Angst zählt zu den grundlegenden Emotionen des Menschen und beeinflusst als biosoziales
Signal entscheidend interpersonellen Umgang und die risikobewusste Auseinandersetzung
mit der Umwelt. Angst drückt Bedrohung aus, verweist auf Gefahren und ist somit eine
biologisch nicht nur sinnvolle, sondern lebenserhaltende und daher evolutionsbiologisch
hochkonservierte Emotion. Durch ein Zuwenig oder ein Zuviel kann sie jedoch psychopathologische
Relevanz erlangen. Angstzustände treten in diesem Kontext als Symptom psychiatrischer
Erkrankungen relativ häufig auf. Angststörungen hingegen verweisen als eigene diagnostische
Entität auf Ängste, deren Ausmaß und Persistenz unverhältnismäßig stark sind und mit
hohem Leidensdruck sowie ausgeprägter psychosozialer Behinderung einhergehen. Aus
epidemiologischer Sicht zählen Angststörungen mit einer Lebenszeitprävalenz von bis
zu 25 % neben anderen affektiven Erkrankungen, wie unipolare oder bipolare Depression,
zu den häufigsten Krankheitsbildern weltweit. Darüber hinaus zeigen klinische und
epidemiologische Untersuchungen eine ausgeprägte Komorbidität von Angststörungen mit
anderen psychiatrischen Erkrankungen wie Sucht- und affektiven Erkrankungen sowie
Persönlichkeitsstörungen [8].
Tiermodelle in der psychiatrischen Grundlagenforschung
Tiermodelle in der psychiatrischen Grundlagenforschung
Zum besseren Verständnis der Regulation des physiologischen und pathologischen Angstverhaltens
sowie der zugrundeliegenden neurobiologischen Mechanismen bedarf es adäquater Tiermodelle.
Tierexperimentelle Untersuchungen sind seit langem unerlässlicher Bestandteil der
Erforschung neuronaler Substrate von Angst und Furcht bzw. deren pathologischer Ausprägung
sowie der Neuentwicklung kausaler Behandlungsmöglichkeiten [10]
[20]
[21]. Trotz fortschreitender technischer Möglichkeiten der Untersuchungsmethoden, z.B.
in der Bildgebung, entziehen sich vor allem neurobiologische Grundlagen der direkten
Untersuchung am Patienten. Darüber hinaus verbieten ethische Prinzipien die invasive
Erforschung zentralnervaler Vorgänge oder die Charakterisierung neuer therapeutischer
Ansätze am Menschen. Obgleich zahlreiche Untersuchungen auch an Zell- oder Organkulturen
durchgeführt werden können, gestattet die Komplexität des Gesamtorganismus bzw. des
Gehirns nur selten die Ableitung von Gesetzmäßigkeiten aus den Eigenschaften isolierter,
deafferentierter Zellen. Einen experimentellen Zugriff zum Substrat der Generierung
von Emotionen und Verhalten, d.h. dem Gehirn, bietet letztlich nur ein geeignetes
Tiermodell. Die adäquate Nutzung von Tiermodellen ist daher in der biomedizinischen
Forschung von grundlegender Bedeutung [23].
Der Terminus „Tiermodell” wird in der psychiatrischen Grundlagenforschung als Überbegriff
für verschiedene methodische Ansätze verwendet [24]. Er umfasst zum einen Verhaltenstests, bei denen bestimmte Verhaltensweisen wie
Angst oder Passivität durch einen situativen Kontext oder pharmakologische Manipulationen
hervorgerufen werden. Zum anderen beinhaltet er Modelle, in welchen Tiere aufgrund
von Genmanipulationen oder selektiver Zucht ein basal verändertes, angeborenes Verhalten
aufweisen. Da psychiatrische Erkrankungen, neben Schizophrenie insbesondere auch affektive
Störungen und Angsterkrankungen, in hohem Maße genetisch determiniert sind, bietet
der letztgenannte Ansatz möglicherweise den derzeit vielversprechenderen Ansatzpunkt.
