Die Prognose von Kindern und Jugendlichen mit einer malignen Erkrankung hat sich in
den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert [10]. Dieser Erfolg ist hauptsächlich auf die Entwicklung risikoadaptierter Therapieprotokolle
zurückzuführen, in denen eine optimierte chemotherapeutische, radiotherapeutische
und/oder chirurgische Behandlung aufeinander abgestimmt wird. Als weiterer Meilenstein
gilt die Verbesserung der supportiven Therapie, sowohl in der Prophylaxe als auch
in der Therapie infektiöser Komplikationen. So ist es zum Beispiel aufgrund des Einsatzes
der empirischen Antibiotikatherapie gelungen, die Letalität bei bakteriellen Infektionen
und Sepsis von 84 % in den 1960er-Jahren auf 44 % in den 1970er-Jahren [6] und weiter auf 3-10 % in aktuellen Untersuchungen zu reduzieren [3]
[27]
[40]
[64]. Grundlegende Informationen zu Risikofaktoren und Erregerspektrum sind im einleitenden
Artikel (Lehrnbecher und Laws) aufgezeigt. Fieber während der Granulozytopenie ohne
Erregernachweis und erkennbarer Infektionsursache wird als Fieber unbekannter Ursache
(FUO) bezeichnet und macht etwa 50-60 % der Infektionen in der Onkologie aus [42]. Entsprechend den derzeitigen Empfehlungen werden Kinder mit Granulozytopenie und
Fieber stationär aufgenommen und sofort mit einer empirischen intravenösen antibiotischen
Therapie behandelt, ohne den Erregernachweis abzuwarten. In diesem Kapitel sollen
hierzu die diagnostischen und therapeutischen Überlegungen dargestellt werden. Sie
berücksichtigen die Leitlinien der Paul-Ehrlich-Gesellschaft, der Infectious Diseases
Society of America und der Arbeitsgemeinschaft Infektionen in der Hämatologie und
Onkologie [29]
[43]. Limitierend sind dabei oftmals fehlende, aber dringend notwendige Studien zur Kinetik
und Arzneimittelsicherheit bei Kindern und Jugendlichen [25].
Definitionen
Definitionen
Fieber und Granulozytopenie werden sowohl in der Literatur als auch im klinischen
Alltag unterschiedlich definiert. Es wäre wünschenswert, wenn die vorgeschlagenen
Definitionen zukünftig einheitlich verwendet würden, um auch die Vergleichbarkeit
von Studien zu vereinfachen.
Granulozytopenie
Neutrophile Granulozyten (neutrophile Granulozyten: Segment- und Stabkernige) < 500/µl
(0,5 × 109/l) oder < 1 000/µl mit zu erwartendem Rückgang auf unter 500/µl innerhalb der nächsten
zwei Tage.
Fieber
Oral, axillär oder in der Kinderonkologie seltener rektal gemessene Temperatur
Unerklärtes Fieber
Als unerklärtes Fieber oder Fieber unbekannter Genese („fever of unknown origin”,
FUO) wird neu aufgetretenes Fieber ohne richtungsweisende klinische oder mikrobiologische
Infektionsbefunde gewertet [12].
Klinisch gesicherte Infektion
Eine klinisch gesicherte Infektion („clinically documented/defined infection”, CDI)
ist ein diagnostisch eindeutig lokalisierter Befund, beispielsweise einer Pneumonie,
die klinisch oder radiologisch nachgewiesen ist, oder einer Haut-Bindegewebe-Infektion,
deren mikrobiologische Pathogenese jedoch nicht bewiesen werden kann oder die einer
Untersuchung nicht zugänglich ist.
Mikrobiologisch gesicherte Infektion mit oder ohne Bakteriämie
Eine mikrobiologisch gesicherte Infektion („microbiologically documented/defined infection”,
MDI) liegt vor, wenn neben einem lokalisierbaren Infektionsbefund ein zeitlich und
mikrobiologisch plausibler Erregernachweis gelingt oder wenn Infektionserreger in
der Blutkultur auch ohne lokalisierten Infektionsherd nachweisbar sind (Bakteriämie).
Details sind den Artikeln von Groll et al. und Simon et al. in diesem Band zu entnehmen.
