Einleitung
In der Ausgabe vom 18. September 1869 des British Medical Journal berichtete Edward Nettleship über ein zweijähriges Mädchen, das seit dem dritten
Lebensmonat an einer chronischen Urtikaria mit residuellen bräunlichen Läsionen litt,
und er beschrieb hiermit erstmals das Krankheitsbild der Urticaria pigmentosa [1 ]. Die Namensgebung der Erkrankung erfolgte 9 Jahre später durch Sangster [2 ]. Der pathognomonische urtikarielle Dermographismus fand seinen Eingang in die Dermatologie
als sogenanntes Darier-Zeichen u. a. durch das von Darier 1909 in Paris veröffentlichte Buch „Précis de dermatologie”
[3 ]
[4 ]. 1878 beschrieb Paul Ehrlich in seiner Promotionsarbeit „granulierte Bindegewebszellen”,
die er „Mastzellen” nannte, und legte damit den Grundstein für die weitere Erforschung
der Erkrankung [5 ]
[6 ]. Die Mastozytose ist eine seltene Erkrankung, die beide Geschlechter gleichermaßen
befällt. Die Inzidenz in Großbritannien wird auf 0,66 : 100 000 pro Jahr geschätzt
[7 ].
Allen Mastozytosen gemeinsam ist eine pathologische Anhäufung von Mastzellen im betroffenen
Gewebe. Die klinischen Manifestationsformen der Mastozytosen sind äußerst heterogen
und reichen vom kindlichen Mastozytom mit selbstlimitierendem Verlauf bis zur seltenen
Mastzellenleukämie mit einer geringen Lebenserwartung. Alle Formen der Mastozytose
können hierbei mit Allgemeinsymptomen durch die Ausschüttung von Mastzell-Mediatoren
einhergehen. Eine aktuelle Klassifikation der Mastozytosen, basierend auf den Kriterien
der WHO (World Health Organization) findet sich in Tab. [1 ] (Tab. [1 ]) [8 ].
Tab. 1 WHO-Klassifikation der Mastozytosen (modifiziert nach [8 ]).
Kategorie
Subvarianten
kutane Mastozytose
Urticaria pigmentosa diffuse kutane Mastozytose Mastozytom der Haut
indolente systemische Mastozytose
larvierte Mastozytose isolierte Knochenmarksmastozytose
systemische Mastozytose mit assoziierter hämatologischer Erkrankung
meist myeloproliferative Erkrankungen oder myeloische Leukämien
aggressive systemische Mastozytose
Lymphadenopathische systemische Mastozytose mit Eosinophilie
Mastzellenleukämie
aleukämische Mastzellenleukämie
Mastzellsarkom
Im Folgenden berichten wir über eine Patientin mit Urticaria pigmentosa und hohem
Leidensdruck aufgrund von Allgemeinsymptomen durch Mediatorenausschüttung.
Fallbericht
Anamnese
Vor etwa 15 Jahren waren der 58-jährigen Patientin erstmals juckende rötlich-bräunliche
Flecken an den Armen aufgefallen, die sich seit etwa 5 Jahren auf den gesamten Körper
ausgebreitet hätten. Beim Baden in warmem Wasser und gelegentlich auch spontan komme
es zu einer Verschlechterung der Hautveränderungen, die gelegentlich von Atemnotgefühlen
begleitet würden. Die Patientin klagte über Kopfschmerzen, gelegentliche Diarrhö und
Juckreiz. Bewusstlosigkeit war bisher nicht aufgetreten.
Hautbefund
Am gesamten Integument, mit Betonung der Oberschenkel und Oberarme, zeigten sich disseminiert
rötlich-braune Makulopapeln unter Aussparung des Gesichts, der Palmae und Plantae
(Abb. [1 ]). An der betroffenen Haut zeigte sich ein schwacher urtikarieller Dermographismus.
Abb. 1 Hautbefund bei Urticaria pigmentosa.
Histologie
Probebiopsie Abdomen: In der retikulären Dermis fand sich ein diskretes, perivaskulär
akzentuiertes Rundzellinfiltrat mit diffus eingestreuten Mastzellen (Abb. [2 ]). Einzelne Mastzellen ließen sich auch zwischen den Kollagenfaserbündeln der tieferen
Dermis nachweisen.
