Einleitung
Bei der postmenopausalen frontalen fibrosierenden Alopezie (PFFA) handelt es sich
um ein seltenes Krankheitsbild, das erstmals 1994 von Steven Kossard [1] beschrieben wurde. Er berichtete über 6 australische Frauen im Alter zwischen 58
und 74 Jahren, die ein progressives Zurückweichen des frontoparietalen Haaransatzes
bemerkt hatten. Klinisch zeigte sich bei den Patientinnen eine bandförmige, blasse,
vernarbende frontoparietale Alopeziezone mit perifollikulären Erythemen im Randbereich.
Histologisch fanden sich lymphozytäre perifollikuläre Infiltrate und eine Fibrose
am Isthmus und Infundibulum der Haarfollikel. Regelmäßig trat parallel eine Rarefizierung
der Augenbrauen auf. Da die histologischen Befunde den typischen Veränderungen eines
Lichen planopilaris entsprachen, diskutierte er die PFFA als Variante dieser Erkrankung.
In den folgenden Jahren wurde die PFFA von verschiedenen Autoren in ihrer typischen
Form bestätigt. In jeweils einer Kasuistik wurde auch über das Auftreten dieser Erkrankung
beim Mann oder das gleichzeitige Auftreten von Lichen planus-typischen Mundschleimhautveränderungen
berichtet [2]
[3]. Wir berichten im Folgenden über eine 67-jährige Patientin mit den typischen klinischen
und histologischen Charakteristika einer PFFA und geben eine kurze Literaturübersicht.
Fallbericht
Anamnese
Eine 67-jährige Patientin bemerkte seit einem Jahr einen langsam zunehmenden Haarverlust
am frontalen und lateralen Haaransatz. Anfänglich waren diese Veränderungen von roten
Flecken sowie gelegentlichem Juckreiz begleitet. Außerdem trat eine Ausdünnung der
Augenbrauen ein. Bei der Patientin war eine arterielle Verschlusskrankheit mit Zustand
nach Bypass-Operation am rechten Unterschenkel bekannt. Eine Änderung der langbestehenden
internistischen Medikation war in den Monaten vor Beginn der dermatologischen Symptome
nicht erfolgt. Die Familienanamnese war bezüglich Hauterkrankungen unauffällig.
Hautbefund
Es zeigte sich ein symmetrischer, bandförmiger kompletter Haarverlust mit Zurückweichen
des frontoparietalen Haaransatzes um mehrere Zentimeter. In diesem Bereich erschien
die Haut im Vergleich zur Gesichtshaut abgeblasst und hypotroph, Haarfollikelöffnungen
waren nicht nachweisbar. Entlang der Haargrenze zeigten sich vereinzelt perifollikuläre
Erytheme und Keratosen. Die Augenbrauen waren beiderseits deutlich rarefiziert (Abb.
[1] und [2]). Am übrigen Kapillitium sowie dem restlichen Integument inklusive der angrenzenden
Schleimhäute und der Nägel zeigten sich keine Auffälligkeiten, insbesondere nicht
im Sinne eines Lichen planus.
Abb. 1 Zurückweichen des frontoparietalen Haaransatzes unter Ausbildung einer bandförmigen
vernarbenden Alopeziezone. Deutliche Rarefizierung der Augenbrauen.
Abb. 2 Perifollikuläre Erytheme und einzeln stehende Resthaare am Haaransatz.
Histologie und direkte Immunfluoreszenz
Die Entnahme erfolgte im noch behaarten frontalen Übergangsbereich zur bandförmigen
Alopeziezone. Unter einer unauffälligen Epidermis fanden sich im Korium in der Umgebung
der Haarfollikel in Isthmushöhe lymphohistiozytäre Infiltrate sowie im Infundibulumbereich
konzentrische perifollikuläre Fibrosen. Die Alzianblau-Färbung sowie die direkte Immunfluoreszenz
waren negativ bezüglich Muzinablagerungen bzw. spezifischer Immunkomplex- und Komplementablagerungen.