Diagnostik
Diagnostik
Fieber stellt häufig das einzige Symptom einer Infektion oder Sepsis eines granulozytopenischen
Patienten dar. Daher sind Patienten mit Fieber bei Granulozytopenie unverzüglich und
gründlich zu untersuchen (Tab. [1]). Die körperliche Untersuchung ist kurzfristig zu wiederholen. Selbstverständlich
gilt dies auch für nicht fiebernde onkologische Patienten, die sich im reduzierten
Allgemeinzustand oder mit neu aufgetretenen infektionsverdächtigen klinischen Symptomen
vorstellen.
Tab. 1 Initiale Diagnostik bei FUO
|
körperliche Untersuchung |
Vollständige Untersuchung einschließlich - Prädilektionsstellen: - Haut- und Schleimhaut - Perianalregion - Kathetereintritt - Nagelfalz - Blutdruck und Puls - Atemfrequenz - Schmerzsymptomatik - Körpertemperatur |
|
Laborparameter |
Blutbild mit Differenzialblutbild C-reaktives Protein Blutzucker Transaminasen, Bilirubin Kreatinin, Natrium, Kalium PTT, Quick bei Oberbauchschmerzen - Lipase bei Sepsis-Verdacht - Blutgasanalyse - Laktat - ATIII |
|
mikrobiologische Untersuchung |
Blutkulturen aus allen Lumen eines venösen Zuganges entsprechend Klinik - Wund- oder Körperabstriche, Liquor, Urin, Stuhl |
|
Bildgebung |
nur bei klinischen Hinweisen - Röntgen-Thorax - Sonographie-Abdomen - CT Lunge, CT NNH |
Vor dem Beginn einer empirischen Antibiotikatherapie sind Laborparameter zu bestimmen
sowie Blutkulturen aus allen Lumen eines Katheters zu entnehmen (siehe Kapitel Beutel
und Simon). Aufgrund fehlender klinischer Konsequenzen verzichten die meisten Kinderonkologen
auf eine zusätzliche Blutkultur aus einer peripheren Vene.
Die weitere mikrobiologische Diagnostik erfolgt gezielt, d. h. Abstriche, Liquorpunktionen
sowie Urin- und Stuhlkulturen sind nur bei entsprechender Symptomatik oder Fragestellung
indiziert.
Eine erweiterte mikrobiologische Diagnostik ohne bestehende Symptome hat keine Auswirkung
auf die einzuleitende empirische Behandlung [23].
Bezüglich der bildgebenden Diagnostik kann bei Kindern und Jugendlichen bei fehlenden
klinischen Hinweisen auf ein initiales Röntgenbild der Lunge verzichtet werden [32]
[37]
[56]. Falls bei klinischer Symptomatik wie Dyspnö ein Röntgenbild durchgeführt wird,
ist ein a. p.-Röntgenbild der Lunge im Sinne einer möglichst geringen Strahlenbelastung
ausreichend. Dabei bleibt jedoch das Risiko bestehen, eine kleinere basale Pneumonie
zu übersehen. Ebenfalls kann bei fehlender Klinik initial auf eine Sonographie des
Abdomens verzichtet werden.
Initiale empirische Therapie
Initiale empirische Therapie
Die Indikation zu einer kalkulierten empirischen Therapie besteht für alle Kinder
und Jugendlichen mit Fieber während der Granulozytopenie. Unabhängig von der Granulozytenzahl
werden Kinder und Jugendliche mit Krebserkrankungen empirisch mit Antibiotika behandelt,
wenn sie Hinweise auf eine Sepsis oder auf eine klinisch dokumentierte Infektion bieten.
Nach klinischer Diagnosestellung ist die Therapie unverzüglich zu beginnen. Eine abwartende
Haltung bis zum Eintreffen mikrobiologischer Ergebnisse ist nicht gerechtfertigt,
da die Letalität einer unbehandelten Infektion bis zu 50 % innerhalb von 48 Stunden
reicht [14].
Die empirische antibakterielle Therapie muss bei Kindern mit Krebserkrankungen ein
breites Erregerspektrum erfassen, das insbesondere auch Gramnegative Erreger wie Pseudomonas
aeruginosa und Klebsiella spp. beinhaltet, da Infektionen mit diesen Erregern oft
fulminante und dann therapeutisch nicht mehr beherrschbare Verläufe zeigen [60].
Auf der anderen Seite soll eine antibakterielle Therapie gleichzeitig nur eine geringe
Toxizität aufweisen. Da im Gegensatz zu erwachsenen Patienten mit Granulozytopenie
und Fieber eine orale empirische Therapie außerhalb von Studien nicht empfohlen wird,
ist die antibakterielle Substanz intravenös zu applizieren.