Abb. 2 In der retikulären Dermis ein diskretes, perivaskulär akzentuiertes Rundzellinfiltrat
mit diffus eingestreuten Mastzellen (Giemsa).
Knochenbiopsiezylinder: Normozelluläres blutbildendes Knochenmark. In der Toluidinblau-Färbung
und immunhistochemisch zeigten sich locker über die Markräume verstreute, an einer
Stelle locker perivaskuläre reife Mastzellen. Keine eindeutigen kompakten Mastzellinfiltrate
oder eine diffuse Mastzellinfiltration nachweisbar.
Kolon-, Duodenum-, Magen- und Ösophagus-Biopsate: Die zum Ausschluss einer weiteren
systemischen Beteiligung durchgeführten Biopsate im Gastrointestinaltrakt ergaben
keinen erhöhten Gehalt an Mastzellen.
Weitere Befunde
Mastzell-Tryptase 16,4 ng/ml (Normwert < 11,4), Routine-Laborparameter, Proktoskopie
und hohe Koloskopie, Ösophago-Gastro-Duodenoskopie, MRT des Gehirns, CT Oberbauch
bis Becken, Röntgen-Thorax, Röntgen-Nasennebenhöhlen und Röntgen-Zahnpanorama waren
in ihren Untersuchungsbefunden alle unauffällig in Hinblick auf eine systemische Mastozytose.
Diagnose
Urticaria pigmentosa mit reaktiver Mastzellhyperplasie im Knochenmark.
Besprechung
Bei Mastozytosen findet sich in etwa 80 % eine Hautbeteiligung, so dass der Hautarzt
in den meisten Fällen die primäre Anlaufstelle für die Betroffenen darstellt. Hierbei
ist die weitaus häufigste Hautmanifestation beim Erwachsenen die Urticaria pigmentosa
[9 ]. Präsentiert sich ein Patient mit dem klinischen Bild einer Urticaria pigmentosa,
ist eine Hautbiopsie zur Diagnosesicherung unerlässlich. Konnte der Verdacht histologisch
bestätigt werden, stellt sich nun die Frage nach einer systemischen Beteiligung. Eine
reine kutane Mastozytose ohne Systembeteiligung findet sich in der Regel bei Mastozytosen
mit Beginn im Kindesalter. Neuere Untersuchungen legen nahe, dass bei der überwiegenden
Mehrzahl der erwachsenen Patienten mit Urticaria pigmentosa und Krankheitsbeginn nach
dem 2. Lebensjahr eine systemische Beteiligung vorliegt - auch wenn keine systemische
Symptomatik besteht [10 ]. Die häufigste extrakutane Manifestation ist hierbei der Knochenmarksbefall (> 15
Mastzellen/Aggregat), so dass eine Knochenmarkshistologie und Knochenmarkszytologie
die Methoden der Wahl zur weiteren diagnostischen Abklärung sind [11 ]. Bei Kindern wird die Durchführung einer Knochenmarksbiopsie/-aspiration nur bei
unerklärten Auffälligkeiten im Blutbild, bei Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie
oder einem Serum-Tryptase-Spiegel > 20 ng/ml empfohlen [10 ]
[11 ].
Basierend auf neuen Erkenntnissen über die molekularen und zellulären Grundlagen der
Erkrankung wurden in jüngster Zeit Kriterien für die Diagnose der systemischen Mastozytose
erarbeitet. Unter diesen befinden sich neben dem Nachweis extrakutaner Manifestationen,
die Entdeckung aktivierender c-kit-Punktmutationen [12 ], die immunphänotypische Charakterisierung der Mastzellen [13 ] und der Serum-Tryptase-Spiegel als Surrogatmarker der Erkrankung [14 ]. Es wird hierbei zwischen Haupt- und Nebenkriterien unterschieden, wobei mindestens
ein Haupt- und ein Nebenkriterium oder drei Nebenkriterien erfüllt sein müssen, um
die Diagnose einer systemischen Mastozytose zu rechtfertigen (Tab. [2 ]) [8 ]. Das Hauptkriterium für den Befall des Knochenmarks ist das Vorliegen von multifokalen
dichten Mastzellinfiltraten mit Aggregaten von mehr als 15 Mastzellen. Mit Ausnahme
der aktivierenden Punktmutationen, welche nicht untersucht wurden, zeigen sich im
vorliegenden Fall keine der WHO-Kriterien für eine systemische Mastozytose. Im Knochenmark
fand sich eine Vermehrung von Mastzellen, jedoch handelte es sich um locker über die
Markräume verstreute reife Mastzellen ohne Aggregatbildung im Sinne einer reaktiven
Hyperplasie. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte daher die Diagnose einer kutanen Mastozytose
in der makulopapulösen Form (Urticaria pigmentosa) mit reaktiver Mastzellhyperplasie
des Knochenmarks gestellt werden. Engmaschige ambulante Nachsorgeuntersuchungen sind
hier nötig, um einen Übergang in die systemische Form rechtzeitig zu erkennen.
