Pro
Christoph Fehr
Verschiedene nationale wie internationale Studien zeigen einen zunehmenden Trend zur
Mehrfachverordnung von Psychopharmaka insbesondere während der stationären Behandlung
psychiatrischer Patienten [1]
[2]. Ich möchte anhand der verfügbaren Daten zur Antipsychotikabehandlung begründen,
warum eine Monotherapie weiterhin den Goldstandard der Behandlung darstellen sollte.
„Eine Monotherapie mit atypischen oder auch typischen Antipsychotika stellt eine sichere
und wirksame Behandlungsform dar”
Umfangreiche Metaanalysen nach den Kriterien der Cochrane Collaboration belegen u.
a. die Wirksamkeit verschiedener atypischer Antipsychotika, u. a. von Risperidon [3]
[4], Olanzapin [5] und Quetiapin [6], jedoch auch typischer Antipsychotika, wie z. B. Haloperidol [4] in der Akutbehandlung schizophrener Patienten. Von einer inferioren Wirkung atypischer
Antipsychotika gegenüber typischen Antipsychotika kann aufgrund der vorliegenden Daten
nicht ausgegangen werden [7]. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass eine Monotherapie mit atypischen Antipsychotika
keine ausreichende Wirkung auf schwerer erkrankte Patienten besitze, konnte in der
naturalistisch angelegten „Intercontinental Schizophrenia Outpatient Health Outcome
(IC-SOHO) Studie” eine Wirkung atypischer Antipsychotika auf Symptome wie Feindseligkeit
und Aggressivität sowohl kurz- als auch mittelfristig eindeutig nachgewiesen werden
[8]
[9]. Zwei atypische Antipsychotika, Olanzapin und Ziprasidon, stehen als i. m. Applikation
zur Verfügung und können als Monosubstanzen zur Behandlung erregter Patienten eingesetzt
werden. Insbesondere für den Einsatz von Olanzapin i. m. sprechen zwei Untersuchungen
an agitierten Patienten mit einer Schizophrenie, in denen Olanzapin i. m. als Monotherapie
vergleichbar wirksam wie Lorazepam oder Haloperidol i. m. war [10].
„Eine Non-Response auf eine Monotherapie gibt eine klare Handlungsempfehlung”
Eine Monotherapie besitzt ebenfalls entscheidende Vorteile bei einem Nichtansprechen
auf die durchgeführte Therapie. Neue Metaanalysen haben eindeutig gezeigt, dass eine
signifikante Besserung aller psychotischen Symptome innerhalb der ersten beiden Behandlungswochen
auftritt und dass diese Besserung prädiktiv für die weitere und nachhaltige Response
auf das Pharmakon ist [11]
[12]. Dies bedeutet, dass innerhalb eines Zeitfensters von ca. 14 Tagen nach Beginn der
Behandlung eine sehr wahrscheinlich unwirksame Monotherapie identifiziert und ohne
weitere Verzögerung durch eine andere Substanzgruppe ersetzt werden kann. Dieser Erkenntnisgewinn
ist für die längerfristige Therapieplanung oft entscheidend und ist mit einer Kombinationstherapie
nicht zu erreichen.
„Eine wirksame Monotherapie führt zu einer kontinuierlichen Symptombesserung und Remission”
Ein weiterer geläufiger Irrtum ist, dass sich mit einer Monotherapie keine ausreichende
stabile Response bei einer Vielzahl von Patienten erreichen lässt. Diese Fehlannahme
ist meines Erachtens durch die reine Fokussierung auf das Ausmaß an erreichter Besserung
während der teilweise nur noch 4 - 6 Wochen dauernden stationären Behandlung begründet.
Die Clozapin/Chlorpromazinvergleichsstudie von Lieberman et al. (2003) [13] an einer Gruppe ersterkrankter chinesischer Patienten zeigt exemplarisch, dass der
Anteil remittierter Patienten auch jenseits dieses Beobachtungszeitraums kontiniuerlich
weiter ansteigt. Obwohl 8 Wochen nach Beginn der Behandlung erst 50 % der Patienten
eine Response in Form einer 50 %-Reduktion der Symptome auf der BPRS erreicht hatten,
erreichten bis zum Ende des Beobachtungszeitraums 80 bzw. 86 % der Patienten in den
beiden Behandlungsgruppen eine Remission [13]. Ein vergleichbarer Verlauf der Responsekurve konnte auch in der 26-wöchigen Vergleichsstudie
zwischen Olanzapin und Aripiprazol beobachtet werden [14]. Der Anteil der vollständig remittierten Patienten, der nach der 6. Woche bei 61
% in der Aripiprazolgruppe und 61 % in der Olanzapingruppe gelegen hatte, stieg bei
den weiter in der Studie verbliebenen Patienten bis zum Studienende nach 6 Monaten
auf 81 % (Aripiprazol) bzw. 86 % (Olanzapin) an [14]. Für den Behandlungsalltag bedeutet dies, dass bei Patienten mit einer spürbaren
initialen Besserung unter einer antipsychotischen Monotherapie eine weitere Besserung,
schließlich auch eine Remission im weiteren Behandlungsverlauf erwartet werden kann.