Bei der Auswahl der antimikrobiellen Substanzen sind sowohl lokales bzw. regionales
Erregerspektrum als auch die Resistenzsituation zu berücksichtigen, wie sie von der
Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. veröffentlicht werden [38]. Außerdem müssen spezielle Patientencharakteristika (z. B. Komorbidität) und das
jeweilige zytotoxische Behandlunsregime in die Überlegungen mit einbezogen werden.
So haben zum Beispiel Patienten, die mit hochdosiertem Cytarabin behandelt wurden,
ein hohes Risiko, eine Infektion durch Streptokokken der Viridans-Gruppe zu erleiden.
Diese Infektionen sind im Gegensatz zu Infektionen mit Koagulase-negativen Staphylokokken
oder Corynebakterien oft sehr schwer verlaufend und haben eine hohe Letalität [40].
Da die Mehrzahl der Patienten mit den verfügbaren kalkulierten antibiotischen Initialtherapien
innerhalb von 72 Stunden entfiebert [8]
[24], ist die Fallzahl der meisten klinischen Studien zu klein, um eine Überlegenheit
eines Medikamentes oder einer Medikamentenkombination zu belegen. Zudem sind viele
Studien schwer vergleichbar, da sie unterschiedliche Patientenkollektive einschließen
oder unterschiedliche Endpunkte analysieren.
Insgesamt können verschiedene Antibiotika unterschiedlicher Substanzklassen für eine
Monotherapie bzw. als Bestandteil einer Kombinationstherapie empfohlen werden. Vorteile
einer Monotherapie sind geringere Infusionsmengen und eine geringere Infusionsdauer,
was gerade bei pädiatrischen Patienten eine besondere Rolle spielen kann. Zudem weist
eine Monotherapie oft eine geringere Toxizität und ein günstigeres Interaktionspotenzial
auf. Auf der anderen Seite sprechen ein Synergismus von antibakteriellen Medikamenten
und eine geringere Gefahr der Resistenzbildung für eine Kombinationstherapie.
Die oben genannten Kriterien werden derzeit von Cephalosporinen der 3. oder 4. Generation
(Ceftazidim und Cefepim) sowie von Carbapenemen (Imipenem-Cilastat oder Meropenem)
erfüllt, zu denen es auch pädiatrische Studien gibt [7]
[18]
[30]
[33]
[39]. Diese Medikamente haben nur eine geringe Wirksamkeit auf Koagulase-negative Staphylokokken
und keine Wirksamkeit auf Methicillin-resistente Staph. aureus. Lediglich Cefepim
und die Carbapeneme weisen eine gute Aktivität gegen Streptokokken der Viridans-Gruppe
und Pneumokokken auf. Ein anderer Nachteil des Ceftazidim ist die potenzielle Resistenz
einiger Gramnegativer Bakterien durch Extended-Spektrum Beta-Laktamasen oder Typ-1-Beta-Laktamasen.
In der internistischen Onkologie ist die fixe Kombination von Piperacillin mit Tazobactam
als Monotherapie evaluiert und wird bei FUO empfohlen [8]
[43]. Piperacillin/Tazobactam weist eine gute Verträglichkeit auf und hat ein breites
antimikrobiologisches Wirkungsspektrum. Auch wenn diese fixe Kombination bereits ab
dem Neugeborenenalter verwendet wird [5]
[20]
[41] ist zu berücksichtigen, dass es nur wenige klinische Studien bei onkologisch erkrankten
Kindern mit FUO hierzu gibt [8]
[9]
[19]
[48] und dass sie erst ab dem zweiten Lebensjahr bei intraabdominellen Infektionen zugelassen
ist. Für die freie Kombination aus Piperacillin/Sulbactam gibt es derzeit keine ausreichend
gesicherten klinischen Studien in der Onkologie. Die Resistenztestung auf Piperacillin/Tazobactam
ist nicht auf Piperacillin/Sulbactam übertragbar. Außerdem sind aktuelle Änderungen
der DIN-Grenzwerte für Beta-Lactamase-Inhibitoren zu berücksichtigen.
Obwohl die Carbapeneme gut vertragen werden und effektiv sind [18], sollten sie aus Kostengründen und zur Vermeidung von Resistenzen der Therapieintensivierung
vorbehalten bleiben. Weitere Details im Artikel von Simon A et al.
