Fallbericht
Bei einem 66jährigen Betriebshandwerker traten im August 2004
Episoden akuter Dyspnoe mit spontaner Normalisierung auf. Es bestand eine
hypotone, jedoch normofrequente Kreislaufregulation (RR
100/60 mm Hg).
Wegen persistierender, akuter Luftnot erfolgte die stationäre
Aufnahme in das regionale Kreiskrankenhaus.
Klinisch dominierte zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme eine
Ruhedyspnoe. Thoraxschmerzen und Auswurf lagen nicht vor.
Laborchemisch bestand eine Leukozytose (13,7 Gpt/l), das CRP
war mit 6 mg/dl, die CK mit 3,41 µmol/lxs jeweils leicht
erhöht. D-Dimer 2,9 mg/l, Myoglobin 178,8 µg/l; Troponin
0,122 ng/ml.
Röntgenologisch zeigte die Thoraxaufnahme keinen pathologischen
pulmonalen Befund.
Echokardiografisch normokinetischer, normal großer Ventrikel
mit Wandhypertrophie. Rechter Ventrikel vergrößert. Über der
Trikuspidalklappe Insuffizienzjet; errechneter systolischer
Pulmonalarteriendruck von 65 mm Hg.
Klinisch und laborchemisch wurde eine akute Lungenembolie
diagnostiziert. Nach Fibrinolyse-Therapie (Rapilysin®, Fa. Roche,
Grenzach-Wyhlen, BRD) und nachfolgender i. v.-Heparin-Applikation wurde
eine rasche Stabilisierung der respiratorischen Situation erreicht. Im Weiteren
Umstellung auf orale Antikoagulation (Falithrom®, Fa. Hexal, Holzkirchen,
BRD).
Nebenbefundlich wurden zum Ausschluss eines paraneoplastischen
Geschehens weitere Untersuchungen durchgeführt. Die Gastroskopie zeigte
eine schwere Antrumgastritis mit mehreren Ulcerationen. Koloskopisch wurden 5
Polypen nachgewiesen und abgetragen (histologisch: tubulo-villöse Adenome
mit geringgradiger Dysplasie).
Ein sonografisch bestehender Verdacht auf eine Prostata-Neoplasie
(bei erhöhtem PSA-Wert) wurde bioptisch nicht bestätigt.
Unter laufender Antikoagulation blieb der Patient nach Entlassung
zunächst beschwerdefrei.
Wegen peripherer arterieller Verschlusskrankheit (Stadium IV nach
Fontaine) mit Gangrän der 3. Zehe rechts wurde im Dezember 2005 die
gefäßchirurgische Desobliteration der rechten Beckenachse und des
rechten Oberschenkels durchgeführt.
Bei persistierender Belastungsdyspnoe erfolgte eine pneumologische
Diagnostik im Mai 2006.
Röntgenologisch waren die Lungenfelder beidseits weitgehend
unauffällig.
Extrapulmonal fanden sich im Bereich der lateralen Thoraxwand rechts
multiple rundliche Schatten mit glatter Begrenzung und partiellen
Kalzifizierungen ([Abb. 1 a, b ]).
Abb. 1 Röntgen-Thorax:
a) Verkalkungsstrukturen an lateraler Thoraxwand
rechts.
b) Frontal: Multiple Rundschatten,
vorrangig ventral.
Die bodyplethysmografisch ermittelten Funktionsparameter zeigten
Normalwerte (FEV1 3,64l = 118 %
SW; VCIN 4,12l = 100 % SW). Die
CO-Diffusionskapazität lag im Normbereich.
Der Methacholin-Test blieb ohne Nachweis einer bronchialen
Hyperreaktivität. Im EKG bestanden keine Hinweise auf eine
Rechtsherzhypertrophie.
Eine Ergooxytensiometrie wurde nach geringer Belastung (30 W, 5.
Minute) wegen Kräftemangels und Hypertonie abgebrochen (bei maximalem RR
von 210/120 mm Hg). Der Ruhe-pO2 wurde mit
88 mm Hg bestimmt, bei 30 Watt wurden 80 mm Hg
registriert.
Eine echokardiografische Kontrolle ergab 07/2006 weitgehend
normalisierte Befunde (geringe Trikuspidalklappeninsuffizienz I. Grades); keine
pathologisch erhöht geschätzten Druckwerte in der A. pulmonalis.
