Inhaltsverzeichnis
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1 Einleitung … 131 |
2 Stabilisierung … 131 |
| 2.1 Pneumatische Schienung (CPAP) … 132 |
| 2.2 Mikrochirurgie … 132 |
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3 Erweiterung … 133 |
| 3.1 Konventionell chirurgisch … 133 |
| 3.2 Laserchirurgie … 134 |
| 3.3 Nahttechniken … 136 |
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4 Rekonstruktion … 137 |
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5 Transplantation … 137 |
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6 Reanimation des Larynx … 138 |
| 6.1 Reinnervation … 138 |
| 6.2 Elektrostimulation (Pacemaker) … 140 |
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Literatur (Hinweis: erscheint nur in der Online-Ausgabe) |
„Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehen, sich ihrer entladen;
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt …” [1]
Abb. 1 Noura El-Kordy, Atem/Breath, Pastell auf Papier, 50 × 60 cm, 2002.
1 Einleitung
1 Einleitung
Die normale Funktion des menschlichen Kehlkopfes gestattet nicht nur die Stimmgebung
und den Aspirationsschutz sondern auch eine ungehinderte Atemgaspassage [2]
[3]. Die Glottis als physiologische Atemwegsenge [4]
[5]
[6] kann in ihrem Öffnungsquerschnitt dynamisch an verschiedene Atemsituationen angepasst
werden. Der gesunde Larynx ist in der Lage, einen zeitlich abgestimmten Verschluss
der zentralen Atemwege beim Husten, beim Heben schwerer Lasten und bei Einsatz der
Bauchpresse zu gewährleisten [7].
Angeborene und erworbene Stenosierungen des Larynxlumens und bilaterale Glottismotilitätsstörungen
wirken sich ebenso wie inspiratorische Kollapszustände der Supraglottis in besonderem
Maße auf die Atemfunktion aus.
Ziel erfolgreicher Rekonstruktionsverfahren des Larynx im Hinblick auf die Atemfunktion
ist die Wiederherstellung einer ausreichenden transglottischen Atemgaspassage.
Das Spektrum der rekonstruktiven Verfahren reicht von der Stabilisierung kollaptischer
Segmente über die Erweiterung bzw. Rekonstruktion stenotischer Kehlkopfabschnitte
bis hin zur Organtransplantation, Re-Innervation und -Mobilisierung des gelähmten
Larynx. Einen Überblick über alle relevanten Ursachen kindlicher Laryngotrachealstenosen
gibt das Referat von Vollrath im Verhandlungsbericht 1999 der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde,
Kopf- und Halschirurgie [8]. Die nachfolgende Darstellung fokussiert auf einen aktuellen Überblick therapeutischer
Optionen für das Kindes- und Erwachsenenalter mit dem Schwerpunkt auf rekonstruktiven
Verfahren.
2 Stabilisierung
2 Stabilisierung
Während der Atmung ist der Kehlkopf einem Wechseldruck ausgesetzt. Die inspiratorische
Unterdruckphase kann zu einem Ansaugen von Weichgewebe in das Larynxlumen führen.
Glottis und Subglottis sind durch Schild- und Ringknorpel vor einem inspiratorischen
Kollaps geschützt. Im Bereich der Supraglottis hat die inspiratorische Instabilität
jedoch klinische Bedeutung. Am häufigsten betroffen sind Neugeborene und Kleinkinder
bis zum zweiten Lebensjahr [9]
[10]
[11]
[12]
[13]
[14]
[15]. Jackson prägte für dieses in der Vergangenheit nach dem Leitsymptom „kongenitaler Stridor” bezeichnete Krankheitsbild den heute gültigen Begriff der Laryngomalazie
[16].
Diese kann synchron mit einem pharyngealen Kollaps im Rahmen obstruktiver Schlafapnoesyndrome
(OSA) auftreten [17]
[18]
[19]. Auch der alleinige Kollaps der Supraglottis im Bereich der Taschenfalten als Ursache
der schlafbezogenen Obstruktion wurde bei Erwachsenen beobachtet.
Patienten, bei denen nur unter körperlicher Anstrengung ein Ansaugen der aryepiglottischen
Falte bzw. der Verschluss des Kehlkopfeingangs durch die Epiglottis auftritt, werden
im englischsprachigen Schrifttum unter dem Begriff Exercise-Induced Laryngomalacia zusammengefasst [20]
[21]
[22]
[23]. Hiervon ist das Krankheitsbild Vocal Cord Dysfunction (VCD) strikt abzugrenzen, bei dem der Atemwegsverschluss im Bereich der Glottis lokalisiert
ist und eine psychogene Genese angenommen wird [24]
[25].
Der Begriff Laryngomalazie lässt eine Erweichung im Sinne der Unreife des Kehlkopfskeletts
vermuten. Würde diese Annahme zutreffen, dann müsste bei Frühgeborenen eine höhere
Inzidenz der Laryngomalazie als Reifgeborenen zu erwarten sein. Dies konnte von Belmont
widerlegt werden [26]. In seltenen Fällen ist das typische endoskopische Bild dieser Erkrankung auch bei
älteren Kindern und Erwachsenen anzutreffen [27]
[28]
[29]. Nach neueren Erkenntnissen handelt es sich vermutlich um ein multifaktorielles
Geschehen. Aktuelle histologische Untersuchungen lassen eher ein submuköses Ödem und
eine Lymphgefäßektasie als morphologisches Korrelat der „Laryngomalazie” vermuten
[30]. In der Literatur wird oft eine Induktion des Schleimhautödems durch eine Laryngitis
oder einen gastroösophagealen Reflux (GER) beschrieben [31]
[32]
[33]. Die Diskussion um die ursächliche Beteiligung des Refluxes an der Genese der chronischen
Laryngitis ist derzeit en vogue aber noch nicht abgeschlossen [34]
[35]
[36]
[37]. Zumindest ist eine hohe Koinzidenz und eine gegenseitig negative Beeinflussung
unbestritten [26]
[38]
[39]
[40].
Möglicherweise sind die Schleimhautveränderungen auch nur sekundäre Folge der höheren
mechanischen Belastung bei einer durch reduzierten Muskeltonus bei Inspiration kollabierenden
Supraglottis. Analoge Veränderungen ließen sich im Bereich der Uvula bei obstruktiver
Schlafapnoe nachweisen [19]. Die hohe Koinzidenz neuromuskulärer Störungen und zusätzlichen Atemwegsstenosen
bei den betroffenen Kindern ist belegt [13]
[41]
[42]
[43]
[44]
[45]
[46]. Einige Autoren sehen in der neurologischen Erkrankung selbst die Ursache der Laryngomalazie
[26]
[47]
[48]
[49]. Als Beleg wird das Beispiel eines 11-jährigen Jungen mit Ausbildung des endoskopischen
Vollbildes einer Laryngomalazie nach einem Pons-Infarkt gewertet [50].
Die Laryngomalazie im Säuglingsalter hat meist eine günstige Prognose. Bei 20 % der
Fälle mit ausgeprägtem Stridor, Störung des Gasaustausches bzw. Gedeihstörung ist
eine therapeutische Intervention notwendig [51]
[52]. Leichtere Verlaufsformen zeigen eine spontane Besserung der Symptomatik meist bis
zum Ende des zweiten Lebensjahres. Im Einzelfall kann eine Unterstützung durch positiven
inspiratorischen Atemwegsdruck (CPAP) hilfreich sein [53].
Die Einführung der Laserchirurgie in die Behandlung der Laryngomalazie hat entscheidend
dazu beigetragen, die Zahl notwendiger Tracheotomien bei ausgeprägter Laryngomalazie
zu reduzieren [11]
[14]
[54]. Im Einzelfall, insbesondere bei neurologisch auffälligen Kindern, bleibt die Tracheotomie
die einzige Therapieoption.
2.1 Pneumatische Schienung (CPAP)
Analog dem Vorgehen bei pharyngealer Obstruktion kann eine „pneumatische Schienung”
des Atemwegslumens durch Aufrechterhaltung eines kontinuierlich positiven Atemwegsdruckes
(CPAP) während In- und Exspiration den Weichteilkollaps im Bereich der Supraglottis
verhindern. Bei milden Verlaufsformen der Laryngomalazie, die nur eine zeitweise Stabilisierung
des Atemweges erfordern und bei kombiniertem pharyngealen Kollaps stellt diese Atemunterstützung
mit uni- oder biphasisch positivem Atemwegsdruck (BiPAP) eine therapeutische Option
dar [15]
[55]
[56]. Insbesondere die Phase der Entwöhnung vom Respirator (Weaning) bei vorher assistiert
beatmeten Kindern kann durch CPAP-Masken-Atemunterstützung positiv beeinflusst werden
[57]
[58].
Die Wirksamkeit sollte endoskopisch kontrolliert werden, da ein vorbestehender Ventilmechanismus
bei einigen Patienten durch CPAP verstärkt werden kann und dadurch zu einer Verschlechterung
der Symptomatik führt.
