Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: S93-S94
DOI: 10.1055/s-2006-949182
Editorial

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Vorhofflimmern

Atrial fibrillationU. K. H. Wiegand1 , H. Schunkert1
  • 1Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Medizinische Klinik II
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Publication Date:
08 November 2006 (online)

Vorhofflimmern ist mit einer Prävalenz von > 1 % in der Allgemeinbevölkerung die mit Abstand häufigste Herzrhythmusstörung; in Deutschland sind aktuell mindestens 800 000 Menschen betroffen. Darüber hinaus besteht eine erhebliche Dunkelziffer asymptomatischer Vorhofflimmerepisoden. Diesen Anteil beziffert Herr PD Dr. Lewalter in seiner Übersicht zur Epidemiologie des Vorhofflimmerns mit bis zu 75 %. Angesichts einer mit erhöhtem Lebensalter deutlich ansteigenden Inzidenz ist in den nächsten Jahrzehnten mit einer deutlichen Zunahme von Vorhofflimmern und der hiermit verbundenen Behandlungskosten zu rechnen. Diese Zahlen betonen die hohe Relevanz der Thematik auch im allgemeinärztlichen/internistischen Behandlungsumfeld. Die systematische, prägnante Diskussion dieser Thematik durch ausgewiesene Spezialisten in einem weitverbreiteten Journal wie der Deutschen Medizinischen Wochenschrift ist daher ausdrücklich zu begrüßen.

Herr Prof. Schulz erläutert in seiner Übersicht das aktuelle Verständnis der Pathophysiologie des Vorhofflimmerns anschaulich: An der Entstehung und Aufrechterhaltung dieser Herzrhythmusstörung sind komplexe Änderungen molekularer Mechanismen auf Ebene der Ionenkanäle und interzellulären Matrix ebenso beteiligt wie eine Größenzunahme und mechanische Dehnung der Vorhöfe. Eine relativ neue, wissenschaftlich gut abgesicherte Erkenntnis ist die Involvierung des Renin-Angiotensin-Systems. Insbesondere bei arterieller Hypertonie, koronarer Herzerkrankung und linksventrikulären Funktionsstörungen - also den wesentlichen Risikofaktoren für das Auftreten der Rhythmusstörung - ist das System aktiviert. Hier besteht auch ein bedeutsa-mer pharmakologischer Ansatz zur Primärprävention von Vorhofflimmern, der von Herrn PD Dr. Goette in seiner klar formulierten Übersicht zu recht als innovativ bezeichnet wird. In den großen Behandlungsstudien mit ACE-Hemmern und AT1-Rezeptorantagonisten wurde eine 25 - 30 %ige Reduktion der Inzidenz von Vorhofflimmern nachgewiesen [2], die einer ß-Blockade überlegen war [8]. AT1-Rezeptorantagonisten sind auch in der Sekundärprävention von Vorhofflimmern effektiv. Hier konnten insbesondere frühe, im ersten Monat nach Kardioversion auftretende Rezidive substantiell reduziert werden [5]. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass der günstige Effekt des Sartans trotz genereller Gabe von Amiodaron, dem aktuell effektivsten Antiarrhythmikum, beobachtet werden konnte.

Ist es sinnvoll, bei jedem Patienten mit Vorhofflimmern die Wiederherstellung des Sinusrhythmus anzustreben? Vier Studien mit insgesamt mehr als 5000 Patienten konnten keine Überlegenheit einer spezifischen antiarrhythmischen Therapie im Vergleich zu einer auf die Regulation der Kammerfrequenz ausgerichteten Behandlungsstrategie nachweisen. Weitergehende Analysen belegen, dass per se der Erhalt des Sinusrhythmus die Prognose verbessert, die derzeitig verfügbaren pharmakologischen Behandlungsstrategien sind hierbei allerdings nicht zielführend [1]. Herr Prof. Stellbrink erläutert die Gründe hierfür: Zum einen muss auch unter Behandlung mit den derzeit verfügbaren Antiarrhythmika mit einer 30- bis 50 %igen Rezidivrate gerechnet werden [4], zum anderen beeinflussen Nebenwirkungen von Antiarrhythmika die Prognose ungünstig. Hier ist nicht nur die Gefahr proarrhythmischer Effekte zu nennen, die insbesondere unter Antiarrhythmika der Klasse I und Sotalol auftreten können, sondern auch eine Häufung nicht-kardialer Komplikationen, die insbesondere unter Amiodaron beobachtet werden [7]. Angesichts der nicht sicheren Effektivität der Antiarrhythmika und der Erkenntnis, dass mehr als die Hälfte der Vorhofflimmerepisoden asymptomatisch verlaufen, kommt einer dauerhaften, konsequenten Antikoagulation entscheidende prognostische Bedeutung zu [1].