Labor
Unauffällig bzw. altersentsprechend waren Differenzialblutbild, Leber-/Nierenparameter,
Blutzucker, CRP, ANA, Komplementfaktoren, Ferritin, Folsäure, Vitamin B12, Zink, Sexual- und Schilddrüsenhormone.
Diagnose, Therapie und Verlauf
Die klinischen und histologischen Befunde waren gut vereinbar mit der Diagnose einer
PFFA (Kossard). Eine Therapie wurde von der Patientin aufgrund fehlendem Leidensdruck
und möglicher Nebenwirkungen abgelehnt.
Besprechung
Die PFFA (Kossard) stellt ein seltenes, stereotyp verlaufendes Krankheitsbild dar.
Über einen Zeitraum von 1 - 10 Jahren tritt am frontalen Kapillitium mit Übergreifen
auf die Parietotemporalregion eine langsam progrediente, bandförmige, bis mehrere
Zentimeter breite, vernarbende Alopeziezone auf. Die betroffenen Areale stellen sich
blass, glatt und leicht hypotroph mit fehlendem Nachweis von Haarfollikeln dar. Die
Grenze zur normalen Gesichtshaut ist deshalb und aufgrund der fehlenden aktinischen
Veränderungen in den alopezischen Arealen meist deutlich erkennbar. Vor allem im Haarkranzbereich
treten entzündliche perifollikuläre Erytheme auf. Bis auf gelegentlichen Juckreiz
sind die Patienten beschwerdefrei. Die bei unserer Patientin zusätzlich vorliegende,
deutliche, narbig bedingte bilaterale Rarefizierung der Augenbrauen findet sich bei
mindestens 70 % der betroffenen Patienten [1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7].
Die PFFA (Kossard) betrifft fast ausschließlich postmenopausale Frauen. Eine Hormonabhängigkeit
des Krankheitsbildes konnte dennoch nicht nachgewiesen werden. Kossard et al. [4] fanden bei neun von zehn untersuchten Patientinnen keine Veränderung der Androgenspiegel.
In acht Fällen durchgeführte Hormonersatztherapien hatten keinen Einfluss auf den
Beginn bzw. Verlauf der Erkrankung. Das Krankheitsbild wurde bisher nur bei einem
Mann beschrieben. Hierbei handelte es sich um einen 69-jährigen Patienten, der zuerst
einen Verlust der Augenbrauen und nachfolgend ein symmetrisches Zurückweichen der
frontotemporalen Haargrenze bemerkte [2]. Die Autoren grenzten ihre Befunde aufgrund des bandförmigen Verteilungsmusters
streng ab gegen die von Zinkernagel und Trüb [8] beschriebenen, im Zuge einer androgenetischen Alopezie auftretenden, lichenoiden
Veränderungen mit Untergang der Haarfollikel, die dem typischen androgenetischen Verteilungsmuster
folgen.
Die PFFA (Kossard) wird als eine Variante des Lichen planopilaris diskutiert. Beide
Krankheitsbilder sind histologisch gekennzeichnet durch lymphozytäre Entzündungsinfiltrate
und Fibrosen, die sich um Isthmus und Infundibulum der Haarfollikel nachweisen lassen.
Im Follikelepithel finden sich fokal vakuolige Degenerationen sowie Einzelzellnekrosen,
die auch für den Lichen planopilaris typisch sind. Interfollikuläre Dermis und Epidermis
weisen keine Veränderungen auf. Immunhistochemische Untersuchungen des perifollikulären
Entzündungsinfiltrates bei Patienten mit PFFA (Kossard) und multifokalem Lichen planopilaris
konnten keine Unterschiede zwischen beiden Krankheitsbildern finden [1]
[4]. Auch von Sperling et al. [9] wird die PFFA (Kossard) bei der Einteilung der vernarbenden Alopezien als spezielles
Verteilungsmuster des Lichen planopilaris gesehen.
