Einleitung
Einleitung
Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Ergebnisse der neuro-immunologischen Forschung
kann Asthma bronchiale und die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) heute
weder als eine rein immunologische noch als eine ausschließlich neuronale Erkrankung
angesehen werden [1 ]
[2 ]. Die den entzündlichen Veränderungen zugrunde liegenden Mechanismen werden dabei
von einer Vielzahl an Mediatoren beeinflusst. Im Bereich der Pathophysiologie und
-biochemie des Asthma bronchiale sind mittlerweile bereits über fünfzig Mediatoren
mit Effekten auf verschiedensten pulmonalen Funktionen beschrieben worden [3 ]. Fortschritte auf diesem Gebiet wurden vor allem durch die Entwicklung neuer, potenter
Inhibitoren gemacht, die entweder die Rezeptoren der Mediatoren blockieren oder sie
selbst inhibieren [4 ]
[5 ]
[6 ]. Der Ort der Synthese der einzelnen Mediatoren liegt sowohl im Bereich von Entzündungszellen
wie Mastzellen, Eosinophile, Basophile, Neutrophile oder T-Lymphozyten, als auch im
Bereich gewebsständiger Zellen wie Epithelzellen, Endothelzellen, Myozyten oder Atemwegsneurone
[3 ].
Neben den klassischen Mediatoren Noradrenalin in postganglionären sympathischen Nervenfasern
und Acetylcholin in parasympathischen Nervenfasern, existieren eine Reihe von Neuropeptiden,
die ausgeprägte pharmakologische Effekte auf den Muskeltonus der Blutgefäße und der
Bronchien, die Drüsensekretion und auf Entzündungs- und Immunzellen haben [3 ]. Diese Neuropeptide gehören zu keinem morphologischen eingrenzbaren System. Die
Effekte, die diese Neuropeptide hervorrufen, werden unter dem Begriff des nicht-adrenergen
nicht-cholinergen (NANC)-System zusammengefasst.
Innervation der unteren Atemwege
Innervation der unteren Atemwege
Die unteren Atemwege beginnen mit dem Kehlkopf und setzen sich über die Trachea und
die beiden Hauptbronchien, Bronchus principales dexter und sinister, bis zu den Bronchioli
terminales fort. Über das Vorkommen einiger Nervenfasern um die Bronchien wurde bereits
von Thomas Willis (1681) [7 ] berichtet. Heute ist bekannt, dass die Atemwege von zahlreichen Nervenfasern mit
unterschiedlichem Ursprung innerviert werden. Die Nervenversorgung der unteren Atemwege
wird nach klassischer Einteilung in ein autonomes efferentes System mit einem sympathischen
und einem parasympathischen Anteil und in ein sensibles System gegliedert. Sympathische,
parasympathische und sensible Nervenfasern vereinigen sich zu einem Nervengeflecht
um die Atemwege, das an der Hinterwand der Trachea liegt und am Lungenhilus in die
Lunge eintritt (Abb. [1 ] und [2 ]).
Abb. 1 Atemwegsinnervation der Mäuselunge.
Abb. 2 Die dichte Innervation der unteren Atemwege des Menschen wird dargestellt durch PGP-positive
Nervenfasern in dem humanen Bronchus. Immunhistochemische Darstellung mittels eines
gegen PGP 9,5 (Pan-neuronaler Marker) A und SP B gerichteten Primärantikörpers und eines fluoreszierenden Sekundärantikörpers. Die
Nervenfasern verlaufen unter dem Epithel eines Bronchus. Originalvergrößerung × 250.
Sensible Innervation
Sensible Innervation
Der größte Teil der afferenten (= sensiblen) Nervenfasern der Atemwege verläuft mit
dem Nervus vagus und endet mit der zentralen Projektion in den Nukleus des Tractus
solitarius. Die Perikaryen dieser pseudounipolaren Neurone liegen in den vagalen sensiblen
Ganglien (Ganglion jugulare und Ganglion nodosum) (Abb. [1 ]) [8 ]
[9 ]. Außerdem wurde eine zusätzliche afferente Versorgung der Atemwege aus den thorakalen
Spinalganglien nachgewiesen. Diese afferenten Nervenfasern verlaufen zusammen mit
den sympathischen Axonen, durchqueren die sympathischen Grenzstrangganglien und ziehen
über die Hinterwurzel zu den Laminae I und II (Substantia gelatinosa) im Hinterhorn
des Rückenmarks. Die Zellkörper dieser Neurone liegen in den Spinalganglien [8 ]
[10 ]
[11 ].
