Dr. Ulrich Böhling
Durch die positiven Entwicklungen in der Hüftendoprothetik motiviert, wurde 1973 die
erste endoprothetische Versorgungsmöglichkeit des oberen Sprunggelenkes entwickelt.
Nach einer anfänglich großzügigen Indikation für die aus zwei Komponenten bestehenden
und zementierbaren Prothesen erfolgte infolge der hohen Frühlockerungsraten eine Phase
der Skepsis und Zurückhaltung in den 80er-Jahren.
Erst mit der Entwicklung von zementfrei implantierbaren Sprunggelenkendoprothesen
Anfang der 90er- Jahre, die im Design eine Fortentwicklung hin zur 3-Komponenten-Endoprothese
erfuhren, gelang ein erneuter Aufschwung der Endoprothetik des oberen Sprunggelenkes.
Diese Systeme der zweiten Generation bestehen aus 3 Komponenten. Sie haben neben einer
tibialen und einer talaren Komponente ein relativ frei bewegliches Meniskallager,
bestehend aus Polyäthylen. Die Reduktion des Stress-Shieldings durch die mobilen Meniskallager
ist nach Ansicht verschiedener Autoren verantwortlich für die Verminderung der Einleitung
von mechanischen Scherkräften in die knöcherne Verankerung der Prothesenkomponenten
und somit wesentliche Voraussetzung zur Reduktion aseptischer Lockerungen.
In Analogie zur Endoprothetik des Knie- und Hüftgelenkes ist für die zementfreien
Sprunggelenkendoprothesen im zwei Formen die Oberflächenbeschaffenheit realisiert
worden. So werden zum einen Prothesen verwandt, die mit einer makroporösen Oberflächenstruktur
versehen sind und ein sehr gutes Einwuchsverhalten in den klinischen Studien erfahren.
Das alternative Konzept sieht eine mikroporöse Oberflächenbeschichtung mit und ohne
Hydroxylapatitbeschichtung vor und weist ebenfalls in den klinischen Studien gute
kurz- und mittelfristige Ergebnisse bezüglich der knöchernen Verankerung auf.
Diese Fortschritte bezüglich Design und Oberflächenbeschaffenheit respektive knöcherner
Verankerung rücken die endoprothetische Versorgung des oberen Sprunggelenkes immer
mehr in das Augenmerk von Orthopäden und Unfallchirurgen gegenüber dem bisherigen
"Gold-Standard", der Arthrodese des oberen Sprunggelenkes. So ist zu berücksichtigen,
dass auch die Arthrodese unvorteilhafte Ergebnisse aufweist und in einer Größenordnung
von bis zu 20% eine signifikante Beteiligung benachbarter Gelenke bei abnormer Lasteinleitung
mit einer Arthrose-Inzidenz von 80% in diesen Gelenken nach 12 Jahren behaftet ist.
Die Erhaltung der Mobilität wird somit in zunehmendem Maße bei sicheren endoprothetischen
Versorgungsmöglichkeiten der rigiden Arthrodese gegenüberstehen.
Spezielle Anatomie und Biomechanik des oberen Sprunggelenkes:
Spezielle Anatomie und Biomechanik des oberen Sprunggelenkes:
Der Drehpunkt des oberen Sprunggelenkes liegt in der seitlichen Projektion in Verlängerung
der anatomischen Tibiaschaftachse, genau unterhalb der Spitze der beiden Malleolen.
Die Bewegungsachse verläuft sowohl in der frontalen als auch in der sagittalen Ebene,
von der Spitze des lateralen zur Spitze des medialen Malleolus. Sie steigt um 8° von
lateral nach medial an und ist in der sagittalen Projektion um 6° nach vorn gerichtet.
Durch neuere Untersuchungen wurde relativiert, dass der Talus bei Plantarflexion nach
medial rotiert und bei Dorsalflexion die Tendenz hat, nach außen zu rotieren. Bei
intaktem Ligamentum tibiofibulare anterius ist keine Außenrotation des Talus zu beobachten.
Erst bei einem insuffizienten Syndesmosenband wird eine pathologische Außenrotation
des Talus ermöglicht.
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Die posttraumatische Arthrose des oberen Sprunggelenkes gelangt in zunehmendem Maße
zur endoprothetischen Versorgung. Der vorgestellte Patient wies eine komplexe Verletzung
des tibiofibularen sowie des talofibularen Bandapparates auf. Im Rahmen der Primärversorgung
gelang keine hinreichende Stabilisierung. Es kam somit in der frühen postoperativen
Phase zur Subluxation des mobilen Polyäthy-leninlays. Im Rahmen der Revisionsoperation
wurde eine plastische Rekonstruktion nach Castaing in Kombination mit einer talofibularen
Bandplastik vorgenommen. Gegenstand der Untersuchung war es, das klinische und radiologische
Bild 6 Monate postoperativ zu beurteilen.