Für eine Kombinationstherapie gibt es im Wesentlichen die Möglichkeit, die oben genannten
Medikamente - Ceftazidim, Cefepim, Imipenem-Cilastat oder Meropenem, Piperacillin-Tazobactam
- sowie Ceftriaxon mit einem Aminoglycosid wie Gentamycin, Tobramycin oder Amikacin
zu kombinieren. Betalaktam-Antibiotika und Aminoglykoside zeigen einen synergistischen
Effekt auf Gramnegative Erreger und Staphylokokken, weshalb diese Kombination gerade
für schwer kranke Kinder bevorzugt wird. Allerdings ist der mögliche Vorteil einer
Kombination mit Aminoglykosiden den Nebenwirkungen wie Ototoxizität oder Nephrotoxizität
gegenüberzustellen. Für die Kombinationstherapie gibt es zahlreiche pädiatrische Studien,
die Wirksamkeit und Verträglichkeit belegen [2] Anzumerken bleibt aber, dass Kombinationstherapien mit Aminoglykosiden meistens
gegen die Monotherapie mit Carbapenemen geprüft wurden und nur selten gegen das für
die Kombination gewählte Ureidopenicillin oder Cephalosporin [2]. In zwei kürzlich publizierten Metaanalysen bei Patienten mit Fieber bei Granulozytopenie
ist gezeigt worden, dass die Kombinationstherapie mit einem Aminoglykosid keine Vorteile
gegenüber einer Monotherapie erbringt [22]
[53]. Auch bei der Behandlung immunkompetenter Patienten mit Sepsis hat die zusätzliche
Gabe eines Aminoglykosides nicht die Mortalität vermindert, führte aber zu mehr Nebenwirkungen
[52].
Empfehlung: Unter Berücksichtigung des lokalen Erregerspektrums und dessen Resistenzlage,
sowie der individuellen Patientenanamnese soll ein Beta-Lactam Antibiotikum mit Pseudomonasaktivität
verwendet werden. Aminoglykoside sind bei der empirischen Initialtherapie in aller
Regel verzichtbar.<!?tpb=0p>
Einsatz von Glykopeptiden in der empirischen Initialtherapie
Der generelle Einsatz von Glycopeptiden (Vancomycin, Teicoplanin) in der empirischen
Initialtherapie erscheint nicht gerechtfertigt [11]
[17]
[29]. Zum einen birgt der breite Einsatz dieser Medikamente die Gefahr von Resistenzen,
insbesondere von Vancomycin-resistenten Enterokokken [1]. Zum anderen werden praktisch alle Erreger von fulminant verlaufenden Infektionen
durch die oben genannten Medikamente der kalkulierten Initialtherapie erfasst [8]
[55]. Aus diesem Grund ist der Einsatz von Glycopeptiden nach Erhalt der mikrobiologischen
Ergebnisse in aller Regel ausreichend, ohne die Patienten zu gefährden [15]
[36].
Eine Ausnahme stellen lediglich Kliniken dar, in denen sehr häufig schwere Infektionen
durch Methicillin-resistente Pneumokokken oder Staph. aureus und Streptococcus viridans
gesehen werden, da diese in der Hälfte der Fälle resistent gegen Penicillin sind [61]. Zusätzlich kann eine empirische Initialtherapie mit Glykopeptiden bei Patienten
nach hochdosierter Cytarabin-Gabe oder bei Patienten, bei denen eine schwere Katheter-assoziierte
Infektion vermutet wird, erwogen werden [29], insbesondere, wenn in der Institution häufig Penicillin-resistente vergrünende
Streptokokken gefunden werden. Bei Patienten mit kardiovaskularer Insuffizienz wie
Hypotension oder verzögerter Rekapillisationszeit, ist der empirische Einsatz eines
Gykopeptides sinnvoll.
Empfehlung: Glykopeptide sind primär nur bei Katheter-assoziierten Infektionen oder
in Abteilungen mit hoher MRSA-Prävalenz verwenden. Der Einsatz von Glycopeptiden in
der Initialtherapie bei Patienten nach hochdosiertem Cytarabin kann erwogen werden.
Bei kardiovaskulärer Insuffizienz des Patienten ist der Einsatz sinnvoll.