Wegen der Thoraxwandveränderungen erfolgte eine
Spiralcomputertomografie des Thorax. Im CT zeigten sich im Bereich der rechten
Thoraxwand – beginnend in der Axilla – multiple, rundliche
Verkalkungsfiguren, zum Teil angrenzend an abnorme, varikös erweiterte
Gefäßstrukturen sowie eine kolbig-langstreckige Auftreibung eines
Gefäßes rechtsaxillär, welches bis weit nach kaudal hin
nachweisbar war ([Abb. 2 ]). Die genannten
Veränderungen wurden als suspekte Emboliequelle eingestuft.
Abb. 2 CT des Thorax
(Ausschnitt): Verdickung der rechten Thoraxwand mit Nachweis von multiplen
Rundschatten mit Kalzifizierungen.
Als Kofaktor für das embolische Geschehen wurde ein thrombophil
wirksamer Gerinnungsdefekt (Lupus-Hemmkörper) nachgewiesen.
Die Komplettierung der Diagnostik wurde durch ein erneutes
embolisches Ereignis trotz laufender (effektiver) Antikoagulation unterbrochen,
das bei therapeutischer Heparinisierung unter stationären Bedingungen
zügig zu beherrschen war.
Bei Phlebografie des rechten Armes (Optiray® 300, Fa. Tyco
Healthcare, Neustadt/Donau, BRD) über eine Kubitalvene zeigte die V.
cephalica keinen Kontrastmittelabfluss in die V. subclavia. Retrograd erfolgte
die Auffüllung einer ektatischen V. axillaris sowie der Vv. brachiales et
profundae brachii. Zeitgleich stellte sich eine monströs aneurysmatisch
erweiterte venöse Struktur der dorsolateralen rechten Thoraxwand unterhalb
der Axillarregion – zunächst ohne Abfluss nach zentral - dar ([Abb. 3 a ] u. [b ]).
Nach kaudal bestanden weitere varikös erweiterte Venen. Erst nach
Lageänderung sowie durch Bewegung des Schultergürtels kam es zum
regulären Abstrom des Kontrastmittels von der V. axillaris in die V.
subclavia. Gleichzeitig entleerte sich der große Aneurysmasack nahezu
vollständig in die V. subclavia ([Abb. 3 c ] u. [d ]).
Abb. 3a Phlebografie des
rechten Armes (unmittelbar nach Kontrastmittel-Injektion): Darstellung der V.
brachialis, eines monströsen venösen Aneurysmas der re. Thoraxwand
sowie zusätzliche Rundschatten mit Kontrastmittelfüllung.
Abb. 3b 2. Minute nach
KM-Injektion: Großes Aneurysma der Thoraxwand (2), gefüllte,
ektatische Venen der Thoraxwand (1,3).
Abb. 3c Plötzlicher
Kontrastmittelabfluss aus dem Thoraxwandaneurysma (1) und Kollateralen (2) nach
Lageänderung; KM-Nachweis in Pulmonalarterien (3).
Abb. 3d Spätphase (5.
Minute nach KM-Injektion): Allmähliche Entleerung des Aneurysmas.
Das klinisch-pathologische und angiologisch-topografische Bild mit
schwerst aneurysmatisch veränderten Venenstrukturen und Verkalkungen wurde
als – wahrscheinlich konnatale – Veränderung interpretiert,
wobei der große Aneurysmasack mit erheblicher Entleerungsverzögerung
als kausalpathogenetischer Faktor für die rezidivierenden Lungenembolien
bei zusätzlich vorliegender Thrombophilie angesehen wurde.
07/2006 erfolgte die definitive Therapie der Malformation im
Hybridverfahren mittels:
Der Eingriff wurde vom Patienten gut toleriert.
Unter Antikoagulantien-Medikation (Falithrom®) waren im
bisherigen Follow-up-Zeitraum von 23 Monaten keine weiteren embolischen
Ereignisse zu verzeichnen.
Diskussion
Aneurysmata des venösen Systems sind seltene vaskuläre
Malformationen und treten ohne Geschlechtsdominanz auf. Die Genese ist im
Allgemeinen kongenital-idiopathisch.
