Durch routinemäßige Bestimmung des Prostata spezifischen Antigens (PSA) ist die Zahl
der diagnostizierten Prostatakarzinome deutlich angestiegen. Allgemein wird ab einem
Wert über 4,0 ng/ml zur Biopsie geraten. Es gibt mittlerweile auch Daten die nahe
legen, dass Serumkonzentrationen von mehr als 2,5 ng/ml einen ähnlichen prädiktiven
Wert besitzen. Über den Bereich zwischen 0,0 und 4,0 ng/ml fehlen bisher jedoch prospektive
Untersuchungen.
Thompson et al. nutzten dafür nun die Daten des "Prostate Cancer Prevention Trial"
(NEJM 2004; 350: 2239-2246). Dieser ging in einem doppelblinden, plazebokontrollierten Design der Frage nach,
ob Finasterid die Inzidenz von Prostatakarzinomen senken kann. Für die vorliegende
Arbeit wurden nur die Teilnehmer der Plazebogruppe berücksichtigt, und von diesen
wiederum nur diejenigen, die niemals einen PSA-Wert über 4,0 ng/ml und einen abnormen
rektal-digitalen Tastbefund gehabt hatten. Zum Ende der 7-jährigen Studienphase sah
das Protokoll für alle Teilnehmer eine Prostatabiopsie vor.
Von den ursprünglich 9459 Teilnehmern der Plazebogruppe verblieben letztlich 2950
Männer, die sowohl die Voraussetzungen erfüllten als auch in eine Biopsie einwilligten.
Bei 449 (15,2%) von ihnen konnten die Autoren so ein Prostatakarzinom diagnostizieren.
Die Prävalenz der Tumoren betrug bei Männern mit PSA-Werten bis 0,5 ng/ml 6,6%, bei
Werten zwischen 0,6 und 1,0 ng/ml 10,1%, zwischen 1,1 und 2,0 ng/ml 17%, zwischen
2,1 und 3,0 ng/ml 23,9% und bei PSA-Werten zwischen 3,1 und 4,0 ng/ml 26,9%. Die Rate
hochgradiger Karzinome (Gleason-Score 7 und höher) stieg von 12,5% bei Werten bis
0,5 ng/ml auf 25% bei Werten zwischen 3,1 und 4,0 ng/ml.
Kumulative Inzidenz eines Prostatakarzinoms (nach PCPT-Studie, NEJM 2003: 349; 213-222).
Nach Ansicht der Autoren sind bioptisch diagnostizierte Prostatakarzinome einschließlich
hochgradiger Tumoren bei PSA-Werten bis zu 4,0 ng/ml nicht selten Werte, die gemeinhin
als normal angesehen werden.
Prostatakarzinom Grad II: "Drüsen-in-Drüsen"-Formation (Bild: Taschenatlas der allg. Pathologie, Thieme, 1998).
Prostatakarzinom Grad II: garbenartig angeordnete Zellformationen (Bild: Taschenatlas der allg. Pathologie, Thieme, 1998).
Dr. Johannes Weiß, Bad Kissingen
Erster Kommentar
Erster Kommentar
M. Krause
Die zentrale Frage ist: Welcher Tumor ist signifikant
Die Daten aus dem Prostate Cancer Prevention Trial (PCPT) bestätigen auf drastische
Weise, dass es auch unterhalb des Grenzwertes von 4,0 ng/ml nennenswert viele Prostatakarzinome
gibt, die nicht einfach als insignifikant bezeichnet werden können. Bei PSA-Werten
zwischen 2,1 und 4,0 ng/ml hat fast jeder vierte Mann ein stanzbioptisch gesichertes
Prostatakarzinom; davon ist immerhin jedes fünfte Karzinom mit einem Gleason- Score
von 7 oder höher signifikant. Methodisch bedingt lässt sich im PCPT keine Assoziation
zwischen dem Alter und dem Karzinomrisiko herstellen; auch war es unerheblich, ob
nur eine Sextantenbiopsie oder mehr Proben entnommen wurden. Die zentrale Frage ist:
Welcher Tumor ist signifikant - für die Indikation zur Radikalen Prostatektomie und
für das Leben des Patienten. Allgemein akzeptiert ist ein Mindestvolumen von 0,5 cm3,
um einen Tumor als signifikant zu bezeichnen. Solche Tumoren sind aber bei PSA-Werten
zwischen 2 und 4 ng/ml selten. Es müssen also folgende Fragen beantwortet werden:
Erstens, stimmt diese Definition des signifikanten Tumors noch?
