Hintergrund
Extramedulläre Manifestationen (EML) akuter myeloischer Leukämien (AML) werden initial
häufig als Neoplasien wie Lymphome, Sarkome oder Karzinome fehlgedeutet [1 ]. Lokalisationen sind u. a. lymphoretikuläre Gewebe, Nervensystem, Haut, Schleimhäute
und Lunge [1 ]
[2 ]. Pulmonale Infiltrate werden oft primär als infektiös gewertet. Zeitlich gesehen
treten sie entweder synchron mit den initialen Blutbildveränderungen oder im Krankheitsverlauf,
selten auch isoliert als primäre EML auf [1 ]. Bei der AML mit extramedullärer Manifestation findet sich meist eine myelomonozytäre
oder monozytäre Differenzierung [1 ]. Der Verlauf von Fällen mit pulmonalen EML ist schlecht [3 ]. Bei AML mit pulmonaler Manifestation wurden bisher ausschließlich Fälle mit unzureichendem
Therapieansprechen oder Frühletalität beschrieben [3 ]
[4 ]
[5 ]
[6 ].
Wir berichten über eine Patientin mit initial günstigem Verlauf einer AML mit symptomatischer,
extramedullär-pulmonaler Manifestation.
Kasuistik
Eine 57-jährige Patientin wurde uns wegen einer therapieresistenten Pneumonie und
mit dem dringenden Verdacht auf eine akute Leukämie aus einer auswärtigen Klinik zugewiesen.
Seit Wochen bestanden Leistungsschwäche, Luftnot, Fieberschübe und Nachtschweiß. Bekannt
waren eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, arterielle Hypertonie, Linksherzinsuffizienz
und ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 2.
Die Patientin war in einem deutlich reduzierten Allgemein- und guten Ernährungszustand.
Über beiden Lungen waren eine basale Klopfschalldämpfung und inspiratorisch trockene
Rasselgeräusche ubiquitär zu verzeichnen. Es fand sich eine Anämie (Hämoglobin 7,3
mmol/l), Leukozytose (12 600/µl) und Thrombozytopenie (79 000/µl). Im Differentialblutbild
sahen wir 68 % Myeloblasten. Anhand der Knochenmarkzytologie (mittelgroße Blasten
mit Kernfurchung und leicht granuliertem Zytoplasma), Zytochemie sowie Immunphänotypisierung
(Blasten mit Expression von CD13/14/16/33/38/64 und HLA-DR; Koexpression von CD56
und schwach CD117, nicht jedoch CD34; Myeloperoxidase und Lactoferrin negativ) konnte
die Diagnose einer akuten monoblastären Leukämie (nach WHO; M5a nach FAB) gestellt
werden. In der Röntgenaufnahme des Thorax fielen ausgedehnte Verschattungen der Lungen
auf (Abb. [1 ]). Zur weiteren Abklärung des als therapierefraktäre Pneumonie interpretierten Befundes
führten wir eine Bronchoskopie mit anschließender bronchoalveolärer Lavage (BAL) durch.
Bronchoskopisch fanden sich keine Hinweise für eine Infektion; ebenfalls waren keine
direkten oder indirekten Tumorzeichen nachweisbar. In der BAL-Flüssigkeit des Mittellappens
(Spülung mit 60 ml physiologischer Kochsalzlösung, Rückgewinnung von 35 ml) fanden
sich zytologisch fast ausschließlich leukämische Blasten (Abb. [2 ]). Eine Computertomographie (CT) des Thorax zeigte konfluierende, fleckförmige Verschattungen
der Lungen (Abb. [3 ]) sowie vergrößerte axilläre und mediastinale Lymphknoten. Es lag somit eine AML
mit pulmonaler Manifestation vor. Die periphere Sauerstoffsättigung war unter 4 l
O2 /min mit 91 % erniedrigt. Die Blutgasanalyse erbrachte eine respiratorische Partialinsuffizienz
(pO2 53 mm Hg, pCO2 32 mm Hg); eine weiterführende Lungenfunktionsdiagnostik konnte aufgrund des schlechten
Allgemeinzustandes primär nicht durchgeführt werden.
Nach Sicherung der Leukämiediagnose begannen wir mit einer Induktionschemotherapie
bestehend aus niedrigdosiertem Cytarabin (100 mg/m2 , d1 - 7) und Idarubicin (12 mg/m2 , d3 - 5) [7 ]. Zur Eindämmung einer inflammatorischen Reaktion, und damit möglichen Verhinderung
einer Lungenfibrose, verabfolgten wir zusätzlich Prednisolon (100 mg/d für 5 Tage,
danach Ausschleichen über 30 Tage). Schon in den ersten Tagen nach Therapiebeginn
verbesserte sich der Allgemeinzustand und vor allem die Dyspnoe zusehends. Im weiteren
Verlauf führten wir Röntgenkontrollen (Abb. [4 ], nach drei Monaten) und eine erneute CT durch, welche eine deutliche Verbesserung
des pulmonalen Befundes und einen Rückgang der Lymphknotenschwellungen zeigten. Die
Knochenmarkpunktion nach der Induktionstherapie erbrachte eine komplette hämatologische
Remission (CR) der AML. Die Lungenfunktionsprüfung nach drei Monaten ergab noch eine
Restriktion (VC 49 %, FEV1 78 % der Norm) und deutliche Störung der Diffusionskapazität (DLCO 51 % der Norm). Wir führten zwei Konsolidierungstherapien durch (zunächst mit Cytarabin
[100 mg/m2 , d1 - 7] und Idarubicin [12 mg/m2 , d1 - 3], sodann mit mittelhochdosiertem Cytarabin [2 × 1000 mg/m2 , d1,3,5] und Mitoxantron [10 mg/m2 , d1 - 2]). Kurz vor der geplanten letzten Konsolidierungstherapie wurde die Patientin
im Heimatkrankenhaus unter dem klinischen Bild einer therapierefraktären Pneumonie
behandelt und verstarb leider dort innerhalb weniger Tage und insgesamt vier Monate
nach Erreichen der CR. Eine Obduktion wurde abgelehnt.