Die afferente Innervation der Atemwege erhält Erregungen durch Berührungs- und Dehnungsrezeptoren
an der Trachea, den Bronchi und den Bronchioli, aber auch von denen unter der Pleura.
Weiterhin ist bekannt, dass die sensiblen Nervenfasern durch exogene (Capsaicin) und
endogene (Histamin, Bradykinin und Prostaglandine) Stimuli aktiviert werden können
[12 ]. Aufgrund dieser und weiterer elektrophysiologischer Eigenschaften lassen sich die
sensiblen Nervenfasern in drei Klassen einteilen:
Langsam adaptierende Dehnungsrezeptoren (Slowly adapting stretch receptors = SAR)
sind hauptsächlich in der glatten Muskulatur der Trachea und des Bronchus lokalisiert.
Durch ihre myelinisierten Axone erreichen sie eine relativ hohe Leitungsgeschwindigkeit
(5,8 m/s).
Schnell adaptierende Dehnungsrezeptoren (Rapidly adapting stretch receptors = RAR)
befinden sich sowohl im respiratorischen Epithel als auch in der glatten Atemwegsmuskulatur.
Ihre Axone sind ebenfalls myelinisiert.
Die C-Fasern sind in der Trachea, dem Bronchus und dem Lungenparenchym anzutreffen.
Sie leiten aufgrund ihrer unmyelinisierten Axone sehr langsam (< 1 m/s, [13 ]).
Ergebnisse aus elektrophysiologischen Untersuchungen, der Immunhistochemie und der
retrograden Tracing-Experimente zeigten, dass RAR und C-Fasern nicht nur elektrophysiologisch,
sondern auch neuroanatomisch verschiedenen Populationen angehören [14 ]. Die Perikaryen der RAR des Meerschweinchens befinden sich im Ganglion nodosum,
die der C-Fasern im Ganglion jugulare.
Die sensiblen Nervenfasern setzen an der Synapse der zentralen Projektion klassische
erregende (exzitatorische) Transmitter wie Glutamat bzw. Aspartat frei [10 ]. Außerdem kann eine Freisetzung von weiteren Mediatoren durch adäquate Reizung oder
durch antidrome Stimulation an den peripheren Nervenfasern bewirkt werden [15 ]. Zu den am besten untersuchten Mediatoren der Atemwege zählt die Familie der Tachykinine
zu denen die Neuropeptide-Substanz P (SP) und Neurokinin A (NKA) gehören. Ein weiteres
wichtiges Neuropeptid der sensiblen Nervenfasern ist Calcitonin Gene-Related Peptid
[8 ]
[16 ]. Diese Mediatoren üben je nach ihren pharmakologischen Eigenschaften eine lokale
effektorische Funktion aus [15 ].
Mediatoren
Mediatoren
Aufgrund physiologischer und pharmakologischer Erkenntnisse können die Mediatoren
in klassische und NANC-Mediatoren eingeordnet werden [17 ]
[18 ] (Übersicht Tab. [1 ]). Die NANC-Mediatoren werden in zwei funktionelle Gruppen des exzitatorischen NANC-Systems
(e-NANC) und des inhibitorischen NANC-Systems (i-NANC) eingeteilt. Die Tachykinine
und CGRP einerseits gehören zum exitatorischen NANC-System (eNANC) [19 ], NOS, VIP und NPY andererseits zum inhibitorischen NANC-System (i-NANC) [20 ]
[21 ]. In den letzten Jahren erlangten die NANC-Mediatoren immer mehr Bedeutung, da sie
möglicherweise an der Pathogenese des Asthmas bronchiale beteiligt sind.