Trotz dieser histologischen Gemeinsamkeiten unterscheidet sich die PFFA (Kossard)
durch ihr stereotypes klinisches Bild vom Lichen planopilaris. Der Lichen planopilaris
des Kapillitiums ist klinisch gekennzeichnet durch einen asymmetrischen, multifokalen
fleckigen Haarverlust mit Follikelkeratosen, perifollikulären Erythemen und konsekutiver
Vernarbung [10]. In bis zu 50 % der Fälle finden sich typische Veränderungen am restlichen Integument
und den Schleimhäuten. Dies wird bei der PFFA (Kossard) ebenso wie die beim Lichen
planus bekannten Überlappungsbilder mit anderen Autoimmundermatosen in der Regel nicht
beobachtet. Beschrieben wurde bisher eine Patientin mit PFFA (Kossard) und begleitender
enoraler weißlicher Netzzeichnung [3].
Die Differenzialdiagnosen der PFFA (Kossard) umfassen neben dem Lichen planopilaris
folgende Krankheitsbilder: Ulerythema ophryogenes, chronisch-diskoider Lupus erythematodes,
„follicular degeneration syndrome”, androgenetische Alopezie sowie Traktionsalopezie.
Beim Ulerythema ophryogenes tritt aufgrund einer hereditären follikulären Verhornungsstörung
mit konsekutiver Atrophie der Haarfollikel häufig im jüngeren Lebensalter ein Verlust
der seitlichen Augenbrauen in Kombination mit einem persistierenden symmetrischen
Gesichtserythem auf. Bei Befall des Kapillitiums kommt es auch bei diesem Krankheitsbild
zu einer vernarbenden Alopezie, die jedoch diffus auftritt. Beim chronisch-diskoiden
Lupus erythematodes findet sich wie beim Lichen planopilaris eine fleckförmige Alopezie
mit follikulären hyperkeratotischen Papeln und Erythemen. Histologisch involviert
die lymphozytäre Entzündungsreaktion neben den Haarfollikeln auch die interfollikuläre
Epidermis und reicht bis in die Subkutis hinein. In der direkten Immunfluoreszenz
können charakteristische Immunkomplexablagerungen gefunden werden. Serologisch finden
sich häufig Autoantikörper. Das „follicular degeneration syndrome” wurde bei schwarzen
Frauen beschrieben. Hierbei kommt es zu einer frontovertikal ausgerichteten, vernarbenden
Alopezie. Anfänglich wurde die Erkrankung als „hot-comb alopecia” bezeichnet, da ein
ursächlicher Zusammenhang zu dem zum Glätten der Haare verwendeten Heizkämme angenommen
wurde, der später jedoch nicht bewiesen werden konnte [11]. Die androgenetische Alopezie bei Frauen findet sich ebenfalls primär in der Vertexregion
mit Verbleiben eines frontalen Haarkranzes. Vellushaare und Mikrofollikel sind zuungunsten
der Terminalhaare vermehrt [12]. Bei dieser primär als nicht-entzündlich, nicht-fibrosierenden Alopezie konnten
allerdings in ca. einem Drittel der Fälle perifollikuläre entzündliche Infiltrate
nachgewiesen werden [13]. Bei der Traktionsalopezie findet sich wie bei der PFFA ein Zurückweichen der Haargrenze
im frontoparietalen Bereich. Charakteristisch sind abgebrochene Haare sowie eine Vermehrung
der Katagenhaare. Die zur permanenten Alopezie führende Miniaturisierung der Haarfollikel
geht ohne eine nennenswerte Entzündungsreaktion einher.
Die Therapie der PFFA (Kossard) ist unbefriedigend. Beschrieben wurden Therapieversuche
mit systemischen Steroiden, Retinoiden und Chloroquin sowie lokale Therapien mit Steroiden,
Retinoide und Minoxidil, ohne dass der Krankheitsverlauf signifikant zu beeinflussen
gewesen wäre [4]
[5]. Schlechtes therapeutisches Ansprechen wurde auch bei anderen Formen des Lichen
planopilaris beobachtet, bei dem fibrotische Prozesse dominieren. Die PFFA (Kossard)
weist ohne Therapie einen meist mehrjährigen, selbstlimitierten Krankheitsverlauf
auf.
Der hier vorgestellte Fall hat in charakteristischer Weise das Krankheitsbild einer
PFFA (Kossard) illustriert und auf die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung dieser Erkrankung
gegenüber anderen Formen der vernarbenden Alopezie hingewiesen.