Auch die Lagerung eines Säuglings mit Laryngomalazie hat Einfluss auf den Grad der
Atemwegsobstruktion. Die Reklination des Halses und die Meidung der Rückenlagerung
reduzieren die Obstruktionsgefahr [59]
[60]. Bei bestehender Refluxneigung muss allerdings wegen des Risikos des reflektorischen
Glottisspasmus auf eine Bauchlagerung verzichtet werden. Jeffery vermutet im Reflux induzierten Glottisspasmus eine mögliche Ursache für den plötzlichen
Kindstod (SIDS) [61].
2.2 Mikrochirurgie
Die Einführung der chirurgischen Intervention (Supraglottoplastik) in die Behandlung
der Laryngomalazie durch Lane hat die Behandlung schwerer Verlaufsformen ermöglicht und die Zahl notwendiger Tracheotomien
reduziert [51]. Aktuelle Übersichtsarbeiten bestätigen eine gute Beeinflussung des Atemwegskollapses
durch die chirurgische Intervention [14]
[54]
[62]
[63]. Vollrath weist darauf hin, dass den Eltern hierdurch „qualvolle Monate in Erwartung der spontanen
Normalisierung der Atmung” erspart werden [14].
Die mikrochirurgische Supraglottoplastik, später von der Arbeitsgruppe um Cotton als Epiglottoplastik bezeichnet [64], umfasst im Wesentlichen die Exzision überschüssiger Schleimhaut im Bereich der
Aryknorpel, der aryepiglottischen Falte und der seitlichen Epiglottis. Weiterhin sind
die Inzision der aryepiglottischen Falten und die Epiglottopexie beschrieben. Mit
der Einführung des Lasers konnte der mikrochirurgische Charakter der rekonstruktiven
Behandlung bei Laryngomalazie noch verstärkt werden [65]
[66]. Der Eingriff ist ohne wesentliche Verschwellungsgefahr und somit ohne Tracheotomie
möglich.
Mit einem Therapieversagen muss allerdings bei Kindern, die eine weitere Atemwegsstenose
oder einen zusätzlichen pharyngealen Kollaps aufweisen, gerechnet werden [15]
[55]. In der englischsprachigen Literatur wird dieser komplexe Kollaps auch als Discoordinate Pharyngolaryngomalacia (DPLM) oder Pharyngeal Wall Inspiratory Collapse (PWIC) bezeichnet. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer gründlichen diagnostischen
Endoskopie des gesamten Atemweges [42]
[67]
[68]
[69]
[70]
[71]
[72].
Die erste Einteilung der polymorphen endoskopischen Befunde einer Laryngomalazie geht
auf Holinger zurück [66]. Oft liegen jedoch mehrere Befunde gleichzeitig vor, so dass die Zuordnung zu einem
der fünf Typen nicht gelingt. Die Indikation zur therapeutischen Intervention bei
Laryngomalazie kann nach einem von Shah angegebenen klinischem Score, der neben dem laryngoskopischen Befund auch anamnestische
Daten (Stridor, Reflux, Aspiration, Gewichtsentwicklung und Alter des Kindes sowie
der neurologische Status) berücksichtigt, abgeleitet werden [44].
Für die klinische Praxis erscheint uns der Algorithmus nach Werner
[54] am geeignetsten, da er dem jeweiligen Hauptbefund der Endoskopie ein konkretes chirurgisches
Vorgehen zuordnet (siehe Tab. [1])
Tab. 1 Zuordnung des Laryngomalaziebefundes zur Therapie (Werner 2002)
|
Hauptgrund der Obstruktion |
Therapieempfehlung |
| Typ 1 |
inspiratorischer Kollaps hyperplastischer Schleimhaut |
Exzision hyperplastischer Schleimhautanteile (Supraglottoplastik) |
| Typ 2 |
verkürzte aryepiglottische Falten |
Inzision der aryepiglottischen Falten |
| Typ 3 |
Posterior-Verlagerung der Epiglottis |
Fixierung der Epiglottis am Zungengrund (Epiglottopexie) |
In der Praxis hat die laserchirurgische Resektion hyperplastischer Schleimhautanteile
die größte Bedeutung, da diese in 80 % die Hauptursache der Obstruktion darstellen
[54]. Die Inzision verkürzter aryepiglottischer Falten und die Entfernung vergrößerter
kuneiformer Knorpel sind der Laserchirurgie ebenfalls gut zugänglich [14].
Im Einzelfall ist bei isoliertem Ansaugen des Kehldeckels die anteriore Fixierung
der Epiglottis erforderlich. Mit dem von Werner inaugurierten Vorgehen der laserchirurgischen Entepithelisierung der medianen Anteile
der lingualen Epiglottis und des korrespondierenden Zungengrundes mit anschließender
Vernähung der Wundränder wird eine schonende, initial durch die Naht und später durch
die resultierende Synechie gesicherte Epiglottopexie möglich [11]. Alle drei Verfahren der Mikrolaserchirurgie bei Laryngomalazie können abhängig
vom Befund allein oder in Kombination ausgeführt werden.
3 Erweiterung
3 Erweiterung
Kongenitale Stenosen, Tumoren und Fehlbildungen des Larynx sind ausgesprochen selten.
Dem umfangreichen Referat von Vollrath (1999) zu kindlichen Laryngotrachealstenosen [8] sind keine wesentlichen Erkenntnisse aus der Literatur hinzuzufügen. Unser Beitrag
fokussiert auf rekonstruktive Verfahren bei erworbenen Larynxstenosen im Kindes- und
Erwachsenenalter.
Einerseits sind erworbene Glottisstenosen durch Tubusdruck bei translaryngealer Langzeitbeatmung
mit Verbesserung des Tubusmaterials und frühzeitiger Entlastung des Larynx durch die
Tracheotomie seltener geworden. Andererseits stellen bilaterale Glottismotilitätsstörungen
im Zusammenhang mit Operationen an Hals und oberen Mediastinum weiter eine therapeutische
Herausforderung dar [73]. Diese Problematik soll deshalb besonders gewürdigt werden.
3.1 Konventionell chirurgisch
Offene kehlkopfchirurgische Verfahren haben bei doppelseitiger Stimmlippenmotilitätsstörung
heute praktisch keine Bedeutung mehr. In der internationalen Literatur gilt Jackson (1922) als Vater der Glottis erweiternden Chirurgie [74]. Weniger bekannt ist, dass bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts in Krakau von
Pieniazek Glottiserweiterungen durchgeführt wurden [75]. Die erste endoskopische Arytänoidektomie geht auf Thornell (1948) zurück [76]. Die Laserchirurgie unter Verwendung des Operationsmikroskopes ist heute die Behandlungsoption
der Wahl (siehe Kapitel 3.2).
Die konventionelle Chirurgie kommt jedoch weiter bei der Behandlung erworbener Stenosen
der Glottis bzw. der Subglottis zum Einsatz. Entscheidend für die Indikationsstellung
ist wie bei der Laryngomalazie die richtige Diagnosestellung. Der Therapieerfolg kann
nur dann bewertet werden, wenn eine im Behandlungsverlauf vergleichbare Bewertung
des Stenosegrades vorliegt. Die Atemfunktionsdiagnostik zeigt bei gering- und mittelgradigen
Stenosen nur uncharakteristische Veränderungen. Erst hochgradige Stenosen führen zu
einer signifikanten Abweichung der gemessenen Parameter von der Norm [77]
[78]
[79]. Die Spirometrie, insbesondere die Betrachtung der Flow-Volumen-Kurve, eignet sich
von allen zur Verfügung stehenden Verfahren zur Bewertung der Atemfunktion am besten
[80]. Andere Ursachen der respiratorischen Leistungsminderung (Zweitstenose, obstruktive
Bronchitis, Gasaustauschstörung) überlagern sich mit der Larynxstenose. Eine isolierte
Messung des laryngealen Atemwegswiderstandes ist nur invasiv [81] oder bei vorhandenem Tracheostoma [82] möglich.
Eine selektive funktionelle Bewertung laryngotrachealer Stenosen wird perspektivisch
nicht invasiv mit Methoden der Finite-Elemente-Simulation möglich sein. Derzeit stützen
wir uns auf die von uns unabhängig von Wassermann [83] entwickelte In-situ-Vermessung des Atemwegswiderstandes. Wir nutzen hierzu den Arbeitskanal
des Bronchoskops und ein Rhinomanometer.
Für die endoskopische Bewertung des Stenosegrades insbesondere bei kindlichen Ringknorpelstenosen
gilt weiter die klinisch bewährte Cotton-Klassifikation
[84].
Problematisch erscheint uns jedoch die subjektive Schätzung des Stenosegrades, die
der Zuordnung zum Schweregrad zu Grunde liegt. Die Schätzung eines Stenosegrades zwischen
50 % und 71 % entscheidet über die klinisch bedeutsame Eingruppierung in Grad II bis
IV. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass diese Genauigkeit der Schätzung in der
Praxis nicht geleistet werden kann. Aus der Gastroenterologie liegen Daten zum Fehler
endoskopischer Ulkus- bzw. Polypengrößenschätzungen vor [85]. Sie erreichen Abweichungen bis zu 110 %.