Zweitens, dürfen oder müssen wir Patienten mit solchen PSA-Werten die Biopsie empfehlen
und drittens, welche Patienten sollen dann operiert werden? Was heißt schon signifikant?
Das Mindestvolumen von 0,5 cm3 ist ein rein deskriptives Kriterium, das retrospektiv
gewonnen wurde: In den pathologischen Serien wurde solange gerechnet, bis ein biologisch
diskriminierender Wert gefunden wurde. Ein zwar beliebtes, aber methodisch ziemlich
fragliches Verfahren. Es gibt keine prospektive Studie, die ein bestimmtes Tumorvolumen
auf seine prognostische Aussagekraft hin untersucht hätte (was auch kaum möglich ist).
Differenzierter sind die (allerdings auch retrospektiv errechneten) Epstein-Kriterien:
Gleason-Muster unter 4, weniger als 3 mm Karzinom in einem Stanzzylinder, nur ein
positiver Zylinder (von 3) und eine PSA-Dichte von unter 0,15 kennzeichnen einen insignifikanten
Tumor. Wahrscheinlich hat dieser Tumor dann ein Volumen von maximal 0,2 cm3. Dies
ist wohl eher die Grenze für einen signifikanten Tumor, insbesondere beim jüngeren
Patienten. Sicher finden sich bei Werten zwischen 2 und 4 ng/ml mehr Tumoren unter
0,5 cm3, häufiger mit einem Gleason-Score von unter fünf - ist solch ein Tumor bei
einem 52-jährigen Mann wirklich insignifikant für sein Leben? Wohl kaum. Biopsie unterhalb
des Grenzbereichs? Natürlich will man unnötige Biopsien bei einer Herabsetzung des
Grenzwertes vermeiden. Und, in Konsequenz, unnötige Operationen bei nicht bedrohlichen
Karzinomen. Das ist modern, das ist ethisch korrekt und überhaupt: Sagen Sie doch
Ihrer Frau, bei der anlässlich eines Mammographie-Screenings ein recht kleines Karzinom
gefunden wurde, sie solle sich keine Sorgen machen und bloß keine Operation über sich
ergehen lassen. Übrigens, Ihre Frau ist zur Mammographie gegangen, obwohl diese nur
einen positiven Voraussagewert von maximal 11% hat. Die Kosten der Mammographie waren
dabei kein Thema, und das ist auch gut so. Selbstverständlich wird sie die Biopsie
durchführen lassen; es war ihr ohne lange Aufklärung klar, das diese bei einem positiven
Röntgenbefund notwendig sein wird. Wie gefährlich ist denn nun unsere Prostatabiopsie?
Zu einer Katheterisierung wegen temporären Harnverhalts führt sie bei etwa 0,4% und
bei 0,5% der Männer ist einer Hospitalisierung notwendig. Diese Zahlen relativieren
sich, wenn bei der in der gesetzlichen Vorsorge verankerten Koloskopie Komplikationsraten
von 5% akzeptiert werden. Was tun? Wie immer darf der Patient mit abstimmen. Er wurde
ja auch vor der Blutentnahme über den PSA-Test aufgeklärt und bekam dazu als Entscheidungshilfe
alle noch offenen Fragen und die fehlenden Antworten dargelegt. Wer diese Aufklärung
psychisch unbeschadet überstanden hat, hat auch ein Recht auf die Biopsie. Er hat
das Recht, zu erfahren, ob er ein Karzinom in sich trägt.
Operation im Grenzbereich?
Akzeptieren wir einmal die Biopsie als notwendiges Instrument der Vorsorge, was uns
umso leichter fällt, je mehr die Therapie frühzeitig erkannter Karzinome zu einer
Senkung der Mortalität führt. Nun ist aber die Inzidenz fortgeschrittener Karzinome
bei über 50-jährigen Männern zwischen 1986 und 1999 um bis zu 70% zurückgegangen.
Dabei gibt es keinen Anhalt dafür, dass die Inzidenz des Prostatakarzinoms insgesamt
abgenommen hätte. Tatsächlich ist die Mortalität des Prostatakarzinoms in den hoch
und am höchsten entwickelten Industrienationen von 1979 bis 2001 deutlich zurückgegangen.
