Einleitung
Das anorektale maligne Melanom ist eine selten vorkommende Neoplasie, wobei das Anorektum
nach dem Hautorgan, dem Auge und den Schleimhäuten im HNO-Bereich als vierthäufigste
Lokalisation der Tumorentstehung angesehen werden kann [1]. Seit der Erstbeschreibung eines anorektalen malignen Melanoms 1857 wurden bis heute
schätzungsweise 800 Erkrankungsfälle beschrieben [2]. Die Häufigkeitsangaben zum prozentualen Anteil anorektaler maligner Melanome an
der Gesamtzahl aller malignen Melanome weisen teilweise deutliche Unterschiede auf.
Die hierzu in der Literatur aufgeführten Daten betragen 0,3 %, 0,4 - 1,6 %, 1,6 %,
0,4 - 2,3 % und 0,2 - 3,0 % [1]
[3]
[4]
[5]
[6]. Von diesen Angaben sind jedoch nur die 0,3 % durch die Ergebnisse im amerikanischen
„National Cancer Data Base Report on Cutaneous and Noncutaneous Melanoma” nachvollziehbar
belegt [1]. In dieser Datensammlung konnten 84 836 maligne Melanome erfasst werden, die in
den USA von 1985 - 1994 diagnostiziert worden waren. Innerhalb dieser Gruppe wurden
von 1074 malignen Schleimhautmelanomen 256 anorektal beobachtet, entsprechend einer
Häufigkeit von 0,3 % der Gesamtzahl aller registrierten malignen Melanome. Eine vergleichbare
Problematik unterschiedlicher Häufigkeitsangaben zeigt sich auch bei der Frage, wie
oft das anorektale maligne Melanom als Differenzialdiagnose der anorektalen Neoplasien
berücksichtigt werden muss. Hierzu variieren die Angaben in der Literatur zwischen
0,1 und 4,6 % [7]
[8]. Obwohl das anorektale maligne Melanom trotz der unterschiedlichen Häufigkeitsangaben
zweifellos selten ist und darüber hinaus in der Mehrzahl der Fälle durch Chirurgen
oder Gastroenterologen diagnostiziert wird, sollte man auch als proktologisch tätiger
Dermatologe mit der klinischen Symptomatik dieser seltenen Manifestation eines malignen
Melanoms vertraut sein, zumal die Diagnose in der Regel erst auf Grund histopathologischer
Untersuchungen gestellt wird.
Kasuistik
Der 85-jährige Patient war zur Diagnostik anhaltender Diarrhöen in die gastroenterologischen
Abteilung einer auswärtigen Klinik eingewiesen worden. Zum Zeitpunkt der stationären
Aufnahme bestand die Symptomatik seit zwei Monaten mit zuletzt 8 - 10 schmerzhaften
Stuhlentleerungen täglich. Blutauflagerungen oder Teerstühle waren nicht beobachtet
worden. In der Koloskopie zeigte sich anorektal ein ausgedehnter Pigmenttumor. Die
histopathologische Begutachtung der hier entnommenen Biopsien führte zur Diagnose
eines malignen Melanoms. Bei der konsiliarischen Vorstellung des Patienten in der
Hautklinik Bremerhaven fand sich perianal ein bohnengroßer, überwiegend bläulich pigmentierter
Tumor von ungewöhnlicher steinharter Konsistenz (Abb. [1]). Nur dieser umschriebene, perianal lokalisierte Tumoranteil war der klinischen
Inspektion zugänglich, ein Befund, der in keiner Weise auf die Ausdehnung der anorektalen
Tumorformation schließen ließ. Die technischen Staging-Untersuchungen (Rö-Thorax,
Sonographie Abdomen und Leisten, CT-Thorax, CT-Abdomen und MRT-Schädel) führten zum
Nachweis eines pulmonalen Rundherdes im rechten Oberlappen, der histopathologisch
als bronchiales Plattenepithelkarzinom eingeordnet werden konnte. Hinweise für eine
Metastasierung des anorektalen malignen Melanoms bzw. des Bronchialkarzinoms wurden
bei den technischen Untersuchungen nicht gefunden. Daraufhin erfolgte eine abdomino-perineale
Rektumamputation mit Anlage eines Anus praeter sigmoidalis. Das Op-Präparat wies im
Rektum einen 6 - 7 cm durchmessenden, kraterförmig aufgeworfenen, braun-schwarz pigmentierten
Tumor auf. Darüber hinaus waren die angrenzenden Bereiche der Rektumschleimhaut und
der gesamte Analkanal von einzeln stehenden oder konfluierenden, grau-schwarz pigmentierten
Knoten durchsetzt. Im kranialen Anteil des Pigmenttumors fand sich ein zweiter, walzenförmiger,
aus unterschiedlich großen Knoten zusammengesetzter, rötlich tingierter Tumor (Abb.