Mit dem von uns angegebenen ENDOSCAN-Verfahren ist eine objektive und reproduzierbare endoskopische Vermessung der Stenose
mit Zuordnung zum Cotton-Grad als auch eine Kontrolle des Therapieerfolges möglich
[79]
[86]
[87]
[88].
Die therapeutischen Optionen umfassen im Wesentlichen die Bougierung, die Laryngofissur
und die cricotracheale Resektion (CTR). Auf die rekonstruktiven Verfahren wird im
Kapitel 4 eingegangen. Eine umfangreiche und weiterhin aktuelle Darstellung aller
konventionellen chirurgischen Verfahren bei Larynxstenosen im Kindesalter findet sich
bei Vollrath und Schulz-Coulon
[8]
[89]. Für das Erwachsenenalter bestätigen sich im Wesentlichen die für das Kindesalter
geltenden Einschätzungen.
Auch für das Erwachsenenalter können wir eine alleinige Bougierung der Stenose nach
unseren Erfahrungen nicht empfehlen. In der Literatur wird die Dilatationsbehandlung
kontrovers diskutiert [90]
[91]
[92]. Generell ist mit einer raschen Wiederausbildung der Beschwerden und im ungünstigen
Fall mit einer stärkeren Granulationsbildung durch Schleimhauteinrisse infolge der
Bougierung zu rechnen. Die Kombination mit der endoluminalen Laserinzision lässt eine
deutlich größere Lumenerweiterung erzielen. Während der Wundheilung auftretende Granulationen
stellen jedoch weiterhin ein schwerwiegendes therapeutisches Problem dar. Die lokale
Applikation von Kortikosteroiden [93]
[94], Wachstumsfaktoren [95]
[96] und der aktuell in der Literatur viel diskutierte Einsatz von Mitomycin-C [97]
[98]
[99]
[100]
[101], der durch Inhibition der DNA- und Proteinsynthese die Fibroblastenproliferation
reduzieren soll, können nicht in jedem Fall eine Granulationsbildung verhindern. Ein
generelles Anliegen sollte es sein, zirkuläre Schleimhautdefekte zu vermeiden (sternförmige
Inzision).
Die durch Bougierung erzielte Lumenerweiterung muss meist durch eine innere Schienung
stabilisiert werden. Eine Stentbehandlung der Glottis ist wegen Stimmverlust und Aspirationsneigung
kaum längerfristig akzeptabel. Subglottisch können Stents im Einzelfall nützlich sein.
Problematisch sind deren Dislokationsgefahr und das Risiko der Sekundärschädigung
der Glottis durch Scheuerstellen.
Eine dauerhafte Heilung ist in der Regel nur mit der definitiven chirurgischen Versorgung
der Stenose von außen möglich. Die Kombination aus Bougierung und temporärer Stentbehandlung
sichert jedoch wertvolle Zeit für den Patienten, ohne eine Tracheotomie ausführen
zu müssen. Nach Abklingen der submukösen Entzündungsreaktion kann meist nach 6 Monaten
die Operation erfolgen [102]
[103]. Die Toleranz des Stents, das individuelle Operationsrisiko, die Compliance und
der Operationswille des Patienten beeinflussen die Entscheidung zur definitiven chirurgischen
Intervention.
Bei den offen chirurgischen Verfahren zur Behandlung der erworbenen Larynxstenosen
besteht ein Trend zu den resezierenden Eingriffen bis hin zur Entfernung von Teilen
des Ringknorpels im Rahmen der cricotrachealen Resektion [104]. Verantwortlich für diese Entwicklung sind die deutlich kürzeren Behandlungszeiten
bei gutem Behandlungserfolg. Das Risiko der Schädigung des N. laryngeus recurrens
kann bei Kenntnis des anatomischen Verlaufes des Nervens und Verwendung des intraoperativen
Nervenmonitorings auch bei der CTR gering gehalten werden [105]. Zur Vermeidung eines Stenoserezidives ist die Resektion so konsequent auszuführen,
dass gesunde Schleimhaut anastomosiert werden kann. Der Kaliberunterschied zwischen
Trachea und subglottischem Lumen bei der CTR kann durch Schräganschnitt des lumenschwächeren
Lumensegments ausgeglichen werden [106].
Temporäre Schienungen der Anastomose durch einen Stent sind meist nicht notwendig.
Im Erwachsenenalter hat das zu anastomosierende Lumen keinen runden Lumenquerschnitt
(wie die zur Verfügung stehenden Stents). Schon von daher reduziert ein Stent den
effektiven Atemwegsquerschnitt und birgt das Risiko einer Sekundärschädigung der Schleimhaut
in sich. Diese klinische Erfahrung wird durch aktuelle Tierexperimente bestätigt [107].
3.2 Laserchirurgie
Eingriffe an Narbensegeln und Synechien im Bereich der Glottis stellen eine Domäne
der Laserchirurgie dar [108]
[109]. Probleme bereiten weiterhin Synechien im Bereich der vorderen Kommissur. Zum einen
besteht eine hohe Rezidivgefahr und zum anderen sind diese Befunde zum Teil nicht
vollständig mit dem CO2-Laser erreichbar.
Zur Rezidivprophylaxe muss der direkte Kontakt nicht epithelisierter Wundflächen vermieden
werden. Bislang galt ein über eine Laryngofissur eingebrachter Kunststoffkiel als
Goldstandard. Inzwischen wird die Spaltung der Stenose und die Einbringung einer Trennfolie
auch transoral als ambulante Prozedur angegeben [109]. Wir verwenden in diesen Fällen eine Silikonfolie, die in der vorderen Kommissur
durch eine transkutane Haltenaht fixiert wird. Der Stellenwert der lokalen Mitomycin-C-Applikation
zur Reduktion überschießender Granulationsbildungen [101] und der Schleimhaut-Patch-Transplantation zur Abdeckung des Epitheldefektes [110]
[111] ist noch nicht abschließend zu bewerten. Eine interessante Innovation stellt die
Fixierung kleiner Schleimhautinseln mit der Laser-Gewebeklebung - laser welding - dar [112].
Mit der Mikrolaryngoskopie nicht vollständig einstellbare anteriore Narbensegel und
Synechien [113]
[114]
[115] können flexibel endoskopisch in Lokalanästhesie [116]
[117] oder in Narkose über die Larynxmaske gut eingesehen werden [118]
[119]
[120]
[121]. Ist der Befund mit einer Laserfaser über den Arbeitskanal des Endoskopes erreichbar,
so wird als Alternative zum CO2-Laser für die Durchtrennung der KTP-Laser angegeben [122]. Wir selbst haben in bislang 4 Fällen sehr gute Erfahrungen in der flexibel endoskopischen
Laserablation von Narbensegeln unter Verwendung der Larynxmaske und des Diodenlasers
gemacht.
Das wichtigste Einsatzgebiet des Lasers in der Glottis erweiternden Chirurgie ist
gegenwärtig die symptomatische Behandlung des (chronischen) bilateralen Stimmlippenstillstandes
(mit respiratorischer Wirksamkeit) - Vocal fold motion impairment. Diese auf Kashima und Benjamin zurückgehende Bezeichnung [123]
[124] erscheint uns wichtig, um nicht ohne weitere Diagnostik eine ätiologische Deutung
mit dem im deutschen Schrifttum gebräuchlichen Begriff „beidseitige Rekurrensparese”
vorwegzunehmen. Der in Klammern beigefügte Hinweis auf die Chronizität und die funktionelle
Wirksamkeit soll die Behandlungsnotwendigkeit dokumentieren.
Seit den Arbeiten von Ossoff und Eskew Anfang der achtziger Jahre hat sich die Nutzung des CO2-Lasers in der Glottiserweiterung durchgesetzt [125]
[126]
[127]
[128]
[129]
[130]
[131]
[132]
[133]
[134]
[135]
[136]
[137]
[138]
[139]
[140]
[141]
[142]
[143]
[144]
[145]
[146]
[147]
[148]
[149]
[150]
[151]. Die Kombination von Mikroskop und Laser gestattet ein mikrochirurgisches Vorgehen
unter Schonung des gesunden Gewebes des Larynx [152]
[153]
[154]. Im Vergleich zur offenen Chirurgie treten atemrelevante postoperative Verschwellungen
des Kehlkopfes nur selten auf, so dass der Eingriff meist ohne Tracheotomie durchgeführt
werden kann.
Die Einführung der Laserchirurgie ermöglichte neben der Thornell’schen Arytänoidektomie
auch die aus der offenen Chirurgie bekannte submuköse Chordektomie [128]
[129]
[132]
[139]
[143] schonender auszuführen.
Zu beachten ist, dass die Arytänoidektomie immer mit einer temporären Aspiration [139] und mit einem im Einzelfall lebensbedrohliches Blutungsrisiko einhergeht [155]. Patienten, die durch Aspiration besonders gefährdet sind (chronische Lungenerkrankungen,
Immunschwäche, Abhustdefizit), sollten nach unserer Erfahrung von dieser Behandlung
ausgeschlossen werden. Betrachtet man axiale CT-Schnitte des Larynx im Niveau der
Glottis, dann fällt auf, dass der in einigen Operationslehren idealisiert in das Glottislumen
hinein ragende Aryknorpel zum überwiegenden Teil auf dem Ringknorpel aufsitzt und
lediglich der Processus vocalis in das Ringknorpellumen hineinragt. Es wundert deshalb
nicht, dass Eckel bei morphometrischen Untersuchungen herausfand, dass Stimmbandresektionen einen 4-fach
höheren Gewinn an Glottisquerschnitt als die Entfernung des Aryknorpel erbringen [5].
