Z Orthop Unfall 2007; 145(6): 700
DOI: 10.1055/s-2007-1019444
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Komplexe Extremitätenverletzung - Amputation versus Erhaltung - auch eine Sache der Ökonomie?

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
21. Dezember 2007 (online)

 
Inhaltsübersicht

Health-Care Costs Associated with Amputation or Reconstruction of a Limb-Threatening Injury. J Bone Joint Surg Am 2007; 89: 1685-1692

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Einleitung

Die Behandlung komplexer Frakturen mit ausgedehntem Weichteilschaden an der unteren Extremität stellt eine chirurgisch aufwändige und anspruchsvolle, für den Patienten zeitintensive und Geduld erprobende Situation dar. Lässt man das grundsätzliche Recht auf Respekt der körperlichen Integrität des Patienten außen vor und fragt nach den Kosten, welche bei einer Extremität erhaltenden Behandlung im Vergleich zu einer verletzungsgerechten Amputation entstehen, ist man je nach persönlicher Erfahrung und Vertrautheit mit der Studienlage geneigt, beide Therapieoptionen als gleichrangig oder die Amputation als unter Umständen vorteilhaft anzusehen. In der hier vorgestellten Arbeit wird der Versuch unternommen der Vielschichtigkeit dieser Fragestellung in einer komplexen statistischen Analyse gerecht zu werden.

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Material und Methode

Anhand der Behandlungsverläufe von 545 Patienten (384 Rekonstruktionen, 161 Amputationen) mit einer einseitigen, die Vitalität der unteren Extremität bedrohenden Verletzung, wurde aus dokumentierten Behandlungskosten die finanzielle 2-Jahres-Belastung und die Belastung auf Lebenszeit geschätzt. Dabei wurden die komplette akute stationäre Behandlung auch mehrzeitig, sämtliche Rehabilitationsmaßnahmen, die ambulante ärztliche Betreuung sowie die Prothesenversorgung berücksichtigt. In der Publikation werden inhaltliche Überlegungen zu den einzelnen Posten dargelegt, sowie die statistische Berechnung der verwendeten Durchschnittswerte bei unvollständiger Kostendokumentation in einigen Fällen verständlich erläutert. Die Herangehensweise zur Abschätzung der finanziellen Belastung auf Lebenszeit für beide Behandlungsoptionen orientiert sich an objektiven nachvollziehbaren Kriterien. Die Abschätzung der Lebenserwartung (USA, 2003), die Hochrechnung der Frequenz regelmäßiger stationärer und ambulanter Behandlung, sowie die geschätzte Preisentwicklung in der Prothesenversorgung waren Basis zur Beurteilung der Langzeitbelastung. Indirekte Veränderungen mit finanzieller Auswirkung wie Einkommensverluste, Kosten für Umbau der Häuslichkeit sowie die primäre medikamentöse Behandlung und sekundäre Erkrankungen sowie deren Therapie wurden nicht berücksichtigt.

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Ergebnisse

Sowohl bei der 2-Jahres-Belastung als auch bei der Langzeitbelastung sind die Kosten für die untere Extremität erhaltende Behandlung ($ 81,316 und $ 163,282) niedriger verglichen mit der verletzungsgerechten Amputation ($91,105 und $509,275). Die rekonstruktive Behandlung von Verletzungen der distalen Tibia ("Pilon") und des Tibiaschaftes sowie Amputationen oberhalb des Kniegelenkes waren die aufwändigsten und kostenintensivsten Therapieverfahren.

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Kommentar

Zum grundsätzlichen Vorgehen eine Extremitäten erhaltende Behandlung auch bei schweren Verletzungen der unteren Extremität anzustreben besteht sicher weitestgehend Einigkeit. Im individuellen Fall kann das chirurgische Abwägen zwischen beiden Behandlungsformen (Amputation und Rekonstruktion) schwierig sein. Zunehmend wird die chirurgische Behandlung auch unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet, was möglicherweise zur Zurückhaltung bei anfangs sehr aufwändigen und kostenintensiven Behandlungsformen führen kann. Aus diesem Grunde sind die Ergebnisse der Untersuchung besonders ermunternd, bleibt doch nach den vorliegenden Erkenntnissen die Entscheidung über Rekonstruktion oder Amputation in der Hand von Patienten und Chirurgen. Beide Verfahren sind kostenintensiv und die Amputation bietet keinen ökonomischen Vorteil. Auch wenn die allumfassende Analyse von Kosten zur unteren Extremität erhaltenden- und entsprechenden Amputationsbehandlung schwierig bis unmöglich scheint und sicher Unterschiede im Gesundheitssystem der USA und der EU-Länder bestehen, werden doch die offensichtlichen Vorteile einer rekonstruktiven Behandlung verdeutlicht und um das Argument der Kostenoptimierung ergänzt.

Dr. med. Albrecht Dietze

Dr. med. Albrecht Dietze

Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität Rostock

Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie