Konzepte der Drogen- und Suchtprävention: Ein Blick in die Geschichte
Konzepte der Drogen- und Suchtprävention: Ein Blick in die Geschichte
Drogenpräventive Strategien haben in der Bundesrepublik eine gut 30-jährige Geschichte,
in der ganz unterschiedliche Paradigmen der Drogenprävention und Auffassungen über
Drogen dominierten. Eine interessante Darstellung der historisch variierenden Verständnisse
von Drogenpolitik und -prävention hat Hüsgen präsentiert [1]. Bis 1972, so zeigt ein Blick in die Geschichte, wurde die Drogennachfrage strafrechtlich
nicht verfolgt. Handlungsleitend war damals die Position, dass nicht die Substanzen
oder ihr Konsum, sondern die psychische Situation des Konsumierenden und die psychologische
Funktion des Konsums ggf. einen problematischen Substanzmittelkonsum auslösen können.
„Selbst bei den schwersten Suchtgiften wie Heroin oder Morphium”, so schrieben Schmidtbauer
u. vom Scheid 1971 im Handbuch Rauschdrogen, sei „es nicht die Droge, welche den Betroffenen
süchtig macht, sondern der Betroffene nützt die Droge, um (unbewusst) psychische Konflikte
zu mildern, Depressionen zu dämpfen, einer belastenden inneren oder äußeren Situation
zu entfliehen; erst dadurch wird er süchtig” [2]. Entsprechend wurden in der staatlichen Prävention weniger die Gefahren von Drogen
als vielmehr Entwicklungsprobleme in Pubertät und Adoleszenz thematisiert. Aufklärung
und Hilfe zur Emanzipation von widrigen Lebensumständen und Biografieverläufen standen
im Mittelpunkt.
Angesichts des weit verbreiteten Substanzmittelkonsums unter Schülern und Studenten
in der sog. Flower-Power-Bewegung entschloss sich der Bundesgesetzgeber in den 70er-Jahren,
auch strafrechtlich gegen den Konsum und Handel mit Drogen vorzugehen. Das Betäubungsmittelgesetz
wurde am 10.1.1972 erlassen. Es war geleitet von einer neuen, nämlich kriminologisch-ethischen
Sichtweise der Drogenprobleme, wonach die Substanzen selbst - losgelöst vom individuellen
oder sozialen Kontext, in dem sie genommen werden - das eigentliche Problem darstellen.
Entsprechend galt es, die Verfügbarkeit und den Konsum von psychotropen Substanzen
einzuschränken und unter Strafe zu stellen. Die Flower-Power-Bewegung - ideologische
Basis massenhafter Drogenerfahrungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen - ebbte
ab und mit ihr die Prävalenz des Substanzmittelkonsums [1]. Die Arbeitsgesellschaft attribuierte die Veränderungen der Konsumprävalenz auf
die vermeintliche Wirksamkeit der repressiven staatlichen Strategie, die Abstinenz
zum starren Ziel aller Suchtangebote machte.
Erst die negativen Erfahrungen, vor allem der Anstieg der Zahl der jährlichen Drogentoten,
führten in den 80er-Jahren zu einer Neuordnung des Betäubungsmittelrechts und zu einer
Abkehr von der strikten Strafandrohung. „Therapie statt Strafe” war Ausdruck eines
Umdenkens von der Drogenpönalisierung zur Suchtvorbeugung.[1] Dieses Motto leitete eine erste Hinwendung zu lebenskompetenzorientierten Präventionsprogrammen
ein, über die eine Normalisierung des Umgangs mit Substanzen erreicht werden sollte.
Drogenkonsum wurde - nun einem psychosozialen Modell folgend - als zielgerichtetes
Verhalten interpretiert, das dazu dient, die psychische Verfassung zu verändern bzw.
psychische Stabilisierung zu erreichen.
Mit dem Aufkommen von HIV und AIDS kamen Mitte der 80er-Jahre neue gesundheitspolitische
Herausforderungen hinzu. Gegen heftigen Widerstand der Vertreter der kriminologisch-ethischen
und der medizinischen Sichtweise der Drogenproblematik (bei der ebenfalls die Substanz
mit ihrer zugeschriebenen schädigenden Wirkung im Vordergrund steht) wurden schadensminimierende
Strategien durchgesetzt, die eine erweiterte Hilfeopportunität für Drogenabhängige
(Hilfe vor Strafe) forderten, die zwar nicht zum Ausstieg bereit waren, aber Gesundheitshilfen
bedurften. Zugleich sollte verhindert werden, dass sie das HI-Virus an andere übertragen.
Einer gewissen Liberalisierung im Konsumentenbereich wurde jedoch gleichzeitig verstärkte
Repression gegen den Handel mit Drogen gegenübergestellt. In der drogenpräventiven
Praxis entstand so eine Art Patchwork-Konzept, das teils einer kriminologisch-ethischen,
einer psychosozialen und einer medizinischen Deutung des Drogenproblems verpflichtet
war.
Die in den 90er-Jahren aufkommende zweite Jugendkultur, die mit Drogen assoziiert
war (Techno und Rave), führte - vermutlich weil sie nicht mit einer gesellschaftlichen
Antihaltung einherging - zu anderen Reaktionen in der Gesellschaft. Aus den Erfahrungen
im HIV-Aids-Bereich wurden schadensminimierende Konzepte übertragen: Risikominimierung,
nicht mehr Totalabstinenz, sondern die Einübung von Risikokompetenz sollte einen mündigen
Umgang mit Partydrogen ermöglichen [3]. Eine solche Präventionskultur wurde möglich, weil hier - anders als bei Cannabiskonsumenten
- eine klare Zielgruppe identifiziert werden konnte, die sich selbst artikulierte
und schadensminimierende Strategien einforderte. Analoge Präventionskampagnen wie
im Ecstasybereich blieben für Cannabiskonsumenten (zunächst) ebenso aus wie ein vergleichbares
Präventionskonzept. Für Opiatkonsumenten wurden im Jahr 2000 seitens der rot-grünen
Regierung die rechtlichen Voraussetzungen für den Betrieb von Drogenkonsumräumen geschaffen
und nach den positiven Erfahrungen in der Schweiz wurde 2002 mit dem Start eines klinischen
Modellprojektes zur heroingestützten Behandlung eine neue Drogenperspektive durchgesetzt,
in der grundsätzlich anerkannt wird, dass „es nicht die Droge ist, die Abhängigkeit
schafft oder auch erhält, sondern die jeweilige Erwartungshaltung der Konsumierenden”
[1].
Die aktuelle Praxis der Drogenprävention schwankt zwischen den verschiedenen Modellvorstellungen.
Im Richtungsstreit zwischen der Zielvorstellung einer „suchtmittelfreien Gesellschaft”
und dem Ziel eines kompetenten Umgangs mit Drogen in einer „drogenakzeptierenden Gesellschaft”
entstehen Konzepte und Projekte, die z. T. kontradiktorischen Zielgrößen folgen.
Was die wissenschaftlichen Grundlagen der präventiven Bemühungen anbelangt, dominierten
in den Anfängen zunächst Intuition und Aktionismus. Der heute als unzutreffend nachgewiesenen
Hoffnung folgend, dass Wissen eine hinreichende Voraussetzung für Verhaltensänderungen
sei, standen Informationsvermittlung und Aufklärung über die Risiken des Substanzmittelkonsums
im Vordergrund der Prävention. Erst in den 80er-Jahren machten Evaluationsstudien
deutlich, dass die Prävalenz des Drogenkonsums durch Wissensvermittlung allein nicht
zu beeinflussen ist [4]. Ergänzend wurden nun emotionale und affektive Prozesse und ihre Bedeutung für die
Verhaltenssteuerung untersucht. Angstappelle, so zeigte sich, schienen durchaus geeignet,
Vermeidungsverhalten (Meidung von Drogen) zu initiieren. Entsprechend wurde unter
dieser Prämisse einer affektiv orientierten Präventionsstrategie überwiegend mit drastischen
Angstappellen gearbeitet.
Ende der 80er-Jahre wurden unter dem Einfluss salutogenetischer Konzepte sog. Risiko-Ressourcen-Modelle
entwickelt, in denen einerseits nach risikoerhöhenden Bedingungen[2] sowie andererseits nach risikomildernden Resilienz- und Schutzfaktoren des Substanzmittelkonsums[3] gefragt wurde. Insofern bilden mehrdimensionale Modelle heutzutage die Grundlage
moderner Konzepte der Suchtprävention, bei denen entwicklungsorientierte Interventionen
einen besonderen Stellenwert haben, die Substanzmittelkonsum als aktives Bewältigungsverhalten
konzeptualisieren, mit dem Entwicklungsaufgaben gelöst werden sollen. Die Pubertät
und Adoleszenzphase gehen mit spezifischen Lebensaufgaben einher, wie Akzeptanz des
Umbaus des eigenen Körpers; Entwicklung einer Schul- und Berufskarriere, Ablösung
vom Elternhaus, Hinwendung zu einer Gleichaltrigengruppe, Aufbau einer Beziehung mit
erotischer und sexueller Komponente, Entwicklung eines eigenen Wert- und Orientierungssystems
u. a.. In dieser Phase können Belastungen und Überforderungen auftreten, die zu psychischen
oder körperlichen Beeinträchtigungen führen können und den Gebrauch von legalen und
illegalen Substanzen zur Befindensregulation nahe legen [5]. Festzuhalten bleibt dabei, wie in einer methodisch anspruchsvollen Längsschnittstudie
überzeugend gezeigt wurde, dass der experimentelle, einer Neugiermotivation entspringende
Substanzmittelkonsum die Entwicklung von Jugendlichen fördert und er i. d. R. gerade
nicht mit negativen Folgen für Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung einhergeht
[6]. Franzkowiak und Schlömer leiten daraus das Ziel ab, „die Überführung von jugendlichem
Risikoverhalten in lebenslange Risikokompetenz in den Zielkatalog der Suchtprävention
aufzunehmen” [3].
Allgemein haben sich Bund und Länder 2003 in einem „Aktionsplan Drogen und Sucht”
darauf verständigt, den Stellenwert der Suchtprävention weiter zu stärken [7] (Tab. [1]).
Tab. 1 Ziele der zukünftigen Suchtpolitik
Die zukünftige Suchtpolitik soll sich an folgenden Oberzielen orientieren: |
1. |
den Beginn des Konsums verhindern oder hinauszögern; |
2. |
riskante Konsummuster frühzeitig erkennen und reduzieren; |
3. |
das Überleben sichern; |
4. |
eine Abhängigkeit mit allen, nah dem aktuellen Stand der Wissenschaft zur Verfügung
stehenden Mitteln behandeln; |
5. |
die Verfügbarkeit illegaler Suchtmittel eindämmen. |
Dabei sollen neun Teilziele der Erreichung der allgemeinen Ziele dienen:
|
1. |
Förderung des allgemeinen Gesundheitsbewusstseins zur Verhinderung der Entstehung
von Abhängigkeit; |
2. |
Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zu einem kritischeren Umgang mit legalen
und illegalen Drogen; |
3. |
Identifikation von Missbrauchsverhalten zum frühestmöglichen Zeitpunkt und Verbesserung
der Früherkennung von neuen psychoaktiven Substanzen und Konsummustern; |
4. |
Sensibilisierung für Gefahren des Mischkonsums; |
5. |
Zielgruppenorientierte Unterstützung besonders gefährdeter Gruppen zur Vermeidung
von Abhängigkeit; |
6. |
Reduzierung von Unfällen im Straßenverkehr und am Arbeitsplatz unter dem Einfluss
von psychoaktiven Substanzen; |
7. |
Gender Mainstreaming in der Sucht- und Drogenpolitik; |
8. |
Verankerung der interdisziplinären Kooperation; |
9. |
Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität. |
Zur Wirksamkeit suchtpräventiver Strategien
Zur Wirksamkeit suchtpräventiver Strategien
Um den aktuellen Stand der vor allem metaanalytisch ermittelten Wirksamkeitsgrade
von Suchtpräventionsmaßnahmen abbilden zu können, wurden die Datenbanken PSYNDEX,
PSYCINFO und MEDLINE nach Metaanalysen zur Effektivität von Präventionsmaßnahmen im
Suchtbereich für den Zeitraum der letzten fünf Jahre durchsucht. Insgesamt wurden
101 Studien identifiziert.
Als Ergebnis der Sichtung der Studien kann Folgendes festgehalten werden:
-
Die identifizierten Evaluationsstudien beziehen eine Vielzahl von (Modell-)Programmen
ein, die in den letzten 30 Jahren vor allem in den USA und den westlichen Industrienationen
durchgeführt worden sind.
