psychoneuro 2005; 31(11): 540
DOI: 10.1055/s-2005-922536
Blickpunkt

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Darüber spricht man(n) noch zu wenig - Sexuelle Dysfunktion bei Männern mit Epilepsie

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Publikationsdatum:
25. November 2005 (online)

 
Inhaltsübersicht

Jeder zweite bis dritte epilepsiekranke Mann leidet unter erektiler Dysfunktion oder verminderter Libido. Dennoch wird dieses Thema in der neurologischen Sprechstunde noch immer viel zu selten verbalisiert. Sowohl Arzt als auch Patient sprechen zu wenig über Störungen des Sexuallebens, die durch die Erkrankung, aber auch die Behandlung hervorgerufen werden können.

Als Ursachen kommen die erkrankten Hirnregionen, hormonelle Veränderungen sowie medikamentöse Begleit- und Nebenwirkungen in Frage, die zu Müdigkeit, Lustlosigkeit und Erektionsstörungen führen. Lebensqualität und -zufriedenheit der Betroffenen werden hierduch stark beeinträchtigt. Allerdings wendet sich nur jeder fünfte Mann mit sexuellen Problemen damit an seinen Arzt. Umgekehrt sprechen nur 23% der Neurologen ihre männlichen Epilepsiepatienten gezielt auf mögliche Störungen im Sexualleben an, wie auf der 4. Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie in Innsbruck (Mai 2005) in einer Publikumsumfrage ermittelt wurde. Und dies sei schon ein Fortschritt gegenüber früher, kommentierte Prof. Gerhard Luef von der neurologischen Universitätsklinik in Innsbruck auf einer Pressekonferenz im Oktober diese Daten.

Dr. Eva Hellmis, Duisburg, Urologin - und damit gewissermaßen "Männerexpertin" -, brachte das Problem auf den Punkt: Männer definierten sich über ihre Potenz. Einschränkungen der sexuellen Leistungsfähigkeit könnten sich daher auf alle Lebensbereiche nachteilig auswirken. Typische Konsequenzen sind die Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls und sozialer Rückzug. Daraus entstehende Konflikte in Beruf und Freizeit führen dann unter Umständen in die soziale und emotionale Isolation. Das Risiko ist für die nicht selten per se kontaktscheuen und sich stigmatisiert fühlenden epilepsiekranken Männer möglicherweise sogar überdurchschnittlich hoch.

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Ursache der Sexualfunktionsstörungen

Eine noch nicht vollständig verstandene Komponente ist die Krankheit selbst. Das Interesse gilt besonders den fokalen Epilepsien mit Ursprung vorwiegend in temporalen Regionen, weil dem dort eingebetteten limbischen System eine führende Rolle bei der Regulation der hypophysär-testikulären Rückkopplungsmechanismen und damit letztlich auch der Freisetzung von Sexualhormonen zugeschrieben wird. Unabhängig von diesen endokrinen Interaktionen können auch Epilepsie-induzierte oder -assoziierte psychische Veränderungen, wie Angst, Depression und Stress, sexuelle Probleme auslösen. Ein zusätzlicher Störfaktor kann die antikonvulsive Therapie sein.

Das androgene Gleichgewicht wird maßgeblich durch das in der Leber synthetisierte Sexualhormon-Bindungsglobulin (SHBG) im Lot gehalten. Beim Einsatz von sogenannten Enzyminduzierern (Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital) wird via Aktivitätssteigerung des hepatischen Cytochrom P450-Systems die SHBG-Produktion angeregt und vermehrt Testosteron gebunden. Da nur der freie Anteil dieses Sexualhormons biologisch aktiv ist, kann dies Libido und Erektionsvermögen erheblich schwächen.

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Sexualfunktionsstörungen von Anfang an vermeiden

Anders verhält es sich nach Aussage von Luef bei Oxcarbazepin, einem Antiepileptikum der neuen Generation. Aufgrund eines anderen Metabolisierungswegs bleibe die SHBG-Synthese weitgehend unbeeinflusst und freies Testosteron stehe ausreichend zur Verfügung. Für das in Hinblick auf die androgene Balance neutrale Profil von Oxcarbazepin liegen, so Luef, inzwischen zahlreiche experimentelle und klinische Nachweise vor.

Auf dem 26th International Epilepsy Congress vom 28. August bis 1. September 2005 in Paris habe er kürzlich aktuelle Daten einer systematischen Dokumentation der Erfahrungen mit Oxcarbazepin (Timox®) bei epilepsiekranken Männern (n = 679) hinsichtlich der Sexualfunktion vorstellen können. In 34% der Fälle war die initiale Frage nach sexuellen Funktionsstörungen mit "ja" beantwortet worden. Bestand zu dem Zeitpunkt eine Behandlung mit Carbamazepin, Phenytoin oder Phenobarbital (n = 160) lag der Anteil sogar bei 44%. Bei diesem Kollektiv führte die Umstellung des antikonvulsiven Regimes auf eine Monotherapie mit Oxcarbazepin innerhalb von drei Monaten bei 87% der Patienten zu einer Besserung oder sogar dem völligen Rückgang ihrer sexuellen Probleme.

pm

Pressegespräch "Sexualität bei Männern mit Epilepsie" am 6. Oktober 2005 in München, unterstützt von Desitin