Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(2): 60-62
DOI: 10.1055/s-2006-933608
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Effektive Therapieführung - Hypertonie im Orchester der Begleiterkrankungen

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Publication Date:
01 March 2006 (online)

 
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Lange Zeit wurde die Hypertonie als einzelner Risikofaktor gesehen. Im Rahmen der 29. Tagung der Deutschen Hochdruckliga im November 2005 in Berlin wurde Hypertonie jedoch vielmehr als Querschnittsdisziplin definiert. "Wir kommen nicht weiter, wenn wir den Hochdruck isoliert sehen, wir müssen ihn im Orchester der Begleiterkrankungen betrachten, appellierte Prof. Jürgen Scholze, Berlin.

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Die meisten Hypertoniker haben Zeichen eines metabolischen Syndroms

Bei der Mehrzahl der Patienten entwickelt sich ein Hypertonus im Zusammenhang eines metabolischen Syndroms. Wie Prof. Klaus Parhofer, München, erklärte, gilt ein metabolisches Syndrom als Ansammlung von Risikofaktoren. Meistens sei es von der genetischen Prädisposition abhängig, ob sich als Folge des metabolischen Syndroms primär eine Hypertonie manifestiert oder eine Dyslipoproteinämie oder auch ein Diabetes mellitus. An einer Studie aus Finnland mit über 500 Hypertonikern zeigte Parhofer, dass hier nur weniger als 10% der Patienten keine Zeichen eines metabolischen Syndroms zeigten. Die Mehrzahl der Patienten hatte einen erhöhten BMI (Body Mass Index), eine Hypertriglyzeridämie, erniedrigte HDL-Cholesterinwerte und eine gestörte Glukosetoleranz. Das bedeutet für die Hypertonie-Therapie im Rahmen des metabolischen Syndroms, dass nicht nur der Blutdruck gesenkt und Endorganschäden verhindert werden sollten, sondern auch Stoffwechselaspekte positiv beeinflusst werden müssen. Besonders effektiv haben sich nach Parhofer ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorantagonisten erwiesen. Im Glukosestoffwechsel führen sie zu einer verminderten Insulinresistenz. Im atherosklerotischen Ansatz haben sie günstige Auswirkungen auf den Lipidstoffwechsel, was wiederum eine Verbesserung der Insulinresistenz bewirkt.

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Wirkungen über die Blutdrucksenkung hinaus

Besonders günstige Effekte auf den Stoffwechsel haben Studien mit Telmisartan[1] gezeigt. Im Vergleich zu anderen Sartanen hatte Telmisartan einen stärkeren Einfluss auf den Glukosestoffwechsel, der auf einer Modulation von PPAR-γ-Rezeptoren (Peroxisomen Proliferator Activator Receptor) beruht. Dies belegte eine Vergleichsstudie, in der 40 Patienten mit Hypertonie und metabolischem Syndrom drei Monate lang mit 80 mg Telmisartan oder 50 mg Losartan behandelt wurden. Unter Telmisartan kam es zu einer signifikanten Reduktion des Nüchternblutzuckers, während unter der Vergleichsmedikation sogar ein leichter Anstieg zu sehen war. Auch das Nüchterninsulin wurde durch Telmisartan günstig beeinflusst, ebenso die Insulinresistenz, Effekte, die in der Vergleichsgruppe nicht festgestellt wurden. Für Telmisartan spricht nach Parhofer die ausgeprägte Blutdrucksenkung, die sowohl den systolischen wie auch den diastolischen Blutdruck umfasst und darüber hinaus auch die Blutdruckamplitude, die inzwischen als eigenständiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse akzeptiert ist. Die Blutdruckreduktion erfolgt gleichmäßig und anhaltend mit zuverlässiger Wirkung über 24 Stunden. Dies erklärt sich unter anderem durch die ausgesprochen hohe Affinität von Telmisartan zum Angiotensin-Rezeptor und die mit mehr als 20 Stunden sehr lange Halbwertszeit.

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Eine Besonderheit in der Therapiestrategie: adipöse Hypertoniker