FUO und abdominelle oder perianale Infektionszeichen
Bei entsprechender Klinik sollen Antibiotika mit guter Wirksamkeit gegen Anaerobier
verwendet werden. Bei Carbapenemen bzw Piperacillin/Tazobactam ist keine Ergänzung
notwendig. Bei Cephalosporinen mit Wirksamkeit gegen Pseudomonaden ist die Ergänzung
mit Metronidazol sinnvoll. Dabei ist die orale Gabe zur Behandlung einer Clostridium
difficile Enterokolitis wirkungsvoller als die intravenöse Applikation (siehe Kapitel
Ballauf und Eggert).
Therapiemodifikationen
Therapiemodifikationen
Das klinische Ansprechen auf eine gewählte empirische Antibiotikatherapie wird im
Median erst nach 5-7 Tagen erreicht [13]. Deshalb ist bei klinisch stabilen Allgemeinzustand des Patienten eine Therapiemodifikation
frühestens nach 72-96 h in Erwägung zu ziehen, bei klinisch instabilen Patienten jedoch
eher. Bevor die Therapiemodifikation durchgeführt wird, sind folgende Aspekte zu bedenken:
-
Liegt evtl. eine nicht-bakterielle Infektion vor?
-
Liegt eine Zweitinfektion vor?
-
Ist die Dosierung ausreichend?
-
Werden im Zielorgan ausreichende Gewebespiegel erreicht?
-
Kann ein Medikamentenfieber vorliegen?
-
Liegt ein Abszess vor?
Vor dem Einleiten der Therapiemodifikation ist die Diagnostik gemäß Tab. [1] nochmals zu wiederholen und gegebenenfalls auszuweiten. Bei fehlenden Hinweisen
auf eine dokumentierte Infektion bestehen in Abhängigkeit vom klinischen Zustand des
Patienten sowie von der erwarteten Dauer der Granulozytopenie folgende Therapieoptionen:
-
Beibehalten der bisherigen Therapie.
-
Bei Monotherapie Ergänzung eines Aminoglykosides oder Glykopeptides.
-
Bei Duotherapie: Wechsel zu Carbapenemen.
-
Ergänzung eines Antimykotikums.
Als bildgebende Diagnostik sind bei einem Patienten mit entsprechender Symptomatik
ein hochauflösendes CT der Lunge (Spiral-CT oder Dünnschicht-CT) anzustreben, eine
Sonographie des Abdomens und eine bildgebende Untersuchung der Nasennebenhöhlen durchzuführen.
Letztlich sollten durch die Therapiemodifikation mikrobiologische Lücken geschlossen
werden. Zu diesem Zeitpunkt kann der Einsatz eines Glykopeptides erwogen werden. Bei
fehlendem Nachweis von Grampositiven Erregern wurde in zwei Studien bei internistischen
onkologischen Patienten gezeigt, dass kein Unterschied zwischen der monotherapeutischen
Fortführung der Therapie mit Imipenem oder Piperacillin-Tazobactam und der Ergänzung
mit Teicoplanin besteht [8]
[16]. Hingegen führte die Ergänzung eines Antimykotikums nach 72-96 h zu einer signifikant
schnelleren Entfieberung, auch wenn keine Pilze nachgewiesen wurden [44]
[62]. Beim Nachweis von Lungeninfiltraten im Röntgen- oder CT-Thorax ist dabei Amphothericin
B dem Fluconazol überlegen [45]
[59]. Der Stellenwert von neuen Antimykotika zur empirischen Therapie bei FUO ist derzeit
nicht zu beurteilen [26].
Empfehlung: Bei initialer Verwendung von Carbapenemen oder Piperacillin-Tazobactam
kann bei FUO über 72-96 h auf die Ergänzung mit einem Glykopeptid verzichtet werden
(Ausnahme s. o.). Hingegen ist die Ergänzung eines Antimykotikums sinnvoll, das bei
Nachweis von Lungeninfiltraten gegen Aspergillen wirksam ist.
