Innerhalb der heterogenen Krankheitsgruppe der interstitiellen Lungenerkrankungen
macht die idiopathische pulmonale Fibrose (IPF) einen Anteil von ca. 20 - 30 % aus,
ihre Prävalenz in der Bevölkerung beträgt 15 - 20 pro 100 000. Die klinischen Diagnosekriterien
sind in Tab. [1] zusammengefasst [1]
[2]. Von besonderer Bedeutung ist das typische Befundmuster im hochauflösenden Computertomogramm,
welches eine retikuläre Zeichnungsvermehrung, subpleurales Honigwabenmuster und das
Fehlen flächiger, milchglasartiger Lungenparenchymtrübungen beinhaltet [3]. Die Anwendung dieser Kriterien (Tab. [1]) erlaubt in ⅔ der Fälle eine zuverlässige Diagnose, nur in ⅓ der Patienten ist die
Bestätigung der Diagnose anhand einer chirurgischen Lungenbiopsie erforderlich. Von
besonderer Bedeutung ist die sehr ungünstige Prognose der IPF - die mediane Überlebenszeit
nach Diagnosestellung beträgt nur 2 - 4 Jahre. Das bisherige Fehlen wirksamer Therapieansätze
stellt vor diesem Hintergrund eine besondere Herausforderung dar.
Tab. 1 Diagnosekriterien der IPF [3]
Hauptkriterien:
|
1. |
Ausschluss bekannter Ursachen einer interstitiellen Lungenerkrankung |
2. |
Lungenfunktion: Restriktion und Einschränkung der Diffusionskapazität |
3. |
hochauflösende Computertomographie: retikuläre Zeichnungsvermehrung und subpleurales
Honigwabenmuster, basal betont, bei gleichzeitigem Fehlen relevanter Milchglastrübungen
des Lungenparenchyms |
4. |
bronchoalveoläre Lavage oder transbronchiale Lungenbiopsie ohne Hinweis auf eine alternative
Diagnose |
Nebenkriterien:
|
1. |
Alter > 50 Jahre |
2. |
schleichender Beginn einer unerklärten Atemnot |
3. |
Krankheitsdauer mindestens 3 Monate |
4. |
inspiratorisches Knisterrasseln über den basalen Lungenabschnitten |
Alle 4 Hauptkriterien und mindestens 3 von 4 Nebenkriterien müssen zur Diagnosestellung
einer IPF erfüllt sein. |
Die Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose orientiert sich am zugrunde liegenden
pathophysiologischen Konzept. Ursprünglich ging man von der Vorstellung aus, dass
eine persistierende Entzündung der Alveolarwand (Alveolitis) zu einer fibrotischen
Umwandlung des Lungenparenchyms führt. Daher wurden initial antiinflammatorische Therapieansätze
unter Verwendung von Prednison als Monotherapie oder in Kombination mit Immunsuppressiva,
meist Azathioprin oder Cyclophosphamid, eingesetzt [3]. Obwohl ausreichend dimensionierte kontrollierte Studien zu diesen Therapieansätzen
fehlen, sprechen alle vorliegenden Daten für eine allenfalls nur unzureichende Wirksamkeit.
Basierend auf diesen Erfahrungen sowie auf neuen histopathologischen Erkenntnissen
wurde eine neue pathogenetische Hypothese formuliert, der zur Folge eine repetitive
Epithelläsion zu einer direkten Aktivierung der mesenchymalen Zellen im Lungeninterstitium
mit Ausbildung fibroblastärer Proliferationsherde und letztlich fibrotischer Umwandlung
des Lungengewebes führt [4]. Bisher vorliegende prospektive, plazebokontrollierte klinische Studien mit Interferon-Gamma-1b
[5], Pirfenidon [6], Ethanercept [7] und Bosentan (ATS 2006) verfehlten allerdings ihren jeweiligen primären Studien-Endpunkt,
zeigten aber positive Teilergebnisse und Trends, die derzeit in groß angelegten Phase-III-Studien
(INSPIRE, PIPF-006, BUILD-3) überprüft werden.