-
Die meisten Studien untersuchen schulische Präventionsprogramme; seltener wurde die
Wirksamkeit von massenmedialen Kampagnen oder von Interventionen, die sich an Eltern
von Heranwachsenden oder an Multiplikatoren richten, evaluiert. Inhaltlich stehen
Maßnahmen zur Alkohol-, Tabak- und zur allgemeinen Prävention illegalen Drogenkonsums
im Vordergrund; spezifische Präventionsprogramme, die die Senkung der Inzidenz von
Cannabis-Erstkonsum oder die Senkung der Prävalenz des aktuellen Cannabiskonsums zum
Gegenstand haben, wurden nicht identifiziert. Hinzu kommt, dass substanzspezifisch
ausgerichtete Präventionsprogramme offenbar nicht effektiver wirken als solche, die
den Substanzmittelkonsum generell zum Gegenstand machen [8].
-
Drogenpräventionsprogramme zielen auf die Erreichung sehr unterschiedlicher Kriterien,
wie die Erhöhung des Wissens über Risiken des Substanzmittelkonsums, die Reduktion
der Konsumhäufigkeit, die Erhöhung des Einstiegsalters, die Reduktion des Missbrauchs
und die Reduktion von möglichen, mit dem Substanzmittelkonsum einhergehenden Problemen
ab. Eine klare Zieldefinition und Zielgruppenfestlegung sind eher die Ausnahme.
-
Schulische Prävention: In verschiedenen, methodisch hochwerigen Studien konnte gezeigt
werden, dass der Drogenkonsum von Jugendlichen tatsächlich reduziert werden kann [9], auch wenn die Effekte eher moderat sind. Die Mehrzahl der 30 in einem systematischen
Review analysierten Studien erwies sich jedoch als nicht effektiv. Wirksam waren vor
allem Interventionen, die ein interaktives Vorgehen (z. B. Peer-Gespräche, Gruppendiskussionen)
in den Mittelpunkt stellen. Das Modell sozialer Einflussnahme erwies sich als tragfähige
Grundlage für die Konzeptualisierung von wirksamen Interventionsmaßnahmen, sofern
Einfluss auf Normen, die Intention und das persönliche Commitment bei der Entscheidung,
nicht zu konsumieren, als Prädiktoren genommen wurde. Schließlich deuten die Ergebnisse
darauf hin, dass die Wirksamkeit von (sekundären) Präventionsprogrammen gesteigert
werden kann, wenn gemeindebezogene Interventionen die schulischen Maßnahmen unterstützen,
wenn Peers als Multiplikatoren genutzt und wenn Life Skills trainiert werden.
-
Peer-Programme: In einer weiteren Metaanalyse wurden peer- und experten-(erwachsenen-)orientierte
Programme vergleichend geprüft [10]. Verschiedene Studien unterstützen zwar die Annahme einer Überlegenheit von Peer-Programmen,
der metaanalytische Vergleich erbringt jedoch keine schlüssigen Ergebnisse. Auch wenn
Peer-Programme gegenüber expertendominierten Programmen eine gewisse Überlegenheit
aufweisen (standardisierter Differenzwert: d = 0,24), wurden jedoch so große Differenzen
zwischen den Studien gefunden, dass die Ergebnislage nicht als homogen beurteilt werden
kann. Es hat den Anschein, als seien Personenmerkmale der programmverantwortlichen
Peers bzw. erwachsenen Experten ursächlich für die erzielten Effekte. Unterstützung
erhält die These einer Überlegenheit von Peer-Programmen auch durch eine von Black,
Tobler u. Sciacca vorgelegte, 120 Studien einbeziehende Metaanalyse, wonach interaktive
angelegte Peer-Programme bei ‘middle school students’ einem Frontalunterricht durch
Lehrer oder Wissenschaftler überlegen sind [11]. Und auch Bangert-Drows [12] zeigte in einer älteren Metaanalyse, dass Peers vor allem bessere Effekte bezüglich
drogenbezogener Einstellungen erzielen, wenn sie als ‘Instructional Leaders’ das Instrument
der Gruppendiskussion nutzen. Verhaltensbezogene Effekte wurden vor allem erzielt,
wenn Studenten eingesetzt wurden. Rationale Informationsvermittlung ist lediglich
überlegen, wenn es um Wissenszuwächse geht [13].
-
Massenkommunikation: Massenmediale Informationsvermittlung gilt innerhalb von konsistent
angelegten Präventionskampagnen als zweites wichtiges Standbein neben personalkommunikativen
Maßnahmen, sofern davon ausgegangen werden kann, dass sich die Botschaften wechselseitig
stützen [4]
[9]
[10]
[14].
-
Auf Familien bezogene Maßnahmen, bei denen Kinder beispielsweise aus der Schule Aufgaben
mit nach Hause bekamen, die sie mit ihren Eltern durchsprechen sollten oder in denen
erzieherische Fähigkeiten und kommunikative Kompetenzen trainiert wurden, scheinen
positive Ergebnisse zu erzielen. Eltern und Geschwister fungieren als Rollenmodelle
für die Heranwachsenden. Viel versprechend können auch Maßnahmen sein, die Hochrisikofamilien
oder Familien von hoch risikobehafteten Kindern als Zielgruppe auswählen [15]
[16].
-
Unklar dagegen ist offenbar noch die Ergebnislage bez. der Wirksamkeit von gemeindebezogenen
Maßnahmen [9]
[10]. Vieles spricht jedoch dafür, dass Effektivität gegeben sein kann, wenn gemeindeorientiert
ein Set von aufeinander bezogenen Maßnahmen miteinander kombiniert wird. Auch Tobler
et al. [8] sehen die Wirksamkeit als noch begrenzt an.
-
Strukturelle und verhältnispräventive Strategien, wie Preissteigerungen, Werbeverbote
oder gesetzliche Maßnahmen, so zeigen Studien, die auf die Reduktion des Tabakkonsums
ausgerichtet sind, gelten als wirksame Methoden zur Reduktion des Konsums [17]. Ob sie jedoch auf illegale Substanzen, insbesondere Cannabis, übertragen werden
können, bleibt fraglich. Die von der Bundesministerin für Gesundheit eingesetzte Drogen-
und Suchtkommission zur Verbesserung der Suchtprävention nahm hierzu 2002 deutlich
Stellung: „Die sozialwissenschaftliche Forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten
intensiv mit der Lenkungswirkung von und der Verhaltenssteuerung durch Recht beschäftigt.