Tab. 2 Kriterien für die Diagnose einer systemischen Mastozytose (modifiziert nach [8 ]).
Hauptkriterien
Multifokale dichte Infiltrate von Mastzellen im Knochenmark oder anderen extrakutanen
Organen (> 15 Mastzellen im Aggregat)
Nebenkriterien
atypische Mastzellen im Knochenmark oder anderen extrakutanen Organen (> 25 %) c-kit-Mutation Asp-816-Val oder eine andere aktivierende Punktmutation in extrakutanen
Organen Mastzellen im Knochenmark exprimieren CD2 oder CD25 Serum-Tryptase-Spiegel > 20 ng/ml
Mastzellen, als multipotente Effektorzellen des Immunsystems, geben eine Reihe von
biologisch aktiven Molekülen mit unterschiedlichsten Wirkungen und Zielorganen ab.
Es kann hierbei eine Einteilung in präformierte, in sekretorischen Granula gespeicherte,
und neu synthetisierte, von der Lipidmembran abgeleitete, Mediatoren getroffen werden.
Als wichtige Vertreter der ersten Gruppe seien Histamin, Heparin, Tryptase und Chymase
genannt. De novo synthetisierte Arachidonsäurederivate wie Prostaglandin D2, Leukotriene
und Plättchen aktivierender Faktor (PAF) entfalten hierbei im Gegensatz zur Sofortreaktion
durch Histamin ihre Wirkung verzögert. Zusätzlich werden in Mastzellen eine Vielzahl
von Zytokinen, wie TNF-α und -β sowie zahlreiche Interleukine, produziert, über deren
Regulation und Sekretion bei Patienten mit Mastozytose nur wenig bekannt ist. Diese
bunte Vielfalt an Mediatoren hat eine heterogene Symptomatik der von Mastozytose betroffenen
Patienten zur Folge. Auch bei gleicher Mastzelllast kann diese interindividuell sehr
unterschiedlich sein. Die Häufigkeiten für das Auftreten der jeweiligen Symptomatik
werden in der Literatur unterschiedlich angegeben. Häufigste Symptome bei kutaner
Mastozytose sind Flush-Symptomatik, Pruritus, Urtikaria und ein positives Darier-Zeichen.
Seltener werden Diarrhö, Bronchokonstriktion und Synkopen beschrieben [15 ]. Darüber hinaus können sich bei systemischen Mastozytosen unterschiedlichste Symptome
durch Infiltration des jeweiligen Organparenchyms wie z. B. Anämie, Leukopenie, pathologische
Frakturen, Hepatosplenomegalie oder eine begleitende B-Symptomatik ergeben.