Darüber hinaus wurden aneurysmatische Deformationen auch
posttraumatisch nach stumpfem Thoraxtrauma beschrieben [1 ].
Als Prädilektionsstellen werden vorrangig untere und obere
Extremitäten sowie weitere größere Venen (wie Vv. jugularis,
subclavia, brachiocephalica, basilaris, azygos, cava superior et inferior,
mesenterica, splenica, iliaca u. a.) beschrieben.
Beim Vorliegen venöser Aneurysmata finden sich häufig
bereits in der Adoleszenz oder in frühem Erwachsenenalter
thromboembolische Komplikationen, auch Rupturen wurden mitgeteilt
[2 ]
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[17 ].
Bei intrathorakaler Lage führen Venenaneurysmata vielfach zu
Mediastinalveränderungen, die konventionell-radiologisch oder mittels CT
und MRT relativ einfach diagnostizierbar sind [18 ]
[19 ]
[20 ].
Gelegentlich wurde über ein gemeinsames Auftreten venöser
Aneurysmata mit anderen Malformationen (z. B. V. cava superior sinistra
persistens [14 ] und Erkrankungen wie zystischen Hygromen
[21 ] und Hämangiomen [22 ])
berichtet.
Zum überwiegenden Teil liegen zu diesen Erkrankungen in der
Literatur Einzelfallberichte vor (Chou u. Mitarb. [4 ];
Gozdziuk u. Mitarb. [20 ]; Haniuda u. Mitarb.
[8 ]; Picou u. Mitarb. [10 ];
Regueiro u. Mitarb. [12 ]; Tsuji u. Mitarb.
[15 ]; Watanabe u. Mitarb. [17 ]).
In einer Sammelstatistik berichteten Sullivan u. Mitarb. 2002
über 18 Fälle von venösen Aneurysmata in unterschiedlichen
Körperregionen [13 ].
Während arteriovenöse Aneurysmata der Thoraxwand
gelegentlich beschrieben wurden [23 ]
[24 ], scheinen rein venöse Malformationen der
Thoraxwand noch seltener zu sein.
Therapeutisch wird in der Literatur regelhaft eine prophylaktische
Resektion empfohlen, sofern eine Lokalisation abdominal oder im Bereich der
unteren Extremitäten vorliegt. Bei Lokalisation in anderen Regionen wird
eine Exzision nur angestrebt, wenn die Veränderungen zu Symptomen
führen, eine Größenzunahme zeigen oder Entstellungen
verursachen [25 ].
Im präsentierten Fall führte eine primäre
Lungenembolie mit postembolisch persistierender Dyspnoe zu weiterführenden
Untersuchungen, die den Befund einer monströsen,
venös-aneurysmatischen Malformation der Thoraxwand rechts ergaben, welche
als Quelle für die Lungenembolien anzusehen war.
Eine traumatisch schonende Kombination aus
interventionell-radiologischer Embolisation von Aneurysma-Anteilen und
chirurgischer Behandlung mittels Ligatur des Aneurysmahalses sicherte im
mittelfristigen Follow-up-Intervall den Therapieerfolg im vorgestellten Fall,
so dass Embolie-Rezidive unter fortlaufender oraler Antikoagulation vermieden
werden konnten.
Im Falle von anspruchsvollen und seltenen
gefäßmedizinischen Fallkonstellationen – wie beim
vorliegenden, extraordinären Patienten – sind konsequente,
interdisziplinäre Diagnosesicherungsstrategien erforderlich. Im Rahmen der
Behandlung wird eine interdisziplinäre Therapieplanung in einem
Gefäßzentrum favorisiert, die eine flexible
Methodenvariabilität bei akzeptablem Risiko-Nutzen-Verhältnis
ermöglicht.
Die sinnvolle und abgestimmte Abfolge von
interventionell-radiologischem und gefäßchirurgischem Procedere
ermöglichte in unserem Fall eine patientenschonende Sanierung der
Emboliequelle unter Gewährleistung maximaler Sicherheit der
Prävention erneuter – möglicherweise vital bedrohlicher –
Lungenembolieepisoden bei Vermeidung eines ausgedehnten chirurgischen Traumas
infolge Ausschöpfung minimal-invasiver Behandlungsoptionen in einem
interdisziplinären Therapiekonzept.