„Die Datenlage zur Wirksamkeit und Sicherheit einer antipsychotischen Kombinationsbehandlung
ist schlecht”
Die meisten vorliegenden Daten beschränken sich auf Fallserien oder kleine offene
Behandlungsstudien mit wenigen (< 20) Teilnehmern, lediglich einige methodisch aufwendige
randomisierte doppelblinde Studien liegen vor [1]
[15]. Lediglich Clozapin als Reservemedikation zur Behandlung therapieresistenter Patienten
nimmt eine gewisse Ausnahmestellung ein. Selbst die gängige klinische Praxis einer
initial zeitgleichen Verabreichung eines typischen Antipsychotikums (z. B. Haloperidol)
mit einem atypischen Antipsychotikum ist durch keine strukturierte Untersuchung gestützt.
Eine naturalistische Verlaufsbeobachtung zur Durchführung einer Kombinationstherapie
von typischen Antipsychotika mit Clozapin wies bereits auf eine erhöhte Rate unerwünschter
Nebenwirkungen, wie EEG-Veränderungen oder auch deliranter Zustände hin [16].
„Eine Kombinationsbehandlung ist nicht besser wirksam als eine Monotherapie”
Die weiteren mit Clozapin und anderen atypischen Antipsychotika durchgeführten Kombinationsstudien
sprechen keinesfalls für eine klare Überlegenheit einer Kombinationsbehandlung [17]. Ausgehend vom Rezeptorbindungsprofil von Clozapin mit einer schwachen Affinität
zu Dopamin D2 Rezeptoren („D2-Lücke”) wurde die Kombinationsbehandlung von Clozapin
mit D2-affinen Antipsychotika, wie z. B. Risperidon häufig als molekularpharmakologisch
begründbare Augmentierungsstrategie therapieresistenter Patienten angesehen. In den
drei zur Wirksamkeitsbeurteilung der Kombinationsbehandlung von Risperidon und Clozapin
durchgeführten doppelblinden randomisierten Untersuchungen [18]
[19]
[20] konnte lediglich in einer Untersuchung [18] ein schwaches zusätzliches Benefit der Kombinationsbehandlung gegenüber der Clozapin-Monotherapie
registriert werden.
„Eine Polypharmakotherapie ist nebenwirkungsträchtig und potenziell gefährlich”
Im Vergleich zu den vorliegenden Sicherheitsdaten zur Monotherapie bleiben die möglichen
Risiken einer Kombinationsbehandlung vollkommen im Dunkel. In den oben angeführten
Clozapin-Risperidon-Augmentationsstudien wurde bei den kombiniert behandelten Patienten
u. a. eine verstärkte Sedierung [19], ein Anstieg der Prolaktinspiegel [19], ein Anstieg des Nüchternserumglukosewertes [20] sowie eine signifikante Verschlechterung frontalhirnabhängiger neuropsychologischer
Leistungen [20] gegenüber den monotherapeutisch behandelten Patienten festgestellt. Die immer noch
geringen Fallzahlen und kurze Studiendauern lassen weiterreichende Schlüsse u. a.
zur Mortalität nicht zu.
„Eine Kombinationstherapie ist teuer”
Im Hinblick auf den fraglichen Nutzen und das unklare Risiko sollten auch die hohen
Therapiekosten beachtet werden. Bei einer Kombinationstherapie zweier atypischer Antipsychotika
übersteigen die Tagestherapiekosten leicht 10 €, was den niedergelassenen Psychiater
angesichts der oben beschriebenen Datenlage in erhebliche Begründungsnöte gegenüber
der Krankenkasse bringt.
Zusammenfassend sollte daher die Polypharmakotherapie mit Antipsychotika - wenn immer möglich - unterbleiben.
Eine ausreichend dosierte und ausreichend lang durchgeführte Monotherapie stellt die
sicherere und bessere Alternative dar.