Eine kurative Therapie der Mastozytose existiert derzeit nicht. Trotz der jüngsten
Fortschritte im Wissen um Pathophysiologie, Diagnosefindung und Klassifikationen der
Mastozytosen konzentriert sich die Therapie vorrangig auf die Kontrolle der durch
die Freisetzung von Mastzellmediatoren verursachten Symptome [16 ]. Aufgrund der Heterogenität der Symptomatik, dem weiten Altersspektrum der Betroffenen
und der Vielzahl der Subklassen der Erkrankung mit verschiedener Dignität, muss die
Therapie in jedem Einzelfall sorgsam auf die Bedürfnisse des Erkrankten abgestimmt
werden. Ein Eckpfeiler der Therapie eines Patienten mit Mastozytose ist die ausführliche
Aufklärung über die Erkrankung und die Notwendigkeit der prophylaktischen Vermeidung
einer Mediatorfreisetzung aus den Mastzellen. Als mögliche Triggerfaktoren gelten
u. a. Wärme, Kälte, exzessives Sonnenlicht, mechanische Irritation der Haut, sportliche
Betätigung, Stress und Angst, Insektengifte, histaminreiche Nahrung, Alkohol und eine
Vielzahl von Medikamenten (u. a. Acetylsalicylsäure und andere NSAR, Morphin und Morphinderivate,
Amphotericin B, Polymyxin B, Quinine, Muskelrelaxanzien, Röntgenkontrastmittel, Dextrane,
Beta- und Alphablocker, Cholinrezeptorantagonisten), wobei die jeweilige Reaktion
von Patient zu Patient sehr differieren kann [16 ]. Ein Allergiepass oder Informationsblatt zur Vorlage beim weiterbehandelnden Arzt
ist auszuhändigen, und alle Patienten, besonders jene mit bekannten Sensibilisierungen,
sind mit einem Notfallset zu versorgen.
Die Basis der medikamentösen Therapie bilden traditionell H1 -Antihistaminika mit oder ohne begleitende H2 -Blockade. Antihistaminika wirken auf die kutane Symptomatik mit Pruritus, Quaddelbildung
und Flush [17 ]
[18 ]
[19 ]. Die H2 -Blocker haben zusätzlich ihren Stellenwert in der Behandlung gastraler Hypersekretion
und peptischer Ulzera im Rahmen einer Mastozytose [20 ]. Beim Einsatz erhöhter Dosen von H1 -Blockern ist deren mögliche Kardiotoxizität zu berücksichtigen [21 ]. Mastzellstabilisatoren wie Dinatriumcromoglykat und Ketotifen wirken sich auf die
gastrointestinale Symptomatik, die am häufigsten mit einer Diarrhö einhergeht, positiv
aus [22 ]
[23 ]. Bei rezidivierender Flush-Symptomatik kann der vorsichtige Einsatz der Prostaglandin-Antagonisten
Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen erwogen werden. Aufgrund der Gefahr einer unspezifischen
Mastzelldegranulation wird die Therapieeinleitung unter stationären Bedingungen und
zusätzlich eine Prophylaxe mit H1 - und H2 -Blockern empfohlen [16 ].
Christophers et al. berichteten 1978 erstmals über den erfolgreichen Einsatz der oralen
Photochemotherapie bei Urticaria pigmentosa, wobei es zu einer Besserung von Pruritus
und Quaddelbildung und zu einer Abblassung der kutanen Läsionen kam [24 ]. Mit Rezidiven nach PUVA-Therapie ist allerdings regelmäßig zu rechnen, wobei die
Zeitspanne einige Wochen bis zu mehr als 10 Jahre betragen kann [25 ]. Über die Effektivität der Bade-PUVA gibt es widersprüchliche Angaben in der Literatur
[25 ]
[26 ]. Ebenso sind die Angaben hinsichtlich der Mastzellzahl in befallener und unbefallener
Haut, des Histamingehalts in der Haut und der Ausscheidung von Histaminmetaboliten
unter PUVA-Therapie in der Literatur z. T. widersprüchlich [27 ]
[28 ]. Tierexperimentelle Studien deuten daraufhin, dass die Mastzelldegranulation durch
PUVA-Therapie temporär supprimiert wird [29 ].
Über die erfolgreiche Verabreichung hochdosierter UVA1 -Bestrahlung bei vier Patienten mit Urticaria pigmentosa berichten Stege et al. [30 ]. Trotz lediglich 10 Bestrahlungen über einen Zeitraum von 2 Wochen kam es zu einem
langandauernden Rückgang der Symptomatik und zu remissionsfreien Intervallen zwischen
10 und 23 Monaten nach Beendigung der Therapie.