Die Ergebnisse dabei sind insgesamt eher entmutigend. Viele der dem Recht zugeschriebenen
Folgen oder Ergebnisse lassen sich nicht oder durch andere als rechtliche Mittel besser
(z. B. mit weniger Nebenwirkungen) erreichen. Dies gilt insbesondere für die verhaltenssteuernde
Wirkung des Strafrechts, wo spezial- und generalpräventive Effekte nur bedingt nachzuweisen
sind” (S. 29). Und weiter heißt es „Repressive Vorschriften sollten regelmäßig daraufhin
überprüft werden, ob sie präventive Maßnahmen behindern. Im Zweifel sollte der Grundsatz
„Prävention vor Repression” gelten” (S. 31) [18].
Unser heutiges Wissen über die Wirksamkeit von Suchtpräventionsmaßnahmen wurde ausnahmslos
cannabisunspezifisch generiert. Angesichts der Tatsache, dass Cannabiskonsum überwiegend
einer Neugiermotivation entstammt und der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben dient,
sind der primären Prävention des Cannabiskonsums (Verhinderung des Erstkonsums) gewisse
Grenzen gesetzt. Ebenso fehlen bis heute - was die Primärprävention Cannabisprävention
anbelangt - oftmals klar definierte Interventionsziele und Zielgruppen. In der vom
BMGS 2005 vorgelegten Dokumentation der Fachtagung „Jugendkult Cannabis - Risiken
und Hilfen” wird zu Recht betont, dass eine wirksame Präventionsmaßnahme neben einer
fundierten Analyse der Ausgangssituation messbare Ziele der Cannabisprävention zu
operationalisieren hat, eine exakte Festlegung der anzusprechenden Zielgruppen vornehmen
muss und ein Evidenzbasierung der Präventionsmaßnahmen anstreben sollte [19]. Gemessen an diesem Anspruch hat Cannabisprävention in der Bundesrepublik noch einen
weiten Weg vor sich. Die bisher vorliegenden Evaluationsstudien haben nämlich cannabisspezifische
Wirkungen i. d. R. nicht einmal untersucht.
Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass in jüngerer Zeit angesichts steigender
Konsumentenzahlen und steigender Zahlen von Therapiewilligen sekundärpräventiv angelegte
Maßnahmen initiiert wurden, die auch evaluiert wurden bzw. werden sollen. Eine Zusammenstellung
aktueller Präventionsprojekte im deutschsprachigen Suchtbereich wurde von Kalke, Raschke,
Kern et al. vorgelegt [20]. Um eine Übersicht über neuere, spezifisch auf Cannabis bezogene Präventionsprojekte
zu bekommen, wurde zunächst eine internetbasierte Suche mit den Schlagwörtern Cannabis,
Cannabiskonsum, Prävention und Suchtprävention durchgeführt. Im Anschluss wurden die
einschlägigen Datenbanken PSYNDEX und PSYCINFO (ab dem Jahrgang 1997) mit oben genannten
Schlagwörtern durchsucht. Relevante Studien, Projektdarstellungen, Berichte und Informationsmaterial
wurden entweder aus dem Internet geladen oder direkt bei den entsprechenden Institutionen
(z. B. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) angefordert. Grundlage für die
Analyse politischer Forderungen hinsichtlich cannabisspezifischer Präventionsangebote
sind zum einen die Dokumentation der Fachtagung „Jugendkult Cannabis - Risiken und
Hilfen”, die von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung im November 2004 durchgeführt
wurde [21], zum anderen der Jahresbericht 2004 der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen
und Drogensucht (EBDD) [22] sowie der Bericht des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD [23].
Präventionsangebote aus drogenpolitischer Sicht
Präventionsangebote aus drogenpolitischer Sicht
Fachtagung zum Thema „Jugendkult Cannabis - Risiken und Hilfen”
Auf einer von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung im November letzten Jahres
veranstalteten Fachtagung zum Thema ‘Jugendkult Cannabis - Risiken und Hilfen’ wurden
von Expertinnen und Experten aus Politik und Wissenschaft sieben Handlungsempfehlungen
zur Prävention und Therapie zusammengestellt [20]. Zwei der sieben beschriebenen Handlungsempfehlungen (Nr. 1 und 4) legen keine Handlungen
nahe, sondern liefern vielmehr eine Beschreibung epidemiologischer Daten und mit dem
Konsum von Cannabis in Verbindung gebrachter Folgen.
Somit lassen sich folgende fünf Handlungsempfehlungen kurz zusammenfassen:
-
Eine sachliche, glaubwürdige und ideologiefreie Diskussion zum Thema Cannabis wird
gefordert. Hierbei soll der Schwerpunkt auf den besonderen Risiken des Cannabiskonsums
liegen, die immer noch zu wenig wahrgenommen würden.
-
Weiterhin werden deutliche Präventionsbotschaften als wichtig erachtet z. B.
-
Häufiger Cannabiskonsum ist nicht harmlos, er kann zu physischen, psychischen und
sozialen Beeinträchtigungen führen.
-
Jugendliche, die in sehr jungem Alter mit dem Konsum beginnen, tragen ein erhöhtes
Risiko.
-
Der Probierkonsum von Cannabis führt nicht automatisch zur Abhängigkeit.
-
Die Thematisierung hinsichtlich der mit dem Konsum von Cannabis verbundenen Risiken
soll im Vordergrund stehen.
-
Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass Präventions- und Interventionsmaßnahmen
riskante Konsummuster und ein frühes Einstiegsalter stärker berücksichtigen sollen.
Zielgruppenspezifische Maßnahmen sollen entwickelt und bereits erfolgreiche Strategien
zur Prävention wie z. B. das Angebot zur Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten
(FreD) übernommen werden.
-
Für die Zielgruppe der Konsumenten mit riskantem Konsummuster soll eine glaubwürdige
Kommunikation angeboten werden, die mit den Erfahrungen und Lebensweisen der Jugendlichen
in Einklang steht. Bereits bestehende innivative Beratungsbeispiele wie „Quit the
Shit” und „Realize it” sollen weiterentwickelt und evaluiert werden.
-
Eine bessere Vernetzung der beteiligten Berufe und Personen (Gesundheitsberufe, Bildungsbereich,
Eltern, Suchthilfe u. a.) sowie eine bessere Kooperation zwischen Jugend- und Drogenhilfe
werden empfohlen.