Tab. 1 Vorkommen von Mediatoren in sympathischen, parasympathischen und sensiblen Ganglien
der unteren Atemwegen
funktionelles System
Herkunft
klassischer Transmitter
NANC-Mediatoren
Trachea
sympathisch
Ganglion cervicale superius Ganglion stellatum
NA
NPY, VIP, NO Dynorphin
parasympathisch
lokale Ganglien
ACh
VIP, NO, Enkephalin*
sensibel
Ganglion nodosum Ganglion jugulare Spinalganglien
Aspartat Glutamat
SP, NKA, CGRP, NO, Dynorphin
Lunge
sympathisch
Ganglion cervicale superius Ganglion stellatum Grenzstrangganglien T3 - T5
NA
NPY, VIP, NO Dynorphin
parasympathisch
lokale Ganglien
ACh
VIP, NO, Enkephalin*
sensibel
Ganglion nodosum Ganglion jugulare Spinalganglien C7 - T6
Aspartat Glutamat
SP, NKA, CGRP, NO, Dynorphin
Einteilung der Atemwegsinnervation (nach Kummer [8 ], * = Shimosegawa [53 ])
Tachykinine
Tachykinine
Bei den Tachykininen handelt es sich um eine Familie von Neuropeptiden, die an ihrem
C-terminalen Ende die gleiche Aminosäuresequenz (Phe-X-Gly-Leu-Met-NH2, X steht für
eine variable Aminosäure) aufweisen. Der am längsten bekannte und am besten untersuchte
Vertreter der Tachykinin-Familie ist Substanz P. Sie wurde erstmals 1931 beschrieben
[22 ], jedoch erst 1971 sequenziert [23 ]. Die in den Atemwegen neben Substanz P vorkommenden Tachykinine sind Neurokinin
A (NKA), sowie deren N-terminal verlängerte Peptide Neuropeptid K (NPK) [24 ] und Neuropeptid γ [25 ]. Diese Peptide werden vom gleichen Gen, dem Präprotachykinin A (PPT-A)-Gen kodiert
[26 ]. Aus dem Präprotachykinin-A-Gen wird mRNA transkribiert und alternativ gespleißt,
so dass 4 mRNA-Formen (α,β,γ,δ) entstehen können [26 ]. Allen vier Formen ist gemeinsam, dass die entsprechenden Prä-pro-Peptide die Sequenz
von Substanz P(SP) enthalten. Neurokinin A (NKA) und seine N-terminal verlängerten
Formen, Neuropeptid K und Neuropeptid γ entstehen nur in solchen Zellen, die von diesem
Gen die β-(Neuropeptid K) oder γ-Form der mRNA (Neuropeptid γ) spleißen. Ein weiterer
Vertreter der Tachykinine ist das in den Atemwegen bisher nicht nachgewiesene Neurokinin
B (NKB). Es wird vom PPT-B-Gen kodiert [27 ].
Die Tachykinine (Substanz P, Neurokinin A und Neuropeptid K) wurden in den Nervenfasern
der unteren Atemwege des Meerschweinchens, der Ratte, der Maus und des Menschen mit
immunhistochemischen Methoden nachgewiesen [21 ]
[28 ]. Heute ist bekannt, dass jedes Kompartiment der unteren Atemwege mit Ausnahme der
Knorpelspangen von tachykinin-haltigen Axonen durchzogen wird. Diese Nervenfasern
besitzen neben den Tachykininen auch Immunreaktivität gegen das Calcitonin-Gen-verwandte
Peptid (CGRP). Durch den kombinierten Einsatz der retrograden neuronalen Markierung
und der Immunhistochemie konnten die sensiblen Vagusganglien (insbesondere das Ganglion
jugulare) [29 ]
[30 ]
[31 ] und die oberen thorakalen Spinalganglien als die Ursprungsstätten SP/NKA/CGRP-immunreaktiver
Nerven der Lunge unter physiologischen Bedingung bei der Maus [32 ] und der Ratte [11 ] gezeigt werden. Eine Induktion von Tachykininen in sensible Neurone unter pathophysiologischen
Situation beim Meerschweinchen konnte auch nachgewiesen werden [8 ]
[9 ]
[33 ]
[34 ]
[35 ]. Tachykinin-immunreactive Neurone mit Projektionen zur nasalen Schleimhaut wurden
im Ganglion trigeminal der Maus und Ratte mittels retrograder neuronaler Markierung
und Immunhistochemie identifiziert [33 ]
[36 ]
[37 ]
[38 ]. Tachykinerge Nervenfasern sind in der Lamina propria, der glatten Muskulatur der
Atemwege und Blutgefäßen in den Randbezirken des lymphatischen Gewebes und in den
kleinen parasympathischen Ganglien der Trachea und Bronchien lokalisiert [21 ]. Tachykinine konnten in sympathischen Ganglien bisher nicht nachgewiesen werden
[39 ]. Ihre Wirkungen vermitteln die Tachykinine über die Tachykinin-Rezeptoren (NK1-,
NK2-Rezeptor) [40 ], die sowohl im Trachea- und Bronchialmuskel, als auch im Drüsen- und respiratorischen
Epithel sowie in den einzeln liegenden Zellen der Lamina propria nachgewiesen werden
konnten [41 ]. Durch die unterschiedliche Affinität der Tachykinine zu ihren Rezeptoren lassen
diese sich pharmakologisch differenzieren. Nach der Freisetzung werden Tachykinine
sehr schnell von Neutraler Endopeptidase (NEP) und eines Angiotensin-umwandelnden
Enzyms abgebaut. Der NK3-Rezeptor, der in den intrinsischen Ganglien des Meerschweinchens
vorkommt [42 ], bindet bevorzugt das Neurokinin B, das in der Lunge bislang nicht nachgewiesen
wurde. Insgesamt können die Wirkungen der Tachykinine in den Atemwegen als proinflammatorisch
bezeichnet werden [18 ]
[43 ].