Aus diesen Überlegungen wird der Trend zu den heute favorisierten Interventionen an
der Stimmlippe verständlich. Das bekannteste Verfahren, die posteriore Chordektomie, geht auf Dennis und Kashima zurück [130]. Durch C-förmige Resektion im hinteren Viertel der Stimmlippe - im Original ohne
Freilegung des Processus vocalis - erreichten die Autoren in den ersten Behandlungsfällen
eine schonende Glottiserweiterung. Sie gaben aber bereits bei der Erstbeschreibung
die Option an, bei unzureichender Besserung auch die Gegenseite im Intervall zu behandeln.
Der gleiche Effekt kann mit der von Kashima angegebenen transversen Chordotomie
[123] bzw. der von Rontal & Rontal als muskuläre Tenontomie
[156] bezeichneten Abtrennung des Stimmbandes vom Processus vocalis erzielt werden. Durch
Relaxation des Stimmbandes resultiert eine vergleichbare Exkavation der posterioren
Stimmlippe bei guter Annäherung der Stimmlippen im vorderen Anteil. Gerade dieser
Befund wird als Vorzug der Methode hinsichtlich des Erhalts der Stimmqualität angesehen.
Praktisch gesehen resultiert bei erfolgreicher posteriorer Erweiterung jedoch gleichfalls
ein phonatorischer Luftverlust mit typischer Verhauchung und Verkürzung der Tonhaltedauer
[157].
Nach eigener Erfahrung ist die beschriebene posteriore Exkavation nur eine Momentaufnahme.
In den ersten beiden Wochen nach dem Eingriff können sich ausbildende Fibrinbeläge
zu einer Wiederherstellung bzw. sogar zu einer Verschlechterung der Atemsituation
im Vergleich zur präoperativen Ausgangssituation führen. Diese Beläge müssen bei Atemrelevanz
entfernt und die Patienten in dieser Phase kritisch überwacht werden. Im weiteren
Heilungsverlauf führt die Schrumpfung der Wundfläche zu einer erfreulichen Zugwirkung
auf den initial nach anterior ausgewichenen Stimmlippenstumpf, so dass im Endergebnis
eine narbige Fixierung der Stimmlippe in einer weiter lateraleren Position resultiert.
Wenn der hierdurch erzielte Öffnungswinkel groß genug ist, wird meist ein zufrieden
stellender Kompromiss von Atem- und Stimmfunktion erreicht. In der Literatur wurden
zahlreiche Modifikationen der Dennis/Kashima-Technik angegeben [136]
[138]
[140]
[141]
[158] um durch Erweiterung der Inzision bzw. Exzision einen stärkeren Effekt der Operation
zu erzielen. Bei der von Crumley angegebenen Medianen Arytänoidektomie (Einbeziehung des Processus vocalis in die posteriore Exzision) wird auf die Option
verwiesen, dieses Verfahren bei unzureichender Wirkung auch bilateral auszuführen
[136]. Eine solche Einschätzung kann als Ausdruck der Unzulänglichkeit für die einseitige
Glottiserweiterung gesehen werden.
Ebenso lösen die Kombination aus kompletter Arytänoidektomie und posteriorer Chordektomie
[159] und die subtotale Arytänoidektomie mit posteriorer Stimm- und Taschenbandinzision
[147] das Problem nicht.
In der klinischen Praxis weniger beachtet wird bislang die laserchirurgische submuköse Chordektomie
[128]
[129]
[132]
[139]
[143]
[145]. Diese von Eckel in Deutschland mehrfach propagierte Methode knüpft an die guten Ergebnisse der klassischen
offenen Chirurgie nach Hoover [160] und die von Kleinsasser in Kombination mit der Arytänoidektomie endoskopisch ausgeführten Resektion der Muskulatur
einer Stimmlippe unter Erhalt der Schleimhautbedeckung an [161]
[162] und verknüpft diese mit den Vorteilen der modernen Mikrolaserchirurgie. Anhand der
bereits zitierten morphometrischen Studien konnte Eckel belegen, dass mit der submukösen Resektion eines Stimmbandes eine gegenüber der posterioren
Chordotomie und der Arytänoidektomie mehrfach stärkere Glottiserweiterung erzielt
werden kann. Die klinischen Ergebnisse von Eckel und Reker bestätigen den theoretischen Ansatz. Die Tonhaltedauer ist im Vergleich zur posterioren
Chordektomie verkürzt [157]. Dies sollte aber eher als Ausdruck des besseren Glottis erweiternden Effektes angesehen
werden. Schluckstörungen bzw. Aspirationen wie bei der Arytänoidektomie wurden nicht
beschrieben.
Vermutlich hindert die vorherrschende Auffassung, dass die anterioren Anteile der
Glottis als maßgeblicher Ort der Phonation angesehen werden, eine Glottiserweiterung
aus nicht Karzinom bedingter Indikation mit Beteiligung der vorderen Stimmlippenanteile
zu akzeptieren. Für die Phonation ist eine Spannung der Stimmlippe wie bei der Saite
eines Musikinstrumentes erforderlich. Wenn durch Wegnahme des Aryknorpels oder posteriore
Chordektomie/Tenontomie ein Ansatz des Muskels reseziert wurde, dann kann nach unserem
Verständnis die Stimmlippe nicht mehr harmonisch schwingen. Tierexperimentelle Untersuchungen
am Hemilarynx des Hundes von Jiang und Titze konnten bestätigen [163], dass die Intaktheit der Verbindungszone von Stimmlippe und Stellknorpel genauso
wichtig wie die Beschaffenheit der ligamentären Strukturen ist. Betrachtet man aktuelle
Ergebnisse der Stimmqualität nach Chordektomie aus onkologischer Indikation [164]
[165]
[166], so wird deutlich, dass auch eine anteriore Resektion mit Ausbildung einer narbigen
Neoglottis eine akzeptable Reststimmfunktion belassen kann. Wenn es bei der Glottiserweiterung
um eine deutliche Verbesserung der Atemfunktion geht, kann deshalb die nach anterior
erweiterte Laserresektion der Stimmlippe gerechtfertigt sein. Im Gegensatz zur Tumorchirurgie
kann die Epithelbedeckung der Stimmlippe weitgehend geschont werden, so dass das Synechierisiko
geringer ist und die Stimmqualität eher durch die Verhauchung bei offenem Glottisspalt
leidet.
3.3 Nahttechniken
Die aus der offenen Chirurgie bekannte Nahttechnik zur Lateralisierung der Stimmlippe
wurde anfänglich noch in Kombination mit der endoskopischen Erweiterung der Glottis
verwendet. Kirchner nutzte zusätzlich zur elektrochirurgischen Ablation des Stimmlippenrandes [167] die Nahttechnik und Remsen spannte das erhaltene Ligamentum vocale nach subligamentärer Resektion des Stimmbandes
durch Naht nach lateral an [129].
Lichtenberger ging hingegen einen völlig anderen Weg. Er entwickelte das Prinzip der Reversible Endo-Extralaryngeal Laryngomicrosurgical Lateralisation (REExL), bei dem durch eine oder mehrere über die Schleimhaut des hinteren Stimmlippenanteils
und den Schildknorpel geführte Fadenschlingen eine Lateralisierung der Stimmlippe
herbeigeführt wird [168]
[169]
[170]
[171]
[172]
[173]
[174].
Die technisch schwierige Nahtführung oberhalb und unterhalb der Stimmlippe von endolaryngeal
nach außen wird durch einen speziellen Nadelschieber erleichtert [168]. Prinzipiell ist auch mit atraumatischem Nahtmaterial mit längerer gerader Nadel
oder mit einer Lumbalpunktionsnadel als Trokar, wie aktuell Mathur u. Mitarb. beschreiben [175], eine entsprechende Nahttechnik ausführbar.
Der entscheidende Vorteil dieses Verfahrens ist seine Reversibilität. Damit nimmt
diese Methode eine Sonderstellung in den hier aufgezeigten Therapieoptionen ein. Während
alle bislang dargestellten Verfahren nur dann einsetzbar sind, wenn entweder eine
ausreichende Erholungszeit für eine mögliche Funktionswiederkehr des Nervus laryngeus
recurrens abgewartet wurde oder der Stimmlippenstillstand frühzeitig als permanent
eingeschätzt werden kann, ist eine reversible Laterofixation des Stimmbandes sofort
möglich.