Dr. Christoph Fehr
Psychiatrische Klinik der Universität Mainz
Untere Zahlbacher Straße 8
55131 Mainz
E-mail: fehrc@uni-mainz.de
Kontra
Karl Bechter
Monotherapie (MT) mit Psychopharmaka wird bei affektiven und schizophrenen Psychosen
propagiert, obwohl hierfür die wissenschaftliche Evidenz fehlt. MT ist ein Idealfall,
aber nicht mehr. In der modernen Medizin bedeutet Behandlungsoptimierung meist Kombinationstherapie
(KT). Warum sollte dies in der Psychopharmakotherapie anders sein, zumal das ZNS besonders
hohe Organkomplexität aufweist. Allerdings ist die Studienlage zur Therapieoptimierung
schlecht. Noch wichtiger ist: Das Wissen über die Pathogenese der Psychosen ist begrenzt.
Therapieansätze beruhen im Wesentlichen auf Erfahrungswerten. Betrachtet man vereinfachend
nur biologische Aspekte in der Pathogenese der Psychosen, so ist zu fragen: Was soll
mit Psychopharmaka erreicht werden? Sicherlich größtmögliche Gesundheit! Aber Gene,
Stress, angeborene und erworbene Vulnerabilität, Gehirnentwicklungsstörungen, hirnfunktionelle
(z. B. Neurotransmitter) und hirnstrukturelle Veränderungen sind wahrscheinlich beteiligt.
Symptome sind sehr variabel, auch im intraindividuellen Verlauf. Ätiologisch geklärte
nosologische Entitäten wie Enzephalitis oder velokardiofaziales Syndrom, eine genetisch
gut charakterisierte Erkrankung, sind in Verlauf und Symptomatik ebenso komplex und
zeigen beispielhaft das Dilemma. Wie sollte man Krankheiten mit MT adäquat behandeln
können, wo der Fokus der Therapie sich ständig ändert?
Betrachtet man ausschließlich Neurotransmitterstörungen, welche bei Psychosen offensichtlich
beteiligt sind, so findet man Störungen des neuronalen Dopaminsystems nicht nur bei
Schizophrenie, sondern auch bei Depression und Sucht. Wo ist jeweils der relevante
Angriffspunkt der Therapie? Aktuelle Neuentdeckungen belegen die begrenzten Kenntnisse
von Systemzusammenhängen [21]. Psychopharmaka unterscheiden sich vielfältig in ihrem Rezeptorwirkungs- und Affinitätsprofil.
Diese Komplexität, bekannt aus Tier- und Laborversuchen, ist in der Differenzierung
der Therapie nicht annähernd abgebildet, keinesfalls in Studienqualität. Eindeutig
sind inzwischen auch Befunde, dass hirnstrukturelle Veränderungen bei Psychosen vorkommen,
zum Teil anlagebedingt, zum Teil neu im Verlauf der Erkrankung. Wie diese Neurodegeneration
entsteht, ist noch nicht klar. Zahlreiche Befunde über neurotoxische [22], inflammatorische und immunologische Vorgänge weisen diesen eine mögliche Rolle
zu [23]
[24]. Ein Vergleich zwischen demyelinisierenden neurologischen Erkrankungen und Befunden
bei schizophrenen und bipolaren Psychosen zeigte viele Ähnlichkeiten [25]. Antiinflammatorische add-on-Therapie erzielte bei schizophrenen und bei affektiven
Störungen einen zusätzlichen therapeutischen Effekt [26].
Betrachtet man nur die Zytokinebene und dadurch auslösbare Veränderungen bei psychisch
Gesunden, so wird die klinische Komplexität deutlich [27]: Ein einzelnes Zytokin, hier IFN-α-Therapie, löst bei 60 - 80 % der Therapierten
psychische Störungen aus, insbesondere ein Stimmungskognitionssyndrom (SKS) oder ein
neurovegetatives Syndrom (NVS). Prädiktiv für das SKS ist eine starke ACTH-Ausschüttung
in den ersten 3 Stunden nach Beginn der IFN-α-Therapie, für das NVS gibt es keine
Prädiktoren. Biochemische Veränderungen im Tryptophan und Serotoninstoffwechsel spielen
für das SKS eine Rolle, involviert sind aber verschiedene Zellsysteme, nicht nur Neurone.
