In ärztlichen Gemeinschaftspraxisverträgen finden sich häufig Bestimmungen, welche
einseitig die Stellung des oder der Praxisgründer bzw. Altgesellschafter im Verhältnis
zu hinzukommenden Gesellschaftern bevorzugen sollen. Dieses Anliegen der Altgesellschafter
ist sachlich in der Regel dadurch begründet, dass einerseits deren Leistungen bei
Gründung und Aufbau der Praxis angemessen berücksichtigt werden sollen. Andererseits
sehen Gemeinschaftspraxisverträge häufig vor, dass der Neugesellschafter für seinen
Eintritt in die Praxis keine Einlage zahlen muss und das Gesellschaftsvermögen bei
den Altgesellschaftern verbleibt. In den Ausscheidensbestimmungen von Gemeinschaftspraxisverträgen
wird daher zur Stärkung der Stellung der Altgesellschafter häufig eine gesellschaftsvertragliche
Regelung aufgenommen, die dem oder den Altgesellschaftern das Recht einräumt, Mitgesellschafter
ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes aus der Personengesellschaft auszuschließen.
Bisherige BGH-Rechtsprechung
Bisherige BGH-Rechtsprechung
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) wurde jedoch ein
solches "Hinauskündigungsrecht" grundsätzlich als Verstoß gegen § 138 BGB angesehen,
weil das freie Kündigungsrecht des oder der anderen Gesellschafter von dem von der
Kündigung bedrohten Gesellschafter als Disziplinierungsmittel empfunden werden könne,
mit der Folge, dass er nicht frei von seinen Mitgliedschaftsrechten Gebrauch mache
oder seinen Gesellschafterpflichten nicht nachkomme, sondern sich jeweils den Vorstellungen
der anderen Seite beuge. Der BGH hat von diesem Grundsatz in der Vergangenheit Ausnahmen
nur dann anerkannt, wenn wegen "außergewöhnlicher Umstände" die Vereinbarung einer
Hinauskündigung sachlich gerechtfertigt sei. Da der BGH die "außergewöhnlichen Umstände"
nicht näher konkretisiert hatte, bestand bei in Gemeinschaftspraxisverträgen vereinbarten
"Hinauskündigungsrechten" bisher keine Rechtssicherheit hinsichtlich der Rechtmäßigkeit
entsprechender gesellschaftsvertraglicher Regelungen.
Urteil des OLG Hamm vom 17.3.2004 (Az.: 8 U 29/03)
Urteil des OLG Hamm vom 17.3.2004 (Az.: 8 U 29/03)
So hatte beispielsweise das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 17.3.2004, Az.:
8 U 29/03, ein vertraglich vereinbartes "Hinauskündigungsrecht" für zulässig erachtet.
Dem Urteil lag eine Klausel in einem Gesellschaftsvertrag zwischen seit 7 Jahren
gemeinsam praktizierenden HNO-Ärzten zu Grunde, die für den Praxisgründer das Recht
begründet hat, den neu hinzugekommenen Gesellschafter ohne wichtigen Grund hinaus
zu kündigen.
Dem Vorbringen des gekündigten Arztes, dass diese Klausel sittenwidrig und damit
nichtig sei, ist das OLG Hamm nicht gefolgt, da das Gericht die Hinauskündigung
des Klägers wegen "außergewöhnlicher Umstände" als ausnahmsweise sachlich gerechtfertigt
angesehen hat. Die von der bisherigen Rechtsprechung des BGH aufgeführten Gründe,
die regelmäßig Veranlassung geben, ein solches "Hinauskündigungsrecht" als sittenwidrig
anzusehen, seien aufgrund der Besonderheiten der Fallgestaltung nicht gegeben. Den
Gesichtspunkten, denen der BGH nach seiner eingangs angeführten bisherigen Rechtsprechung
veranlasst haben, das "Hinauskündigungsrecht" als Verstoß gegen § 138 BGB zu bewerten,
hat das OLG Hamm im Streitfall nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Nach Ansicht
des OLG Hamm werde der Kläger nämlich durch die Geltendmachung des Ausschließungsrechts
nicht wesentlich gegenüber der Situation benachteiligt, die gegeben wäre, wenn die
Gesellschaft nach den gesetzlichen Regeln gekündigt und liquidiert würde. Hätte
der Beklagte ohne Geltung der streitgegenständlichen Klausel nach 723 Abs. 1 BGB
gekündigt, wäre die Gesellschaft zu liquidieren gewesen. Das hätte nach Ansicht
des OLG zur Folge gehabt, dass Verbindlichkeiten der Praxis beglichen und eventuell
dem Personal gekündigt worden wäre, das Vermögen verteilt und die Einlagen zurückgewährt
worden wären. Faktisch hätte jedoch nur der Beklagte die Praxis am bisherigen Standort
alleine weiterführen können, da nur der Beklagte alleiniger Mieter der Praxisräume
und Eigentümer des Praxisinventars gewesen ist. Da insoweit auch bei der gesetzlich
vorgesehenen Auflösungskündigung der Kläger der weichende Gesellschafter gewesen
wäre, liege in der Möglichkeit des Beklagten, ein tatsächlich und wirtschaftlich
vergleichbares Ergebnis durch die faktische Ausschließung nach der vertraglichen
Vereinbarung im Gemeinschaftspraxisvertrag zu erreichen, keine derart erhebliche
Belastung des Beklagten, die zur Sittenwidrigkeit der Klausel nach § 138 BGB führe.