Beide Bedingungen für die permanenten chirurgischen Eingriffe bereiten in der Praxis
Schwierigkeiten. Der zeitliche Verlauf der Erholung der Stimmlippenfunktion nach einer
Rekurrensparese variiert von Patient zu Patient ganz erheblich. Während im Allgemeinen
von einer Erholungschance bis zum Ablauf des ersten Jahres ausgegangen wird, zeigt
eine aktuelle prospektive Studie von Jamski u. Mitarb. an 100 Patienten über einen Zeitverlauf von 3 Jahren, dass funktionell
wirksame Reinnervationen in einem Zeitraum von 3 bis 24 Monaten nach Beginn der Lähmung
eintraten [176]. Unter Zuhilfenahme regelmäßiger Kehlkopf-EMG-Kontrollen kann nach Schneider u. Mitarb. die Prognose einer ausbleibenden Funktionswiederkehr nach 9 Monaten abgeschätzt
werden [177]. In den Händen dieser erfahrenen Arbeitsgruppe mag dies zutreffen, jedoch steht
das Kehlkopf-EMG nicht überall zur Verfügung. Nach Einschätzung der Erlanger Arbeitsgruppe
bestimmt eine einmalige EMG-Untersuchung die Prognose nur in 78 % richtig. Nach einer
aktuellen Arbeit von Munin u. Mitarb. wird die klinisch interessante Prognose einer ausbleibenden Funktionswiederkehr
unsicherer vorhergesagt als eine zu erwartende Funktionswiederkehr [178]. Die Arbeit von Munin bestätigt unsere eigene Erfahrung, dass die als sicheres Zeichen einer ungünstigen
Prognose angesehenen Fibrillationen nicht in jedem Fall am M. vocalis nachweisbar
sind und Spontanaktivität nicht in jedem Fall als pathologisch einzuschätzen ist.
Die in Deutschland verbreitete transorale Ableitung des Vocalis-EMGs unter Verwendung
von Hooked-Wire Elektroden
[179] bedingt eine punktuelle Beurteilung der Muskelaktivität am Einstichort der Nadel.
Ein systematisches Analysieren des gesamten Muskels ist nicht möglich. Die von Blitzer favorisierte transkutane Nadel-EMG-Ableitung gestattet eine sicherere Aussage insbesondere
dann, wenn keine EMG-Potenziale gefunden werden [180]
[181]
[182]. Der Untersucher ist sich dann sicher, dass fehlende Potenziale nicht auf Unsicherheiten
des Ableitortes zurückzuführen sind.
Aus dieser Darstellung wird deutlich, dass die Nervenerholungszeit stark variiert
und die Prognose nur bedingt abschätzbar bleibt. Nur in den wenigsten Fällen ist aus
der Anamnese bekannt, dass der Nerv z. B. wegen einer malignen Erkrankung bewusst
durchtrennt wurde.
Bevor wir uns deshalb zu einem irreversiblen chirurgischen Eingriff entschließen,
muss der Patient über diese Situation und die Behandlungsalternativen ausführlich
informiert sein und die Entscheidung mit tragen.
Unter diesem Blickwinkel kommt der temporären Laterofixation der Stimmlippe mit der
Nahttechnik nach Lichtenberger eine besondere Bedeutung zu. Insbesondere wenn berechtigte Hoffnung auf eine rasche
Funktionswiederkehr oder besondere Sorge des Patienten vor den Folgen einer Glottis
erweiternden Chirurgie besteht und er eine Tracheotomie als Kehlkopf schonende Interimslösung
ablehnt, sollte dieses Verfahren zum Einsatz kommen.
Wie Lichtenberger selbst darauf hinweist, besteht die Gefahr der Durchwanderung des Fadens (der Fäden)
durch die Stimmlippe [174]. Nach seiner Einschätzung betrifft dies nur die Fälle, in denen eine prolongierte
endotracheale Intubation vorausging und hierdurch eine Mukosaschädigung im Bereich
der Lateralfixation bestand. Nach unserer Erfahrung besteht generell eine Tendenz
zur Durchwanderung. Meist schließt sich über dem Faden rasch der Schleimhauteinschnitt.
Die Funktion der Lateralfixation ist damit nicht gleich aufgehoben. Wenn synchron
zum Nachlassen der Laterofixationswirkung des Fadens eine Funktionswiederkehr eintritt,
dann kann der Faden einfach entfernt werden. Im anderen Falle stehen noch alle Optionen
der Glottis erweiternden Chirurgie offen bzw. der Patient entschließt sich doch zur
Tracheotomie.
Bei Patienten mit schweren Allgemeinerkrankungen, Übergewicht oder ausgeprägten Begleitödemen
sollte der Tracheotomie der Vorzug gegeben werden.
Für Patienten, die schon eine gewisse Zeit ohne Tracheotomie mit beidseitigem Stimmlippenstillstand
ausgekommen sind und die hinsichtlich der bei Glottiserweiterungsoperationen zu erwartenden
Stimmverschlechterung sehr besorgt sind, kann dieses Verfahren, sofern Hoffnung auf
Funktionswiederkehr besteht, empfohlen werden. Als permanente Lösung sehen wir diese
Methode nicht an.
4 Rekonstruktion
4 Rekonstruktion
Die sicherste aber zweifellos hinsichtlich der Lebensqualität schlechteste Rekonstruktion
des Atemweges bei maligner Erkrankung des Larynx ist die Laryngektomie. Von dieser
wird heute deutlich weniger Gebrauch gemacht, weil ausgedehnte transorale laserchirurgische
Resektionen möglich geworden sind [183]
[184]
[185] und im Falle prognostisch ungünstiger Hypopharynxkarzinome auf den Organerhalt durch
Radiochemotherapie orientiert wird [186]
[187]
[188]. Obgleich selbst große Defekte nach ausgedehnter Lasertumorchirurgie ohne plastische
Rekonstruktion mit zufrieden stellendem Ergebnis ausheilen, müssen funktionell Schlüsselfunktion
tragende Regionen wie der Ringknorpel rekonstruiert werden [189].
Das älteste Rekonstruktionsverfahren für kindliche Ringknorpelstenosen stellt die
Laryngotrachealplastik (LTP) nach Evans und Todd dar [190]
[191]
[192]. Die reißverschlussartige Eröffnung des laryngotrachealen Übergangs mit Einbeziehung
des Ringknorpels und innerer Schienung durch eine sich selbst expandierende Silastikrolle
- Swiss roll - trug methodisch dem Umstand Rechnung, dass man das Wachstum des kindlichen
Atemweges nicht stören wollte. Die Schnittführung war bei den oft durch die Stenose
narbig veränderten Knorpelstrukturen nur schwer möglich und der Erweiterungseffekt
nicht in jedem Fall erreichbar.
Auf Cotton geht die Weiterentwicklung der Rethi’schen Laryngofissur-Technik [193] hin zur Interposition von Rippenknorpel in den ventral bzw. auch dorsal gespaltenen
Ringknorpel zurück [194]. Diese Laryngotracheale Rekonstruktion (LTR) war die am häufigsten angewandte Behandlungsmethode. In schweren Fällen mit
fast aufgehobenem Ringknorpellumen wurden zusätzliche seitliche Inzisionen empfohlen
[195]
[196]. Das Handicap aller LTR-Verfahren, insbesondere derjenigen mit dorsaler Rippenknorpelimplantation,
bleibt die zur Fixierung des Knorpels und Stabilisierung des Erweiterungseffektes
notwendige Langzeitschienung durch einen Stent bei weiterhin bestehendem Tracheostoma.
Für die häufigeren ventralen Interpositionen konnte mit der auf Prescott zurückgehenden Single Stage Laryngotracheal Reconstruction (SSLTR) ein deutlicher
Behandlungsfortschritt erzielt werden. Durch gleichzeitige Rekonstruktion der orifiziellen
Region konnte der Atemweg in gleicher Sitzung verschlossen werden.
In den letzen Jahren haben diese Rekonstruktionsverfahren unter dem Eindruck der guten
Behandlungsergebnisse der in Kapitel 3.1 beschriebenen Resektionsverfahren, insbesondere
der krikotrachealen Resektion (CTR), an Bedeutung verloren. Aktuell wurde von der
Arbeitsgruppe um Montgomery allerdings wieder auf diese Technik für Patienten mit erhöhtem Risiko für eine CTR
verwiesen. Neu in dieser Arbeit ist die Verwendung autologen Schildknorpels für die
Interposition und eine Fixierungstechnik für dorsale Knorpelinterponate mit speziellen
Pins. Die erzielte Dekanülierungsrate lag für 21 Patienten bei 95 % [197].
Selbst ausgedehnte Larynx- bzw. Hypopharynxkarzinome mit Begrenzung auf den Hemilarynx
können heute in vielen Fällen laserchirurgisch reseziert werden. Bei Befall des Knorpelgerüstes,
insbesondere der posterioren Ringknorpelanteile, kann die vertikale Hemilaryngektomie
notwendig werden. Es muss dann, insbesondere im Falle des Entstehens einer relevanten
Larynxstenose, ein Konzept der chirurgischen Rekonstruktion zur Verfügung stehen.
Aus der Vielzahl angegebener Verfahren wollen wir die aktuellen Trends aufzeigen.
Cansiz u. Mitarb. geben in einer 2004 erschienenen Arbeit die Rekonstruktion des Hemilarynx
mit einem regionalen Knochen-Muskellappen aus gerader Halsmuskulatur und Zungenbein
an [198]. Von den 17 in dieser Weise operierten Patienten mussten zwei nachoperiert und ein
Patient laryngektomiert werden. Bei diesem Verfahren wird die Epithelbedeckung im
Defektbereich des Larynx nicht berücksichtigt.