Aufgrund der starken Tendenz zur Spontanheilung kindlicher kutaner Mastozytosen ist
in diesen Fällen primär eine abwartende Haltung angezeigt. Bei diffuser kutaner Mastozytose
mit generalisierter Blasenbildung und unzureichender Vorbehandlung kann jedoch der
Einsatz einer Photochemotherapie gerechtfertigt sein und zu lang anhaltender dramatischer
Verbesserung des Befundes führen [31 ]. Wallenfang und Stadler berichten über das Auftreten eines malignen Melanoms bei
einer Patientin mit Urticaria pigmentosa und intensiver UVA1 - und PUVA-Bestrahlung und plädieren für eine engmaschige klinische Kontrolle derart
behandelter Patienten [32 ].
Über den erfolgreichen Einsatz einer lokalen Kortikoidanwendung bei einer Patientin
mit Urticaria pigmentosa und nur unzureichendem Ansprechen auf antihistaminische und
PUVA-Therapie berichten Taylor et al. 1993 [33 ]. Mit zunehmender Aggressivität der Erkrankung kommen weiterhin Interferon-α, systemische
Glukokortikoide, Chemotherapeutika (u. a. Cladribin), eine Splenektomie oder eine
Stammzelltransplantation zum Einsatz [16 ].
Für die Abschätzung der Prognose spielen sowohl das Alter des Patienten bei Krankheitsbeginn
als auch die Subklasse der Mastozytose eine Rolle. Insgesamt ist die Prognose kutaner
Mastozytosen und indolenter systemischer Mastozytosen als gut einzustufen. Je jünger
der Patient bei Krankheitsbeginn, desto besser die Prognose. Kutane Mastozytome bei
Kindern bilden sich fast ausnahmslos zurück, während die kindliche Urticaria pigmentosa
in etwa 50 % der Fälle bis zur Pubertät involutiert [16 ]. Die bullöse Mastozytose bei Kindern scheint eine ernstere Prognose zu besitzen
[34 ]. Die Progression einer indolenten systemischen Mastozytose zu einer aggressiveren
Form ist selten, jedoch ist über das erhöhte Risiko für das Auftreten einer myelogenen
malignen Erkrankung berichtet worden [35 ], was zu regelmäßigen Kontrollen verpflichten sollte. Bei Mastozytosen mit assoziierter
hämatologischer Erkrankung bestimmt letztere die Prognose. Aggressive systemische
Mastozytosen haben eine Lebenserwartung von wenigen Jahren, Mastzellleukämien und
das Mastzellsarkom haben die schlechteste Prognose mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung
von 6 - 12 Monaten [16 ]. Frauen mit Mastozytose sind fertil und Schwangerschaft oder Geburt führen in den
meisten Fällen nicht zu einer Verschlimmerung der mastzell-vermittelten Symptome [15 ].
Mastzellen entwickeln sich aus multipotenten hämatopoetischen CD34+-Vorläuferzellen
aus dem Knochenmark und peripheren Blut. Im Gegensatz zu vielen anderen Blutzellen
erfolgt ihre Reifung extramedullär unter dem Einfluss von Stammzellfaktor und Interleukinen,
die lokal im entsprechenden Gewebe, in der Haut durch Keratinozyten und Fibroblasten,
gebildet werden. Der Stammzellfaktor entfaltet seine Wirkung über den c-kit-Protoonkogen-Rezeptor
(CD117). Er wirkt proliferationsfördernd und antiapoptotisch [8 ]. Neuere Ansätze zum pathogenetischen Verständnis der Mastzellvermehrung im Rahmen
einer Mastozytose konzentrieren sich verstärkt auf die Funktion des c-kit-Rezeptors
und seines Liganden.