Mittels selektiver Züchtung kann die genetische Basis eines Tierstammes derart verschoben
werden, dass Individuen resultieren, die Verhaltensextrema aufweisen. Bei diesen können
die den Verhaltensauffälligkeiten zugrunde liegenden neurobiologischen Charakteristika,
wie z.B. neuroendokrine Veränderungen, untersucht werden. Vorteil ist hierbei, dass
Verhaltensextreme ohne externe Manipulation im Sinne von Genmanipulation oder vorheriger
Stressexposition erzielt werden, d.h. kompensatorische Mechanismen, welche die zu
untersuchenden neurobiologischen Korrelate möglicherweise verfälschen könnten, sind
nicht zu erwarten [21].
Grundvoraussetzung jedweder biomedizinisch-tierexperimenteller Forschung ist die Anwendung
von Modellen mit phänotypischer, prädiktiver und Konstrukt-Validität [5]. Dies bedeutet im Kontext psychiatrischer Erkrankungen, dass untersuchte Verhaltensweisen
bzw. Emotionen evolutiv konserviert sein müssen, d.h. Tiermodell und Mensch sollten
in entsprechenden Situationen auf der Verhaltensebene analog reagieren (= phänotypische
Validität). Für relevante neurobiologische Mechanismen wie z.B. Neurotransmitter-
und Neuromodulatorsysteme, Rezeptoren sowie Neuroanatomie von Hirnregionen kann hierbei
sogar Homologie angenommen werden (= Konstrukt-Validität). Dies gilt insbesondere
auch für Nagetiere, welche die in der biomedizinischen Forschung am häufigsten verwendeten
Versuchstiere repräsentieren. Darüber hinaus sollte ein geeignetes Tiermodell das
Kriterium der prädiktiven Validität erfüllen, d.h. auf Pharmaka sollte eine vergleichbare
Reaktion erfolgen, welche Rückschlüsse auf eine mögliche klinische Wirksamkeit erlaubt
(z.B. Anxiolyse). Zu beachten ist hierbei, dass sich die potentielle klinische Wirksamkeit
einer therapeutischen Intervention eventuell nur in einem pathologisch veränderten
System abbilden lässt. Die sorgfältige Auswahl des geeigneten Tiermodells ist somit
im Kontext der prädiktiven Validität vor allem auch bei der Entwicklung neuer Therapiestrategien
von grundlegender Bedeutung, da andernfalls das Risiko falsch negativer Befunde unverhältnismäßig
hoch sein kann.
Eine erfolgreiche Strategie in der Untersuchung von Genen und Proteinen, die der Neurobiologie
psychiatrischer Erkrankungen möglicherweise zugrunde liegen, beruht auf dem Einsatz
genetisch veränderter Nager [6]. Als weitere genetische Ansätze in der präklinisch-psychiatrischen Forschung seien
die selektive Züchtung von Tieren sowie der Einsatz von Inzuchtstämmen, wie zum Beispiel
C57BL/6- und DBA/2-Inzuchtmausstämme, genannt [25]. Von großer Bedeutung unter den psychiatrischen Tiermodellen sind darüber hinaus
Verhaltenstests, bei denen bestimmte Verhaltensweisen wie Angst oder Passivität durch
furchtauslösende oder stressassoziierte Stimuli sowie durch gezielte pharmakologische
Manipulation hervorgerufen werden [26]. Als Beispiel für die am Max-Planck-Institut für Psychiatrie verwendeten ethologischen
Modelle seien der Elevated plus maze- [Abb. 1], der Modified hole board- [Abb. 2] sowie der Forced swimming Test [2] genannt.
Stresshormonsystem (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse)
Stresshormonsystem (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse)
Die Reaktion auf eine akute Stresssituation ist durch zwei physiologische Mechanismen
geprägt: Die erste, unmittelbare Antwort wird durch das katecholaminerge System in
einer sog. „fight or flight”-Reaktion vermittelt. Die darauf folgende Stressreaktion
geschieht über das Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden (HPA)-System, das über
eine adrenokortikale Ausschüttung von Kortikosteroiden - Kortisol beim Menschen, Kortikosteron
bei Ratten und Mäusen - entscheidend zu einer Wiederherstellung der physiologischen
Homöostase beiträgt [17]. Eine Störung in den Rückkoppelungsmechanismen des Stresshormonsystems sowie durch
schweren, langandauernden Stress gekennzeichnete Situationen führen zu chronisch erhöhten
Konzentrationen an zirkulierenden Kortikosteroiden. Diese Störung im HPA-System wiederum
gilt als ein wesentlicher Vulnerabilitätsfaktor in der Entstehung von chronischen
Krankheiten, unter anderem von Depression und Angsterkrankungen [12].