Eine ganze Reihe neuer experimenteller und praktisch chirurgischer Ansätze zur Lösung
dieses Problems beschreibt Delaere in seinem 2004 erschienenen Buch „Laryngotracheal reconstruction. From lab to clinic”
[189].
Zukunftsweisend erscheint insbesondere die Composite graft Autotransplantation von mikrovaskulär autonomisierten Trachealsegmenten mit erhaltener
Schleimhautauskleidung zur Rekonstruktion der defekten Kehlkopfseite [199]
[200]
[201]
[202]
[203]
[204]
[205]
[206].
Delaere beschreibt hierzu die Autonomisierung des kranialen Abschnitts der Trachea durch
Freilegung und Umhüllung mit einem mikrovaskulär anastomosierten myofaszialen Radialislappen
im Rahmen der tumorchirurgischen Hemilaryngektomie. Nach temporärer Abdeckung des
Resektionsdefektes und Bypass der Kehlkopffunktion durch Tracheotomie und Gastrostomie
(PEG) wird im zweiten Schritt (nach 3 - 4 Monaten) die homolaterale Trachealwand mit
der ernährenden Umhüllung durch den Radialislappen nach kranial in den Kehlkopfdefekt
eingesetzt. Diese sicher nur in seltenen Fällen indizierte Rekonstruktionstechnik
soll als Ausblick dienen. Es wird aber auch deutlich, dass komplexe Transplantate,
bestehend aus Stützelement, Schleimhautbedeckung und ernährendem Umgebungsgewebe,
bei der Rekonstruktion des Atemweges erforderlich sind.
Eine intakte Schleimhautbedeckung verhindert Narbenbildungen und Re-Stenosierungen
[207]
[208]
[209]. Autologer, durch Tissue Engineering proliferierter bzw. neu ausgeformter Knorpel gibt dem zu rekonstruierenden Atemweg
die erforderliche Stabilität und Form [210]
[211]
[212]
[213]
[214]. Auf diesem Gebiet sind in den nächsten Jahren weitere Fortschritte zu erwarten.
5 Transplantation
5 Transplantation
Wenn keinerlei Rekonstruktionsverfahren mehr möglich ist, bleibt als letzte Behandlungsoption
bei einer Reihe wichtiger Körperorgane die Transplantation. Für die Niere stellt die
Transplantation heute eine Routineoperation dar [215]. Auch Herz-, Lungen- und Lebertransplantationen zählen zum Repertoire von fast allen
Transplantationszentren [216].
Es stellt sich die Frage, warum dies für die Kehlkopftransplantation nicht gilt.
Die Entwicklung einer geeigneten Operationstechnik für die Larynxtransplantation wird
seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts intensiv verfolgt [217]
[218]
[219]
[220]. Während Larynxtransplantationen bei Kaninchen, Hunden und anderen Versuchstieren
vielfach ermutigende Ergebnisse erbrachten, gelang zunächst nur der belgischen Arbeitsgruppe
um Kluyskens 1969 eine Verpflanzung des menschlichen Kehlkopfgerüstes [221]. Die humane Transplantation des gesamten Organs einschließlich der erforderlichen
Mikroanastomosen und der postoperativen Immunsuppression blieb bis zu den Arbeiten
der Clevelandgruppe um Marshall Strome eine Vision. Zum Verdienst Stromes gehört nicht nur die Tatsache, dass er die erste erfolgreiche humane Larynxtransplantation
durchgeführt hat, sondern vor allem auch, dass er den Weg dahin durch umfangreiche
Untersuchungen zur Eignung verschiedenster Immunsuppressiva für die Larynxtransplantation
bereitet hat [222]
[223]
[224]
[225]
[226]
[227]
[228]
[229]
[230]
[231].
Strome transplantierte 1998 als Meilenstein in der Geschichte der Larynxtransplantation
bei einem 40-jährigen Patienten, der nach einem Motorradunfall und zahlreichen Voroperationen
einen nicht anderweitig zu rekonstruierenden Kehlkopfschaden erlitten hatte, einen
gesamten Larynx mit der kranialen Trachea, großen Teilen des Hypopharynx und der Schilddrüse
[227]
[228]. Bilateral erfolgten die mikrovaskuläre Anastomosierung sowie der Versuch der Reinnervation
durch Nervennaht des N. laryngeus superior bds. und des N. laryngeus recurrens rechtsseitig.
2001 veröffentlichte die Arbeitsgruppe ein Follow-up über die ersten 40 Monate nach
Transplantation. Eine beginnende Abstoßungsreaktion konnte durch Umstellung der Immunsuppression
beherrscht werden. Drei Monate nach der Transplantation gab der Patient erstmalig
wieder Gefühlswahrnehmungen im Bereich des Kehlkopfs an und konnte sich später auch
transoral ernähren. Die Stimmfunktion besserte sich nach Einschätzung der Behandler
bis 16 Monate nach der Transplantation. Im EMG bestanden Zeichen der Reinnervation
des M. cricothyreoideus und des M. vocalis. Eine respiratorisch ausreichende Öffnungsbewegung
der Stimmlippen konnte bis zum Ende des 40-monatigen Beobachtungszeitraums und nach
aktuellen Mitteilungen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht erreicht werden. Der Patient
ist noch auf das Tracheostoma angewiesen. Gegenwärtig wird eine chirurgische Glottiserweiterung
wie bei Patienten mit doppelseitiger Stimmlippenmotilitätsstörung anderer Genese erwogen,
um die Dekanülierung zu ermöglichen.
Neben Strome hat die Arbeitsgruppe um Birchall in Großbritannien in den letzen Jahren umfangreiche Basisarbeit zur klinischen Etablierung
der Kehlkopftransplantation geleistet. In zahlreichen experimentellen Arbeiten schuf
diese Arbeitsgruppe Tiermodelle zur Erprobung der Revaskularisierung, der Reinnervation
und Wirksamkeit von Immunsuppressiva [232]
[236].
Zusammenfassend schätzen wir ein, dass zwei Probleme maßgeblich dafür verantwortlich
sind, dass sich die humane Larynxtransplantation nur zögerlich durchsetzen kann.
Zum einen begründet sich der Organverlust überwiegend auf die Behandlung maligner
Tumoren. Die bei jeder Transplantation erforderliche Immunsuppression ist hinsichtlich
ihres negativen Einflusses auf die Tumorabwehr des Transplantatempfängers kritisch
abzuwägen [237]
[238]
[239]
[240]
[241].
Zum anderen fehlt dem Transplantat naturgemäß die motorische und sensible Innervation.
Wenn die technisch aufwändige Larynxtransplantation zu einer für den Patienten spürbaren
Verbesserung der Lebensqualität führen soll, ist zu fordern, dass weitere Anstrengungen
zur Gewährleistung eines aspirationsfreien Schluckaktes, einer auch für körperliche
Anstrengungen ausreichenden Atmung und einer zufrieden stellenden Stimmgebung unternommen
werden müssen. Hierzu ist eine funktionierende Glottismotorik durch Reinnervation
des Transplantates notwendig.
Ebenso sind ethische Aspekte der Verpflanzung einer Stimme zu bedenken [242]
[243].
Es wird sicher noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis Kehlkopftransplantationen
in die klinische Routine Eingang finden. Moderne Immunsuppressiva haben ein deutlich
geringeres Nebenwirkungsprofil, so dass beispielsweise Lebertransplantationen bei
hepatozellulärem Karzinom unter Immunsuppression durchgeführt wurden [244].
Patienten, die sich einer Laryngektomie unterziehen mussten, sollten nach Ablauf der
Heilungsbewährung perspektivisch die Chance einer Larynxtransplantation erhalten.
Wegen der zu erwartenden Probleme bei der Revaskularisierung und Reinnervierung kommen
strahlentherapeutisch behandelte Patienten voraussichtlich nicht in Betracht.
6 Reanimation des Larynx
6 Reanimation des Larynx
Die Glottis erweiternde Chirurgie kann, wie im Kapitel 3 dargestellt, nur einen Kompromiss
in der Stellung der Stimmlippen zwischen Stimm- und Atemfunktion des Kehlkopfes erzielen.
Aus dem klinischen Alltag ist bekannt, dass Patienten mit einer minimalen Restbeweglichkeit
einer Stimmlippe bei doppelseitiger Motilitätsstörung deutlich besser rehabilitiert
werden können, als solche mit bds. fixierter Stimmlippe. Hierin drückt sich die besondere
Bedeutung des Erhaltes bzw. der Wiederherstellung der Dynamik der Stimmlippenstellung
aus. Aus diesem Grund verfolgen einige Arbeitsgruppen die Weiterentwicklung von Verfahren
zur neuromuskulären Reinnervation des Larynx. Wie im letzten Kapitel deutlich wurde,
nimmt die Reinnervation ebenfalls eine Schlüsselstellung bei der Funktionsaufnahme
eines transplantierten Kehlkopfes ein. Daneben verfolgt eine derzeit noch kleine Gruppe
von Wissenschaftlern die gezielte Elektrostimulation des gelähmten Kehlkopfes im Sinne
eines Pacemakers. Es handelt sich dabei nicht um ein zur Reinnervation konkurrierendes
Verfahren, sondern um eine sinnvolle Ergänzung.
