effekte bei Baudelaire und Tart, geschwächte Zensur
visueller Tiefenwahrnehmung in Emrichs Untersuchungen [32 ], kreativere Rohrschachmuster-Interpretationen und ein Übergang zu divergentem Denkstil
deuten auf eine Intensivierung der individuellen zerebralen Hörstrategie i. S. e.
Hyper-Fokussierung der Wahrnehmung auf den akustischen Raum-Sound und die (Zeit-)Struktur
der Musik. Aus den genannten Untersuchungen (in [33, 34]) lässt sich demnach schließen,
dass Cannabis weniger Wirkungen auf die Musikwahrnehmung „per se” hat, sondern durch
die Veränderung von Zeit-, Frequenz- und Raumwahrnehmung, ähnlich einem Enhancer,
Exciter oder Kompressor aus der Studiotechnik, auf die Fokussierung der Wahrnehmung
von raumzeitlichen Klanggestalten wirkt und sich dadurch vermittelt, als eine psychoakustische
Qualitätssteigerung erleben lässt. Den Mix des neu aufgenommenen Stücks noch einmal
unter Cannabiseinfluss anzuhören, gehört bei verschiedenen Musikern anscheinend zur
Begutachtungsstrategie, wie Aussagen von Mitgliedern der Beatles oder Fleetwood Mac
bestätigen [35 ]. Der musikalisch-akustische Zeit-Raum der Klänge, ihr „Sound Staging”, lässt sich
mit dem durch Drogen veränderten metrischen Bezugsrahmen hörend, komponierend und
improvisierend gestalten - wenn man damit erfahren ist [33 ].
EEG-Studien von Hess und Fachner zeigen, dass der Vorgang des Hörens temporär intensiviert
und fokussiert ist und sich die individuelle Hörstrategie ändert. Hess [36 ] untersuchte die Wirkungen von Cannabis und ihre Korrelationen im EEG bei Flimmerlicht,
Musik und einer Hyperventilationsphase. Er fand frontale und parietale Zunahmen von
Alpha und ein Absinken der Frequenz in Korrelation zum Kontemplationsstadium der Cannabiswirkungen.
Beim Hören der Musik zeigten sich die „deutlichsten Zeichen des Haschischrauschs”
[36 ], und der veränderte Wachbewusstseinszustand ließ sich durch die Musik steuern. Die
Musik wurde als intensiviert empfunden, Details besser wahrgenommen, und das Zeitempfinden
beim Hören der Musik veränderte sich deutlich.
Fachner [34 ] fand im EEG beim Musikhören ohne Cannabis stärkere, mit Cannabis hingegen schwächere
Amplituden und Frequenzmengen über nahezu alle Gehirnareale im Vergleich zur Ruhe.
Doch im Parietallappen, der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung koordiniert, zeigte sich
beim Hören nach Cannabis ein deutlicher Anstieg der Alpha-Amplituden. Alphazunahme
im umgekehrten Verhältnis zur kognitiven Arbeit („reverse Alpha”) wird in der EEG-Literatur
als ein Hinweis auf eine leichtere mentale Verarbeitung diskutiert (vgl. [34]).
Thetaveränderungen im rechten Schläfenlappen (temporal) und auf dem Alphaband im linken
Hinterhauptlappen (okzipital) waren signifikant (p < .025). Okzipitale Veränderungen
deuten auf akustische Wahrnehmungsveränderungen, temporale auf Änderungen im auditorischen
System, Mittelhirn und dem limbischen System. In den Regionen des Mittel- und Kleinhirns,
die vornehmlich Intensitätsempfindungen, Gedächtnis-, Selektions-, Zeit- und Bewegungsprozesse
verarbeiten, gibt es proportional stärkere Ansammlungen von Cannabinoidrezeptoren.
Durch Cannabis angeregt, erzeugen diese Rezeptoren eine im topographischen EEG nachvollziehbare
Bahnung und Hemmung kortikaler Prozesse i. S. e. Fokussierung der Aufmerksamkeit.