Auffälligkeiten in der Regulation des HPA-Systems führten, gestützt durch klinisch-neuroendokrinologische
Funktionsanalysen sowie tierexperimentelle Untersuchungen, zur Formulierung der Kortikosteroidrezeptor-Hypothese
der Depression [11]. So nimmt man eine Minderfunktion der Glukokortikoid (GR)- und der Mineralokortikoid
(MR)-Rezeptoren an, welche die HPA-Achse im Wesentlichen regulieren. Dies wiederum
führt zu einer Überaktivität des Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH)- sowie des Arginin-Vasopressin
(AVP)-Systems [13]
[14]
[16], die unter anderem für die Symptomatik affektiver Erkrankungen verantwortlich sind.
In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass alle bislang untersuchten Antidepressiva,
welche eine hohe therapeutische Wirksamkeit bei Angsterkrankungen aufweisen, zu einer
im Detail noch unbekannten Normalisierung der krankheitsassoziierten Hyperaktivität
des HPA-Systems und damit der klinischen Symptomatik führen. Da dieser Effekt jedoch
erst mit einer großen Latenz eintritt, wurde vorgeschlagen, im Sinne kausaler Therapiestrategien
das dysregulierte CRH- bzw. AVP-System direkt pharmakologisch zu antagonisieren. Dies
führte zur Entwicklung von Antagonisten des CRH-1-Rezeptors [15] bzw. des AVP-1B-Rezeptors [7], welche jedoch noch nicht im klinischen Einsatz sind. Insbesondere vor diesem Hintergrund
erscheint die weiterführende Charakterisierung der HPA-Achsenregulation am Menschen
sowie im Tiermodell von großer Wichtigkeit, um neue, zielgerichtete Therapiemöglichkeiten
für Depression und Angsterkrankungen zu ermöglichen.
Humangenetische Untersuchungen bei Angsterkrankungen
Humangenetische Untersuchungen bei Angsterkrankungen
Die Untersuchung molekularbiologischer Grundlagen der Angst stellt eine immense Herausforderung
dar. Genetische Analysen komplexer Verhaltensweisen werden durch die Tatsache kompliziert,
dass eine Vielzahl an unterschiedlichen, interagierenden Genen involviert ist, die
wiederum in steter Wechselwirkung mit Umweltfaktoren stehen. Neben den bereits erwähnten
genetischen Mausmodellen (z.B. selektives Züchten, Inzuchtmausstämme, transgene Tiere)
zur Erforschung der Ätiologie psychiatrischer Erkrankungen gibt es mittlerweile zahlreiche
humangenetische Untersuchungen, die eindeutig belegen, dass Angst oder Depression
wesentlich durch genetische Faktoren determiniert werden [4]. So schätzt man, ausgehend von Befunden von Zwillings- und Adoptionsstudien, den
Einfluss genetischer Effekte auf die Pathogenese von Angsterkrankungen auf bis zu
65 % [9]. Desweiteren deutet der Umstand, dass erstgradig Verwandte von Patienten mit Angsterkrankungen
ein vier bis sechsfach erhöhtes Krankheitsrisiko tragen, auf einen familiären bzw.
genetischen Hintergrund hin.
Die genetische Komponente dieser Erkrankung ist jedoch komplex und polygenisch, d.h.
zahlreiche Gene mit kleinsten Effekten verursachen eine erhöhte Krankheitssuszeptibilität,
wobei schließlich Gen-Umwelt-Interaktionen den Ausbruch fördern bzw. den Grad der
Ausprägung determinieren können. Aufgrund dieser Komplexität konnten bisher auch nur
wenige erfolgreiche genetische Analysen durchgeführt werden, die auf klassischen Kopplungsverfahren
(Linkage) beruhen. Die wenigen Befunde aus humanen genomweiten Linkage-Analysen, die
chromosomale Regionen verantwortlich für Angst bzw. Angsterkrankungen identifizierten,
ergaben Hinweise auf krankheitsrelevante Loci auf Chromosom 7p [19] und 9q [27].