Zahlreiche experimentelle und klinische Untersuchungen konnten belegen, dass in den
Lungen von Patienten mit IPF ein Oxidanzien-Antioxidanzien-Ungleichgewicht herrscht,
welches durch unterschiedliche Mechanismen den inflammatorischen und fibroproliferativen
Krankheitsprozess hervorrufen und/oder verstärken kann. Hierbei spielt ein Mangel
von antioxidativ wirksamem Glutathion im Flüssigkeitsfilm des Lungenepithels sowie
in Lungenzellen eine möglicherweise entscheidende Rolle [8]. In verschiedenen Pilotstudien konnte gezeigt werden, dass N-Acetylcystein (NAC)
in einer Dosierung von 3 × 600 mg pro Tag zu einer partiellen Korrektur des Oxidanzien-Antioxidanzien-Ungleichgewichts
in den Lungen von IPF-Patienten führt, indem es insbesondere die bei der IPF reduzierten
extra- und intrazellulären Glutathionspiegel signifikant bis in den Normbereich ansteigen
lässt [8]
[9]
[10]. In einer prospektiven, plazebokontrollierten, randomisierten Multizenterstudie
wurde deshalb die Wirkung von hochdosiertem N-Acetylcystein (3 × 600 mg pro die p.
o.) an 155 Patienten mit gesicherter IPF über einen Zeitraum von 1 Jahr untersucht.
Ausgehend von der ATS-ERS Konsensusempfehlung, dass Patienten mit progressiver Lungenfibrose
eine Behandlung mit Prednison und Azathioprin (oder Cyclophosphamid) erhalten sollten
[3], wurden alle Patienten mit diesem Regime als Basistherapie versorgt und erhielten
N-Acetylcystein (3 × 600 mg pro die) oder Plazebo zusätzlich [11]. Als primärer Endpunkt wurde die Änderung der Vitalkapazität und der CO-Diffusionskapazität
nach 1 Jahr gewählt. Es zeigte sich, dass die Behandlung mit hochdosiertem NAC zu
einer signifikant geringeren Progression der idiopathischen Lungenfibrose nach 1 Jahr
führte, gemessen an einem geringeren Abfall der Vitalkapazität (Unterschied NAC versus
Plazebo 180 ml bzw. 9 %, p < 0,02) sowie auch der Diffusionskapazität (Unterschied
NAC versus Plazebo 0,75 kPa/min/mmHg oder 24 %, p < 0,003) [11]. Von Seiten der sekundären Studienendpunkte zeigte vor allem die Ergospirometrie
einen positiven Trend zugunsten der NAC-Therapie und auch die Mortalität war in der
NAC-Gruppe mit 7 von 80 Patienten (9 %) geringfügig niedriger als in der Plazebogruppe,
in der 8 von 75 Patienten (11 %) verstarben [11]. Dieser geringe Unterschied war statistisch nicht signifikant, was aufgrund der
Patientenzahl nicht verwundert. Es bleibt festzuhalten, dass diese unter dem Akronym
„IFIGENIA” bekannte Studie erstmals einen statistisch signifikanten, positiven Effekt
auf den primären Studienendpunkt bei Patienten mit idiopathischer Lungenfibrose gezeigt
hat. Eine Limitation dieser Studie ist die Tatsache, dass ca. 30 % der 155 eingeschlossenen
Patienten die Studie nicht beendet haben, entweder weil sie verstorben sind (15 Patienten
insgesamt) oder weil sie die Studie aus unterschiedlichen Gründen vorzeitig beendet
haben (32 Patienten) [11]. Auch sind die Veränderungen der Lungenfunktion nach 1 Jahr als so genannte „weiche
Studienendpunkte” zu werten und lassen nur indirekt Rückschlüsse auf einen tatsächlichen
klinischen Vorteil für die Patienten zu. Andererseits war die Behandlung mit hochdosiertem,
oralen NAC sehr gut verträglich und führte sogar zu einer geringeren Knochenmarktoxizität
unter Azathioprin im Verumarm [11].
Fasst man die vorliegenden Studienergebnisse zusammen, so kann festgehalten werden,
dass eine alleinige immunsuppressive Therapie zur Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose
zumindest nicht ausreichend ist. Die zusätzliche Gabe von hochdosiertem N-Acetylcystein
bewirkt dagegen eine signifikante Verlangsamung des Abfalls der klinisch relevanten
Lungenfunktionsparameter Vitalkapazität und Diffusionskapazität um ca. 70 % verglichen
mit Plazebo. Nachdem in verschiedenen Studien ein Zusammenhang zwischen einer Abnahme
der Vitalkapazität um 10 % bzw. der Diffusionskapazität um 15 % im Verlauf von 6 -
12 Monaten und einem signifikant erhöhten Mortalitätsrisiko (OR ca. 2,4) hergestellt
werden konnte, liegt die Spekulation nahe, dass die vorliegenden Ergebnisse der IFIGENIA-Studie
einen tatsächlichen klinischen Benefit durch NAC repräsentieren. Wenngleich es äußerst
wünschenswert wäre, einen positiven Effekt einer hochdosierten NAC-Therapie auf die
Mortalität im Rahmen einer größeren Nachfolgestudie direkt zu demonstrieren, erscheint
es angesichts einer geringen Gewinnspanne des Medikaments und der erforderlichen großen
Patientenzahl unwahrscheinlich, dass eine solche Studie finanzierbar sein wird. Ein
Antrag der Firma Zambon, NAC in erhöhter Dosis von 3 × 600 mg pro die als „Orphan
Drug” zuzulassen, wurde bei der europäischen Arzneimittelkommission gestellt und erscheint
aussichtsreich. Auch unter dem Gesichtspunkt des günstigen Nebenwirkungsprofils von
NAC kann die Behandlung von Patienten mit IPF nach dem „IFIGENIA-Protokoll” empfohlen
werden, wenngleich kritisch anzumerken ist, dass die Notwendigkeit einer immunsuppressiven
Basistherapie mit Prednison und Azathioprin aus den Studiendaten nicht abgeleitet
werden kann. Andererseits lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten, dass NAC auch
ohne diese Begleitmedikation den gleichen Effekt erzielt. Unbegründet erscheint hingegen
eine Interpretation, der zu Folge NAC lediglich einen pneumotoxischen Effekt von Azathioprin
günstig beeinflusst haben könnte [12]. Diese Annahme wird durch publizierte Daten bisher nicht gestützt und lässt sich
darüber hinaus durch die Tatsache entkräften, dass der Verlust an Vitalkapazität im
Plazeboarm der IFIGENIA-Studie, in dem alle Patienten die gleiche durchschnittliche
Azathioprindosis erhielten wie im Verumarm, vergleichbar dem Abfall der Vitalkapazität
in allen anderen publizierten Studien zur Therapie (ohne Azathioprin) der IPF war
(Tab. [2]). Ein pneumotoxischer Effekt von Azathioprin kann dementsprechend schwerlich konstatiert
werden. Mit Blick auf die primär antifibrotischen Therapieansätze mit Interferon-Gamma-1b,
Pirfenidon, Etanercept und Bosentan ist eine abschließende Bewertung zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht möglich. Für jede dieser Substanzen existieren positive Signale, eine
Wirksamkeit bei IPF ist bisher aber nicht nachgewiesen. Hier müssen die Ergebnisse
der Nachfolgestudien abgewartet werden.
Tab. 2 Vergleich der Änderung der Vitalkapazität im Verlauf verschiedener IPF-Therapiestudien
Studie |
FVC (% d. Soll) Baseline |
Studiendauer (Wochen) |
ΔFVC Plazebo (l) |
ΔFVC Verum (l) |
NAC n = 155 (Ref. 11) |
65 |
52 |
- 0,19 |
- 0,06 |
Interferon- Gamma-1b n = 330 (Ref. 5) |
64 |
48 |
- 0,16 |
- 0,20 |
Etanercept n = 88 (Ref. 7) |
64 |
48 |
- 0,20 |
- 0,10 |
Pirfenidon n = 107 (Ref. 6) |
80 |
39 |
- 0,13 |
- 0,03 |
Auch wenn mit hochdosiertem NAC erstmals eine wirksame Therapie der idiopathischen
Lungenfibrose zur Verfügung steht, dürfen angesichts der begrenzten Effekte dieser
Therapie die Anstrengungen, neue und effektivere Behandlungsstrategien zu entwickeln,
nicht nachlassen. Dementsprechend erscheint es gerechtfertigt und notwendig, auch
zukünftig IPF-Patienten in plazebokontrollierte Studien einzuschließen, sofern die
Sicherheit dieser Patienten durch engmaschige Kontrolluntersuchungen gewährleistet
ist. Insgesamt kann die Entwicklung auf dem Gebiet der Therapie der idiopathischen
Lungenfibrose als vielversprechend bezeichnet werden. Nach einer langen Zeit der Stagnation
wurden nun erstmals positive Effekt erzielt und erfolgversprechende Strategien entwickelt.
Patienten mit IPF, die nicht an einer Therapiestudie teilnehmen, sollten nach Expertenmeinung
[13] mit einer Tripeltherapie aus Prednison, Azathioprin und NAC behandelt werden, solange
keine wirksamere Therapie verfügbar ist.