Nach den Daten der WHO findet sich in den USA, Deutschland, Großbritannien, Kanada,
Italien, Frankreich, Spanien u.a. eine Reduktion der alters-adjustierten Mortalität
von bis zu 5,1% pro Jahr. In Deutschland beträgt sie immerhin noch 3,6 % pro Jahr
seit 1994. Waren diese Ergebnisse international bisher nicht kohärent, so festigt
sich der Trend mit jedem Jahr der zusätzlichen Datenerfassung. Es fällt also extrem
schwer, hier keinen Zusammenhang mit der frühen Diagnostik durch PSA bzw. der frühen
definitiven Lokaltherapie zu sehen. Nur mit stage bzw. grade migration lassen sich
diese Beobachtungen nicht erklären. Ohne Test kein Verdacht, ohne Verdacht keine Diagnose.
Denken Sie an Ihre Frau.
Literatur beim Verfasser
Dr. Michael Krause, Bayreuth
Zweiter Kommentar
Zweiter Kommentar
M. Graefen
Der Umgang mit dem PSA-Wert ist komplex
Die von Thompson und Mitarbeitern publizierte Studie untersucht die Inzidenz von Prostatakarzinomen
in einer Gruppe von Männern, welche nach den allgemeinen Richtlinien kein Risiko für
ein Prostatakarzinom bergen. Der PSA-Wert dieser sehr gut untersuchten Patientengruppe
lag stets unter 4 ng/ml und die mehrfach über einen Zeitraum von 7 Jahren durchgeführte
digitale rektale Untersuchung war ebenfalls stets unauffällig. Laut Studienprotokoll
(es handelt sich hier um die Kontrollgruppe der Prostatakarzinom Präventionsstudie)
wurden diese Patienten biopsiert und in 15,2% dieser Männer fand sich ein Prostatakarzinom.
Die Inzidenz von Prostatakarzinomen lag aufgeschlüsselt nach den unterschiedlichen
PSA Werten bei 6,6% (PSA 0 - 0,5 ng/ml), 10,1% (PSA 0,6 - 1 ng/ml), 17% (1,1 - 2,0
ng/ml), 23,9% (2,1 bis 3 ng/ml) und 26,9% (3,1 - 4 ng/ml).
Bei jedem 4. Mann mit einem PSA-Wert zwischen 2,1 bis 4 ng/ml wurde ein Prostatakarzinom
gefunden. Diese erstaunlich hohe Inzidenz wirft die Frage auf, ob der traditionelle
PSA-Cut-off von 4 ng/ml noch zeitgemäß ist.
Als Meilenstein der Definition eines "normalen" PSA-Wertes unter 4 ng/ml ist sicherlich
die multizentrische Studie unter der Leitung von William Catalona von 1994 zu bewerten,
welche eine Inzidenz von Prostatakarzinomen von 31,9% der Männer mit einem PSA Wert
über 4 ng/ml gezeigt hatte und einen Cut-off von 4 ng/ml aufgrund dieser Inzidenz
empfohlen hatte. Ein nicht unwesentliches Detail dieser Studie beinhaltet jedoch,
dass nur Patienten mit einem PSA-Wert über 4 ng/ml überhaupt biopsiert wurden und
diese Grenze wurde relativ willkürlich festgelegt. Mit anderen Worten: Patienten mit
niedrigeren PSA Werten wurden nicht histologisch untersucht und unsere traditionelle
PSA-Grenze zur Durchführung einer Biopsie könnte bei 2 oder 3 ng/ml liegen, wären
die damaligen Studien anders konzipiert gewesen.
Die aktuelle Studie von Thompson et al. schließt diesen Bias aus und es wurden alle
Patienten biopsiert mit o.g. Inzidenzen in den niedrigen PSA-Bereichen. Bedeutet dies,
dass wir nun jeden Patienten mit einem PSA-Wert ab 2 oder 3 ng/ml biopsieren sollen?
Eine Antwort hierauf bietet die vorliegende Studie nicht. Eine Absenkung des "normalen"
PSA-Cut-offs würde zu einem dramatischen Anstieg von Prostatabiopsien führen. Weiterhin
stellt sich die Frage, ab welcher Inzidenz von Karzinomen ihre Entdeckung sinnvoll
ist; muss biopsiert werden, wenn die Inzidenz bei 17% (PSA-Cut-off 1,1 ng/ml) liegt
oder ist diese eine vernachlässigbare Häufigkeit und "lohnt" es sich erste zu biopsieren,
wenn die Inzidenz über 20% liegt? Ein großer Anteil gesunder Männer würde mit der
Möglichkeit einer Krebsdiagnose konfrontiert werden und auch in einer Zeit, in der
eine Prostatabiopsie ambulant und komplikationsarm durchgeführt werden kann, bedeutet
eine Absenkung des PSA-Cut-offs einen deutlichen gesundheitsökomischen Einschnitt.