Serotoninrezeptoren sind in Basalganglien, Striatum und zerebralem Kortex weit verteilt
zu finden [8], aber auch auf Lymphozyten zahlreich und spielen in der Kommunikation von Immunzellen
eine entscheidende Rolle [29]. Wo entsteht also der entscheidende therapeutische Effekt bei der Beeinflussung
des Serotonin-/Tryptophanstoffwechsels durch Pharmaka? Geht es wirklich nur um neuronale
Wirkungen wie in den meisten pathogenetischen Hypothesen? Bei IFN-α-Therapie hilft
präventiv die Gabe eines Serotonin-Reuptake-Hemmers (Paroxetin), gegen depressive
und kognitive Symptome und Angst oder somatische Symptome [30].
Es bleibt also festzuhalten: Die Pathogenese der Psychosen ist unklar, für die Therapie
spielen wohl nicht nur neuronale Zellen eine Rolle. Die Mikroglia erscheint nach neuen
PET-Imaging-Befunden von Bedeutung [31]. Die wichtige Rolle der Mikroglia, z. B. beim neuropathischen Schmerz wurde gerade
erst nachgewiesen [32], und bisherige rein neuronale Hypothesen damit wesentlich ergänzt [33].
In der Versorgungsrealität psychiatrischer Erkrankungen überwiegen Kombinationstherapien
[34]. Kollege A. Zacher hat beim Bayerischen Nervenärztetag 2005 die Situation so zusammengefasst:
„2000 Nervenärzte können nicht irren”. Er meinte damit, dass viele Patienten KT erhalten,
weil diese sich bewährt hat. Er polemisierte trotzdem gegen Polypharmazie i. S. einer
unüberlegten voreiligen und beliebigen KT. Aktuelle Leitlinienempfehlungen verschiedener
psychiatrischer Fachgesellschaften stimmen erstaunlich wenig überein [35]
[36], positiv ausgedrückt, Therapie in der Psychiatrie kann immer noch als ärztliche
Kunst angesehen werden [37]. Die jetzt viel und kontrovers diskutierte, groß angelegte CATIE-Studie [38] zeigt immerhin, dass unter naturalistischen Bedingungen die wissenschaftliche Evidenz
einer differenziellen Psychopharmakatherapie ernüchternd gering ist. Aus der eigenen
klinischen Erfahrung kann ich die häufige Empfehlung einer MT nur unverständlich finden.
Die verschiedenen Psychopharmaka sind auf Rezeptorebene verschieden, was dem klinischen
Eindruck der Wirkungen entspricht. Der Mangel an gezielten Studien zur differenziellen
Pharmakotherapie ist eben zu beklagen. Im klinischen Alltag wird dies auf vielfältige
Weise evident: Der bei Psychosen häufig gestörte Schlaf-Wach-Rhythmus ist doch einer
MT schwer zugänglich, in vielen Fällen mit KT aber rasch zu bessern durch Gabe aktivierender
Pharmaka morgens und schlafanstoßender Pharmaka abends. Akute Psychosestadien werden
doch sinnvollerweise anders behandelt als Spätstadien, akut in höheren Dosen und KT,
weil so das klinische Erregungsniveau und die Typizität der Symptome am besten, nämlich
differenziell berücksichtigt werden. Wie soll das denn mit MT funktionieren? Bestimmt
nicht optimal.
Ein wichtiges Beispiel der Neuropsychiatrie, gleichzeitig die erste Erkrankung mit
nachgewiesener Neurotransmitterstörung, ist die Parkinsonsche Krankheit. Die wissenschaftlich
und therapeutisch höchst bedeutsame Dopa-Therapie ist zwar Teil auch der aktuellen
Therapieempfehlungen, aber jetzt wird komplexe KT, phasen- und syndromgerecht verschieden,
als optimal empfohlen [39]. Analog sind erfahrene Psychiater, so glaube ich, in der Lage, die für die Psychosenbehandlung
noch nicht existierende wissenschaftliche Evidenz einer KT intuitiv, klinisch kontrolliert
und einzelfallbezogen als optimierte Therapie vorwegzunehmen. Man sollte diese Erfahrung
nicht schlecht machen, sondern nutzen, um intelligent angelegte Studien höherer Evidenzkategorien
durchzuführen [40]. Voreilige Simplifizierung durch Empfehlung von MT dient dem Patienten nicht, sondern
einem nur vermeintlich perfekten, letztlich aber zu reduktionistischen Therapieanspruch.
Prof. Dr. Karl Bechter
Bezirkskrankenhaus Günzburg
Ludwig-Heilmeyer-Straße 2
89312 Günzburg
E-mail: Karl.Bechter@bkh-guenzburg.de