Beim c-kit-Protoonkogen-Rezeptor handelt sich um einen Transmembran-Rezeptor mit einer
extrazellulären Region, die die Bindungsdomäne für den Stammzellfaktor enthält, und
einem intrazellulären Anteil. Dieser enthält zwei enzymatische Domänen, die Tyrosinkinase-Domäne
1 und 2 und eine juxtamembranäre Domäne. Es sind eine Reihe unterschiedlicher aktivierender
Punktmutationen des c-kit-Protoonkogens beschrieben. Diese somatischen Mutationen
führen zu einer ligandenunabhängigen Aktivierung des Rezeptors, woraus eine erhöhte
Proliferationsrate der Mastzellen und ihrer Vorläufer resultiert. Die aktivierenden
kit-Mutationen können hierbei in zwei Hauptgruppen unterteilt werden. Betreffen die
Mutationen die Struktur der enzymatischen Region wird von manchen Autoren der Begriff
„enzymatic site” type Mutationen (EST) verwendet [36 ]. Diese werden in erster Linie durch Codon-816-Mutationen repräsentiert. Der Ersatz
der Aminosäure Aspartat durch Valin im Codon 816 ist die weitaus häufigste aktivierende
Punktmutation bei der adulten Mastozytose und scheint nach neueren Untersuchungen
in der betroffenen Haut einer sehr großen Anzahl von erwachsenen Patienten mit Mastozytose
präsent zu sein [12 ]
[37 ]. Die zweite Gruppe betrifft Mutationen der intrazellulären juxtamembranären Region
(Val560Gly), zu finden in humanen gastrointestinalen Stromatumoren [38 ]. Sie beeinflussen die Aktivität des aktiven Zentrums und werden daher als „regulatory” type (RT) Mutationen bezeichnet [36 ] (Abb. [3 ]).
Abb. 3 Schematisierte Darstellung des kit-Rezeptors. Auf der Tyrosinkinase-Domäe 2 (TK2)
ist die Asp816Val-Mutation bei nahezu allen adulten Patienten mit Mastozytose zu finden
(modifiziert nach [12 ]).
Diese neuen Erkenntnisse über mögliche molekularbiologische Ursachen der Mastozytose
eröffnen nun auch neue Therapiewege. Ziel ist es hierbei, durch selektive Inhibierung
der Rezeptor-Tyrosinkinaseaktivität den proliferativen und antiapoptotischen Effekten
des Stammzellfaktors entgegen zu wirken. Hierzu bedient man sich niedermolekularer
Inhibitoren der Signaltransduktion. Ein solcher Inhibitor ist die Substanz STI571
(Imatinibmesylat/Glivec®), ein 2-Phenylaminopyrimidin-Derivat, aktuell im Einsatz
gegen die chronisch myeloische Leukämie. In-vitro-Untersuchungen mit der Substanz
STI571 zeigten sowohl die Hemmung des Wildtyp c-kit-Rezeptors als auch die Hemmung
des in der juxtamembranären Domäne mutierten (RT) c-kit-Rezeptors. Die c-kit-Mutation Asp816Val (EST) , welche mit den häufigsten Formen der adulten Mastozytose assoziiert ist, führt jedoch
zu einer Resistenz gegenüber STI571 und anderen kit-Kinase-Inhibitoren [36 ]
[39 ].
In neueren Berichten wurde STI571 auch erfolgreich in der Behandlung einer Subgruppe
von Patienten mit Hypereosinophiliesyndrom oder systemischer Mastzellerkrankung mit
assoziierter Eosinophilie eingesetzt. Eine neue onkogene Tyrosinkinase, generiert
durch die Fusion des Fip1-like1 (FIP1L1) Gens mit dem platelet derived growth factor receptor α (PDGFRA) Gen, konnte hierbei als Zielmolekül identifiziert werden. Die Identifikation des
FIP1L1-PDGFRA -Fusionsgens lässt auf eine gewisse Gemeinsamkeit hinsichtlich molekularer Pathogenese
zwischen Hypereosinophiliesyndrom und systemischer Mastozytose mit assoziierter Eosinophilie
schließen. Das Screening auf FIP1L1PDGFRA bei Patienten mit systemischer Mastozytose mit assoziierter Eosinophilie oder mit
dem klinischen Bild eines Hypereosinophiliesyndroms stellt eine rationale Basis für
therapeutische Überlegungen dar. Während Patienten mit positivem FIP1L1PDGFRA -Nachweis als STI571-sensibel gelten können, spricht im Gegenzug der Nachweis einer
c-kit-Mutation in der enzymatischen Region (Asp816Val) für eine Resistenz auf STI571.
Aufgrund der besonderen Konstellation hinsichtlich klinischem Bild und dem guten Ansprechen
auf STI571 wird von einigen Autoren eine Reevaluation der WHO-Klassifikation der systemischen
Mastozytosen vorgeschlagen, in der die FIP1L1-PDGFRA -positiven systemischen Mastozytosen eine besondere Erwähnung finden [40 ].