Aktuelle Dermatologie 2006; 32(11): 451
DOI: 10.1055/s-2006-944870
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Juckreiz

ItchingE.  G.  Jung
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Prof. Dr. Ernst G. Jung



Maulbeerweg 20 69120 Heidelberg

Email: Ernst.G.Jung@t-online.de

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14 November 2006 (online)

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    Prof. Dr. E. G. Jung

    Juckreiz gilt als der kleine Bruder vom Schmerz. Es ist ein feines, subjektives Signal von Beeinträchtigung an oder in der Haut. Er verleitet zur Reaktion; Streicheln, Reiben, Drücken und Kratzen, immer wieder Kratzen in allen Formen, mit und ohne Verletzung. Juckreiz hat verschiedene Qualitäten. Er kann punktförmig gut lokalisierbar auftreten und großflächig, episodisch oder dauerhaft und er wird oberflächlich empfunden oder in der Tiefe der Haut. Oft wird er explizit als stechend oder brennend beschrieben. Er kann beherrschbar sein oder so quälend, dass er zur reflexartigen Reaktion führt, Kratzen eben. Juckreiz kann durch stärkere Empfindungen, Kratzen bis zum Schmerz, gelöst, gelöscht und so gleichsam zugedeckt werden, also durch stärkere zentripetale Impulse entlang ähnlicher afferenten Nervenfasern. Eben der kleine Bruder vom Schmerz.

    Juckreiz (Pruritus) wird ausgelöst durch Entzündungen der Haut jeder Art, durch Infektionen, Parasitenbefall, durch Trockenheit der Hautoberfläche, durch Ablagerungen in die Haut und viele Hautkrankheiten mehr. Mediatoren zur Aktivierung der freien Nervenendigungen gibt es viele (siehe S. 468).

    Minutiöse histochemische Untersuchungen zeigten schon vor Jahrzehnten, dass sich bei chronischem Juckreiz in den stark juckenden, akanthotischen Papeln (Prurigo) vermehrt freie Nervenendigungen darstellen lassen. Die gesteigerte Juckreizempfindung wird damit in Beziehung gesetzt; wohl als Ausdruck einer Plastizität der freien Nervenendigungen in der Peripherie.

    Chronischer Juckreiz bedingt Kratzen, oft bis zu Verletzungen, welche charakteristisch in Streifen angeordnet sind, Superinfektionen folgen und der immer wiederkehrende Juckreiz führt zu einem sich selbst verstärkenden Circulus vitiosus. Der Juckreiz wird in der Folge zentral verstärkt und erlernt, er verselbständigt sich und unterhält sich auch ohne peripheren Anlass dazu; Pruritus sine materia. Dies ist wohl Ausdruck einer zentral im Gehirn lokalisiebaren Plastizität, ganz ähnlich wie beim chronischen Schmerz. Beide Formen subjektiven Empfindens, Juckreiz und Schmerz, unterliegen dann reizfremden Einflüssen somatischer und emotionaler Art. Die Analogie kann noch weiter verfolgt werden, da auch chronischer Juckreiz durch autogene und unterstützende Maßnahmen „verlernt”, gleichsam wegtrainiert werden kann, wie beim chronischen Schmerz.

    Juckreiz ist ein wesentliches Movens der klinischen und experimentellen Psychodermatologie und deren Verknüpfung mit der Immunologie sowie, seit jeher, der Pharmakotherapie.

    Neuerdings rückt das Wechselspiel der afferenten und efferenten Nervenfasern mit den komplexen Strukturen der Haut und dessen Regulierung durch Mediatoren in die Reichweite experimenteller Ansätze. Der Begriff neurogene Entzündung versucht dies zu fassen (siehe S. 463).

    Prof. Dr. Ernst G. Jung

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