B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2008; 24(2): 64-66
DOI: 10.1055/s-2008-1004723
PRAXIS

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Das AOK-RückenKonzept

M. Clement1
  • 1AOK Baden-Württemberg, Hauptverwaltung, Stuttgart
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Publication Date:
09 April 2008 (online)

Zum AOK-RückenKonzept befragt DVGS Mitglied Klaus Weiß den Diplom-Sportwissenschaftler Michael Clement von der Hauptverwaltung der AOK Baden-Württemberg.

Weiß: Als eine große Krankenversicherung beschreitet die AOK Baden-Württemberg mit einem speziellen Rücken-Programm neue Wege im Leistungsbereich für ihre Versicherten. Auf der Basis welcher Philosophie haben Sie diese Entscheidung getroffen?

Clement: In unseren Präventionsangeboten bieten wir unseren Versicherten ein umfangreiches wohnortnahes Programm in den Bereichen Bewegung, Ernährung und Stressbewältigung an. Diese Programme werden von unseren eigenen Fachkräften durchgeführt.

Nach sorgfältigen Analysen haben wir uns in den vergangenen Jahren entschlossen, speziell im Bereich der Rückenerkrankungen bzw. der Rückenbeschwerden, ein effizientes Betreuungssystem aufzubauen. Inzwischen haben wir in Baden-Württemberg 39 AOK-RückenStudios aufgebaut (Abb. [1]). Wir bieten unsere Programme bzw. diese intensive Betreuung unseren volljährigen Versicherten an, die Rückenbeschwerden haben. Grundsätzlich müssen therapeutische Maßnahmen abgeschlossen sein.

Abb. 1 Standorte der AOK-RückenStudios in Baden-Württemberg.

In den 39 AOK-RückenStudios betreuen Sie Ihre Versicherten mit Rückenbeschwerden mit einem Gerätegestützten Training. Welche Kriterien waren für die Ausstattung der Zentren maßgeblich?

Clement: Bei der Ausstattung der AOK-RückenStudios wurden Geräte der Firma David eingesetzt. Kriterien waren, dass wir ein biomechanisch flexibles und in der Handhabung einfaches System gesucht haben, das nach einer Einlernphase Einstellmöglichkeiten der Geräte durch den Teilnehmer selbst ermöglicht. Die Schulung der Körperwahrnehmung ist einer der Schwerpunkte in unserem Angebot. Ein wichtiges Kriterium war für uns darüber hinaus, dass ein evaluiertes trainingswissenschaftliches Konzept dahinter steht.

An wen wenden sich Ihre speziellen „Rückenangebote”, welche Zielgruppen sprechen Sie an?

Clement: Der Zugang zu AOK-Präventionsangeboten erfolgt über eine Präventionsempfehlung des Arztes auf der Grundlage des Kooperationsvertrages mit der kassenärztlichen Vereinigung. Die Zielgruppe sind z. B. Personen, die die kurativen Maßnahmen bereits abgeschlossen haben und ihren Bewegungsapparat weiterhin stabilisieren sollen.

In einem ersten Schritt entscheidet der Arzt aufgrund seiner Diagnose, ob sein Patient therapiebedürftig ist oder an einem sekundär- / tertiärpräventiven Angebot teilnehmen kann. In einem zweiten Schritt wird in einem persönlichen Gespräch mit den AOK-Fachkräften die Eignung für das AOK-RückenKonzept anhand vorgegebener Indikationen und Kontraindikationen überprüft. Diese Liste wird ständig auf den aktuellen wissenschaftlichen Stand gebracht.

Für die Betreuung Ihrer Versicherten sind eigene AOK-Fachkräfte verantwortlich. Welche Qualifikationen bzw. welche Ausbildungen setzen Sie voraus?