Die Primärversorgung erfolgte mit einer zementfrei, von ventral eingebrachten OSG-Endoprothese
mit mobilem Polyäthyleninlay. Die sekundäre Plastik wurde eine Woche postoperativ
durchgeführt. Sechs Monate postoperativ wurde der Patient klinisch und radiologisch
nachuntersucht. Klinisch wurde zur Beurteilung der Kofoed-Score verwandt. Radiologisch
wurde die Untersuchung im konventionell und im Scheuba-Apparat vorgenommen. Es zeigte
sich ein Punktanstieg im Kofoed-Score von präoperativ 27 Punkten auf postoperativ
93 Punkte. Die tibiotalare Aufklappung betrug 8° und der Talusvorschub 5 mm.
Eine endoprothetische Versorgung des oberen Sprunggelenkes ist unserer Einschätzung
nach bei verletztem Außenbandapparat möglich. Es sollte jedoch dessen plastische Rekonstruktion
primär mit einbezogen werden.
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Die Gelenkfläche der Trochlea tali ist in ihrem ventralen Anteil breiter als im dorsalen
Anteil. Da der Innenknöchel als medialer Part der Malleolengabel feststeht, muss der
Außenknöchel als ihr lateraler Anteil zwangsläufig Bewegungen in alle Richtungen ausführen.
Die intermalleoläre Distanz nimmt dabei beim Übergang von der Plantar- in die Dorsalflexion
um ca. 1,25 mm zu. Die Fibula beschreibt in der Incisiura tibiofibularis eine Rotationsbewegung
von ca. 2° nach außen und führt gleichzeitig eine vertikale und sagittale Bewegung
von anterior nach posterior aus. Die Führung, Limitierung und Sicherung der Bewegung
der Fibula und damit von entscheidender Bedeutung für die Führung und Sicherung der
Bewegung im oberen Sprunggelenk ist die Syndesmosis tibiofibularis. Die Gelenkverbindung
der distalen Fibula in der Incisura tibiae wird ausschließlich ligamentär geführt.
Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass die Durchtrennung aller distalen
Syndesmosen-Anteile eine Zunahme der tibiofibularen Diastase um durchschnittlich 7,3
mm nach sich ziehe. Unter diesen Bedingungen beträgt die pathologische Außenrotation
des Talus durchschnittlich 10°.
Eine aus einer chronisch instabilen distalen syndesmalen Gelenkverbindung resultierende
Subluxationsstellung des Talus kann somit eine wesentliche Ursache für eine Früharthrose
bei stattgehabten Pronationsinversionsverletzungen sein.
Kasuistik
Kasuistik
Berichtet wird über einen zum Operationszeitpunkt 54-jährigen Patienten. Aufgrund
einer posttraumatischen Arthrose des rechten oberen Sprunggelenkes erfolgte im Juni
2004 die Indikationsstellung zur endoprothetischen Versorgung. Anamnesetisch gab der
Patient an, 1984 ein schweres Distorsionstrauma seines rechten oberen Sprunggelenkes
ohne weitere knöcherne Verletzungen erlitten zu haben. Die Behandlung erfolgte durch
eine vierwöchige Ruhigstellung im Unterschenkelgipsverband. Im weiteren Verlauf kam
es insbesondere in den letzten Jahren zur zunehmenden belastungsabhängigen Schmerzentwicklung
mit Schwellneigung im oberen Sprunggelenk. Die Gehstrecke war stark eingeschränkt.
Das Tragen einer orthopädischen Schuhzurichtung erbrachte dem Patienten keine Erleichterung.
Zum Operationszeitpunkt war der Patient 72 kg schwer bei einer Körpergröße von 1,63
m. Der Kofoed-Score erbrachte präoperativ einen Wert von 27 Punkten für das linke
Sprunggelenk.
Abb. 1: Außenbandkomplex (Gray`s anatomy 1984).
Für die operative Versorgung wählten wir eine zementfrei zu implantierende Endoprothese
vom Typ AES der Firma Biomet-Merck. Die Oberfläche der Prothese ist Hydroxylapatit-beschichtet.
Das Inlay besteht aus Polyäthylen und ist frei beweglich in antero-posteriorer und
medio-lateraler Richtung. Seine Lage wird kontrolliert durch zwei eingebrachte Metallstifte.
Die Führung erfolgt durch die konkave Ausformung der talaren Gelenkfläche im antero-posteriorem
Verlauf.