6.1 Reinnervation
Reinnervationstechniken werden am Kehlkopf mit unterschiedlicher Zielstellung verfolgt
[245]. Hierzu zählen die Wiederherstellung der Sensibilität, des Glottisschlusses, der
Glottisöffnung und die Erhöhung der Stimmlippenspannung.
Im Folgenden gehen wir näher auf die aktuellen Entwicklungen der Abduktoren-Reinnervation
ein. Diese sind unmittelbar zu den rekonstruktiven Verfahren bei gestörter Atemfunktion
des Larynx zu zählen.
Grundsätzliches Anliegen aller Reinnervationstechniken ist die Wiederherstellung einer
Verbindung des Effektormuskels, in diesem Fall des Öffners der Stimmritze, dem M.
cricoarytaenoideus posterior (PCA), mit einem Nerven, der den Muskel synchron mit
der Inspiration stimuliert.
Wie bei jeder Nervendurchtrennung ist als erstes Rekonstruktionsverfahren die Nervennaht
zu diskutieren. Sie wurde für den N. laryngeus recurrens (RLN) bereits 1909 von Horsley beschrieben [246]. Im Gegensatz zu anderen Nerven zeigt der RLN extralaryngeal keine typische faszikuläre
Organisation in ein Öffner- bzw. Schließerbündel [247]
[248]. Die häufigsten Nervenschädigungen treten im extralaryngealen Verlauf des Nervens
im Bereich der Schilddrüse auf. End-zu-End-Anastomosen des RLN in dieser Schädigungsregion
führen deshalb zu schlecht voraussehbaren Rehabilitationsergebnissen. Die Ursache
liegt in einer synkinetischen Reinnervation. Obgleich im EMG nach Reinnervation Aktionspotenziale
nachweisbar sind, verbleibt bei gleichzeitiger Stimulierung von Agonisten und Antagonisten
der Glottisöffnung die Stimmlippe unbewegt [249]. Da eine synkinetische Reinnervation nicht regelhaft auftritt, empfehlen Chou u. Mitarb. dennoch in einer aktuellen Arbeit bei anamnestisch wahrscheinlicher Durchtrennung
des RLN bei einer Schilddrüsenoperation das Operationsgebiet zu revidieren und eine
primäre Nervennaht vorzunehmen [250]. Die Revision kann auch helfen, Hämatome oder Unterbindungen in Nachbarschaft des
funktionsgestörten RLN aufzufinden und zu beseitigen. Wir selbst haben in einem Fall
beidseitiger traumatischer Durchtrennung des RLN erleben können, dass nach Nervennaht
zumindest eine Restöffnungsbewegung des Kehlkopfs erreicht werden konnte, die für
den Verschluss der Tracheotomie ausreichte. Bei einem kleinen Teil von Patienten mit
Bereitschaft zu einer Klage muss jedoch bei ausbleibender Funktionswiederkehr nach
iatrogener Nervenschädigung mit einer späteren Schuldverlagerung auf den Arzt, der
die Nervenrevision ausgeführt hat, gerechnet werden. Es empfiehlt sich, ein sehr kritisches
Aufklärungsgespräch mit deutlichem Hinweis auf die Unsicherheit des Behandlungserfolges
zu führen. Wie bei der Nervennaht, so treten auch bei der spontanen Reinnervation
des RLN nach iatrogenen Traumen oder idiopathischer Parese in wesentlich höherem Prozentsatz
Synkinesien auf, als bislang angenommen wurde. Die Innsbrucker Kollegen fanden in
einer multizentrischen retrospektiven Analyse bei 67 % der Patienten mit einseitiger
Parese im EMG Zeichen der Synkinesie [251]. Zealear gibt den Anteil sogar aktuell mit 85 % an [252]. Die klinische Erfahrung, dass nur selten eine deutliche Atrophie der Muskulatur
der Stimmlippe bei RLN-Parese zu beobachten ist, kann als Indiz für eine überwiegend
sich einstellende Reinnervation gelten. Nach dem Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigung,
die aus der pathologischen Reinnervation resultiert, unterscheidet Crumley
[253] vier Typen der Synkinesie (siehe Tab. [2])
Tab. 2 Schweregradeinteilung der Synkinesie (Crumley 2000)
| Typ 1 |
Stimmlippenmotilität weitgehend aufgehoben ohne Stimm- und Atemprobleme |
| Typ 2 |
spasmodische Stimmlippe/n mit Stimm- und/oder Atemproblemen |
| Typ 3 |
hyperadduzierte Stimmlippe/n mit Atemproblemen |
| Typ 4 |
hyperabduzierte Stimmlippe/n mit Stimmproblemen und möglicher Aspiration |
Diese bringt das bunte Spektrum der in der Praxis anzutreffenden Behandlungssituationen
zum Ausdruck, unterscheidet aber nicht zwischen ein- und beidseitiger Parese.
In den letzten Jahren sind bei der Unterdrückung des kollateralen Aussprossens (Sprouting) und des in ein falsches Axon Hineinwachsens im Bereich der Nervennaht beim N. facialis
deutliche Fortschritte erzielt worden. Durch die lokale Applikation von blockierenden
Antikörpern gegen Nervenwachstumsfaktoren konnte das Sprouting reduziert werden [254]. Die Umhüllung der Nervenanastomose mit Riechepithel führt durch Freisetzung von
Mediatoren zu einer besseren axonalen Pfadfindung [255]
[256].
Kanemaru u. Mitarb. gelang es aktuell im Tierversuch, auch auf eine Distanz von 10 Millimetern
eine RLN-Anastomose mit einem Interponat (resorbierbare Polyglycolsäureröhre) zu erzielen
[257]
[258]. Ein solches Vorgehen hat Bedeutung, wenn anderweitig die End-zu-End-Anastomose
nur unter Spannung etabliert werden kann. Die Überbrückung noch größerer Distanzen
ist vor allem auch dann interessant, wenn der proximale Nervenstumpf nicht mehr zur
Verfügung steht und ein Spendernerv als Ersatz für den RLN herangeführt werden soll.
Als Spendernerv wird eine Vielzahl von Nerven eingesetzt. Während die Ansa cervicalis
und der N. hypoglossus im Fokus zahlreicher Artikel zur Reanimation des Glottisschlusses
stehen [259]
[260]
[261]
[262]
[263], eignet sich für die Verbesserung der Atemfunktion am besten der N. phrenicus [264]
[265]
[266]
[267]. Seine Verwendung wird durch die resultierende einseitige Zwerchfelllähmung, die
ihrerseits die Atemfunktion beeinträchtigt, limitiert. Interkostalnerven scheiden
wegen ihrer zu großen Distanz aus. Die Endäste der Ansa cervicalis zum M. omohyoideus
und zum M. sternothyreoideus und der Nervus laryngeus superior weisen ebenfalls eine
gewisse inspiratorische Aktivität auf, so dass auch sie in Betracht kommen.
Für alle Spendernerven gilt, dass eine End-zu-End-Anastomose zum RLN durch gleichzeitige
Stimulierung der Adduktoren in der Praxis nicht zu einer Öffnung der Glottis führt.
Deshalb ist entweder eine selektive Durchtrennung des Adduktorastes des RLN [268], die Reinsertion desselben in den PCA [265] notwendig bzw. die motorische Blockade der Adduktoren durch Botolinumtoxin denkbar.
Auf Tucker geht als Alternative zur Nervennaht der Nerv-zu-Muskel-Transfer (NMP) zur selektiven
Reinnervation des PCA zurück [269]. Bei dieser für die Kehlkopftransplantation entwickelten Technik wird der Nerv,
in diesem Fall die Ansa cervicalis, direkt in den Muskelbauch verpflanzt. Aussprossende
Nervenfasern erreichen später die motorischen Endplatten des Zielmuskels, in diesem
Fall des PCA. Obgleich Tucker in 74 % seiner Patienten Erfolg sah, konnten andere Chirurgen diese Ergebnisse nicht
erreichen. Möglicherweise führt das Operationstrauma zu Narbenbildungen, die sekundär
den Funktionsgewinn wieder einschränken können. Eine aktuelle Ergänzung stellt die
2001 von Hogikyan u. Mitarb. angegebene Muskel-Nerv-Muskel-Brücke (MNM) von einem innervierten zu einem
denervierten Muskel dar [270]
[271]. Ein mögliches Potenzial dieser Technik sehen wir in der bilateralen Reanimation
des Larynx z. B. bei der Transplantation, in dem nur einseitig ein Spendernerv erforderlich
wird und die Gegenseite über eine solche MNM-Brücke versorgt werden kann. Die Validität
der Methode muss jedoch erst weiter geprüft werden.