[2]). Die histopathologische Untersuchung führte im distalen Rektum zum Nachweis einer
überwiegend spindelzelligen melanozytären Neoplasie mit faszikulärem Wachstum, einer
deutlich verschobenen Kernplasmarelation, feinstaubiger Melaninpigmentierung der Tumorzellen
und zahlreichen Melanophagen. Die maximale vertikale Tumordicke des malignen Melanoms
betrug 7,8 mm. Die erhebliche Ausdehnung des Tumors zeigte sich in Form einer Infiltration
der Tunica muscularis des Rektums mit Tumoreinbruch in die kleinen submukösen und
intramuralen Venen. Per continuitatem ließ sich das Tumorwachstum im Analkanal weiter
verfolgen mit Infiltration auch der fibromuskulären Analwand. Die insgesamt 14 zur
Untersuchung gekommenen perirektalen Lymphknoten waren tumorfrei. Neben dem malignen
Melanom konnte der zweite im Rektum lokalisierte, walzenförmig aufgebaute Tumor als
mittelgradig dysplastisches, tubulo-villöses Adenom eingeordnet werden. Zur vorgeschlagenen
Radio-Therapie des Bronchialkarzinoms konnte sich der Patient nicht entschließen.
Bei einer Wiederholung der technischen Staging-Untersuchungen 6 Monate nach der Rektumamputation
fand sich kein Anhalt für eine inzwischen eingetretene Metastasierung.
Abb. 1 Bei der klinischen Inspektion sichtbarer Anteil des anorektalen malignen Melanoms.
Abb. 2 Op-Präparat mit dem ausgedehnten malignen Melanom anorektal und dem tubulo-villösen
Adenom im Rektum.
Diskussion
Die anorektalen malignen Melanome werden übereinstimmend zu den Neoplasien des höheren
Alters gezählt. Das mittlere Alter der Patienten liegt zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr
[9]
[10]
[11]
[12]
[13]. Nur sehr vereinzelt finden sich Berichte über anorektale maligne Melanome bei jungen
Erwachsenen in der dritten Lebensdekade, während der Tumor bei Kindern oder Jugendlichen
bisher nicht beschrieben worden ist [6]
[11]
[14]. Die in der Literatur angegebenen Daten zur Geschlechtsverteilung der anorektalen
malignen Melanome variieren offensichtlich in Abhängigkeit von der Anzahl der jeweils
erfassten Patienten. In einzelnen Untersuchungen zeigte sich ein gehäuftes Auftreten
des Tumors bei Frauen mit einem Verhältnis weiblicher zu männlichen Patienten von
maximal 2,3 : 1 [13]. Bei anderen Studien hingegen konnte eine Umkehr dieser geschlechtsspezifischen
Verteilung mit einer Häufigkeit von 1 : 1,7 festgestellt werden [15]. In einer Datenanalyse von 13 Publikationen mit einer Gesamtzahl von 302 erfassten
Patienten fanden sich 180 Frauen und 122 Männer, entsprechend einer Häufigkeitsverteilung
von 1,5 : 1 [16]. Die klinische Symptomatik der anorektalen malignen Melanome ist unspezifisch und
unterscheidet sich somit nicht von der Symptomatik anderer Tumorformen in gleicher
Lokalisation. Aufgrund des meist intraluminalen Wachstums, auch dies gilt für alle
anorektalen Tumorerkrankungen, treten die Symptome in der Regel erst bei einem fortgeschrittenen
Tumorwachstum auf. Zu den typischen Symptomen der anorektalen malignen Melanome zählen
in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit Blutungen, Tumorgefühl und Schmerzen, während
Obstipationen, Diarrhöen und Tenesmen deutlich seltener beobachtet werden [3]
[10]
[11]
[16]
[17]. In Einzelfällen sind inguinale Lymphknotenmetastasen der erste Hinweis für das
anorektale Tumorwachstum [13]
[18].
