Bernhard Meier
Mehr als 30000 Besucher zählten die Veranstalter beim diesjährigen Weltherzkongress
in Barcelona. Doch nicht nur rekordverdächtige Teilnehmerzahlen wurden von der Großveranstaltung
gemeldet, auch aus medizinischer Sicht gab es interessante Neuigkeiten, wie Prof.
Bernhard Meier, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsspital
Bern, im Interview mit Dr. Karl Eberius erläutert.
Herr Prof. Meier, was stand beim diesjährigen Weltherzkongress in Barcelona im Mittelpunkt?
Prof. Meier: Für das meiste Aufsehen sorgten Daten zu einer eventuellen Übersterblichkeit nach
der Implantation von medikamentös beschichteten Stents gegenüber unbeschichteten Stents.
Möglicherweise kommt es bei den unbeschichteten Stents häufiger zu späten Stent-Thrombosen.
Zudem wurde von einer gering erhöhten Malignominzidenz nach Implantation der medikamentös
beschichteten Stents berichtet.
Müssen sich Patienten, denen in der Vergangenheit ein medikamentös beschichteter Stent
implantiert wurde, jetzt also Sorgen machen?
Prof. Meier: Nein. Der Gesamtnutzen der medikamentös beschichteten Stents ist damit nicht in Frage
gestellt. Zudem war die erhöhte Malignominzidenz wahrscheinlich einfach nur Zufall.
Die Dosierungen der beschichteten Stents sind so gering, dass eine systemische Wirkung
beziehungsweise eine Karzinomauslösung nicht vorstellbar ist. In Bern benutzen wir
nach wie vor fast ausschließlich die medikamentös beschichteten Stents. Für eine Kehrtwende
sehen wir keinen Grund.
In Barcelona wurde angekündigt, demnächst eine Herzinfarkt-Polypill auf den Markt
zu bringen, in der die drei wichtigsten Wirkstoffe zur Herzinfarkt-Rezidivprophylaxe
enthalten sein sollen. Ist eine solche Tablette tatsächlich sinnvoll?
Prof. Meier: Mit einer solchen Polypill könnte man wahrscheinlich bei vielen Patienten die Medikamenten-Compliance
deutlich verbessern - insbesondere bei Patienten, die täglich eine Vielzahl von Medikamenten
einnehmen müssen und so ihre Tablettenzahl reduzieren könnten. Man darf nicht vergessen,
dass ein beträchtlicher Teil der Herzinfarkt-Patienten die verordneten Medikamente
bereits nach einem Jahr nicht mehr einnimmt, bei manchen sind das nicht weniger als
zehn verschiedene Präparate pro Tag.
Für die Polypill ist eine Kombination aus ASS, ACE-Hemmer und Statin geplant. Würden
Sie noch einen vierten Wirkstoff hinzunehmen?
Prof. Meier: Nein, im Moment sind das die drei wichtigsten Medikamente zur Sekundärprävention
nach einem Herzinfarkt.
Frühere Konzepte hatten zusätzlich einen Betablocker und Folsäure vorgesehen...
Prof. Meier: Betablocker sind zwar gute Antihypertensiva und sinnvolle Medikamente bei tachykardem
Vorhofflimmern, aber als Präventivmedikament bei einer koronaren Herzkrankheit sind
Betablocker überbewertet. Ich würde sie daher nicht standardmäßig in die Präventionsbehandlung
einbeziehen. Die Folsäure ist in der letzten Zeit stark ins Schleudern geraten. Mittlerweile
zeigen mehrere große Studien einheitlich, dass Folsäure-Präparate keinen Nutzen in
der Prävention von Herzkreislauf-Erkrankungen haben.
Für Aufsehen sorgte auch die EUROACTION-Studie, in der mehrere tausend Patienten in
Workshops und Einzelberatungen zu einem gesundheitsfördernden Lebensstil angeleitet
wurden. Sollten solche Programme jetzt überall eingeführt werden?
Prof. Meier: Die Ergebnisse dieser Studie wurden zu einem großen Teil schöngeredet. Zwar haben
sich die Studienteilnehmer in mancher Hinsicht tatsächlich zu einem besseren Lebensstil
erziehen lassen, woraufhin sich der Blutdruck und einige andere Risikofaktoren besserten,
aber insgesamt waren die Effekte trotz des riesigen Aufwandes nur sehr gering. Menschen
sind eben träge und schwer erziehbar. Sie lieben nicht das gesunde Leben, sondern
das Dolce Vita. Selbst mit aufwändigen Erziehungskursen erreichen nur die wenigsten
Menschen dauerhafte Lebensstiländerungen. Es ist daher nicht sinnvoll, pauschal alle
Menschen in teure Gesundheitskurse zu schicken. Bevor man solche groß angelegten Programme
etabliert, müsste außerdem überprüft werden, ob die geringen Verbesserungen der Risikofaktoren
auch tatsächlich die Morbidität und Mortalität senken.
Welche Bedeutung hat diese Studie für die tägliche Sprechstunde?
Prof. Meier: Die Studie zeigt eindrücklich, dass selbst für geringe Lebensstiländerungen ein sehr
hoher Zeitaufwand erforderlich ist. Man darf daher nicht erwarten, dass Ärzte in der
oft knappen Sprechstundenzeit für bedeutende Lebensstiländerungen ihrer Patienten
sorgen können. Man sieht auch, dass es nicht sinnvoll ist, Patienten extra zur Gesundheitserziehung
einzubestellen. Aber wenn jemand sowieso zur Blutdruck- oder Zuckerkontrolle in die
Sprechstunde kommt, kann man gleich auch ein paar Ratschläge für einen gesundheitsfördernden
Lebensstil mit auf den Weg geben. Das kostet nichts. Und gerade Hausärzte haben oft
ein gutes Gefühl dafür, bei welchen Patienten solche Empfehlungen sinnvoll sind und
bei welchen man damit nur seine Zeit verschwendet.
Herr Prof. Meier, wir bedanken uns für das Gespräch!