Obgleich unter der Erstoperation nach Implantation der Komponenten unter manuellem
Supinationsstress eine pathologische Aufklappung mit Subluxation des Inlays auslösbar
war, erfolgte zunächst keine plastische Versorgung. Unter der Annahme, dass eine sechswöchige
Ruhigstellung im Gipsverband in betonter Pronationsstellung eine hinreichende Vernarbung
tibiofibularer Bandstrukturen nach sich ziehen könnte, wurde die Operation beendet.
Es zeigte sich jedoch in der unmittelbaren postoperativen Kontrolle, dass es bereits
zu einer lateralen Subluxation des Inlays gekommen war. Um eine Abschwellung des Wundbereichs
zu gewähren, erfolgte sodann die Revision eine Woche nach Erstversorgung. Im Rahmen
der Revisionsoperation erfolgte zunächst die Eröffnung des ventralen Zugangs und erneute
Rezentrierung des Inlays.
Die Rekonstruktion des fibularen Bandapparates wurde über einen lateralen, ca. 20
cm langen Zugang durchgeführt. In dem Verfahren, das von Castaing beschrieben wird,
in der Modikation nach Grass et al., erfolgte zunächst die Rekonstruktion der tibio-fibularen
Syndesmosen-Strukturen. Zu diesem Zweck wird die M. peroneus longus-Sehne gespalten
und am freien Ende intertendinös angeschlungen. Es erfolgt sodann Anlegen eines a.p.-4-
mm-Bohrkanals, der 2,5 cm oberhalb der tibiotalaren Gelenkfläche und etwa 1,5 cm medial
des tibialen Randes der Incisur vom Tuberculum anterius zum Tuberculum posterius tibiae
gelegt wird. Der zweite, 3,5 mm dicke Kanal wird auf Höhe des Tuberculum posterius
fibulae schräg nach dorsal, kranial und medial gebohrt. Der dritte, 3,5mm-Bohrkanal
wird etwas kranialer, von der Mitte des Lateralaspektes der Fibula auf die Mitte der
Incisur und den ersten Bohrkanal gerichtet. Der an seinem freien Ende mit einem Faden
armierte halbe Peroneus-longus-Anteil wird zunächst in den sagittal verlaufenden tibialen
Bohrkanal auf Höhe des Tuberculum posterior fibulae eingebracht und der aus dem Tuberculum
anterius tibiae ausgeleitet. Mit einer Öse wird dieser im tibialen Bohrkanal liegenden
Armierungsfaden vom dritten Bohrkanal aus gefasst und aus dem dritten Bohrloch herausgezogen.
Von lateral nach medial ansteigend wird dann über den Vorderrand der Fascies articularis
malleolaris lateralis vor der Fläche des Außenknöchels und Vorderrand der Incisura
fibularis tibiae, in den ventralen 4,5 mm-Bohrkanal im Bereich des "Tubercule de Chaput"
geführt. Unter Straffung der vollständig durchgezogenen Sehne wird nun die Beweglichkeit
überprüft und selbige unter Spannung mittels einer 3,5 mm-Spongiosaschraube mit Kranzunterlegscheibe,
die in den anterioren Bohrkanal eingebracht wird, fixiert. Zur Sicherung der Sehnenplastik
wird eine temporäre Stellschraube plaziert.
Abb. 2: Die Prothese ist bestehend aus drei Komponenten und beschichtet mit Hydroxylapatit.
Die nunmehr erfolgte intraoperative Prüfung der tibiatalaren Stabilität wies weiterhin
eine pathologische vordere Schublade mit Subluxationsneigung des Meniskallagers auf.
Somit erfolgt die plastische Rekonstruktion des talo-fibularen Bandapparates. Zu diesem
Zwecke wird die Peroneus-brevis-Sehne zur Hälfte proximal abgesetzt und bis auf Höhe
des Talushalses mobilisiert. Im Bereich des Talushalses erfolgt von lateral eine V-förmige
Bohrung mit dem 3,5 mm-Bohrer. Des Weiteren eine schräg von ventral nach dorsal ansteigende
3,5 mm-Bohrung durch die distale Fibula, ca. 1 cm proximal der Fibulaspitze. Nunmehr
Durchziehen der fadenarmierten Peroneus-brevis-Sehne zunächst durch die Fibula und
sodann durch den Talushals sowie rücklüfig durch die Fibula in der von Watson-Jones
beschriebenen Methode. Hier wird die Sehne umgeschlagen, nach ventral gezogen und
auf die Plastik aufgenäht.
