Einleitung
Das medikamentös ausgelöste Hypersensitivitätssyndrom, das auch mit dem Akronym DRESS
für Drug Related Eosinophilia with Systemic Symptoms beschrieben wird, ist eine klinisch
häufig bedrohlich verlaufende, zahlreiche Organsysteme betreffende Arzneimittelreaktion
[1]. Dabei erfüllt das Hypersensitivitätssyndrom die Kriterien der Idiosynkrasie. Hierzu
zählen das Auftreten der klinischen Symptomatik frühestens eine Woche nach Beginn
der Arzneimitteleinnahme bzw. innerhalb von 24 Stunden bei Reexposition. Zu den typischen
Symptomen zählen Fieber, Exantheme, eine meist ausgeprägte Eosinophilie und eine Beteiligung
innerer Organe, wobei typischerweise die Leber und das hämatopoetische System betroffen
sind [2]. Pathogenetisch wird bei einer Idiosynkrasiereaktion ein individueller, genetisch
determinierter Faktor postuliert, der einzelne Patienten prädisponiert, bei Einnahme
bestimmter Arzneimittel in der beschriebenen Form zu reagieren [3]. Das Hypersensitivitätssyndrom kann in jedem Alter auftreten und ist auch bei Kindern
wiederholt beschrieben worden [4]
[5]. Die Geschlechtsverteilung ist ausgeglichen [6]
[7]. Neben der Haut werden bei Hypersensitivitätssyndromen vor allem das lymphatisch-hämatologische
System, die Leber und die Nieren, seltener die Lungen, das Herz oder das Zentralnervensystem
in den Krankheitsprozess einbezogen. Die Letalität des Hypersensitivitätssyndroms,
die mit 8 - 10 % angegeben wird, ist in den meisten Fällen auf eine fulminant verlaufende
Hepatitis zurückzuführen [8]
[9]. Zu den auslösenden Arzneimitteln zählen hauptsächlich aromatische Antikonvulsiva,
Antibiotika und reverse Transkriptase-Inhibitoren [7]
[10]
[11]
[12]. Dabei werden die aromatischen Antikonvulsiva Carbamazepin und Phenytoin mit Abstand
am häufigsten für die Entwicklung eines Hypersensitivitätssyndroms verantwortlich
gemacht. Von 17 Patienten, die Bork mit einem Hypersensitivitätssyndrom beobachten
konnte, hatten 12 Patienten Carbamazepin und die übrigen Phenytoin eingenommen [6]. Insgesamt muss bei den aromatischen Antikonvulsiva mit einem Hypersensitivitätssyndrom
bei 5000 behandelten Patienten gerechnet werden [6]. Weitere Arzneimittel, die gehäuft zum Auftreten von Hypersensitivitätssyndromen
führen können, sind innerhalb der Gruppe der Antibiotika Minocyclin und die Sulfonamide
einschließlich Diaminodiphenylsulfon (DADPS) sowie Abacavir, Nevirapin und Zalcitabin
als Vertreter der reversen Transkriptase-Inhibitoren [7]
[10]
[11]
[12]. In Einzelfällen wurden Hypersensitivitätssyndrome auch durch Allopurinol, Goldsalze
und Azathioprin ausgelöst [6]
[13].
Der Fall der hier vorgestellten Patientin ist in seinem Verlauf und im Auftreten der
klinischen und laborchemischen Befunde exemplarisch für ein Hypersensitivitätssyndrom
nach Einnahme von Carbamazepin. Auch die zunächst bestehenden Probleme in der differentialdiagnostischen
Abgrenzung von akuten Virusinfektionen sind für das Hypersensitivitätssyndrom typisch
und unterstreichen die Notwendigkeit der Kenntnis dieser bedrohlich verlaufenden Arzneimittelreaktion.