Dies gelte nach Ansicht der Berufungsinstanz jedenfalls dann, wenn wie im Streitfall
der Kläger seine Zulassung als Vertragsarzt behält und ihm damit die Möglichkeit
eröffnet ist, im Planungsbereich seine Berufstätigkeit in eigener Praxis fortzusetzen
oder sich einer anderen Facharztpraxis anzuschließen. Gerade diese fortbestehende
Zulassung als Vertragsarzt bot nach Ansicht des OLG Hamm die realistische Chance,
auch außerhalb der Gesellschaft mit dem Beklagten den bisherigen Beruf erfolgreich
auszuüben.
Anmerkung zum Urteil des OLG Hamm
Anmerkung zum Urteil des OLG Hamm
Die Feststellungen des OLG Hamm vermögen nicht zu überzeugen, weil das OLG Hamm
dem Gesichtspunkt, dass durch die Möglichkeit eines jederzeitigen und unter Umständen
willkürlichen Ausschlusses in nicht zu billigender Weise Druck auf den betroffenen
Gesellschafter ausgeübt werden kann, nur aus rein faktischen Gründen zum Zeitpunkt der Ausübung des Hinauskündigungsrechts untergeordnete Bedeutung
beimisst. Die bisherige Rechtsprechung des BGH berücksichtigt demgegenüber jedoch
ausschließlich "außergewöhnliche Umstände" bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages, da die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäftes nach
den Umstände bei Abschluss dieses Rechtsgeschäftes beurteilt werden muss. Darüber
hinaus erachtet die Rechtsprechung des BGH allein die Möglichkeit, dass ein "Hinauskündigungsrecht"
als Disziplinierungsmittel genutzt werden kann, als ausreichend, eine entsprechende vertragliche Regelung als sittenwidrig zu
beurteilen.
Urteil des BGH vom 8.3.2004 (Az.: II ZR 165/02)
Urteil des BGH vom 8.3.2004 (Az.: II ZR 165/02)
Gegen das vom OLG Hamm vertretene Ergebnis spricht aber insbesondere, dass die Gemeinschaftspraxis
zum Zeitpunkt der Kündigung zwischen beiden Ärzten schon ca. sieben Jahre bestanden
hatte, also eine Zeitspanne, in der nach der neueren Rechtsprechung des BGH davon
auszugehen ist, dass ein einseitiges Ausschließungsrecht eines Gesellschafters im
Grundsatz nicht mehr anerkannt werden kann. Insoweit hat nämlich der BGH erstmals
mit Urteil vom 8.3.2004 (Az.: II ZR 165/02) entschieden, dass in einer "seit Jahren"
bestehenden ärztlichen Gemeinschaftspraxis Gründe vorliegen können, die es bei Abwägung
der allseitigen Interessen als gerechtfertigt erscheinen lassen, dass die Altgesellschafter
auch ohne Vorhandensein eines in der Person des anderen Gesellschafters liegenden
wichtigen Grundes, dessen Gesellschafterstellung einseitig beendigen können. Zur
Begründung hat der BGH unter anderem angeführt, dass die bisherigen Gesellschafter,
die einen ihnen weitgehend unbekannten Partner aufgenommen haben, erheblichen Gefahren
ausgesetzt sein können, wenn sich erst nach einer gewissen Zeit der Zusammenarbeit
herausstellt, dass das zwischen den Gesellschaftern notwenige Vertrauen nicht besteht
und sie in ihrer Berufsausübung nicht miteinander harmonieren. Zwar hat der BGH
für die nach seiner Auffassung zulässige "Probezeit" keinen festen Zeitraum vorgegeben,
jedoch klargestellt, dass jedenfalls eine Prüfungsfrist von zehn Jahren den als
gerechtfertigt anzuerkennenden zeitlichen Rahmen des "Hinauskündigungsrechts" bei
weitem überschreite.
Insoweit wird man in Anknüpfung an die zivilrechtliche Rechtsprechung zu den zeitlich
zulässigen Grenzen eines vertraglichen Wettbewerbsverbot zumindest eine Zeitspanne
von 2-3 Jahren ohne Bedenken für zulässig erachten dürfen, nicht jedoch einen Zeitraum
von über sieben Jahren, welcher dem vom OLG Hamm zu entscheidenden Sachverhalt zugrunde
lag.
Da der BGH mit seinem neuen Urteil offensichtlich den Bedürfnissen der Praxis nach
einer Richtschnur für die Lösung der sich in der Praxis regelmäßig stellenden Frage
nach der Zulässigkeit eines Hinauskündigungsrechts geben wollte, sollte entsprechend
der neuen Rechtsprechung des BGH ein vertraglich vereinbartes Hinauskündigungsrecht
auch nur dann als zulässig angesehen werden, wenn dieses dazu dient, dass den alten
Gesellschaften binnen einer angemessenen Frist die Prüfung ermöglicht wird, ob zu
dem neuen Partner das notwendige Vertrauen hergestellt werden kann und ob die Gesellschaft
auf Dauer in der für die gemeinsame Berufsausübung erforderlichen Weise harmonisieren
kann.
Es bleibt daher zu hoffen, dass der BGH seine Rechtsprechung im Rahmen des bereist
anhängigen Revisionsverfahrens weiter konkretisieren wird, um zu vermeiden, dass
Vertragsgestaltungen, in denen das Praxisinventar im Sonderbetriebsvermögen des
Praxisgründers bleibt und auch der Mietvertrag nicht von der neu gegründeten Gemeinschaftspraxis
fortgeführt wird, dazu führen, im (zahn-)ärztlichen Gemeinschaftspraxisvertrag vereinbarte
einseitige "Hinauskündigungsrechte" auch ohne sachlich zeitliche Beschränkung für
zulässig zu erachten.