Was spricht trotz der relativen hohen Inzidenz gegen eine Prostatabiopsie bei niedrigen
PSA-Werten? Aus Studien, deren Population aus Screening-Programmen mit durchschnittlich
niedrigeren PSA-Werten biopsiert wurde, zeigte die histologische Aufarbeitung der
Prostatektomie-Präparate dann in einem hohen Prozentbereich sog. klinisch insignifikante
Tumoren (Tumorvolumen <0,5 cm3, kein Gleason 4/5 Anteil). Somit birgt eine frühere und "aggressivere" Diagnostik
natürlich die Gefahr der Überdiagnostik und Übertherapie in sich. Zum anderen ist
auch nicht geklärt, ob die Prognose eines Prostatakarzinoms tatsächlich in den niedrigen
PSA-Bereichen durch ein Zuwarten unter PSA-Kontrolle und einer Detektion beispielsweise
bei einem PSA- Wert von 5 statt 3 ng/ml verschlechtert wird. Nach den Daten von Stamey
et al. soll die Prognose in diesen niedrigen PSA Werten (unter 10 ng/ml) nicht beeinträchtigt
werden.
Die viel zitierte Studie von Holmberg et al., in welcher Effektivität einer radikalen
Prostatektomie mit einer Wait-and-see- Strategie verglichen wurde, erreichte der Unterschied
im Gesamtüberleben dieser beiden Patientengruppen nach 7 Jahren (noch) kein Signifikanzniveau.
Die dort eingeschlossenen Tumoren waren jedoch sämtlich klinisch relevante Karzinome.
Oder anders formuliert: Ein Patient mit einem PSA-Wert unter 4 ng/ml und einem Prostatakarzinom
muss wissen, dass er eine noch recht lange Lebenserwartung haben muss, um tatsächlich
von einer aggressiven Therapie des so früh diagnostizierten Karzinoms zu profitieren.
Eine Senkung des PSA-Cut-offs würde definitiv dazu führen, dass mehr Tumoren entdeckt
werden. Was aber unklar bleibt, ist die Frage der klinischen Relevanz dieser Tumoren.
Das bislang nicht gelöste Problem der Differenzierung zwischen klinisch signifikanten
und klinisch insignifikanten Tumoren würde durch eine solche Strategie potenziert
werden. Die zurzeit publizierten Nomogramme, welche zu diesem Zweck entwickelt wurden,
sind sicherlich die besten Werkzeuge für eine solche Differenzierung. Ihre mangelnde
Spezifität zeigt aber auch die Grenzen der momentan verfügbaren Parameter zur Unterscheidung
harmloser und potenzieller letaler Tumoren auf. Dieses Dilemma kann nur gelöst werden,
wenn neue Biomarker zur Verfügung stehen, die eine Abgrenzung mit größerer Sicherheit
erlauben. Solange solche Parameter jedoch nicht zur Verfügung stehen, erscheint die
generelle Absenkung des PSA-Cut-offs eher Probleme aufzuwerfen als zu lösen.
Dennoch, die hohe Inzidenz der gefunden Karzinome und auch der Anteil niedrig-differenzierter
(und damit potenziell letaler) Tumoren hinterlässt ein ungutes Gefühl. Gerade bei
jungen Patienten, welche kaum eine begleitende Prostatahyperplasie als zusätzliche
Ursache einer PSA-Erhöhung aufweisen und welche allein aufgrund ihrer verbleibenden
Lebenserwartung von einem vorhandenen Prostatakarzinom bedroht würden, gibt die Thompson-Studie
Anlass, den traditionellen PSA- Cut-off von 4 ng/ml zu überdenken. In einem Kommentar
von Ballentine Carter zu der hier diskutierten Arbeit wird - nicht zum ersten Mal
- die Berücksichtigung des Alters zur Entscheidung, ob eine PSA Wert suspekt oder
nicht suspekt ist, gefordert. 6 Bei Männern unter 50 Jahren empfiehlt Carter einen
Cut-off von 2,5 ng/ml.
Was sollen wir unseren Patienten empfehlen? Die hier aufgeführten Ergebnisse sprechen
meiner Ansicht nach dafür, tatsächlich bei jungen Männern aggressiver zu diagnostizieren.