Der Schwerpunkt der hier referierten Handlungsempfehlungen liegt auf dem Konsumverhalten
der Jugendlichen und ist somit der Verhaltensprävention zuzuordnen. Durch die Vermittlung
von Wissen speziell über die Risiken des Cannabiskonsums soll einem Konsum zuvorgekommen
werden oder aber der Zeitpunkt des ersten Probierens möglichst lange hinausgezögert
werden. Diese Botschaften richten sich an (noch) nicht konsumierende bzw. (noch) nicht
riskant konsumierende Jugendliche. Aber auch Risikokonsumenten sollen in zielgruppenspezifischen
Maßnahmen berücksichtigt werden.
Die Forderung nach einer verbesserten Vernetzung unterschiedlicher Hilfeeinrichtungen
und -angebote dagegen entspricht dem verhältnispräventiven Ansatz.
Erkenntnisse über die psychosozialen Bedingungen der Entstehung von abhängigem Verhalten
finden in diesen Empfehlungen keine Entsprechung.
Jahresbericht 2004 der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht
(EBDD)
Der Jahresbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht gibt
Auskunft über den Stand der Drogenproblematik in der Europäischen Union und in Norwegen.
In diesem Bericht werden als explizite Präventionsziele die Reduktion der Zahl der
Erstkonsumenten sowie das Herauszögern des Erstkonsumalters genannt [22].
In der Präventionsarbeit sind diesem Bericht zufolge kaum Initiativen entwickelt worden,
die speziell auf den ansteigenden Cannabiskonsum unter Jugendlichen eingehen, da Prävention
selten substanzspezifisch ist. Als zwei Hauptstrategien einiger Mitgliedstaaten werden
genannt:
-
die Warnung vor den Gefahren des Konsums mit dem Verweis auf das Strafvollzugssystem
und
-
der Versuch, der sozialen Wahrnehmung des Cannabiskonsums mit Hilfe von Massenkampagnen
oder zielgruppenspezifischen Kampagnen in den Medien entgegenzuwirken.
Gemäß der Forderung nach einer neuen Risikodebatte zum Konsum von Cannabis sind die
in Deutschland bevorzugten Strategien der ersteren Kategorie zuzuordnen. Die soziale
Wahrnehmung des Cannabiskonsums ist hingegen nicht Gegenstand massenmedialer Präventionsbemühungen.
Bericht 2004 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD [23]
Entsprechend dem Bericht des nationalen REITOX-Knotenpunktes in Deutschland am Institut
für Therapieforschung in München beruhen die Ziele und Schwerpunkte der nationalen
Drogenpolitik auf vier Säulen:
-
Prävention des Drogenkonsums;
-
Beratung und Behandlung von Konsumenten;
-
Überlebenshilfe und Schadenshilfen;
-
Repression und Reduzierung des Angebots.
Zwei Hauptansätze in der Prävention allgemein werden dabei hervorgehoben:
Cannabisspezifische Präventionsprojekte
Cannabisspezifische Präventionsprojekte
Präventionsmaßnahmen, die explizit auf Cannabis abgestimmt sind, sind eher die Ausnahme.
Vielfach kommt der Substanz Cannabis neben anderen illegalen Drogen lediglich der
Status einer weiteren Substanz zu, für die keine spezifischen ‘Behandlungen’ vorgesehen
sind. Im Folgenden werden exemplarisch vier cannabisbezogene Präventionsprojekte näher
vorgestellt und hinsichtlich ihrer Zielsetzungen und deren Umsetzung analysiert. Es
handelt sich dabei um die webbasierten Präventionsangebote ‘Realize it’ und ‘Quit
the shit’ sowie die Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten ‘FreD’
und einen von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) herausgegebenen
Informationsleitfaden zum Umgang mit Cannabis in der Schule.
„Realize it” - www.realize-it.org
Das Projekt „Realize it” ist ein Angebot für junge Cannabiskonsumenten zwischen 15
und 30 Jahren, die ihren Cannabiskonsum reduzieren bzw. ganz einstellen wollen. Dieses
Programm wurde in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziales
in Deutschland und dem Bundesamt für Gesundheit in der Schweiz entwickelt und wird
in beiden Ländern an jeweils drei Standorten angeboten. Das als Kurzintervention konzipierte
Programm ist so aufgebaut, dass die Konsumierenden sich unter der Internetadresse
www.realize-it.org informieren, ob ihr Konsum risikobehaftet ist oder nicht. Dies geschieht mittels
eines kleinen Tests, der sofort online ausgewertet wird. Wer an der Teilnahme des
Programms interessiert ist, wird auf Telefonnummern für die Schweiz und Deutschland
verwiesen, so dass die Internetplattform lediglich eine erste Anlaufstelle zur Information
bezüglich Cannabiskonsum und seinen Risiken darstellt. Sofern die betroffene Person
im Einzugsbereich des Programms wohnt, kann sie einen ersten von insgesamt fünf Terminen
in einer Beratungsstelle wahrnehmen. Hier wird zunächst geklärt, welches persönliche
Ziel der Teilnehmer oder die Teilnehmerin am Ende des Programms erreichen möchte.
Der Programminhalt wird somit auf die Personen maßgeschneidert.
Der festgelegte Zeitrahmen beträgt zehn Wochen und beinhaltet zusätzlich eine Gruppenberatung.
An den folgenden Terminen sollen die Umstände des Konsums genauer analysiert werden,
um Risikosituationen zu erkennen und Kontrollstrategien zu entwickeln. Ein Begleitbuch
zu diesem Programm unterstützt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Informationen
zu Fragen der Konsumreduktion oder dem Ausstieg. Mittels des darin enthaltenen Konsumtagebuchs
wird eine Selbstkontrolle bezüglich des Konsums und der eigenen Fortschritte ermöglicht.
Eine Evaluation dieses Angebots liegt bislang nicht vor.
„Quit the Shit” - www.drugcom.de
Im Rahmen dieses Internetangebotes der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(BZgA) können sich die Jugendlichen unter www.drugcom.de beraten lassen, wie sie ihren Cannabiskonsum reduzieren können. Über 50 Tage soll
ein interaktives Tagebuch geführt werden, in dem der Cannabiskonsum dokumentiert wird.
Per E-mail wird dieses dann an die Beraterinnen und Berater von drugcom geschickt.