Eine wesentliche Limitation der pharmakologischen Sekundärprävention von Vorhofflimmern sind die niedrige Effektivität bzw. das Nebenwirkungsspektrum der derzeit verwendeten Antiarrhythmika. Eine neue Substanz ist Dronedarone, eine chemische Weiterentwicklung von Amiodaron. Wesentliche Unterschiede sind das Fehlen der Jodkomponente sowie der problematischen Akkumulation in extrakardialen Geweben aufgrund der geringen Lipophilie von Dronedarone. Herr Prof. Klein gibt uns einen systematischen Überblick über den gesamten Wissensstand zu dieser Substanz und stellt hierbei noch nicht in Schriftform publizierte und dem Leser daher bislang nur schwer zugängliche Daten vor. Dronedarone wird derzeit in dem größten je für ein Antiarrhythmikum durchgeführten Studienprojekt getestet. Wesentliches Resultat ist bislang eine deutlich bessere Verträglichkeit als Amiodaron; insbesondere die gefürchteten kutanen, thyreoidalen und pulmonalen Nebenwirkungen wurden bislang nicht beobachtet. Ob die Substanz allerdings auch den Sinusrhythmus vergleichbar effektiv wie Amiodaron erhält, ist nach der bisherigen Datenlage noch fraglich. Dronedarone zeigte sich in Sekundärpräventionsstudien der Plazebogabe zwar deutlich überlegen, aber auch unter Therapie mit der Substanz wurden Vorhofflimmerrezidive bei nahezu 60 % der Patienten beobachtet [3]. Auch der Stellenwert von Dronedarone bei fortgeschrittener struktureller Herzerkrankung oder Niereninsuffizienz ist derzeit noch unsicher, da bei diesen Patienten eine erhöhte Sterblichkeit beobachtet wurde [6]. Somit kann die Frage, ob Dronedarone „nur” ein gut verträgliches Antiarrhythmikum für Niedrig-Risiko-Patienten oder tatsächlich einen vollwertigen Ersatz für Amiodarone ist, derzeit nicht abschließend beantwortet werden.

Wesentliche Bestandteile der Therapie des Vorhofflimmerns sind die Behandlung der zugrunde liegenden strukturellen Herzerkrankung sowie eine konsequente Antikoagulation bei entsprechender Risikokonstellation. Die Entscheidung, wie aggressiv und mit welchem Pharmakon eine Rhythmisierung betrieben werden sollte, sollte die Symptomatik des Patienten ebenso wie das individuelle Risiko einer spezifischen antiarrhythmischen Therapie berücksichtigen. Kurative Strategien mittels Isolation der Pulmonalvenenostien bzw. linksatrialer Myokardareale durch Katheterablation, die bei ausgewählten Patienten eine Rezidivfreiheit von bis zu 80 % erzielen können, werden in den nächsten Jahren eine zunehmende Bedeutung auch in der Routinebehandlung erlangen.

Literatur

  • 1 Corley S D, Epstein A E, DiMarco J P. et al . Relationships between sinus rhythm, treatment, and survival in the Atrial Fibrillation Follow-Up Investigation of Rhythm Management (AFFIRM) Study.  Circulation. 2004;  109 1509-1513
  • 2 Healey J S, Baranchuk A, Crystal E. et al . Prevention of atrial fibrillation with angiotensin-converting enzyme inhibitors and angiotensin receptor blockers: a meta-analysis.  J Am Coll Cardiol. 2005;  45 1832-1839
  • 3 Hohnloser S H. Hotline Session. European Society of Cardiology Congress. Munich 2004
  • 4 Lafuente-Lafuente C, Mouly S, Longas-Tejero M A, Mahe I, Bergmann J F. Antiarrhythmic drugs for maintaining sinus rhythm after cardioversion of atrial fibrillation: a systematic review of randomized controlled trials.  Arch Intern Med. 2006;  166 719-728
  • 5 Madrid A H, Bueno M G, Rebollo J M. et al . Use of irbesartan to maintain sinus rhythm in patients with long-lasting persistent atrial fibrillation: a prospective and randomized study.  Circulation. 2002;  106 331-336
  • 6 Sanofi-Synthelabo. Pressemitteilung zum Abbruch des Antiarrhythmic Trial with Dronedarone in Moderate to Severe CHF Evaluating Morbidity Decrease. ANDROMEDA 2003
  • 7 Steinberg J S, Sadaniantz A, Kron J. et al . Analysis of cause-specific mortality in the Atrial Fibrillation Follow-up Investigation of Rhythm Management (AFFIRM) study.  Circulation. 2004;  109 1973-1980
  • 8 Wachtell K, Lehto M, Gerdts E. et al . Angiotensin II receptor blockade reduces new-onset atrial fibrillation and subsequent stroke compared to atenolol: the Losartan Intervention For End Point Reduction in Hypertension (LIFE) study.  J Am Coll Cardiol. 2005;  45 712-719

Prof. Dr. med. Uwe K. H. Wiegand

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Medizinische Klinik II

Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

Email: uwe.wiegand@medinf.mu-luebeck.de

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