Kasuistik
Anamnese
Bei der jetzt 52-jährigen Patientin war vor etwa 30 Jahren eine endogene Depression
aufgetreten, die seither in unregelmäßigen Abständen episodenhaft rezidivierte. Bei
einem entsprechenden Bedarf waren in den letzten Jahren Behandlungen mit tri- oder
tetrazyklischen Antidepressiva, MAO-Hemmern oder selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern
durchgeführt worden. Bei einer erneuten Zunahme der depressiven Symptomatik hatte
die Patientin nun erstmals Carbamazepin in einer täglichen Dosierung von 200 mg verordnet
bekommen. Vier Wochen nach Einleitung dieser Therapie entwickelten sich Halsschmerzen,
Schluckbeschwerden und Temperaturen bis 40 °C. Gleichzeitig wurden Lymphknotenschwellungen
bemerkt und ein an Ausbreitung schnell zunehmendes Exanthem. Eine daraufhin eingeleitete
Behandlung mit einem Penicillin-Präparat hatte keinerlei Einfluss auf die klinische
Symptomatik, so dass die Patientin bei einer weiteren Verschlechterung ihres Allgemeinbefindens
stationär aufgenommen werden musste.
Aufnahmebefund
Am Stamm, proximal an den Extremitäten, am Hals sowie im Bereich des Gesichtes fand
sich ein makulo-papulöses, zu größeren Flächen konfluierendes Exanthem (Abb. [1] u. 2). Darüber hinaus zeigte sich ein ausgeprägt ödematöses Erythem der Mund- und Rachenschleimhaut.
Abb. 1 Makulo-papulöses Exanthem Gesicht, Hals und vorderes Dekolleté.
Abb. 2 Zu größeren Flächen konfluierender Befund am Rücken.
Temperatur bei Aufnahme 39,2 °C. Zervikal, axillär und inguinal konnten druckdolente
Lymphknoten getastet werden. Das Allgemeinbefinden der Patientin war insgesamt deutlich
reduziert.
Histopathologische Befunde
Perivaskuläres und interstitielles entzündliches Infiltrat in der verbreiterten papillären
Dermis, das auf die angrenzende Epidermis übergreift und aus Lymphozyten, Histiozyten
und vereinzelten eosinophilen Granulozyten besteht (Abb. [3] u. 4; Dr. C. Diaz, Einsendungslabor für Dermatopathologie Freiburg).
Abb. 3 Perivaskuläres und interstitielles Infiltrat in der papillären Dermis, auf die Epidermis
übergreifend (HE × 100).
Abb. 4 In der ödematös aufgelockerten Dermis perivaskuläres lymphohistiozytäres Infiltrat
mit einzelnen eosinophilen Granulozyten (HE × 400).
Laborbefunde
Blutbild: Leukozyten 14.0/nl (NW: 4 - 10,5/nl). Erythrozyten, Hämoglobin, Hämatokrit
und Thrombozyten in den jeweiligen Normbereichen. Diff.-BB: Stabkernige 10 % (NW:
0 - 6 %), Segmentkernige 50 % (NW: 45 - 85 %), Eosinophile 13 % (NW: 0 - 6 %), Basophile
1 % (NW: 0 - 3 %), Monozyten 9 % (NW: 1 - 11 %) und Lymphozyten 17 % (NW: 10-50 %).
Enzyme: GOT 121 U/l (NW: 0 - 32 U/l), GPT 305 U/l (NW: 0 - 35 U/l), gamma-GT 152 U/l
( NW: 0 - 38 U/l), GLDH 12,1 U/l (NW: < 4,8 U/l), APH 112 U/l (NW: 30 - 135 U/l),
LDH 473 U/l (NW: 126 - 253 U/l) und CK 36 U/l (NW: < 185 U/l).
Entzündungsparameter: BSG n. W. 32/76 mm (NW: 10/20 mm), CRP 27 mg/l (NW: 3 - 15 mg/l),
Elektrophorese geringfügige Erhöhung der alpha-1- und alpha-2-Globulinfraktionen bei
sonst unauffälligen Befunden.
Hepatitis-Serologie: Hep A-IgM-AK, Hbs-AG, Hep Bc-AK und Hep C-AK negativ.
Übrige Laborbefunde (ASL, Bilirubin, nierenpflichtige Substanzen, Gerinnungsparameter,
Elektrolyte und Urinstatus) unauffällig.