Effekte von Tachykininen in den Atemwegen
Effekte von Tachykininen in den Atemwegen
Tachykinine wie Substanz P und Neurokinin A können unterschiedliche Effekte in den
verschiedenen Zielzellen der Atemwege hervorrufen. Substanz P vermittelt ihre Wirkung
bevorzugt über einen NK1-Rezeptor und Neurokinin A bevorzugt über einen NK2-Rezeptor
[42 ]
[44 ]
[45 ]. Die Dichte der Tachykinin-Rezeptoren in den Atemwegen ist sehr unterschiedlich.
Während der NK-1-Rezeptor überwiegend im Epithel, in den Drüsen und an den Gefäßen
der Atemwege lokalisiert ist, wird der NK-2-Rezeptor verstärkt in der glatten Atemwegsmuskulatur
gefunden [6 ]. Tachykinine, insbesondere Neurokinin A kann humane glatte Atemwegsmuskulatur in
vitro kontrahieren, vermittelt über den NK-2-Rezeptor. Die kontraktile Wirkung der
Tachykinine ist besonders in den kleinen Bronchien zu beobachten, während in den großen
Bronchien cholinerge Fasern eine dominierende Rolle spielen [46 ]. Interessanterweise sind kleine Bronchien für die Pathogenese der chronisch obstruktiven
Lungenerkrankung (COPD) von großer Bedeutung.
In den letzten Jahren wurden die Effekte von Tachykininen im Tiermodel und in vitro
verstärkt untersucht. So führt bei Asthmatikern intravenöse oder inhalative Gabe von
Neurokinin A zu Bronchokonstriktion [47 ]. Experimente in vitro zeigten, dass nach der Entfernung des Epithels die kontraktile
Wirkung von Tachykininen steigt [48 ]. Tachykinine spielen daher eine wichtige Rolle bei Erkrankungen mit Epithelschaden
wie beim Asthma bronchiale und COPD.
Es wurde weiterhin gezeigt, dass Tachykinine an den allergischen Atemwegsentzündungen
des Meerschweinchens und der Maus mitwirken. Allergene Provokation kann zu einer Induktion
von Tachykininen in den atemwegspezifischen sensiblen Neuronen führen, deren Freisetzung
eine Verstärkung der allergischen Atemwegsentzündungen nach sich zieht [9 ]
[30 ]
[34 ]
[35 ]. Behandlungen mit Tachykinin-Rezeptor-Antagonisten wie dem NK1- Antagonist kann
Plasmaextravasation nach vagaler Stimulation und Zigarettenrauch verhindern [49 ]. NK1- oder NK2-Antagonist können allergische Atemwegsentzündungen im Asthma-Mausmodell
abschwächen [50 ]. Weiterhin ist bekannt, dass Tachykinine einen stimulierenden Effekt auf die Schleimsekretion
der submukosen Drüsen und auch die der Becherzellen haben. Weitere Effekte wie Vasodilatation
und Plasmaexsudation werden über den NK1-Rezeptor vermittelt [44 ]. Klinische Studien mit Tachykinin-NK2-Rezeptor-Antagonisten wie Nepadutant und Saredutant
für die Behandlung von Asthmatikern erweisen sich als ergebnislos. Selektivere Tachykinin-Rezeptor-Antagonisten
gegen verschiedene Tachykinin-Rezeptor-Subtypen müssen in Zukunft entwickelt und in
klinischen Studien überprüft werden [51 ].
Die Ergebnisse der experimentellen in-vivo und in-vitro-Studien lassen sich nicht
immer auf den Menschen übertragen. Es herrscht aber kein Zweifel daran, dass die Atemwegsinnervation
mit ihren zahlreichen Neuropeptiden und Mediatoren an der Pathogenese der Lungenerkrankungen
beim Menschen eine nicht unbedeutende Rolle spielt und dass viele Hauptsymptome bei
Asthma und COPD direkt mit der Aktivierung der Nerven in den Atemwegen in Verbindung
stehen [2 ]
[3 ]
[52 ]. Um die genauere Rolle von neurogenen Entzündungen in Asthma und COPD verstehen
zu können, sind im Hinblick auf die Aktivierung der sensiblen Nervenfasern und die
Interaktion zwischen Entzündungszellen und Atemwegsneuronen weitere Studien in Zukunft
erforderlich.