Z Orthop Unfall 2006; 144(6): 547-548
DOI: 10.1055/s-2006-971076
Orthopädie aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Präsidentenrede von Univ.-Prof. Dr. Jochen Eulert - am 2.10.2006 anlässlich der 92. Tagung Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e.V. (DGOOC) 2. bis 6. Oktober 2006, Berlin Univ.-Prof. Dr. Jochen Eulert, Präsident 2006 Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg

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22 February 2007 (online)

 
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    Prof. Dr. Jochen Eulert, Präsident der DGOOC 2006

    Hohe Festversammlung, verehrte Damen, meine Herren,

    im letzten Jahr standen hier drei Pulte und "Gemeinsam sind wir stark" war eine der Kernaussagen.

    Heute steht hier nur noch ein Pult und das Motto heißt: "Im Wettlauf mit der Zeit."

    Und in der Tat, die Realität hat uns eingeholt: In dem Prozess der Zusammenführung der Fächer Orthopädie und Unfallchirurgie findet ein Wettlauf statt, ein Gerangel um Positionen, Einfluss, Namen, kurz, jeder versucht der Erste zu sein, will Fakten schaffen und Claims abstecken, was verständlicherweise von der Gegenseite mit höchster Missbilligung betrachtet, ja teilweise schon als unanständig angesehen wird. Dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir uns doch mit Lichtenberg, dem bekannten Mathematiker und Aphoristiker fragen, ob es überhaupt möglich ist, irgendetwas zu tun, anzustreben oder argumentativ in die Diskussion zu werfen, ohne dabei sein eigenes Wohl oder das Wohl der Klientel, die man vertritt, besonders im Auge zu haben. Und wenn man weiß, dass dieses Phänomen auf uns alle zutrifft, kann man eigentlich jedwede moralisierende Entrüstung beiseite lassen und sich darauf konzentrieren, einen Weg zu finden, der den Vorstellungen und den Notwendigkeiten aller Beteiligten am nächsten kommt.

    Orthopädie und Unfallchirurgie sind Fächer, die schon jetzt und in ihrer Zusammenführung noch mehr, eine unglaubliche Vielfalt aufweisen und die aufgrund der demografischen Entwicklung noch über viele Jahre einen zunehmenden Bedarf an ambulanter und stationärer Krankenversorgung abzudecken haben. Es ist also für alle Platz und es kommt nur darauf an, das Ganze klug zu strukturieren. Wir sollten die Hoffnung ablegen, das komplementäre Fach partiell oder ganz übernehmen zu können und wir sollten nicht aus der Furcht heraus, übernommen zu werden, Fundamente und Brücken zerstören, Hindernisse aufstellen und Koalitionen eingehen, die ein Annähern der Fächer erschweren. Den Prozess der Zusammenführung kann man nicht dem freien Spiel der Kräfte, dem Markt, schon gar der Politik und auch nicht den Kosten- oder Krankenhausträgern allein überlassen. Wir müssen selbst das Steuer in die Hand nehmen und unseren Einfluss geltend machen, wobei man sich keiner Illusion hingeben darf: Unser Einfluss ist begrenzt. Er beruht ganz wesentlich auf der Kraft unserer Argumente. Aber man sollte diese Kraft auch nicht unterschätzen, die insbesondere dann wirksam wird, wenn die Argumente von unfallchirurgischer und orthopädischer Seite koordiniert vorgetragen werden.

    Hatten wir anfangs geglaubt, dass sich das Zusammenwachsen der Fächer über viele Jahre, ja Jahrzehnte hinziehen würde, so zeigt die Entwicklung, dass alles viel schneller geht. Darum muss sehr rasch gehandelt werden, wollen wir nicht Terrain, Einfluss und Ressourcen verlieren. Gerade an den Universitäten, wo im zunehmenden Maße die Landeszuschüsse für Forschung und Lehre den einzelnen Einrichtungen vom Fachbereich selbst zugewiesen werden, ist es von eminenter Bedeutung, dass das neue Fach Orthopädie und Unfallchirurgie in eben diesem Fachbereich nicht mit einer, sondern mit zwei Stimmen sprechen kann. Insofern ist es also dringend erforderlich, dass Orthopädie und Unfallchirurgie an den Universitäten beide akademisch vertreten sind.

    Das Zusammengehen der Fächer wird auch zu größeren klinischen Einheiten führen, was neue Strukturen verlangt, die mit einer zunehmenden Spezialisierung einhergehen werden. Diese Spezialisierung wird im Übrigen sowohl von den Patienten als auch von den Kostenträgern verlangt. Erwartet wird heute der Expertenstandard, der Facharztstandard ist nicht mehr ausreichend. Selbst der Bundesgerichtshof verlangt von Spezialkliniken - und das sind alle Orthopädischen und Unfallchirurgischen Kliniken - den gehobenen Facharztstandard. Für die kompetente fachliche Vertretung dieser spezialisierten Schwerpunkte benötigen wir leitende Ärzte, die in die Führungsebene integriert sind und ihren Bereich selbständig vertreten. Ein solches Modell birgt natürlich auch Gefahren in sich, so z. B. den Versuch, sich abzuschotten, kleine Fürstentümer zu schaffen. Das darf auf keinen Fall geduldet werden, das System muss durchlässig bleiben. Es soll eine Spezialisierung stattfinden, aber keine Fragmentierung des Faches.