Ergänzende apparative Untersuchungen
Die Röntgenaufnahme der Thoraxorgane und das EKG zeigten keine pathologischen Befunde.
In der Oberbauchsonographie konnte eine Splenomegalie bei sonst unauffälligen Befunden
nachgewiesen werden. Die Lymphknotensonographie zervikal, axillär und inguinal führte
zum Nachweis einzelner bis zu 2,5 cm großer, physiologisch geschichteter Lymphknoten.
Therapie und Verlauf
Die klinische Symptomatik der Patientin konnte bei der stationären Aufnahme zunächst
nicht sicher eingeordnet werden. Diskutiert wurden eine Virusinfektion, eine myeloproliferative
Erkrankung und eine Arzneimittelreaktion. Durch laborchemische Untersuchungen konnten
eine infektiöse Mononukleose sowie eine Hepatitis A, B und C ausgeschlossen werden.
Auch fanden sich hierbei keine Hinweise für eine Leukämie oder ein Lymphom. Auffällig
war hingegen eine Leukozytose, eine Eosinophilie und eine deutliche Erhöhung der Transaminasen.
Bei den sonographischen Untersuchungen zeigten sich eine Splenomegalie und vergrößerte,
morphologisch jedoch unauffällig geschichtete Lymphknoten. Der histopathologische
Befund war durch eine Interface-Dermatitis mit Eosinophilie gekennzeichnet. Bei Wertung
aller Befunde wurde die Diagnose eines Hypersensitivitätssyndroms gestellt. Nach Absetzen
des Carbamazepins wurde eine orale Behandlung mit 100 mg Prednisolon täglich eingeleitet,
die bei schrittweiser Reduktion der Dosierung nach 2 Wochen beendet werden konnte.
Zu diesem Zeitpunkt hatten sich das Arzneimittelexanthem und die Lymphadenopathie
vollständig zurückgebildet. Auch die pathologischen Befunde im Blut- und Differenzial-Blutbild
waren nicht mehr nachweisbar. Die Normalisierung der Transaminasenwerte konnte hingegen
erst weitere 3 Wochen später beobachtet werden. Die allergologischen Untersuchungen
erfolgten 2 Monate nach Beendigung der oralen Prednisolon-Therapie. Bei der Epikutantestung
mit Carbamazepin zeigte sich nach 48 und 72 Stunden ein deutlich infiltriertes Erythem.
Der Lymphozyten-Transformationstest war hingegen negativ. Bei einer erneut aufgetretenen
behandlungsbedürftigen Depression wurde der Patientin Nortriptylin verordnet, das
ohne Nebenwirkungen vertragen wurde.
Diskussion
Arzneimittelexantheme nach Einnahme von Antikonvulsiva sind häufig und zeigen nicht
selten eine ausgeprägte Manifestation. Bei Carbamazepin, einem der am häufigsten verordneten
Antikonvulsiva, entwickeln 2 - 5 % der behandelten Patienten eine kutane Arzneimittelreaktion
[14]
[15]. Kommt es darüber hinaus zu weiteren multisystemischen Nebenwirkungen, zu denen
definitionsgemäß Fieber, eine Lymphadenopathie, eine Eosinophilie und die Erkrankung
mindestens eines weiteren Organsystems gezählt werden, kann die Diagnose eines Hypersensitivitätssyndroms
als gesichert angesehen werden [16]. Das Risiko, nach Einnahme von Carbamazepin ein Hypersensitivitätssyndrom zu entwickeln,
ist jedoch insgesamt gering. Bei 10 000 Verordnungen ist, Schätzungen zufolge, mit
maximal 4 Erkrankungen zu rechnen [17].