Funktional äußert sich dies in einem temporär veränderten, möglicherweise effizienteren
metrischen Bezugsrahmen von Intensität, Akustik und Rhythmus [33 ]
[34 ].
Harrer konnte durch mehrere Einzelbeobachtungen eine dosisabhängige Beeinflussung
des Musikerlebens durch Benzodiazepine beschreiben. Dabei wurden die normalerweise
variablen vegetativen Reaktionen auf Musik, wie Atmung, Herzschlag etc. immer deutlicher
eingeschränkt, ohne dass es zu einer für die Versuchspersonen erkennbaren Beeinträchtigung
oder Änderung ihres Musikerlebens kommt. Bei mittlerer Dosis waren keine psychischen
Beeinträchtigungen, aber eine Unterdrückung der sonst auftretenden, typischen vegetativen
Abläufe zu beobachten. Eine hohe Dosis transformierte das emotionale Erleben in ein
ästhetisch-wertendes Musikerleben und variable Abläufe des Vegetativums blieben fast
völlig aus. Bei sehr hohen Dosen Benzodiazepin zeigte sich die Person der Musik gegenüber
gleichgültig und desinteressiert, stumpfte affektiv ab und befand sich in einer vegetativen
Starre [37 ].
Therapeutische Interventionen
Therapeutische Interventionen
Die rezeptive Musiktherapie des Guided Imagery in Music entstand aus der psychedelischen
Therapie, in der unter psychotherapeutischer Begleitung LSD, Meskalin oder Psilocybin
genommen wurden. Dies geschah, um in therapeutischer Absicht die Abwehr- und Selektionsmechanismen
der Psyche zu schwächen und um somit einen ungebremsten Assoziationsfluss für die
Themen der Psychotherapie hervorzubringen [6 ]
[38 ]
[39 ]
[40 ]. De Rios [41 ] fordert für die therapeutische Praxis mit Drogen und Musik einen musikwissenschaftlichen
Ansatz, um therapeutisch intendierte veränderte Wachbewusstseinszustände induzieren
und durch Musik führen zu können. De Rios’ ethnologische Feldforschungen und Analysen
unterstreichen, dass die therapeutische Praxis von Beobachtungen solcher kultureller
Traditionen lernen und ein Transfer möglich sein könnte.
Psilocybin
Die psychedelische Droge Psilocybin wurde von Weber [42 ] eingesetzt, um modellhaft („Modellpsychose”) die Wahrnehmungswelt von Menschen zu
verstehen, die durch einen psychotischen Schub eine lebhafte und manifeste Phantasie
entwickeln. Weber ging dabei davon aus, dass sich die Musikwahrnehmung eines erwachsenen
Menschen im Sinne einer funktionalen Regression auf kindliche Wahrnehmungs- und Kognitionsformen
zurückbewegt. Die veränderte Wahrnehmung von Zeit und Körperschema fand ihre Entsprechung
in einer Alteration der in der Musik gehörten Form, Bewegung und Gestalt. Angelehnt
an Piagets Entwicklungsmodell wurden die Erfahrungen als primär emotional, synkretistisch
und egozentrisch interpretiert. Zustandsspezifische Prozesse lassen sich i. S. d.
Modellpsychose vergleichend beobachten. Zustandsspezifische Erinnerungen haben in
der Musiktherapie mit Dementen und Alzheimerpatienten Bedeutung, da sie durch das
Singen von Liedern ausgelöst werden können und durch intensivere Erinnerungen an Vergangenes
zu einer in der Musik strukturierten Gegenwart verhelfen. Drogenabhängige in der Musiktherapie
scheinen hingegen durch Musik an Zustände der Drogenwirkung erinnert zu werden [43 ].
Ayahuasca
De Rios [41 ] studierte in den 60er- und 70er-Jahren die Rolle von pflanzlichen Halluzinogenen
und Musik, die Schamanen als Unterstützung ihrer Heilungsrituale nutzen. Mit dem Musikwissenschaftler
Fred Katz transkribierte De Rios Musik aus therapeutischen Sitzungen mit Ayahusaca,
die bei Mestizen in Iquito, Peru, aufgenommen wurde. Die Heiler betonen die Wichtigkeit
der Musik und insbesondere der Melodien („Icaros”), mit denen sie den Inhalt ihrer
durch Ayahuasca begünstigten Visionen programmatisch steuern, Geister oder Ahnen anrufen
können, um den Grund der Erkrankung ihrer Patienten zu erkennen.