Einmal in der Woche erhalten die Jugendlichen ein konstruktives Feedback und individuelle
Informationen für eine Veränderung im Konsumverhalten. Die Jugendlichen sollen gezielt
in selbstkritischer Reflexion des Drogenkonsums geschult und zu suchtpräventivem Verhalten
im Alltag befähigt werden. Die Teilnahme ist anonym und kostenlos und richtet sich
insbesondere an junge Cannabiskonsumenten.
Das Ziel dieses Internetangebotes ist die Abstinenz, zumindest aber die Reduzierung
des Konsums im Sinne einer Risikominderung. Eine Evaluation dieses Angebots steht
derzeit noch aus.
Schule und Cannabis - Regeln, Maßnahmen und Intervention. Leitfaden für Schulen und
Lehrpersonen
Dieser Informationsleitfaden zum Umgang mit Cannabis in der Schule wurde von der Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und
Soziale Sicherung herausgegeben [24]. Er stellt für Lehrpersonen eine Handreichung zur Behandlung des Themas Cannabis
in der Schule dar. Der Leitfaden ist in vier Teile untergliedert, die Schritt für
Schritt mögliche Problematiken zu Cannabis aufgreifen. Im ersten Teil werden Informationen
als Ausgangspunkt zusammengefasst. Hier lassen sich Antworten auf allgemeine Fragen
finden, die sich im Zusammenhang von Schule und Cannabis stellen. Die Frage „Warum
hat Cannabis in der Schule nichts verloren?” wird mit dem Verweis auf die ungünstige
Wirkung auf das Leistungs- und Sozialverhalten der konsumierenden Person beantwortet.
Auch das Aufstellen von Regeln zu Cannabis als bindende Richtlinie für alle Beteiligten
wird hier erläutert. Mögliche Interventionen bei Regelbrüchen, Hilfestellungen von
außen, gesetzliche Vorschriften zu Cannabis und der Einbezug der Eltern sind weitere
Eckpunkte des ersten Teils. Der zweite Teil befasst sich damit, wie gemeinsam(e) Regeln
zu Cannabis geschaffen werden können. Ein aus Lehrpersonen, SchulsozialarbeiterIn
und Elternvertretung gebildetes Suchtpräventionsteam soll eine gemeinsame Haltung
zu Cannabis im schulspezifischen Kontext finden, Regeln zu Cannabis aufstellen und
Maßnahmen entwerfen für den Fall, dass diese Regeln gebrochen werden. In Informationsrunden
für Lehrpersonen, SchülerInnen und Eltern sollen die Regeln und Maßnahmen dann kommuniziert
werden.
Hilfestellung bei der Reaktion auf Regelbrüche bietet der dritte Teil an. Fragen zur
Einschätzung der Situation lassen sich mit Hilfe von Eckpunkten wie der Häufigkeit
der Vorfälle, der Selbst- und Fremdgefährdung, des Alters, der Persönlichkeit und
des Entwicklungsstands der betroffenen Person etc. abklären.
Das Ziel dieses Interventionsleitfadens ist die Abstinenz von Cannabis im schulischen
Rahmen, wobei auch Klassenfahrten und Schulveranstaltungen mit einbezogen sind. Bei
der Erstellung von Regeln wird ausdrücklich dazu aufgefordert, auch Regeln zu Alkohol
und anderen Drogen im schulischen Kontext zu schaffen [24]. Die Handreichungen für das Erstellen von Regeln und Maßnahmen und auch die Interventionsvorschläge
sind übersichtlich strukturiert. Die Präventionsarbeit wird in erster Linie auf die
Schule und die daraus resultierende Leistungssituation konzentriert. Eine generelle
Auseinandersetzung mit Drogenkonsum jedweder Art im außerschulischen Alltag der Jugendlichen
wird weitestgehend ausgespart. Lediglich bei der Behandlung von Interventionsmaßnahmen
wird der Fokus auf konsumauslösende Faktoren innerhalb und außerhalb der Schule gelegt.
Auch dieses Angebot wurde unseres Wissens bislang nicht evaluiert.
Frühintervention erstauffälliger Drogenkonsumenten (FreD) [25]
Das Programm FreD ist eine Interventionsmaßnahme für erstauffällige Drogenkonsumenten,
die bereits mit der Polizei aufgrund ihres Drogenkonsums in Konflikt geraten sind.
Hierbei wird der Tatbestand, „erwischt” worden zu sein, genutzt, um die Jugendlichen
zu einer Verhaltensänderung mittels eines Trainings zu bringen.
FreD richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 - 21 Jahren,
die als KonsumentInnen mit Drogen experimentieren und/oder illegale Drogen missbrauchen
oder bereits abhängig sind. Nach einem so genannten Intake-Gespräch, das auf die Motivierung
der Jugendlichen abzielt, wird ein mehrgliedriger Kurs angeboten. Dieser Kurs wird
auf 2 Tage à 4 h in einem Abstand von 4 - 8 Wochen verteilt. Die Teilnehmerzahl pro
Kurs wird auf 5 - 10 beschränkt.
Die Jugendlichen sollen zu einer konstruktiven Auseinandersetzung bezüglich ihres
Umgangs mit Drogen und der damit verbundenen Lebensweise angeregt werden. Ins Gespräch
zu kommen wird als immanent wichtig betrachtet.
Im Kursangebot wird spezifisches Wissen über Wirkweisen der verschiedenen Drogen vermittelt.
Des Weiteren soll zur Reflexion über den eigenen Umgang mit psychoaktiven Substanzen
und die zugrunde liegenden Situationen angeregt werden. Gestärkt werden soll zusätzlich
die Fähigkeit, eigenverantwortliche Entscheidungen vor dem Hintergrund der Selbst-
und Fremdeinschätzung sowie der persönlichen Risikowahrnehmung zu treffen. Auch die
regionalen Hilfemöglichkeiten der Jugend- und Drogenhilfe werden hier vorgestellt.
Ein grundlegendes Ziel dieser Maßnahme ist es, die Entwicklung zu einem missbräuchlichen
bzw. abhängigen Drogenkonsum zu verhindern.
Die Evaluation dieses Angebots zeigt, dass 87 % der TeilnehmerInnen das Programm für
sehr gut befunden haben und 73 % angaben, das Programm weiterempfehlen zu können.
Das Ziel der Frühintervention wurde als erreicht bezeichnet und daraufhin eine Ausweitung
des Programms beschlossen. Jugendliche, die zwar auffällig in schulischem Umfeld etc.,
aber nicht polizeilich auffällig Cannabis konsumieren, wurden bislang nicht erreicht.