Der Verlauf und die klinische Symptomatik eines Hypersensitivitätssyndroms sind grundsätzlich
unabhängig von der im Einzelfall eingenommenen und für die Auslösung des Syndroms
verantwortliche Arzneimittelsubstanz. Vereinzelt werden komplette und inkomplette
Formen des Hypersensitivitätssyndroms unterschieden. Dabei gelten als Hauptsymptome
Fieber, Exanthem, Lymphadenopathie und Hepatitis, deren gemeinsames Auftreten die
komplette Form des Syndroms definiert, während bei einem inkompletten Hypersensitivitätssyndrom
mindestens zwei der genannten vier Hauptsymptome vorliegen müssen [7]. Die Latenzzeit zwischen dem Beginn einer medikamentösen Therapie und dem Auftreten
der ersten Symptome eines Hypersensitivitätssyndroms beträgt in den meisten Fällen
2 - 6 Wochen [13]
[18]
[19]
[20]. Nur sehr selten wurde über längere Latenzzeiten von 3 bis maximal 14 Monaten berichtet
[21]
[22].
Typischerweise ist die initiale Phase eines Hypersensitivitätssyndroms durch ein allgemeines
Krankheitsgefühl, eine Laryngitis, Zephalgien, Arthralgien und Fieber gekennzeichnet.
Die ebenfalls bereits in der Frühphase der Erkrankung auftretenden generalisierten
Exantheme zeichnen sich durch eine deutliche klinische Polymorphie aus. Dabei werden
makulo-papulöse, morbilliforme, rubeoliforme und pustulöse Formen beschrieben [6]
[18]
[21]
[23]. Purpuriforme und Erythema exsudativum multiforme-artige Exantheme, das Stevens-Johnson-Syndrom
und die toxische epidermale Nekrolyse zählen ebenso wie lymphomartige Infiltrationen
oder Papeln und Knoten zu den weiteren möglichen kutanen Arzneimittelreaktionen eines
Hypersensitivitätssyndroms [6]
[22]
[23]
[24]
[25]. Nur in Ausnahmefällen wurde keine dermatologische Beteiligung beobachtet [26]. Die Lymphadenopathie als weiteres initiales Symptom manifestiert sich lokal im
Bereich der peripheren Lymphknoten oder generalisiert peripher und intraabdominal.
Histopathologisch zeigen die Lymphknoten eine benigne Hyperplasie bei sonst unauffälliger
Struktur [27]
[28]. Der weitere Verlauf eines Hypersensitivitätssyndroms ist in meist zunehmender Weise
durch die Mitbeteiligung viszeraler Organsysteme geprägt. Dabei ist die Leber mit
34 - 94 % das am häufigsten betroffene Organ [29]
[30]. Von besonderer Bedeutung ist die vereinzelt fulminant verlaufende Hepatitis, die
als Hauptursache der mit 8 - 10 % hohen Letalität angesehen wird [8]
[9]. Das klinische Spektrum der meist anikterischen Hepatitiden umfasst eine asymptomatische
Transaminasenerhöhung, eine deutliche Funktionseinschränkung mit Hepatomegalie und
eine akut verlaufende Leberzellnekrose. Mit Ausnahme der fulminanten Verläufe zeigt
sich das histopathologische Bild einer granulomatösen Hepatitis [23]. Neben der im Vordergrund stehenden Hepatitis sind die Myokarditis, die Pneumonie,
die interstitielle Nephritis sowie die Thyreoiditis weitere internistische Manifestationen
des Hypersensitivitätssyndroms. Auch eine zerebrale Symptomatik, eine Rhabdomyolyse
und eine Splenomegalie wurden vereinzelt als zusätzliche Organbeteiligungen beobachtet
[6]
[21]
[28]
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
[36]. Die für das Hypersensitivitätssyndrom typischen Laborbefunde sind Ausdruck einer
primären Beteiligung des hämatologischen Systems oder können auf entzündliche Reaktionen
der betroffenen Organsysteme zurückgeführt werden. Zu den am häufigsten auftretenden
hämatologischen Störungen zählen die Eosinophilie, eine Leukozytose und eine teilweise
mononukleose-artige atypische Lymphozytose, während Thrombozytopenien, Agranulozytosen
oder hämolytische Anämien nur selten beschrieben worden sind [6]
[27]
[28]
[37]. Bei einer hepatogenen Manifestation des Hypersensitivitätssyndroms ist eine Erhöhung
der Transaminasen obligat, während eine Hyperbilirubinämie selten und nur bei einzelnen
Medikamenten, z. B. bei Diaminodiphenylsulfon, häufiger nachweisbar ist. Eine ausgeprägte
Hyperbilirubinämie ist vermutlich mit einer schlechteren Prognose verbunden [7]
[28]. Bei einer Beteiligung anderer Organsysteme, z. B. bei einer Karditis, einer Niereninsuffizienz
oder einer Thyreoiditis, finden sich richtungsweisende Laborbefunde.