Die klinische Symptomatik der anorektalen malignen Melanome ist weitgehend unabhängig
von der Lokalisation ihrer Entstehung. Dabei entwickelt sich die große Mehrzahl der
Tumore im Bereich der Linea dentata, der Übergangszone zwischen dem Anoderm und der
Rektumschleimhaut, bzw. distal der Linea dentata im Analkanal. Bei einzelnen Untersuchungen
fanden sich in diesen beiden Lokalisationen bis zu 95 % der anorektalen malignen Melanome.
Die übrigen 5 % wurden im Rektum beobachtet [16]. Allerdings wird die Möglichkeit der primären Entwicklung eines malignen Melanoms
im Rektum kontrovers diskutiert. Einige Autoren verneinen die Existenz von Melanozyten
in der Rektumschleimhaut und vermuten eine submuköse Ausbreitung der primär im Bereich
der Linea dentata entstandenen malignen Melanome in das distale Rektum [18]
[19]. Anderen Untersuchungen zufolge konnten Melanozyten in der Rektumschleimhaut nachgewiesen
werden, wobei als Ursache eine embryonale Dystopie, eine Differenzierung von Stammzellen
zu Melanozyten oder eine Migration der Melanozyten aus dem Bereich der Linea dentata
in die Rektumschleimhaut diskutiert wurden [20]
[21]. Die klinische Morphologie der anorektalen malignen Melanome ist gekennzeichnet
durch breitbasige, seltener gestielt aufgebaute, polypöse Knoten oder durch flache,
die Schleimhaut flächenhaft infiltrierende Plaques. Die maximale Tumorausdehnung beträgt
zum Zeitpunkt der Diagnose häufig bereits mehrere Zentimeter, wobei auch Größenordnungen
von 8 - 10 cm beschrieben worden sind [4]
[11]
[17]. Die Pigmentierung der anorektalen malignen Melanome ist variabel und umfasst homogene
oder inhomogene schwarze Pigmentierungen sowie braune, blaue oder blaurote Farbtöne
[4]
[16]
[22]. Der Anteil der ebenfalls nicht selten vorkommenden amelanotischen Tumorformen wird
mit bis zu 30 % angegeben [10]
[11]
[17]. Im Gegensatz zu den amelanotischen malignen Melanomen des äußeren Hautorgans können
die amelanotischen Formen im Anorektum den hellrosa Farbton der hier vorhandenen Schleimhaut
annehmen. Oberflächliche Ulzera mit hämorrhagischen Krusten, die sich bei mehr als
der Hälfte der Fälle nachweisen lassen, und eine deutliche Vulnerabilität mit ausgeprägter
Neigung zu Blutungen sind weitere morphologische Eigenschaften der anorektalen malignen
Melanome [18]. Von besonderer Bedeutung für unser Fachgebiet ist die Erkenntnis, dass ca. 40 %
der anorektal auftretenden malignen Melanome durch den Anus prolabieren oder per continuitatem
in dann zumeist knotiger Form den perianalen Hautbereich infiltrieren können, wie
das auch bei dem hier vorgestellten Patienten beobachtet wurde [18]. Erst durch diese Ausbreitungsformen ergibt sich bei der dermatologischen Inspektion
der Analregion die Möglichkeit, ein anorektales malignes Melanom diagnostizieren zu
können. Allerdings werden die prolabierten oder perianal auftretenden Tumoranteile
eines anorektalen malignen Melanoms häufig als Hämorrhoiden oder perianale Thrombosen
fehlgedeutet. Im Gegensatz zu diesen Gefäßerkrankungen, die einen weichen oder prallelastischen
Palpationsbefund aufweisen, zeichnen sich anorektale maligne Melanome durch eine steinharte
Konsistenz aus. Darüber hinaus sind insbesondere die perianalen Thrombosen außerordentlich
schmerzhaft, während die sichtbaren Tumoranteile der anorektalen malignen Melanome
kaum subjektive Beschwerden verursachen. Trotz dieser unterschiedlichen klinischen
Merkmale finden sich in der Literatur zahlreiche Berichte über vermeintliche Hämorrhoiden,
die erst aufgrund histopathologischer Untersuchungen als anorektale maligne Melanome
erkannt wurden [4]
[22]
[23]. Dies unterstreicht im Übrigen die Notwendigkeit, auch exzidierte Hämorrhoiden grundsätzlich