Abb. 1 Röntgenaufnahme des Thorax vor Therapie. Ausgedehnte Verschattungen beider Lungen.
Abb. 2 Zytologie der BAL. Monozytäre Blasten (1000x).
Abb. 3 CT des Thorax vor Therapie. Konfluierende, fleckförmige Verschattungen beider Lungen.
Abb. 4 Röntgenaufnahme des Thorax vor der zweiten Konsolidierungstherapie. Deutliche Rückbildung
der pulmonalen Infiltrate/Verdichtungen (mit noch narbigen Resten).
Diskussion
EML finden sich im Sektionsgut in 90 % der Leukämiefälle; speziell leukämische Infiltrationen
der Lunge bei AML werden in 28 % beschrieben [2 ]. Klinisch wird eine pulmonale Manifestation in 20 % der Fälle mit AML-M5 diagnostiziert
[3 ]. Pulmonale EML treten eher bei peripheren Blastenwerten von mehr als 40 % und Leukozytose
auf [3 ]
[8 ]. Da leukämische Infiltrationen der Lungen jedoch auch bei aleukämischem Blutbild
auftreten können, muss neben einer Leukostase auch eine aktive Adhäsion und Invasion
leukämischer Blasten diskutiert werden. Diese Vorgänge werden durch zelluläre Adhäsionsmoleküle
vermittelt und möglicherweise durch Zytokine induziert [9 ]
[10 ]. Extermann u. Mitarb. fanden unter 98 Patienten mit AML signifikant erhöhte Serumkonzentrationen
von löslichem L-Selektin (sL-Selektin, CD62L) im Falle einer extramedullären Manifestation
(46 von 98 Patienten). Lösliches L-Selektin (von sL-Selektin+ -Blasten abgeschieden) inhibiert die u. a. von zellgebundenem L-Selektin abhängige
Endothelzelladhäsion leukämischer Blasten. Diese Blasten können so über noch näher
zu charakterisierende Mechanismen in extramedulläre Gewebe immigrieren [9 ].
Interessanterweise kommen EML - so wie in unserem Fall - in bis zu 40 % bei Koexpression
von CD56 vor [1 ]
[11 ]. In vitro konnte ein homophiler CD56-CD56-Bindungsmechanismus beschrieben werden
[12 ]. CD56+ -Blasten können so an CD56+ -Zellen binden und in entsprechenden Geweben proliferieren [11 ].
Zum Nachweis pulmonal-neoplastischer Infiltrationen bei Malignomen wird neben einer
BAL auch eine transbronchiale Lungenbiopsie (TBLB) empfohlen. So konnte gezeigt werden,
dass die Wahrscheinlichkeit der korrekten Diagnose bei der Kombination BAL und TBLB
signifikant höher ist als bei alleiniger BAL [13 ]. In unserem Fall war die BAL jedoch bereits ausreichend. Bei hämatologischen Malignomen
und unklarer Infiltration der Lunge handelt es sich in 8,5 % der Fälle um neoplastische
und in der Mehrzahl (24 %) um infektiöse Infiltrationen; in 55 % der Fälle bleibt
die Ätiologie unklar [13 ]. In Fällen von AML und unklaren pulmonalen Infiltraten ist in 60 % ein diffuses
Bild im Lungenröntgen zu verzeichnen [13 ]. Bei AML mit gesicherter pulmonaler Beteiligung handelt es sich in den meisten Fällen
um alveoläre Infiltrationen; interstitielle Veränderungen werden weniger häufig beschrieben
(bis zu 25 %) [3 ]
[14 ].
Der Verlauf der AML-M5 mit pulmonaler Manifestation ist schlecht: Aus Daten von Azoulay
u. Mitarb. [3 ] geht hervor, dass alle 20 untersuchten Patienten mit AML-M5 und pulmonaler Beteiligung
intensivmedizinisch betreut werden mussten und sich alle im Verlauf respiratorisch
verschlechterten (Lyse-Pneumopathie); 75 % dieser Patienten wurden beatmet und 50
% verstarben während der Induktionstherapie. Die von uns angewandte zusätzliche Applikation
von Prednisolon hat möglicherweise dazu beigetragen, die kritische pulmonale Situation
der Patientin in soweit zu verbessern, dass eine Respiratortherapie vermieden und
die Chemotherapie toleriert werden konnte. Es muss spekulativ bleiben, ob der letztlich
doch letale Verlauf durch eine dauerhafte oder erneut eingesetzte Steroid-Medikation
hätte verhindert werden können. Weiterhin wurde in unserem Fall nicht geklärt, ob
sich hinter den residuellen pulmonalen Veränderungen (nach Chemotherapie) leukämische
Infiltrate verbergen, oder ob es sich um narbiges Gewebe handelt.
Schlussfolgerungen
Eine pulmonale Manifestation muss in differenzialdiagnostische Überlegungen bei Leukämie
und unklaren Lungenbefunden einbezogen werden. Bei therapieresistenter Pneumonie sollte
eine Bronchoskopie (mit BAL und ggf. TBLB) zur Diagnosesicherung durchgeführt werden.
Das - im Vergleich zur Literatur - gute Therapieansprechen bzw. der initial gute Verlauf
unseres Falles ist möglicherweise auf den Zusatz von Prednisolon zur antileukämischen
Therapie zurückzuführen. Diese Einzelbeobachtung sollte klinisch systematisch untersucht
werden.