Die Pathogenese des Hypersensitivitätssyndroms ist nicht geklärt. Als mögliche Ursache
wird eine genetisch determinierte Störung in der Metabolisierung einzelner Arzneimittel
diskutiert.
Der damit verbundene Anstieg toxischer oder immunologisch wirksamer Metaboliten wird
für die klinische Symptomatik des Hypersensitivitätssyndroms verantwortlich gemacht.
Die aromatischen Antikonvulsiva, zu denen Carbamazepin, Phenytoin, Primidon und Clonazepam
zählen, werden durch die Cytochrom P-450-Isoenzyme hydroxiliert. Die entstehenden
Zwischenprodukte, die Epoxide, gelten biologisch als besonders aktive Verbindungen.
Ist deren weiterer enzymatischer Abbau behindert, z. B. durch eine Störung der Epoxidhydrase,
kommt es zu einer Kumulation der Epoxide, die möglicherweise mit anderen Molekülen
toxische oder immunologisch wirksame Verbindungen eingehen [38]. Als weiterer Hinweis für einen gestörten Metabolismus der aromatischen Antikonvulsiva
gelten die bei einzelnen Patienten nachgewiesenen LKM-Antikörper (liver-kidney-microsomal
antibody), die spezifisch gegen Cytochrom P-450-Isoenzyme gerichtet sind und für deren
Funktionsstörung verantwortlich gemacht werden [39]
[40]. Einer anderen These zur Folge, die besonders in den letzten Jahren an Bedeutung
gewonnen hat, ist die Reaktivierung der humanen Herpes-Viren 6 oder 7 ein wesentlicher
Faktor in der Pathogenese des Hypersensitivitätssyndroms. Der Titeranstieg spezifischer
IgG-Antikörper 3 bis 4 Wochen nach Auftreten der klinischen Symptome eines Hypersensitivitätssyndroms,
der Nachweis der Virusreplikation im Serum vor Beginn der Antikörperproduktion und
die direkt nachgewiesene Virus-DNA in erkrankten Organsystemen, z. B. im Liquor bei
einer Enzephalitis, gelten als Belege für eine pathogenetische Bedeutung der Herpes-Viren
[41]
[42]
[43].
Ein Hypersensitivitätssyndrom sicher zu diagnostizieren ist schwierig und wird besonders
in der Anfangsphase der Erkrankung nur vereinzelt möglich sein. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass das Krankheitsbild selten und daher nur wenig bekannt ist, während die Diagnose
klinisch gestellt werden muss. Darüber hinaus sind die klinischen und laborchemischen
Befunde eines Hypersensitivitätssyndroms in ihrer Kombination so vielgestaltig und
sicher auch ungewöhnlich, dass man in der Regel nicht sofort an eine Arzneimittelreaktion
denken wird. Die Patienten sind im Allgemeinen schwer krank mit hohen Temperaturen,
Zephalgien, Myalgien und den klinischen Zeichen eines Infektes der oberen Luftwege.
Gleichzeitig werden neben einer Lymphadenopathie klinisch-morphologisch sehr unterschiedliche
Exantheme beobachtet, die makulo-papulöse, morbilliforme oder auch rubeoliforme Manifestationen
beinhalten können. Die klinische Symptomatik ist daher mit viralen oder auch bakteriellen
Infektionen durchaus vereinbar, so dass in der Literatur zahlreiche Infektionskrankheiten
als typische Differenzialdiagnosen zum Hypersensitivitätssyndrom angegeben werden.