PSA-Cut-offs welche - wie von Carter vorgeschlagen - bei Männern unter 50 bei 2,5
ng/ml und bei Männern unter 60 Jahren bei 3,5 ng/ml liegen könnten, erscheinen nach
diesen Ergebnissen der vorliegenden Studie besser als eine generelle Grenze von 4
ng/ml über alle Altersgruppen hinweg. Konsequent sollte aber auch bei älteren Männern,
insbesondere wenn eine begleitende Komorbidität vorliegt, der PSA-Cut-off nach oben
geschoben werden. Bei nur moderat erhöhten PSA-Werten sollte sich der beratende Arzt
auch darüber im Klaren sein, ob der mögliche Nachweis eines Karzinoms tatsächlich
auch therapeutische Konsequenzen hätte. Kann diese Frage nicht mit einem klaren "Ja"
beantwortet werden, sollte grundsätzlich von einer Diagnostik und damit der Konfrontation
des Patienten mit der möglichen Diagnose "Krebs" abgesehen werden.
Die Einführung des PSA-Wertes hat die Diagnostik des Prostatakarzinoms revolutioniert.
Dennoch wird deutlich, dass der Umgang mit diesem Laborwert komplex ist. Ein PSA-Cut-off
sollte nicht unreflektiert angewandt werden, sondern im Kontext mit dem zu behandelnden
Mann und dem Wissen um die Konsequenzen einer Diagnose und Therapie des Prostatakarzinoms
gesehen werden.
Literatur beim Autor
Dr. Markus Graefen, Hamburg
Dritter Kommentar
Dritter Kommentar
J. Wolff
Senkung der Obergrenze sinnvoll?
Aufgrund der dargelegten Ergebnisse ist sicherlich zu diskutieren, ob eine Senkung
der Obergrenze des PSA-Wertes in Bezug auf eine folgende Stanzbiopsie sinnvoll ist.
Raaijmakers et al. veröffentlichten im Juni 2004 eine Studie zur gleichen Problematik.
Der PSA-Bereich zwischen 2,0 und 3,9 ng/ml sollte den Untersucher bezüglich eines
evtl. Prostatakarzinoms (PCA) sensibilisieren, im Zweifel der prozentuale freie PSA
als "Weichensteller" bezüglich einer weiteren invasiven Diagnostik fungieren. Eine
pauschale Senkung der Obergrenze wurde nicht empfohlen. Für eine Senkung der Obergrenze
spricht die mögliche frühere Detektion eines PCA. Durch radikale Prostatektomie (RPx)
kann eine Heilung erzielt werden. Die Voraussetzung für einen Nerverhalt im Rahmen
der RPx sind ebenfalls besser.
Im Rahmen der S3-Leitlinie der AWMF diskutierte die Expertengruppe die Früherkennungsmaßnahmen
beim Prostatakarzinom. Aufgrund des bisher fehlenden Kosten-/Nutzenrelation in Bezug
auf eine niedrigere Grenze sei derzeit der Schwellenwert von 4ng/ml vertretbar. Als
Risikomarker wurden ein PSA-Anstieg in einem bestimmten Zeitraum, das volumenkorrelierte
PSA und die Ratio freies/Gesamt-PSA beschrieben, auf den eine Stanzbiopsie erfolgen
sollte. Von einem generellen Screening ohne V.a. das Vorliegen eines PCA (DRU, familiäre
Belastung, klinische Symptome) rät die Expertengruppe z.Zt. ab.
Gegen die Senkung der Obergrenze sprechen die daraus resultierenden Folgen aus volkswirtschaftlicher
Sicht (S3-Leitlinie AWMF). So käme es wahrscheinlich zu einer enormen Zunahme von
Stanzbiopsien. Patienten würden früher und häufiger traumatisiert. Die Zahl sich anschließender
radikaler Prostatektomien würde ebenfalls in die Höhe schnellen. Die Folgen der OP
auf die Lebensqualität der Patienten, wie OP-Risiko, anschließende Impotenz und damit
psychische Belastung des Patienten und der Partnerin sollten nicht unterschätzt werden.
Das deutsche Gesundheitswesen würde eine solche Kostenexplosion nur schwer verkraften,
nach Meinung des Expertengremiums der S3-Leitlinie wäre dies nur über eine Beitragserhöhung
finanzierbar. Abschließend kann gesagt werden, dass bevor eine Senkung der Obergrenze
des PSA-Wertes erfolgen kann, Daten vorliegen müssen, die beweisen, dass dadurch die
Mortalität gesenkt werden kann. Nur so ist der damit verbundene Kostenanstieg zu vertreten.
Prof. Johannes Wolff, Bad Mergentheim