De Rios und Katz interpretieren die Funktion der Musik als ein Gerüst („jungle gym”),
das Teilnehmern in Drogenritualen einen definierten Rahmen bietet, innerhalb dessen
sie begleitet ihre „Reise” ins Unterbewusste führen können [in 41]. Dabei dienen die
Musik und ihre innere Struktur, um in drogenbedingten Phasen der Ich-Auflösung einen
funktionalen Ersatz für die psychische Struktur zu bieten, also nicht nur dafür, innerhalb
eines bestimmten Settings für Stimmung zu sorgen. Die Musik ermöglicht den Teilnehmern
durch Gesänge, Pfeifen oder Trommelschläge den „leitenden Geist des Ayahuasca” zu
erkennen oder den Kontakt zu einer speziellen, für das Ritual wichtigen, Gottheit
zu erreichen. Entsprechend sollten sich die Leiter solcher Rituale auch mit der Musik,
den Substanzen, den ritualimmanenten Zielen und den bei den Teilnehmern hervorgerufenen
strukturierten Visionen auskennen. Die zum Einsatz kommende Musik dient dabei kulturellen
Zielen und evoziert stereotype Visionen, die - wie De Rios in einer kulturvergleichenden
Untersuchung von Halluzinogen herausfand - in der jeweiligen Kultur eine ganz bestimmte
Bedeutung haben. Synästhesie scheint für Rituale mit Drogen ein wichtiger Bestandteil
zu sein, insofern als Halluzinogene die sensorischen Überkreuzungen der Sinnesmodalitäten
von Geruch, Sehen, Fühlen, Tasten, Hören und Schmecken zu einer erhöhten Übereinstimmung
von Inhalt und Form führen und Visionen lebendig machen [41 ].
Iboga
Maas und Strubelt studierten im afrikanischen Gabun die Musik und Pharmakotherapie
traditioneller Heiler. Während der Zeremonien wird die psychedelisch wirksame pflanzliche
Droge Iboga genommen, die primär auf die Koordination des Kleinhirns wirkt. Der Mediziner
und Musiker Maas begab sich in ein Initiationsritual und berichtet von den erfahrenen
und beobachtbaren Vorgängen, beschreibt den Gebrauch der Instrumente und analysiert
anhand der rhythmischen Muster die funktionale Bedeutung der Musik.
In der Trance-Induktionsphase überlagerten schnelle Rhythmen funktionell ein zuvor
durchgängiges, komplexes Muster aus walzer- und marschähnlichen Strukturen. Die rituelle
Bedeutung der Polyrhythmen wird von dem traditionellen Heiler Lubin als „there are
always various paths and multiple crossroads” erklärt [44 ]. Die Autoren diskutieren, dass Musik und Instrumente nicht nur eine kulturelle Funktion,
sondern in Verbindung mit der Droge einen direkten Einfluss auf somatische Funktionen
haben. Das konstante Metrum, die überlagernden Polyrhythmen, die Harmonien und die
Wahl der Instrumente dienen offensichtlich einer auf die Drogenwirkung und den Verlauf
des Rituals abgestimmten Aktivierung des Kleinhirns, die die Musik als auch die Wirkungen
der Droge und die hervorgerufenen spezifischen Visionen gezielt unterstützt. Während
des dreitägigen Rituals bleibt die polyrhythmische Musik beständig vorhanden und nach
den Erfahrungen der Autoren stellt sich ein anhaltendes „inneres Metrum” ein, das
sie als mathematisch analog einer 6Hz-Frequenz des Thetabands im EEG interpretieren.
Abb. 1 Dosis und Wirkungszusammenhänge von Cannabis und Musik nach Tart [25 ].