Die Neurologie ist mit etlichen Vorurteilen belastet: So galt bis vor wenigen Jahren
die Aussage, dass Neurologen zwar klare Diagnosen stellen, man aber mit diesen meist
nichts anfangen könne. Außerdem machte das böse Wort die Runde, dass noch nie jemand
überlebt habe, weil sich der Neurologe beeilte. Diese Situation hat sich in den letzten
Jahren grundlegend verändert, sodass viele neurologische Kliniken mittlerweile von
der Intensivstation und Stroke unit dominiert werden und die Akutneurologie fester
Bestandteil der Facharztausbildung wurde. Unter neurologischen Notfällen verstehen
wir seither vor allem Schlaganfälle. Dabei wird häufig vergessen, dass die meisten
neurologischen Notfälle primär nicht beim Neurologen und schon gar nicht in einer
neurologischen Klinik vorgestellt werden. Diese Patienten gehen meist zuerst zum Hausarzt,
stellen sich in einer Notdienstzentrale vor oder rufen den Notarzt.
Die häufigsten Notfälle dieser Art dürften neurologische Ausfälle wie Paresen und
Sensibilitätsstörungen, Schwindel, Sehstörungen, starke Schmerzen und plötzliche Bewusstseinsstörungen
sein. Beim heftigen Rückenschmerz reicht das differenzialdiagnostische Spektrum vom
Bandscheibenvorfall bis zum „banalen” Hexenschuss. Die plötzliche Drehschwindelattacke
ist selten Ausdruck eines Hirnstamminfarkts, sondern viel häufiger ein benigner paroxysmaler
Lagerungsschwindel. Die Migräneaura ist für viele Ärzte in der Akutsituation nicht
von einer TIA zu unterscheiden. Bei der heftigen Kopfschmerzattacke kann der Hausarzt
ohne Bildgebung nicht entscheiden, ob es eine Subarachnoidalblutung oder eine Migräneattacke
ist. Aber er muss unter medizinischen und sozioökonomischen Gesichtspunkten abwägen,
wie viel und welche Zusatzdiagnostik erforderlich ist. Meist wurden die wesentlichen
Entscheidungen schon getroffen, bevor der Patient vom Neurologen gesehen wird.
In diesem Heft wollen wir Ihnen exemplarisch einige unspezifische Symptome aus neurologischer
Sicht präsentieren, die in der täglichen Praxis häufig sind. Dabei wählten wir absichtlich
die Vorgehensweise in der täglichen Praxis statt der üblichen fachärztlichen, d.h.
neurologischen Betrachtungsweise. Wir hoffen, dass das Heft auf Ihr Interesse stößt.