Eine Besonderheit in der Therapiestrategie stellen adipöse Hypertoniker dar, so Prof. Jürgen Scholze, Berlin. "Die Verquickung von Adipositas und kardiovaskulären Komplikationen ist die Thematik der Zukunft", betonte er. Verschiedene Studien zeigten, dass ein steigender BMI beziehungsweise eine viszerale Adipositas zu erhöhten Blutdruckwerten führt. Maßgeblich für die viszerale Adipositas ist laut IDF (International Diabetes Federation 2005) der Taillenumfang bei Männern von > 94 cm und bei Frauen von > 80 cm. Viszerale Adipositas bedeute eben nicht nur eine Störung im metabolischen System, sondern auch Proinflammation, Insulinresistenz, Dyslipidämie, Hypertonie und Gerinnungsstörungen - die Säulen für eine Atherosklerose (Abb. [1]). Klassische Symptome der koronaren Atherosklerose können bereits bei Kindern nachgewiesen werden, besonders bei Kindern mit Übergewicht. "Das bedeutet, wenn wir bei dieser Hypertonieform etwas erreichen wollen, ist die Reduktion des Bauchumfangs eine zentrale Aufgabe", folgerte Scholze. "Denn pro Kilogramm Gewichtsverlust ist mit einer Senkung des Blutdrucks um 1-2 mmHg zu rechnen", sagte Scholze. Allerdings hat sich auch folgendes gezeigt: "Bei Gewichtsabnahme nimmt der Blutdruck ab, wird das Gewicht gehalten, steigt der Blutdruck sukzessive an, bei Gewichtszunahme nimmt er sehr schnell wieder zu" gibt Scholze zu bedenken.

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Eine Gewichtsabnahme kann durch hypokalorische Mischkost, Ausdauertraining und eventuell zusätzliche psychosomatische Betreuung erfolgen. Kommt eine gezielte individuelle Pharmakotherapie zur Hypertoniebehandlung hinzu, so muss beachtet werden, dass diese keinesfalls einer weiteren Gewichtszunahme Vorschub leisten darf. Auch darf die körperliche Leistungsfähigkeit durch die Behandlung nicht eingeschränkt werden. Vielmehr solle die antihypertensive Therapie so ausgerichtet werden, dass sie möglichst die gesamte metabolische Situation des Patienten günstig beeinflusst.

Als problematisch nannte Scholze Betablocker, da sie den Grundumsatz senken und ungünstige Auswirkungen auf den Kohlenhydrat- sowie Lipidmetabolismus haben. Auch Diuretika hält er für ungünstig, da sie einer Diabetesmanifestation Vorschub leisten. "Unter metabolischen Aspekten sollte man mit Betablockern und Diuretika Vorsicht walten lassen, sie sollten ihren Indikationen vorbehalten bleiben" plädierte Scholze. Vorteilhafter seien ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorblocker, da sie den Blutdruck stoffwechselneutral senken, die körperliche Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigen und Endorganschäden vorbeugen. Dies gilt auch für Sartane, die nicht nur den Blutdruck senken, sondern auch günstige Wirkungen auf den Metabolismus haben, von denen besonders adipöse Hypertoniker profitieren (Abb. [2]). Einen äußerst erwünschten Effekt zeigt hier Telmisartan, das die Insulinresistenz verbessert. "Will man die Adipositas-assoziierte Hypertonietherapie unter Stoffwechselaspekten begründen, dann spielen die AT1-Rezeptorblocker und die ACE-Hemmer die ganz entscheidende Rolle und sie sollten an erster Stelle mit Kalziumantagonisten kombiniert werden, erst danach kommen andere Therapievarianten", schloss Scholze. "Wir haben klare Präferenzen für Hemmstoffe des RAAS in der Kombination mit Kalziumantagonisten oder der Zugabe von kleineren Mengen eines Diuretikums."

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Selektive Modulation des PPAR-γ-Rezeptors

Viele Studien, die die Wirkung von Sartanen überprüft haben (z.B. die LIFE-Studie - Losartan Intervention For Endpoint reduction in hypertension study und die VALUE-Studie - Valsartan Antihypertensive Long-term Use Evaluation) kamen zu dem Ergebnis, dass AT1-Rezeptorblocker das Risiko des Neuauftretens eines Diabetes mellitus um rund 25% reduzieren. Dieser Effekt entsteht einerseits durch die AT1-Rezeptorblockade selbst, die eine Reihe positiver Wirkungen auf den Insulin- und Glukosestoffwechsel hat. Andererseits kann diese Wirkung auch durch die Aktivierung von PPAR-γ-Rezeptoren (Peroxisomen Proliferator Activator Receptor) erklärt werden, sagte PD Ulrich Kintscher, Berlin. PPAR-γ-Rezeptoren gehören zur Familie der nukleären Hormonrezeptoren, ebenso wie der Östrogenrezeptor und der Mineralkortikoidrezeptor. Bekannt geworden ist dieser Rezeptor als insulinsensitivierender Rezeptor und wird daher als "antidiabetischer Rezeptor" bezeichnet. Neben Glukosesenkung und Verbesserung der Insulinsensitivität vermittelt er auch weitere metabolische Effekte wie Triglyzeridsenkung und HDL-Anstieg. Gleichzeitig wird der Rezeptor auch in Gefäßen exprimiert und vermittelt dort eine Reihe von protektiven Wirkungen, die zu einer Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität führen (Abb. [3]). "Indirekt spielen hier die Leber und der Skelettmuskel eine ganz bedeutende Rolle", betonte Kintscher, "da PPARg letztendlich diese Organe schützt, indem es hier zu einer Verbesserung der insulinabhängigen Glukoseaufnahme kommt." In tierexperimentellen Befunden zeigte sich, dass Telmisartan als partieller Agonist den PPAR-γ-Rezeptor moduliert. Das Sartan steigert somit die Insulinsensitivität und verbessert die Glukosetoleranz. Dabei scheint es sich um eine substanzspezifische Eigenschaft - vermutlich unter anderem bedingt durch die besonders hohe Lipophilie - und nicht um einen Klasseneffekt zu handeln. Anders als bei Glitazonen kommt es laut Kintscher durch die selektive Modulation bei Telmisartan zu keiner Flüssigkeitsretention und zu keiner Ödembildung sowie zu keiner Gewichtszunahme. Ziel ist es, den Rezeptor nicht voll zu aktivieren, sondern so zu modulieren, dass sich die positiven Wirkungen verbessern und Nebenwirkungen vermieden werden.

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Irreversiblen Schädigungen der Niere vorbeugen

Bei Hypertonikern ist jedoch nicht nur die metabolische Situation zu beachten, sondern auch die Nierenfunktion, gab PD Dr. Ulrich Wenzel, Berlin, zu bedenken. Nach Wenzel gibt es zwei Risikofaktoren der terminalen Niereninsuffizienz, zum einen die Hypertonie und zum anderen die Proteinurie. "Was können wir machen, um eine kranke Niere zu schützen?" fragte Wenzel und fuhr fort "Die Antwort ist eindeutig: Die Therapie mit ACE-Hemmern und AT1-Rezeptorantagonisten." ACE-Hemmer haben ihren nephroprotektiven Effekt in Studien vor allem bei Typ 1-Diabetikern bewiesen, während andere Studien belegen, dass bei Diabetikern insbesondere Sartane nephroprotektive Effekte erzielen. In Studien, die retrospektiv prüften, wie viele Patienten bei welcher Blutdruckhöhe eine diabetische Nephropathie entwickelt haben zeigte sich, dass Patienten mit niedrigen Blutdruckwerten zugleich das geringste Risiko für eine Nephropathie hatten.

Eine Studie, in der ACE-Hemmer mit AT1-Antagonisten bei Diabetikern verglichen wurden, ist die DETAIL (Diabetics exposed to Telmisartan and Enalapril)-Studie. An der doppelblinden randomisierten Endpunktstudie über fünf Jahre nahmen 250 Typ 2-Diabetiker mit leichter bis mittelschwerer Hypertonie und beginnender Nephropathie teil. Die Patienten erhielten entweder 40 bis 80 mg Telmisartan oder 10 bis 20 mg Enalapril. In beiden Armen konnte der Verlust der glomerulären Filtrationsrate (GFR) auf zirka 3 ml/min/ Jahr verlangsamt werden, das heißt beide Therapieregime wirkten etwa gleich nephroprotektiv (Abb. [4]). Im Vergleich dazu würde man bei einem unbehandelten Diabetiker eine Progression von etwa 12 ml/min/ Jahr erwarten.

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Um noch weiter gegen die Proteinurie und die irreversible Schädigung der Niere vorzugehen, nannte Wenzel das Schlagwort "Doppelblockade". Das heißt die gleichzeitige Therapie eines Patienten mit ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten. "Dies sind interessante Optionen, die bei Bedarf eingesetzt werden können."

Im Gegensatz zum leitliniengerechten Blutdruckziel von < 140/90 mmHg fordert die Hochdruckliga, die WHO und amerikanische Guidelines bei nierenkranken Patienten oder Patienten mit Diabetes mellitus einen Blutdruck von < 130/80 mmHg. "Das sind für die Niere und den Diabetiker gute Daten", betonte Wenzel, "denn die Anzahl kardiovaskulärer Ereignisse nimmt bei Diabetikern mit sinkenden Blutdruckwerten signifikant ab."

Zusammenfassend sagte Wenzel: "ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten sind bei nierenkranken Patienten krankheitsmodulierende Medikamente und müssen obligat jedem nierenkranken Patienten gegeben werden.

ts

Quelle: Satelliten-Symposium "Hochdrucktherapie als interdisziplinärer Ansatz -Welchen Beitrag können Sartane leisten?" im Rahmen der 29. Wissenschaftlichen Tagung der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdruckes, Deutsche Hypertonie Gesellschaft, November 2005 in Berlin. Veranstalter: Bayer Vital GmbH, Leverkusen.

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