Linkage-Verfahren sind jedoch wenig geeignet, die Interaktionen von multiplen genetischen
Loci zu verstehen. Daher wurde, gestützt durch die Entschlüsselung des humanen Genoms
sowie die Etablierung von Hochdurchsatz-Genotypisierungsverfahren, eine alternative
Strategie und Methode des genetischen Screenings entwickelt, die darauf beruht, genetische
Polymorphismen, sog. Single nucleotide polymorphisms (SNPs), im Genom zu untersuchen
[1]. Ein SNP besteht aus einem einfachen Basenaustausch, der ungefähr alle 1000 Basen
entweder in kodierenden oder nicht kodierenden Abschnitten der DNA auftritt. Zum einen
können diese Polymorphismen funktionell sein, d.h. Änderungen im Transkriptom hervorrufen,
zum anderen gelten sie als genetische Marker für andere krankheitsassoziierte genetische
Mutationen, mit denen sie in einem Kopplungsungleichgewicht stehen [1]. Aufbauend auf diese Methode werden Fall-Kontroll-Assoziationsstudien durchgeführt.
Diese unter anderem am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München etablierten
Untersuchungen dienen dazu, genetische Assoziationen von psychiatrischen Erkrankungen,
wie beispielsweise Angststörungen, mit Polymorphismen (SNPs) in spezifischen Kandidatengenen
aufzuklären. Auf diese Weise konnten z.B. genetische Veränderungen im Adenosin 2a
(A2aAR)-Rezeptor [3] bzw. im Serotonin-Transporter (SERT) [18] gefunden werden, die signifikant häufiger bei Patienten mit Angsterkrankungen auftreten.
Diese Marker könnten somit als Vulnerabilitätsfaktoren angesehen werden, wobei deren
pathobiologische Relevanz durch weiterführende klinische und präklinische Studien
im Detail noch geklärt werden muss.
Aktuelle Konzepte beruhen daher kurz zusammengefasst im Wesentlichen auf zwei Überlegungen:
Erstens sollen in geeigneten Tiermodellen jene neurobiologischen Systeme, die spezifisch
für angstassoziiertes Verhalten sind, identifiziert, charakterisiert und validiert
werden. In einem zweiten Schritt sollen im Sinne des „translational research” die
Ergebnisse aus den präklinischen Untersuchungen an Angstpatienten mittels humangenetischer
Analysen weiter validiert werden, um so möglicherweise neue, kausale Therapieansätze
definieren zu können.
Abb. 1 Dieser Test, der ursprünglich zur Untersuchung von anxiolytischen bzw. anxiogenen
Eigenschaften von Pharmaka entwickelt wurde, beruht auf dem inneren Konflikt der Versuchstiere
zwischen ihrem Explorationsdrang auf der einen und der angeborenen Aversion gegenüber
offenen, hellen und erhöhten Kompartimenten auf der anderen Seite. Er gilt als einer
der nicht nur ethologisch, sondern auch pharmakologisch am besten validierten experimentellen
Prozeduren zur Charakterisierung des angeborenen, nicht konditionierten angstbezogenen
Verhaltens. Während der fünfminütigen Expositionszeit erfolgt die Erfassung folgender
Parameter: 1. Anzahl der Eintritte in die geschlossenen und offenen Arme, 2. die jeweils
darin verbrachte Zeit und 3. die Latenz bis zum ersten Eintritt in einen offenen Arm.
Je mehr Zeit in den offenen Armen verbracht wird, desto weniger ängstlich ist das
Tier.
Abb. 2 Dieser Test verbindet die Eigenschaften verschiedener selektiver Verhaltenstests
und erlaubt daher die gleichzeitige Messung einer breiten Palette von Verhaltensparametern.
Zusätzlich ermöglicht er die Aufrechterhaltung des Kontaktes der jeweils getesteten
Tiere mit der sozialen Gruppe und verhindert so Isolationsstress während des Tests.
Ängstliche Tiere zeigen u.a. ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten gegenüber dem ungeschützten
Areal.