Dauer der Therapie
Dauer der Therapie
Entsprechend den Leitlinien der Infectious Diseases Society of America wird bei FUO
nach Entfieberung und beginnender hämatologischer Erholung (Granulozyten > 500/µl)
empfohlen, dass bei klinisch stabilen Patienten und unauffälligen Blutkulturen (sofern
durchgeführt auch unauffälliger Rö-Thorax), die intravenöse Therapie 48 h später auf
eine orale Therapie umgestellt wird [29]. Während internistische Patienten in einer Studie mit Amoxicillin plus Clavulansäure
und Ciprofloxacin behandelt wurden [21], erhielten Kinder in zwei anderen Studien Cefixim [51]
[58]. Kritisch anzumerken ist, dass die orale Fortführung der Therapie unter stationären
Bedingungen stattfand, so dass die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf die ambulante
Weiterbehandlung übertragbar sind. Die Mindesttherapiedauer beträgt gemäß diesen Richtlinien
7 Tage.
In einigen Studien konnte für Kinder und Jugendliche mit FUO unabhängig von der Neutrophilenzahl
gezeigt werden, das 24 h nach Entfieberung und einer mindestens 72-stündigen intravenösen
Antibiotikatherapie, diese unabhängig von der hämatologischen Erholung abgesetzt werden
konnte, ohne dass eine orale Therapie durchgeführt wurde [31]
[39]
[57]. In zwei weiteren Studien wurde bei pädiatrischen Patienten gezeigt, dass bei diesen
24 h nach Entfieberung und im stabilen klinischen Allgemeinzustand die intravenöse
Antibiotikatherapie beendet werden konnte und eine frühe Entlassung möglich war [34]
[63]. Klaassen et al. beschreibt dabei in einer doppelblind durchgeführten, Plazebo-kontrollierten
Studie, dass die Fortführung der Therapie mit einem oralen Antibiotikum und einsetzender
hämatologischen Erholung nicht notwendig ist [34].
Bei anhaltender Granulozytopenie und klinisch stabilem Patienten muss daher zwischen
dem potenziellen Risiko einer Reinfektion nach Absetzen der Antibiotikatherapie und
der Resistenzbildung bzw. Superinfektion mit Pilzen bei Fortführung einer Antibiotikatherapie
abgewogen werden. Eine Fortführung eventuell in modifizierter Form empfiehlt sich
bei schwerer Granulozytopenie < 100/µl, dem Verdacht der Tumorinfiltration des Knochenmarks,
bei oraler bzw. gastrointestinaler Mukositis, instabilen Patienten, einer klinisch
oder mikrobiologischen Infektion oder bekannten Risikofaktoren. Als mögliche Konsequenzen
bieten sich demnach die folgenden Möglichkeiten an
Empfehlung: Die intravenöse Antibiotikatherapie soll mindestens 72 Stunden betragen.
Der klinisch stabile Patient soll vor Entlassung für mehr als 24 h fieberfrei sein
und eine hämatologische Rekonstitution erkennbar sein. Die Fortführung der Behandlung
mit einer oralen Antibiotikatherapie ist nicht notwendig.
Antivirale Therapie
Antivirale Therapie
Eine Antivirale Therapie soll nur erfolgen, wenn es klinische Hinweise auf das Vorliegen
einer viralen Erkrankung gibt. Der empirische Einsatz ist nach derzeitigen Kenntnisstand
nicht indiziert.
Orale Antibiotikatherapie
Orale Antibiotikatherapie
Für erwachsene Patienten hat die Multinational Association for Supportive Care in
Cancer (MASCC, www.mascc.org) einen klinischen Risikoindex erarbeitet, der Patienten mit Fieber bei Granulozytopenie
und einem niedrigen Risiko für Komplikationen mit einer guten Sensitivität und Spezifität
erfasst [35]. Dieser Index, der multizentrisch und multinational entwickelt und validiert wurde,
ist jedoch nicht auf Kinder und Jugendliche mit Fieber bei Granulozytopenie übertragbar,
da beispielsweise bereits ein Alter unter 60 Jahren für ein niedriges Risiko spricht.
In der pädiatrisch-onkologischen Literatur fehlt ein Konsens, ob die orale antibiotische
Therapie, meist in einem ambulanten Rahmen, den neuen Goldstandard der Behandlung
von Fieber bei Granulozytopenie mit niedrigem Risiko invasiver bakterieller Infektionen
darstellt oder nicht. Mullen [46] postuliert, dass ambulant verabreichte orale Antibiotika bei sorgfältig ausgewählten
pädiatrischen Krebspatienten sicher und effektiv sind. Nach Hughes et al. [29] (IDSA-Leitlinien) stehen heute noch zu wenig Daten zur Verfügung, um eine empirische
orale Antibiotikatherapie bei Kindern mit Fieber und Granulozytopenie zu empfehlen.