Clement: Die Grundqualifikationen, um als Trainer im AOK-RückenKonzept arbeiten zu können, sind ein abgeschlossenes Hochschulstudium im Fach Sport oder Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Prävention und Gesundheit, ein Abschluss als Sport- und Gymnastiklehrer mit Schwerpunkt Gesundheit oder eine Ausbildung als Physiotherapeut (bevorzugt orthopädische Ausrichtung). Nach einer zweitägigen Hospitation unter der Anleitung einer erfahrenen AOK-Fachkraft in einem bestehenden AOK-RückenStudio erfolgt eine dreitägige Ausbildung durch die AOK Baden-Württemberg für das AOK-RückenKonzept. Praxisbegleitendes Coaching sowie regelmäßige Supervision gewährleisten eine qualitätsgesicherte Umsetzung. Jeder Trainer muss alle zwei Jahre fachspezifische Weiterbildungsmodule besuchen.

Welche grundlegenden methodischen Grundsätze verfolgen Sie? Führen Sie z. B. Eingangsmessungen durch? Wie organisieren Sie die Trainingssteuerung? Findet eine Abschlussmessung statt? Wie werden Ihre Teilnehmer / Patienten / Mitglieder weiter betreut?

Clement: Jeder Kunde wird einer ausführlichen Eingangsanamnese unterzogen. Neben antropometrischen Daten wie Körpergewicht, Größe, Blutdruck, Rechts- / Linkshänder werden Beschwerdeparameter abgefragt, so z. B. die Lokalisierung der Beschwerden, die Intensität von Beschwerden und das komplexe Beschwerdeprofil.

Für das weitere Vorgehen ist entscheidend für uns, ob sog. absolute oder relative Kontraindikationen vorliegen. Wir verweisen therapiebedürftige Mitglieder an unsere Leistungserbringer bzw. Vertragspartner. Unser Rückenkonzept ist als eine sekundärpräventive Leistung definiert.

Die festgelegten Kontraindikationen werden regelmäßig in Absprache mit dem Chefarzt der AOK-Klinik Stöckenhöfe, Herrn Dr. med. Oliver Maier-Börries, aktualisiert.

Danach werden Messungen durchgeführt.

Messung der Mobilität:

HWS: sagittal, frontal, transversal, LWS / BWS: sagittal, frontal transversal.

Messung der Maximalkraft (wenn keine Kontraindikation vorliegt):

HWS: Extension Messposition 0°, LWS / BWS: Extension (30°), Flexion (0°), Lateralflexion rechts und links (30°), Rotation rechts und links (30°).

Weiterhin werden die subjektive Leistungsfähigkeit und das subjektive Wohlbefinden beurteilt.

Zur Periodisierung unseres Trainings im Basisprogramm unterteilen wir das Training in 4 Phasen:

Orientierungsphase (TE 1-8), Anpassungsphase (TE 9-12), Kräftigungsphase (TE 13-18), Optimierungsphase (TE 19-24).

In der 13. oder 14. Trainingseinheit wird ein Heimprogramm erlernt. Die Teilnehmer erhalten zu diesem Zeitpunkt das AOK-Rückenbuch, in dem neben diesen Übungen weiterführende Artikel zur Trainingsplanung und der Rückenthematik enthalten sind. Dadurch sollen die Teilnehmer in ihrer Eigenverantwortung für ihre individuelle Rückenproblematik gestärkt werden. Die Abschlussmessungen werden analog dem Eingangstest durchgeführt und führen letztendlich zu einer Gesamtbewertung. Unsere Trainer betreuen die Teilnehmer im Verhältnis 1 : 5.

Alle Trainingsergebnisse werden auf Trainingsplänen dokumentiert, subjektive Belastungsbewertungen werden erfasst. Alle Messergebnisse und Befragungsergebnisse werden in einer speziellen Software erfasst und dokumentiert. Hier können wir sowohl dem behandelnden Arzt als auch unseren Versicherten einen aktuellen Ausdruck erstellen.