    Die Schaffung von selbstständigen Positionen für Subspezialitäten ist auch ein wichtiger Schritt, um unserem Nachwuchs bessere Zukunftsperspektiven an den Kliniken zu eröffnen. Die vergangenen Ärztestreiks hatten zwar vordergründig Gehaltsforderungen als Streikziele definiert, aber wir wissen alle, dass auch die verschlechterten Zukunftsaussichten, wie überhaupt die veränderte Stellung des Arztes in der Gesellschaft eine wesentliche Rolle in dieser Auseinandersetzung gespielt haben, vor allem auch im Hinblick auf die Bereitschaft der Ärzte, diese Auseinandersetzung überhaupt in diesem Ausmaß zu beginnen und dann so konsequent durchzuhalten. Und hier können und müssen wir in der ohnehin notwendigen Umstrukturierung unserer Fächer - gerade auch unter Berücksichtigung der veränderten Rahmenbedingungen für die ärztliche Direktion - ein Zeichen setzen und in der zweiten Ebene leitende Arztstellen schaffen, die Subspezialitäten selbständig vertreten.

    In der Wissenschaftsförderung befinden sich Orthopädie und Unfallchirurgie im Aufwind. Sowohl die DFG als auch das BMB haben die Anstrengungen einzelner Orthopädischer und Unfallchirurgischer Kliniken anerkannt, die ihren Forschungsbereich professionalisiert und sich der klinisch orientierten Grundlagenforschung zugewandt haben. Deutschlandweit ist die Forschungsförderung immer noch ungenügend und spiegelt nicht die hohe sozioökonomische Bedeutung unserer Fächer wider. Während bei den direkten Krankheitskosten Verletzungen und muskuloskelettale Erkrankungen 16% des Budgets der direkten Krankheitskosten verbrauchen, beträgt die Forschungsförderung in diesem Bereich bei der DFG und BMBF zusammengenommen nur 2,8%. Das ist natürlich viel zu wenig. Trotzdem, wir befinden uns im Aufwind. So hat das BMBF gerade einen neuen Schwerpunkt "Erkrankungen des Bewegungsapparates" geschaffen und es ist daher allen Fakultäten in dieser Phase einer positiven Entwicklung dringend geraten, sich nicht durch Wegrationalisierung eines Lehrstuhls selbst zu schwächen. Die Fächer Orthopädie und Unfallchirurgie gehören auch in der Zusammenführung als akademische Institutionen in den Fächerkanon einer modernen Fakultät.

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, betrachten wir das Annähern und Zusammenwachsen von Orthopädie und Unfallchirurgie wie die Darbietung eines Musikstücks. Jeder muss seinen Part spielen, aber es bringt nichts, wenn einer besonders laut spielt, um die anderen zu übertönen oder wenn er besonders schnell spielt, um als Erster fertig zu sein. Eine perfekte Darbietung hat einen gemeinsamen Beginn und ein gemeinsames Ende und dazwischen ein aufeinander abgestimmtes Spiel verschiedener Spezialisten. Diese Abstimmung sollten wir auch bei der Zusammenführung unserer Fächer sicherstellen. Lassen Sie uns nicht durch kleinliches Aufzählen: wem, was, wo, alles gehört, diesen Prozess erschweren.

    Seien wir uns vielmehr unserer Stärke bewusst und schaffen wir mit einem dicken Pinselstrich das neue Fach, nicht nur als den neuen Facharzt, sondern auch in den ambulanten und stationären Strukturen und in den Verbänden. Lassen wir uns von dem Gedanken leiten, dass das Zusammenwachsen für alle ein Gewinn sein muss, keiner den anderen übernehmen kann und in kleinlichen Auseinandersetzungen allenfalls Geländegewinne zu verzeichnen sind. Der große Wurf aber, der dicke Pinselstrich, muss eine in gegenseitiger Absprache und Berücksichtigung gegenseitiger Interessen geschaffene neue Struktur sein.

    Wenn uns das gelingt, wird auch das gemeinsame Fach Orthopädie und Unfallchirurgie weiterhin zu den schönsten, attraktivsten und erfolgreichsten Fächern der Medizin gehören.

    Prof. Dr. med. J. Eulert

    Präsident der DGOOC 2006

     
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    Prof. Dr. Jochen Eulert, Präsident der DGOOC 2006