In der Kinderonkologie existieren viele monozentrische, jedoch keine multizentrischen
oder gar multinationalen Studien [3], in denen die innerhalb weniger Stunden verfügbare Informationen aus Klinik und
Hilfsuntersuchungen daraufhin untersucht wurden, ob sie als Kriterien zur Vorhersage
schwerer Infektionen bei Fieber unter Granulozytopenie geeignet sind. Die verschiedenen
aus diesen Einzelstudien resultierenden Risiko-Scores und -Kriterien widersprechen
sich teilweise [47]
[50]
[54]. Der kleinste gemeinsame Nenner, die Kombination von gutem Allgemeinzustand, sich
bereits erholender Knochenmarkfunktion und die Abwesenheit einer Komorbidität, ist
zur Definition einer Episode von Fieber bei Granulozytopenie mit niedrigem Risiko
einer schweren Infektion ungenügend [3]
[28]
[49]. Für pädiatrisch-onkologische Patienten mit Fieber bei Granulozytopenie ist somit
keine Methode international etabliert und ausreichend validiert, die das Risiko einer
schweren Infektion zu Beginn der Episode vorhersagen kann.
Schlussfolgerungen
Schlussfolgerungen
In der pädiatrischen Onkologie fehlt weiterhin eine international anerkannte und validierte
Definition einer Episode von Fieber bei Granulozytopenie mit einem niedrigen Risiko
einer schweren Infektion. Für die tägliche klinische Praxis kann zur Behandlung von
Kindern und Jugendlichen mit Fieber bei Granulozytopenie nur die sofortige Hospitalisierung
und intravenöse Antibiotikatherapie als Teil der supportiven Therapie empfohlen werden.
Wer heute bei pädiatrisch-onkologischen Patienten mit Fieber bei Granulozytopenie
und einem vermutlich niedrigen Risiko einer schweren Infektion die Therapie nach 24
Stunden intravenöser Behandlung auf ein orales Antibiotikum umstellt, kann sich nicht
auf eine ausreichende wissenschaftliche Evidenz berufen. Dieser an sich viel versprechende
Ansatz ist nur innerhalb korrekt geplanter, randomisierter, kontrollierter, multizentrischer
und wenn möglich multinationaler Studien zu erproben [4].
Anmerkung: Eine prospektive multizentrische multinationale Studie (SPOG 2003 FN) ist
derzeit initiiert. Die Studien sind offen für weitere Teilnehmer. Interessierte Zentren
wenden sich bitte an Dr. R. Ammann (E-mail: roland.ammann@insel.ch).
Tab. 2 Vorgehen bei pädiatrisch onkologischen Patienten mit Fieber bei Granulozytopenie
während der intensiven Chemotherapie
Patient mit Fieber in der Granulozytopenie ohne Sepsis - Monotherapie mit Pseudomonas wirksamem Breitspektrum-Beta-Lactam-Antibiotikum |
Basisdiagnostik: Untersuchung, RR, Puls, Atemfrequenz, Temperatur BB + Diff, CrP, Kreatinin, BZ, Elektrolyte, Gerinnung; Blutkultur evtl. BGA, Lactat
|
Patient mit Fieber in Granulozytopenie mit Sepsis - Carbapenem plus Glykopeptid |
Zusatzdiagnostik I bei entsprechender Klinik oder auffälliger Basisdiagnostik: Stuhlkultur (einschl. Clost.-diff.-Toxin und Virologie) Liquorpunktion Wundabstriche MS-Urin Sono-Abdomen Rö CT NNH CT-Thorax |
| Modifikation: Persistierendes Fieber 72-96 h nach erster Antibiotikagabe und fehlender
Erregernachweis, Patient in stabilem Zustand |
Modifikation der Antibiotikatherapie erwägen Ergänzung um Antimykotikum - Fluconazol 2 × 6 mg/kg max 800 mg - Lungeninfiltrate - Amphotericin B 1 mg/kg - Liposomales Ampho B 3 mg/kg - Evtl: - Voriconazol - Caspofungin - Itraconazol |
Diagnostik: Wh. Basisdiagnostik Wh. Zusatzdiagnostik I |
Therapiedauer: Intravenöse Antibiotikatherapie für mindestens 72 h. Entlassung möglich
bei klinisch stabilen Patienten, wenn mehr als 24 h fieberfrei und einsetzender hämatologischer
Rekonstitution. Anmerkungen: Bei Unverträglichkeit Beta-Lactam-Antibiotika: Ciprofloxacin plus Aminoglykosid
oder Glykopeptid. Bei Niereninsuffizienz: Pseudomonaswirksames Cephalosporin. |