Die Ausweitung des Programms soll dies nun gewährleisten.
In Tab. [2] sind die hier beschriebenen Präventionsangebote in Form einer Kurzübersicht zusammengestellt.
Tab. 2 Kurzdarstellung cannabisspezifischer Präventionsprojekte
Projekt |
explizite Ziele |
umgesetzte Maßnahmen |
Zielgruppe |
„Quit the shit” www.drugcom.de
|
Abstinenz bzw. Reduktion des Cannabiskonsums |
- interaktives Tagebuch im Internet - Schulung in kritischer Selbstreflexion in Bezug auf den Konsum - Programm ist noch nicht evaluiert |
Jugendliche Cannabiskonsumenten mit Reduktionswunsch |
„Realize it” www.realize-it.org
|
individuell angepasst für TeilnehmerInnen mit Hinleitung zum Konsumausstieg bzw. zur
Konsumreduktion |
- Online-Test für das persönliche Konsumrisiko - persönliche Beratung in Therapieeinrichtung - Einzel- und Gruppengespräche - Programm ist noch nicht evaluiert |
Junge (Risiko-)Cannabiskonsumenten mit Reduktionswunsch zwischen 15 und 30 Jahren |
„Schule und Cannabis” BZgA
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Verhinderung von Cannabiskonsum in der Schule und in schulischem Umfeld |
- Regeln zum Cannabiskonsum in der Schule - Maßnahmen bei Regelverstößen und Interventionsleitfaden |
Lehrpersonal als Multiplikator für Jugendliche |
FreD - Frühintervention erstauffälliger Drogenkonsumenten
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- Wissensvermittlung über die verschiedenen Drogen und deren Wirkung - Reflexion über den eigenen Umgang mit psychoaktiven Substanzen anregen - auf Folgen des Drogengebrauchs hinweisen - Fähigkeit, eigenverantwortliche Entscheidungen zu stärken - regionale Hilfemöglichkeiten bekannt machen - Entwicklung zum missbräuchlichen bzw. abhängigen Drogenkonsum verhindern |
- Intake-Gespräch - mehrgliedriges Kursangebot von insgesamt 2 Tagen à 4 Stunden (5 - 10 Teilnehmer) |
Jugendliche Drogenkonsumenten, die durch den Besitz von illegalen Drogen polizeilich
auffällig geworden sind |
Festgehalten werden kann, dass die vorgestellten cannabisspezifischen Präventionsangebote
ausschließlich sekundärpräventiv angelegt sind. Der immer wieder vorgetragenen Forderung
nach primärpräventiven Angeboten und Botschaften zur Verhinderung von Cannabiskonsum
bzw. zum Hinauszögern des Erstkonsumalters entsprechen keine expliziten Angebote.
Ziel der vorgestellten Präventionsmaßnahmen ist vor allem, risikobelastete jugendliche
Konsumenten zur Aufgabe oder zumindest zur Reduktion ihres Konsums zu bewegen. Jugendliche,
die im Übergang vom experimentellen, gelegentlichen oder gewohnheitsbedingten unproblematischen
[26]
[27] zum schädlichen Konsum stehen, sind bislang nicht als Zielgruppe definiert.
Diskussion und Schlussfolgerungen
Diskussion und Schlussfolgerungen
Angesichts eines sich in verschiedenen Studien abzeichnenden Trends zu möglicherweise
ansteigenden Lifetime-Prävalenzraten von Cannabiskonsum (vgl. dazu kritisch [28]), angesichts mehrfach publizierter Hinweise auf einen früheren Konsumeinstieg -
nicht nur in der Schweiz (vgl. dazu [29]), sondern auch in der Bundesrepublik - und schließlich angesichts einer massenmedial
aufbereiteten Vervielfältigung und Umformung dieser Hinweise zu einer skandalisierenden
Berichterstattung über „Die Seuche Cannabis” (vgl. dazu [30]) wird ausgehend vom Bundesministerium für Gesundheit unter Federführung der Drogenbeauftragten
des Bundes eine neue Risikodebatte über Cannabis geführt. In diesem Zusammenhang scheint
der Ruf nach verstärkter Prävention, nach Früherkennungsinstrumenten, nach Frühintervention
und nach wirksamen Behandlungs- und Therapieangeboten verständlich.
Ein Blick auf Geschichte und Gegenwart der Cannabisprävention lässt eine einheitliche,
schlüssige und in ihren Aussagen konsistente Präventionsbotschaft nur schwer erkennen.
In den letzten 30 Jahren haben sich verschiedene, derzeit parallel existierende Perspektiven,
Sichtweisen und Präventionskonzepte entwickelt, die in manchen Bereichen miteinander
unvereinbare Ziele verfolgen und die jeweils andere Fokusse für die Prävention von
Cannabis nahe legen. Dies betrifft z. B. die Frage nach dem Hauptziel der Primärprävention,
der Verhinderung der Inzidenz des Substanzmittelkonsums (Verhinderung des Erstkonsums).
Während aus medizinischer und kriminologischer Sicht vor allem die Vermeidung des
Kontakts mit der Substanz im Vordergrund steht, betonen psychosoziale und soziokulturelle
Perspektiven auf die Drogenproblematik, gestützt durch entwicklungswissenschaftliche
Befunde, dass nicht jeder Konsum von Cannabisprodukten vermieden werden muss, ja der
weit überwiegend transitorische (Probier-)Konsum unschädlich ist und funktional ist
zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben. Deren Unterstützung zu fördern wäre die
zentrale Aufgabe einer am Gesundheitsförderungsgedanken orientierten Prävention. Dabei
geht es um die Förderung von sozialen und personalen Ressourcen, um den Erwerb von
Risikokompetenz und um die Gestaltung von gesundheitsförderlichen Lebenswelten.