Nach dem Wundverschluss erfolgt die Ruhigstellung im Unterschenkelgipsverband in leichter
Pronationsstellung unter Neutralposition des Fußes. Nach Abschluss der Wundheilung
erfolgt die Anlage eines Kunststoffgipsverbandes in selbiger Position. Der Patient
wurde angehalten, eine Entlastung mit Fußbodenkontakt an zwei Unterarmgehstützen für
6 Wochen einzuhalten. Nach 6 Wochen erfolgte die Gipsabnahme und die Entfernung der
Stellschraube. Es zeigte sich jedoch, dass es zum Bruch der Stellschraube gekommen
war, was lediglich eine Teilentfernung ermöglichte. Im Rahmen der ambulanten Nachbehandlung
erfolgte ein physiotherapeutisches Programm etwa 4 Wochen mit Dehnungs- und Kräftigungsübungen.
Begleitet wurde dieses Programm durch die Verordnung manueller Lymphdrainagen.
Abb. 3: a Schematische Darstellung des Bandverlaufs und der Bohrkanäle. b tibialer
Bohrkanal(1), c erster fibularer Bohrkanal (2), d,e 2. fibularer Bohrkanal(3) nach
Grass et al. 1984
Abb. 4a, b: Bewegungsausmaß zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung 1/05.
Gute Resultate
Gute Resultate
Der Patient wurde 6 Monate postoperativ zur Nachuntersuchung einbestellt. Äußerlich
zeigten sich reizfrei verheilte Narben. Eine Schwellung im Seitenvergleich bestand
nicht. Im Rahmen der klinischen Nachuntersuchung unter Verwendung des Kofoed-Scores
beklagte der Patient einen gelegentlich verbleibenden Anlaufschmerz, insbesondere
morgendlich. Der Fersengang auf der operierten Seite war dem Patienten nicht möglich.
Die Supination lag bei 5° und die Pronation bei 10°. Es konnte somit ein Gesamtwert
von 93 Punkten festgehalten, was einem ausgezeichneten Ergebnis im Kofoed-Score entspricht.
Zur Beurteilung der Stabilität der fibulo-talaren Bandplastik wurde eine gehaltene
Röntgenuntersuchung im Scheuba-Apparat durchgeführt. Unter der üblichen Lasteinleitung
von 15 Kilopond in den beiden Ebenen zeigte sich eine tibiotalare Aufklappung von
8° und ein Talusvorschub von 5mm.
Fazit
Fazit
Die Insuffizienz der fibulotalaren und fibulotibialen Bandstrukturen im Rahmen der
endoprothetischen Versorgung einer posttraumatischen Arthrose des oberen Sprunggelenkes
bedarf der besonderen Aufmerksamkeit. In der Literatur wird die Inzidenz der rein
ligamentären Verletzung der Syndesmose in der Größenordnung von 1 bis 11% angegeben.
Die Insuffizienz der fibulotalaren Bandstrukturen liegt bei X%. Wenngleich sich das
operative Vorgehen der Implantation der Sprunggelenksendoprothese grundsätzlich an
der orthograden Ausrichtung der Gelenkflächen unter exakter Berücksichtigung der Biomechanik
im tibiotalaren Gelenk orientieren muss, ist die exakte Einhaltung des Alignment alleine
nicht in der Lage, eine Insuffizienz der ligamentären Strukturen zu kompensieren.
Eine sorgfältige präoperative Diagnostik sollte für das operative Vorgehen richtungsweisend
sein. Durch klinische Untersuchungsmethoden mithilfe des Tests nach Frick sowie des
distalen tibiotalaren Kompressionstests und des Palpationstests lässt sich eine Läsion
des Syndesmosen-Apparates erfassen. Die Prüfung der vorderen Schublade sowie der Supination
im oberen Sprunggelenk können klinisch sowie radiologisch im Scheuba-Apparat verifiziert
werden. Die Kernspintomographie besitzt in der Hand des geübten Untersuchers eine
hohe Sensitivität und hat die in den 80er- Jahren häufig durchgeführte Arthrographie
des OSG abgelöst.
Die operative plastische Rekonstruktion des tibiofibularen Bandapparates erscheint
uns in dem Verfahren nach Castaing bzw. in seiner Modifikation nach Grass et al. unter
besonderer Berücksichtigung des Ligamentum tibiofibulare interosseum sinnvoll und
Erfolg versprechend. Die plastische Rekonstruktion des insuffizienten talo-fibularen
Bandapparates weist in der Literatur eine Vielzahl von Methoden auf. In diesem von
uns beschriebenen Fall konnte das Verfahren, wie es von Watson-Jones beschrieben wurde,
eine gute Restitutio der fibulotalaren Stabilität erreichen.
Literatur beim Verfasser.
Böhling, U., H. Schamberger, J. Scholz
HELIOS Klinikum
Emil von Behring-Stiftung
Oskar-Helene-Heim
Klinik für Orthopädie, Berlin