histopathologisch untersuchen zu lassen [24]. Bei den amelanotischen Tumorformen ist differenzialdiagnostisch an Polypen oder
an anorektale Karzinome zu denken [18]
[25]. Die Prognose der anorektalen malignen Melanome ist außergewöhnlich ungünstig und
durch eine frühzeitige lymphogene oder hämatogene Metastasierung gekennzeichnet. Zum
Zeitpunkt der Diagnose können bereits bei etwa 40 - 60 % der Patienten Metastasen
nachgewiesen werden [1]
[8]
[18]. Die lymphogene Metastasierung erfolgt in Abhängigkeit von der primären Lokalisation
des Tumors. Bei malignen Melanomen im distalen Analkanal sind die inguinalen Lymphknotenstationen
betroffen, während die Metastasierung bei einer Tumormanifestation im Bereich der
Linea dentata oder des Rektums in die pararektal-iliakalen oder paraaortalen Lymphknotengebiete
beobachtet wird [26]. Die hämatogene Tumorausbreitung erfolgt bevorzugt in die Lungen und die Leber sowie
in Form einer osteogenen oder zerebralen Manifestation [13]. Die Folgen der frühzeitigen und darüber hinaus häufig fulminant verlaufenden Metastasierungen
zeigen sich auch in der ungünstigen Datenlage der medianen Überlebenszeit und der
5-Jahres-Überlebensrate der Patienten. Bei einer Zusammenstellung verschiedener Untersuchungen,
bei der die Daten von 231 ausgewertet werden konnten, wurden mediane Überlebenszeiten
zwischen 12 und 18,6 Monaten ermittelt [10]. In einer anderen Literaturstudie zeigte sich, dass nur 23 von 381 erfassten Patienten
den Zeitpunkt der Diagnose ihrer Erkrankung 5 Jahre überlebt hatten. Dies entspricht
einer 5-Jahres-Überlebensrate von 6 % [16]. Eine weitere Möglichkeit der prognostischen Einschätzung ergibt sich durch die
Bestimmung der vertikalen Eindringtiefe des Tumors, wobei hier eine Korrelation zur
Überlebenszeit dargestellt werden konnte. In einer Gruppe von 26 Patienten überlebten
nur die 3 Patienten, deren Tumore dünner als 2 mm waren. Mit einer einzigen Ausnahme
starben alle übrigen Patienten innerhalb von 5 Jahren, wobei 85 % dieser Patienten
in den ersten 2 Jahren verstarben [6]. Die Behandlung der anorektalen malignen Melanome ist die chirurgische Exzision.
Mit der radikalen abdomino-perinealen Rektumamputation und der weiten lokalen Exzision
stehen sich zwei konkurrierende Therapieverfahren einander gegenüber. Zu Gunsten der
weiten lokalen Exzision wird angeführt, dass die Rektumamputation einerseits keinen
Überlebensvorteil gezeigt hat, andererseits die Lebensqualität der Patienten durch
den radikalen Eingriff deutlich verschlechtert wird [12]
[17]
[18]
[27]
[28]. Diese Auffassung blieb nicht unwidersprochen. So zeigte sich bei der Datenauswertung
anderer Patientengruppen, dass vorwiegend diejenigen Patienten eine 5-Jahres-Überlebenszeit
erreicht hatten, bei denen eine Rektumamputation durchgeführt worden war [6]
[9]
[11]
[16]. Möglicherweise sind diese widersprüchlichen Behandlungsergebnisse auf eine unterschiedliche
Verteilung der histopathologischen Tumorwerte in den verschiedenen Patientengruppen
zurückzuführen. Letztendlich lässt sich zur Zeit kein eindeutiger Vorteil einer der
beiden chirurgischen Therapieverfahren belegen [29]. Die gleiche Einschätzung gilt im Übrigen auch für die prophylaktische Lymphadenektomie,
die von einzelnen Autoren befürwortet oder abgelehnt wird [25]
[30]. Empfehlungen oder gesicherte Daten zur adjuvanten Radio-, Chemo- oder Immunotherapie
der anorektalen malignen Melanome finden sich in der Literatur nicht. Nur vereinzelt
ist die Radio-Therapie als palliatives Behandlungsverfahren durchgeführt worden, ohne
dass jedoch eine Tumorprogression verhindert werden konnte [6]
[9]
[11]
[31].