Einzelne Beispiele sind die infektiöse Mononukleose, der akute grippale Infekt, virale
Hepatitiden, HIV-Infektionen, Masern, Röteln oder bakterielle Septikämien und das
toxische Staphylokokken-Schocksyndrom [7]
[12]
[13]
[18]
[23]. Zu den weiteren Differenzialdiagnosen nicht infektiöser Genese zählt der Lupus
erythematodes, das Hypereosinophilie-Syndrom und verschiedene Formen der Vaskulitiden.
Bei Erwachsenen mit lymphomartigen Infiltrationen der Haut sind bei gleichzeitigem
Nachweis einer Lymphadenopathie und schwer gestörtem Allgemeinbefinden der Patienten
akute Lymphome differenzialdiagnostisch zu berücksichtigen, während bei Kindern in
Einzelfällen auch ein mukokutanes lymphonodales Syndrom ausgeschlossen werden muss
[6]
[12]
[25]
[44]. In Ergänzung zu der klinisch zu stellenden Diagnose eines Hypersensitivitätssyndroms
können bei einzelnen Arzneimitteln, z. B. bei Carbamazepin, positive Epikutan- oder
Lymphozyten-Transformationstestungen den kausalen Zusammenhang zwischen dem Syndrom
und dem auslösenden Medikament sichern [45].
Die Behandlung eines Hypersensitivitätssyndroms besteht zunächst im Absetzen aller
für die Auslösung des Syndroms in Frage kommenden Arzneimittel. Von wenigen Ausnahmen
abgesehen, vertreten die meisten Autoren die Auffassung, dass bei einem Hypersensitivitätssyndrom
die Indikation zu einer systemischen Therapie mit Kortikosteroiden gegeben ist, wobei
Dosierungen von 100 - 150 mg oder 1 - 2 mg/kg Körpergewicht Prednisolon täglich empfohlen
worden sind. Die Behandlung sollte über einen Zeitraum von 2 - 3 Wochen erfolgen,
da ein schnelles Absetzen oder auch eine schnelle Reduktion der Dosis zu einem erneuten
Auftreten der Symptomatik führen können [12]
[13]
[22]
[23]
[27]. Durch die Therapie mit Kortikosteroiden kommt es im Allgemeinen zu einer schnellen
Rückbildung der klinischen Symptomatik einschließlich der dermatologischen Manifestationen,
während sich bei den Laborbefunden insbesondere die Transaminasen erst nach 4 bis
6 Wochen normalisieren.
Nach einem durch Carbamazepin bedingten Hypersensitivitätssyndrom muss die neurologische
Behandlung einer Epilepsie mit anderen Antikonvulsiva fortgeführt werden. Dabei sollten
grundsätzlich keine aromatischen Antikonvulsiva verordnet werden, da Kreuzreaktionen
aufgrund der ähnlichen Metabolisierungswege häufig sind [46]
[47]. Für die Therapie der betroffenen Patienten hat sich die Valproinsäure als Alternative
bewährt [19]
[47].
Die hier vorgestellte Patientin war wegen einer endogenen Depression mit Carbamazepin
behandelt worden. Die Verordnung von tri- oder tetrazyklischen Antidepressiva ist
bei einem Carbamazepin induzierten Hypersensitivitätssyndrom ebenfalls keineswegs
unbedenklich, da Carbamazepin und zahlreiche Vertreter der genannten Antidepressiva
chemisch gleiche oder ähnliche Ringstrukturen aufweisen [48]. Tatsächlich wurden vereinzelt Kreuzreaktionen zwischen Carbamazepin und trizyklischen
Antidepressiva nachgewiesen [13]. Bei unserer Patientin stellte der behandelnde Psychiater die Indikation zur Therapie
mit Nortriptylin, einem trizyklischen Antidepressivum, ohne dass Nebenwirkungen beobachtet
werden konnten. Bei einer entsprechenden Indikation sollten Patienten mit einem bekannten
Hypersensitivitätssyndrom sehr engmaschig klinisch und laborchemisch überwacht werden,
um Kreuzreaktionen möglichst frühzeitig erkennen zu können.