In einem zweiten Schritt haben wir danach gefragt, ob und was in der Suchtprävention
als evidenzbasiert gelten kann. Die Bilanz verschiedener Metaanalysen, die hierzu
gesichtet wurden, macht deutlich, dass Suchtprävention durchaus effektiv sein kann,
obwohl sie alles in allem bisher nur mäßige bis moderate Effekte aufweist. Sie zeigt
allerdings auch, dass spezifische Ansätze zur primären Prävention von Cannabis bisher
- auch international - nicht vorliegen. Alle Evidenz zur Wirksamkeit der Suchtprävention
wurde bisher cannabisunspezifisch ermittelt. Insgesamt besteht ein eklatanter Mangel
an methodisch anspruchsvollen Evaluationsstudien in diesem Bereich [vgl. 20]. Präventionsprogramme, die explizit auf die Senkung des Erstkonsums von Cannabis
ausgerichtet sind oder die Erhöhung des Einstiegsalters als Outcome-Kriterien genutzt
haben, wurden nicht identifiziert. In der Praxis muss dies jedoch nicht notwendigerweise
ein Nachteil sein. Im vermutlich wichtigsten Setting, in dem Suchtprävention praktiziert
wird, der Schule, sind generalpräventive Ansätze von legalen und illegalen Drogen
angebracht, da spezifische Programme in der Primärprävention keine Überlegenheit gegenüber
unspezifischen aufweisen. Generell liegt brauchbare Evidenz im Wesentlichen für Programme
im Setting Schule vor, wenn diese partizipativ und interaktiv angelegt waren und wenn
Peers aktiv einbezogen wurden. Als viel versprechend bewährten sich auch auf Familien
bezogene Präventionsprogramme. Zudem können die Effekte gesteigert werden, wenn die
Programmanwendung massenmedial gestützt wird und wenn strukturelle und verhältnispräventiv
wirksame Rahmenbedingungen geschaffen werden. Erstaunlich wenige Aussagen existieren
zum Setting Betrieb, das sich im Präventionsdiskurs, der im Public-Health-Kontext
geführt wird, in besonderer Weise bewährt hat und das in der Regel als „model of good
practice” für wirksame verhältnisgestützte Prävention gilt [31]. Erstaunlich auch, dass der Präventionsdiskurs im Bereich illegaler Drogen bis dato
keinerlei Bezug auf das Kernproblem in Sachen Gesundheit aller Industrienationen nimmt:
die sozial ungleiche Verteilung von Mortalität und Morbidität sowie von gesundheitsbezogenen
Risikofaktoren. Entsprechend den Analysen von Hüsler und Kollegen [32], die 1082 Jugendliche im Alter von 11 - 20 Jahren zu ihrem Cannabiskonsumverhalten
und verschiedenen Lebensbereichen befragten, sind neben dem Konsumverhalten auch die
soziale Ausgangslage und Befindensbeeinträchtigungen von prädiktivem Wert, was die
Entwicklung eines riskanten Konsummusters anbetrifft. Hieraus lassen sich in erster
Linie Forderungen nach verhältnispräventiven Maßnahmen ableiten, die dann in einem
zweiten Schritt von verhaltenspräventiven Maßnahmen flankiert werden sollen [vgl. auch 20]. Ein vermehrtes Berücksichtigen auch ätiologischer Erkenntnisse über die Entwicklung
des Suchtgeschehens in der Planung von Präventionsmaßnahmen wäre wünschenswert.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen sieht
in seinem 2005 vorgelegten Gutachten die Etablierung primärpräventiver Strategien
zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen als Kernaufgabe.
Die Cannabisforschung ist dieser Frage bisher so gut wie nicht nachgegangen. Entsprechend
tut sie sich in der Prävention auch schwer, konkrete Zielgruppen und Settings für
Cannabisprävention zu benennen.
Eine ideologiefreie, sich an Zielgruppen orientierende und vor allem glaubwürdige
Kommunikation, wie sie von Seiten der Politik eingefordert wird, wäre von großer Bedeutung
für den Erfolg von Präventionskampagnen, da nur eine stärkere Anpassung an die Lebensweise
und Erfahrungen von Jugendlichen es ermöglicht, die Ziele auch tatsächlich zu erreichen
[33]. Auch wenn Cannabis zu den illegalen Substanzen gehört, hat sich der Konsum von
Cannabis in den letzen Jahren im Selbstverständnis von Jugendlichen mit anderen legalen
Drogen nahezu auf eine Stufe gestellt wird und von manchen Autoren bereits als Alltagsdroge
bezeichnet [34].
Bezieht man diese Forderung auf die in den vorgestellten Präventionsangeboten vermittelten
Ziele, so lässt sich deutlich das Ziel der Abstinenz oder der Reduktion mit anschließender
Abstinenz feststellen. Dass es einen nicht problematischen Konsum von Cannabis geben
kann, wird explizit ausgeklammert. Hier weist der Präventionsdiskurs - vorsichtig
ausgedrückt - bezogen auf Cannabis noch starke Defizite auf. Die Zeit emotionsüberfrachteter
Auseinandersetzungen über die Risiken des Cannabiskonsums ist noch lange nicht vorbei
und auch staatliches Handeln beraubt sich der eingeforderten Glaubwürdigkeit, wenn
es Regeln zur Anwendung bringt, die später vom Bundesgerichtshof oder vom Bundesverfassungsgericht
als rechtswidrig verworfen werden müssen.[2]
Zielgruppenspezifische Sekundärprävention sollte auf die Gruppe der Jugendlichen ausgerichtet
sein, die entweder ein erhöhtes Risiko für schädlichen Drogengebrauch tragen oder
bereits problematische Gebrauchsmuster entwickelt haben [35]. Dazu ist es erforderlich, zuverlässige Instrumente zur Früherkennung zur Verfügung
zu haben, die sensitiv zwischen gefährdeten und nicht gefährdeten KonsumentInnen differenzieren
([36], vgl. auch [29]).
Primärprävention, die nach wie vor auf die Abstinenz als erstes Präventionsziel abzielt,
greift vor dem Hintergrund der hier zusammengestellten Befunde zur Wirksamkeit von
Präventionsstrategien als auch dem entwicklungspsychologischen Stand zur Drogenforschung
zu kurz. Gleichwohl muss Primärprävention einen zentralen Stellenwert im Kanon der
Suchthilfeaktivitäten einnehmen. Doch muss sie sich zunehmend mit der Frage auseinander
setzen, was es denn vorzubeugen (prävenire) gilt. Hier ist man sich weitgehend darüber
einig, dass es der wie auch immer gefasste problematische Konsum ist, der das eigentliche
Übel darstellt. Um konsistente und glaubwürdige Prävention umsetzen zu können, muss
demnach auch festgelegt werden, was als unschädlich gelten kann. Eine überzeugende
Präventionspolitik sollte davon Kenntnis nehmen und Präventionsstrategien an der gesellschaftlichen
Realität orientieren. Getreu dem von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung formulierten
Ziel der Prävention, ‘den gesundheitsschädlichen Konsum von Suchtmitteln von vornherein zu verhindern’.