Gemäß ICD-10 ist die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperktivitätsstörung (ADHS) charakterisiert
durch die Kardinalsymptome Aufmerksamkeitsstörung, Überaktivität und Impulsivität,
die situationsübergreifend in mindestens zwei Lebensbereichen vor dem sechsten Lebensjahr
auftreten müssen. Unter den kindbezogenen Aspekten einer multimodalen Behandlung spielt
die Psychopharmakotherapie eine ebenso bedeutsame Rolle wie die Psychotherapie mit
Verhaltenstraining, berichtete PD Dr. Susanne Walitza, Würzburg.
Methylphenidat ist insbesondere in seiner retardierten Form (z.B. Concerta®) erste
Wahl. Mit kurz wirksamen Darreichungen dieser Substanz mussten die meisten Kinder
bisher zwei Tabletten täglich einnehmen, manche sogar bis zu vier. Unter den Retardpräparaten
zeichnet sich Concerta® durch eine besonders lange Wirkdauer von bis zu 12 Stunden
aus. Dies ermöglicht, die ADHS-Symptomatik mit nur einer Tablette von morgens bis
abends in den Griff zu bekommen.
Lange Wirkdauer dank OROS®-Technologie
Lange Wirkdauer dank OROS®-Technologie
Die OROS®-Technologie der Retardtabletten ermöglicht eine verzögerte, zweistufige
Freisetzungskinetik. Initial werden dabei 22% des Wirkstoffs freigesetzt, die restlichen
78% verteilen sich über die folgenden zwölf Stunden. "Dies entspricht in etwa dem
Wirkverlauf von drei Dosen Methylphenidat in einer schnell freisetzenden Form", so
Walitza. Andere Retardpräparate setzen den Wirkstoff zu 50% rasch und zu 50% auf acht
Stunden verteilt frei.
Die Therapieoption mit Methylphenidat soll die Konzentration und die schulische Leistung
der jungen Patienten verbessern, die soziale Position und das Selbstbewusstsein stärken
und die Interaktion zwischen Mutter und Kind und zwischen Lehrer und Kind positiv
verändern, erklärte Walitza. Zudem soll sie die Hypermotorik, die Impulsivität und
das aggressive Verhalten reduzieren. Die Behandlung der ADHS mit Methylphenidat erleichtert
auch den Umgang mit häufigen Komorbiditäten wie Tic- und Angststörungen oder oppositionellem
Trotzverhalten. Nebenwirkungen wie Einschlafstörungen, verminderter Appetit, Gewichtsreduktion
finden sich bei der Einnahme Methylphenidat sehr selten.
Die besonderen Vorteile der langen Wirkdauer zeigen sich in einer Studie, bei der
224 von ADHS betroffene Kinder von Atomoxetin oder einem anderen lang wirksamen Methylphenidat
auf Concerta® umgestellt wurden [4]. Bei gleich guter bis sehr guter Verträglichkeit nahmen die Symptome weiter ab und
es verbesserte sich das Funktionsniveau am Nachmittag und am frühen Abend. In einer
weiteren Studie, bei der man die Patienten ebenfalls auf das OROS®-Methylphenidat
umgestellt hatte, berichteten sowohl die Eltern wie auch die Betroffenen über einen
signifikanten Zuwachs an Lebensqualität.
Verhaltenstherapie alleine reicht nicht
Verhaltenstherapie alleine reicht nicht
Wichtige Erkenntnisse zur Bedeutung der medikamentösen ADHS-Therapie liefern auch
die beiden kontrollierten doppelblinden Therapiestudien, über die Dr. Marcel Romanos,
Würzburg, referierte. In der MTA-Studie (Multimodal Treatment Assessment Study) wurden
579 Kinder im Grundschulalter 14 Monate lang in vier Behandlungsarmen behandelt [1]. Die Kinder, die intensiv medikamentös betreut wurden oder eine Kombination aus
medikamentöser und Verhaltenstherapie erhielten, schnitten etwa gleich gut ab. Eher
enttäuschend blieben die Ergebnissen in den Gruppen, die eine Verhaltenstherapie allein
oder eine mehr allgemeine hausärztliche Behandlung erhielten. Als Fazit aus dieser
und der dreiarmigen New York-Montreal-Studie lässt sich feststellen, dass Methylphenidat
die ADHS-Kernsymptomatik sehr effektiv beeinflusst [2]. Die Verhaltenstherapie hingegen bringt einen zusätzlichen Nutzen in erster Linie
bei Kindern mit komorbiden Störungen.
Die von Seiten der Politik geäußerte Sorge, dass Methylphenidat zu leichtfertig eingesetzt
und exzessiv verordnet werde, wird aus Sicht der Klinik nicht geteilt. Dort sieht
man eher das Problem einer zu geringen Therapiekontinuität und mangelnder Compliance.
Gerade Jugendliche neigen dazu, die Therapie abzubrechen. "Drug Holidays", auch ein
häufig genanntes Argument, können in den Sommerferien durchaus sinnvoll sein. Dennoch
gilt: Die Behandlung fällt umso erfolgreicher aus, je kontinuierlicher sie durchgeführt
wird.
Um die Compliance zu steigern, bieten sich unterschiedliche Strategien an wie Beratung,
Training oder Erinnerungsanrufe. Auch die Wahl des Präparats spielt dabei eine Rolle.
Marcus et al. konnten in einer Untersuchung zeigen, dass eine Initialtherapie mit
einem Retardpräparat um 37% häufiger durchgeführt wird als mit einem kurz wirksamen
Medikament [3]. Vergleicht man die Therapiekontinuität innerhalb der Gruppe der Extended-release-Präparate,
dann erreichte Concerta® die besten Werte.
Martin Bischoff, Planegg
Quelle: Wissenschaftliches Symposium "ADHS ungefiltert - Ein-Blick hinter die Kulissen"
am 19. November 2007 in Würzburg
Mit freundlicher Unterstützung der Janssen-Cilag GmbH