Eine aktuelle Entwicklungsrichtung in der Reinnervation des Larynx stellt die Applikation
von Wachstumsfaktoren zur Regeneration des denervierten Muskels mittels Gentherapie
dar [272]
[273]
[274]
[275]
[276]. Wir planen den Einsatz humaner Stammzellen zur Unterstützung der selektiven Reorganisation
des Muskels nach Reinnervation.
Die Vanderbilt-Arbeitsgruppe um David Zealear hat aktuell zeigen können, dass die Elektrostimulation des denervierten Muskels während
der Reinnervationszeit zu einer selektiven Reinnervation führt [252]
[277]
[278], d. h. das Ausmaß der synkinetischen Reinnervation wird reduziert.
Wenn sich die Beeinflussbarkeit der Reinnervationsprozesses durch gezielte Elektrostimulation
und ggf. unterstützt durch Methoden der Gentherapie in weiteren Untersuchungen bestätigt,
dann ist zukünftig ein Abwarten des Spontan„heilungs”verlaufs in Richtung Synkinesie
nicht mehr angezeigt.
6.2 Elektrostimulation (Pacemaker)
Die Funktionelle Elektrostimulation (FES) hat mit Einführung des Herzschrittmachers
durch Zoll die Medizin revolutioniert [279]. Der irreversible Ausfall der nervalen Steuerung wichtiger Muskelsysteme insbesondere
nach Schlaganfällen und Querschnittslähmungen hat zu einer sehr intensiven Forschung
auf dem Gebiet der FES in den 70er- und 80er-Jahren geführt.
Zealear und Dedo haben als erste 1977 das Konzept der Elektrostimulation des gelähmten Kehlkopfes
entwickelt [280]. Auf Obert geht die Idee der mit Inspiration synchronen Elektrostimulation und der Begriff „Pacemaker”
für die FES des Larynx zurück. Bergmann (ChariteŽ) entwickelte einen Brustwandsensor zur atemsynchronen Triggerung der PCA-Stimulation
und führte umfangreiche Langzeitstimulationen an Hunden aus [281]
[282]
[283]
[284]
[285]
[286]
[287]
[288]
[289]
[290]. Otto leitete das EMG des Diaphragmas ab, um auf diese Weise einen mit der Inspiration
synchronen Trigger für die PCA-Stimulation zur Verfügung zu haben [291]
[292]. Auf der Suche nach weiteren Trigger-Möglichkeiten stieß Kim auf die Erfassung der sich mit der Atmung ändernden Pharynxtemperatur [293]. Zealear erwog den intrathorakalen Druck für die Synchronisation der Elektrostimulation zu
verwenden [294].
Eine wichtige Voraussetzung für den weiteren Erfolg war die systematische Analyse
der Stimulus-Muskelantwort-Charakteristik des PCA-Muskels im Hundemodell durch Sanders
[295].
Die weitere Ausarbeitung der notwendigen Reizparameter für die chronische Stimulation
geht wiederum auf Zealear und die Wiener Arbeitsgruppe um Zrunek zurück [296]
[297]
[298]
[299]
[300].
Bergmann plante den Einsatz seines im Tierversuch langzeiterprobten Implantates beim Menschen
und hatte bereits die notwendigen Genehmigungen. Veränderungen in den gesundheitspolitischen
Rahmenbedingungen 1989 hinderten ihn jedoch an der Umsetzung.
Die erste Veröffentlichung einer temporären Elektrostimulation des PCA-Muskels beim
Menschen geht auf die Arbeitsgruppe von Zealear (1996) zurück [301]. Die Stimulation erfolgte während einer Thyreoplastik bei einseitiger Parese. Nachdem
die Geräteentwicklung soweit fortgeschritten war, dass die klinische Erprobung eines
ersten voll implantierbaren Larynx-Schrittmachers erfolgen konnte, wurde im Zeitraum
von 1995 bis 1997 im Rahmen einer transnationalen Studie bei insgesamt 7 Patienten
ein Schrittmacher implantiert [302]. Alle eingeschlossenen Patienten waren vorher tracheotomiert.
Bei einer Patientin trat frühzeitig eine Infektion auf und das Implantat musste später
entfernt werden. Bei 5 der verbleibenden 6 Patienten konnte eine stimulierte Öffnungsbewegung
nachgewiesen werden. Diese war bei 4 Patienten ausreichend für den Tracheostomaverschluss,
wobei eine Patientin nicht dekanüliert werden wollte. In keinem Fall hatte sich die
Stimmqualität verschlechtert.
Diese Pionierstudie hat die prinzipielle technische Durchführbarkeit und Wirksamkeit
einer Schrittmacherapplikation zur Behandlung der bilateralen Stimmlippenmotilitätsstörung
gezeigt. Jedoch bleiben noch einige Probleme ungelöst.
Dies sind zum einen technische Probleme, wie die bei 3 Patienten beschriebene Elektrodenkorrosion.
Da das bisherige Implantat (Itrel II, Medtronic, USA) für die Behandlung chronischer
Schmerzzustände entwickelt wurde, entsprechen sowohl das Elektrodendesign als auch
die Flexibilität in der Parametereinstellung nicht optimal den Bedürfnissen der Larynxanwendung.
Es ist keine Triggerung durch die Atmung des Patienten möglich. Die Öffnungsstimulation
erfolgt in einer festen Frequenz von 10 Stimuli pro Minute, an die sich der Patient
mit seiner Atmung anpassen muss. Es kann somit zu Unterbrechungen der Phonation und
theoretisch auch zur Aspiration kommen, wenn während des Schluckaktes die Glottisöffnung
stimuliert wird. Nach Einschätzung von Zealear sind die Kraft des willkürlichen Glottisschlusses des Patienten bei der Phonation
und der unwillkürliche Verschluss beim Schluckakt kräftiger als die stimulierte Öffnung,
so dass der Patient diese „übergehen” kann [302].
Wir sehen in der fehlenden Atemtriggerung einen wesentlichen Nachteil des Systems,
den wir gegenwärtig in einem vom BMBF geförderten Forschungsprojekt durch ein neu
entwickeltes Implantat überwinden wollen. Es soll vermieden werden, dass der Patient
bei einem Wechsel der Atemfolge gegen eine geschlossene Glottis atmen muss. Der Gewinn
an Lebensqualität misst sich an dem erreichten Grad der Wiedererlangung einer normalen
körperlichen Belastbarkeit. Eine Erhöhung der Atemfrequenz muss bei sportlichen oder
beruflichen Aktivitäten möglich sein. Der Einsatz der Bauchpresse darf nicht durch
eine unwillkürliche Öffnung der Glottis gestört werden (s. Abb. [2]).
Abb. 2 Konzept der gezielten Elektrostimulation des gelähmten Larynx (Schrittmacher) (Grafik:
Jens Geiling, Anatomisches Institut der FSU Jena, 2003).
Ebenso erscheint es uns wichtig, das Elektrodendesign den anatomischen Größenverhältnissen
anzupassen. Das Itrel-Implantat kann nur einkanalig stimulieren. Bei einer Patientin
von Zealear kam es zu einer leichten Elektrodendislokation im Langzeitverlauf nach der Implantation.
Durch die Entwicklung von Arrayelektroden und Etablierung einer mehrkanaligen Stimulation
wollen wir sicher stellen, dass einerseits die optimalen Reizorte des PCA-Muskels,
die nach elektrophysiologischen Untersuchungen als „Hot Spots” [300] bezeichneten Abschnitte mit der stärksten Muskelantwort auf den Stimulusreiz, erreicht
werden und andererseits im Falle einer leichten Dislokation ein späterer Wechsel der
für die Stimulation genutzten Elektroden des Arrays möglich ist.
Weiterhin sollte eine beidseitige Stimulation möglich sein aus Gründen der besseren
Anpassung an körperliche Belastungssituationen aber auch zur Schaffung einer Notfallreserve
für einen einseitigen Ausfall der Stimulation.
Ein in der klinischen Routine einsetzbarer Schrittmacher wird in absehbarer Zeit zur
Verfügung stehen. Die funktionelle Elektrostimulation (FES) bei beidseitiger Stimmlippenimmotilität
hat entscheidende Vorteile gegenüber der irreversiblen statischen Erweiterung des
Atemwegsquerschnittes durch Glottis erweiternde Operationen, da die Stimm- und Schluckfunktion
nicht beeinträchtigt und der Atemwegsquerschnitt dynamisch erweitert wird.
Eine funktionell Erfolg versprechende Larynxtransplantation benötigt für die Zeit
bis zu einer funktionierenden Reinnervation die Unterstützung durch einen Schrittmacher.
Wie die neuesten Erkenntnisse zur Reinnervation zeigen, stellt die FES keine Konkurrenz
sondern eine sinnvolle Ergänzung zur Reinnervationschirurgie dar, da sie das Ausmaß
synkinetischer Reinnervation reduzieren kann.
Während des bisher üblichen Abwartens der möglichen Reinnervation kommt es zum Umbau
des Muskels, zur Schrumpfung der Gelenkkapseln und zur unkontrollierten (synkinetischen)
Reinnervation. Bei minimal invasiver Ausführung der Elektrodenapplikation ist an einen
frühzeitigen Einsatz des Schrittmachers (an Stelle der Tracheotomie) zu denken.