Wie sieht bei Ihnen ein konkreter Ablauf eines Programm / einer Betreuung im AOK-Rückenstudio aus?

Clement: Im Aufbautraining trainieren unsere Teilnehmer zwei Trainingseinheiten à 60 Min. pro Woche. Das Programm wird insgesamt über 12 Wochen angeboten.

Im Erhaltungstraining reduzieren wir die Betreuung auf eine Trainingseinheit à 60 Min. je Woche. Dieses Programm bieten wir dann ebenfalls über insgesamt 12 Wochen an. Um unserem Qualitätsanspruch gerecht zu werden, organisieren wir die Trainingseinheiten in einem definierten Betreuungsschlüssel. Die Anfangsphasen finden in einer eins zu eins Betreuung statt, später wird dann die Betreuung in einem Verhältnis 1 Betreuer 5 Teilnehmer gewährleistet.

Unser Programm ist für AOK-Versicherte kostenfrei und exklusiv.

Eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation der Programme ist nicht nur wünschenswert, sondern vom Gesetzgeber gefordert. Wie sieht Ihr wissenschaftlich orientiertes Vorgehen aus?

Clement: Als Standard unserer Evaluation und des Qualitätsmanagements orientieren wir uns an den Standards für Evaluation der DeGEval. Wir führen standardisierte Basisschulungsprogramme mit Befragung der Teilnehmer der Trainerausbildung über unser Referat Weiterbildung sowie operationalisierte Zielformulierungen anhand von Akzeptanzkriterien und Lern- sowie Transferkriterien durch.

Im jährlichen Rhythmus werden nach Standardbögen Supervisionen in den AOK-RückenStudios mit ausführlichen Supervisionsberichten realisiert. Die Abfrage von Quartalszahlen, Betriebsstunden, Teilnehmerzahl, Trainingshäufigkeit, Mitarbeitereinsatz und Kostentransparenz stehen bei uns im Fokus der Analyse der Struktur und Prozessqualität.

Selbstverständlich werden Befunderhebung und Tests sowie Trainingsdokumentation und Befragung der Teilnehmer nach Abschluss der Maßnahme im Basis- und Erhaltungstraining dokumentiert.

Übergreifend führen wir gerade eine große Kosten-Nutzen-Analyse mit n = 3000 Teilnehmern durch, die jedoch frühestens in der zweiten Jahreshälfte erste Ergebnisse zeigen wird.

Gibt es Kooperationen mit weiteren Kostenträgern?

Clement: Im Bereich der Reha-Nachsorge arbeiten wir bereits mit der AOK-Klinik Stöckenhöfe, einer orthopädischen Fachklinik, sehr eng zusammen. Arbeitsplatzspezifische Programme haben wir zurzeit noch nicht geplant. Das AOK-RückenKonzept ist zudem einer der präventiven Bestandteile in der Integrierten Versorgung „Rückenschmerzen” der AOK Baden-Württemberg (Abb. [2]).

Abb. 2 Michael Clement im AOK-RückenStudio Heidelberg.

Abschließend würde ich Sie gerne bitten, einen kurzen Blick in die Zukunft zu wagen: wie wird die weitere Entwicklung aussehen?

Clement: Immer mehr Untersuchungen zeigen, dass Bewegung / körperliche Aktivität eines der zentralen Themen für die Gesundheit des Menschen ist. Dies kann jedoch nicht vom Gesundheitssystem alleine geleistet werden, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hier gilt es, das Bewusstsein bei jedem Einzelnen zu schaffen und vermehrt die Eigenverantwortung für das eigene Wohlergehen zu thematisieren.

Weiß: Herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg.

Korrespondenzadresse

M. Clement

Diplom-Sport-wissenschaftler · AOK Baden-Württemberg · Hauptverwaltung

Heilbronner Str. 184

70191 Stuttgart

Phone: 07 11 / 2 59 34 58

Email: michael.clement@bw.aok.de

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