Anmerkung zu einer Entscheidung des Landessozialgerichts Hessen [1]
Einleitung
Einleitung
Wie schon in der Dezemberausgabe [2] berichtet, befasste sich das Sozialgericht Marburg bereits in zwei Fällen [3] mit den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Genehmigung einer Zweigpraxis. Dabei
handelte es sich um die ersten Gerichtsentscheidungen, die über die Genehmigung einer
Zweigpraxis unter Geltung der durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG)
veränderten rechtlichen Bedingungen befanden. Begrifflich liegt eine genehmigungspflichtige
Zweigpraxis vor, wenn zumindest teilweise diejenigen Leistungen in der Zweigpraxis
angeboten werden, die auch am Hauptsitz erbracht werden. Eine nur anzeigepflichtige
und nicht genehmigungspflichtige ausgelagerte Praxisstätte hingegen ist gegeben, wenn
dort nur spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen angeboten werden [4]. Im Zuge des VÄndG wurde die für Zweigpraxen einschlägige Rechtsgrundlage des §
24 Abs. 3 der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) dahingehend geändert, dass
vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes zulässig sind, wenn
und soweit
-
dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und
-
die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht
beeinträchtigt wird.
Dabei muss die Zweigpraxis nicht mehr zwingend in demselben KV-Bezirk wie der Vertragsarztsitz
liegen, sondern kann auch in einem anderen KV-Bezirk gelegen sein. Im ersten Fall
hat der Radiologe bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen gegen die Kassenärztliche
Vereinigung einen Rechtsanspruch auf Genehmigung und im zweiten Fall einen Rechtsanspruch
auf Ermächtigung durch den Zulassungsausschuss des KV-Bezirkes, wo die Zweigpraxis
gegründet wird.
Das Landessozialgericht (LSG) Hessen gestattete einem Zahnarzt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt
Kinderzahnheilkunde im vorläufigen Rechtsschutzverfahren den vorläufigen Betrieb einer
Zweigpraxis und gab damit seiner Beschwerde gegen einer der bereits angesprochenen
Entscheidungen des Sozialgericht Marburg [5] statt, welches ihm die vorläufige Genehmigung seiner Zweigpraxis versagt hatte.
Die divergierenden Gerichtsentscheidungen zeigen deutlich die praktischen Schwierigkeiten
bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe "fehlende Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen
Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes" und "Verbesserung der Versorgung am Ort
der Zweigpraxis". Der Gesetzgeber hat es hier wie so häufig im Vertragsarztrecht versäumt,
entsprechend seinem Gesetzesauftrag klare Begrifflichkeiten zu schaffen, so dass langwierige
Klageverfahren, Streitigkeiten um diese Begriffe und Schwerfälligkeiten in der Umsetzung
vorprogrammiert sind. Dies wird bereits jetzt durch die Entscheidung des LSG Hessen
bestätigt, weil dieses eine vollkommen andere gesetzliche Auslegung vornimmt, als
es das Sozialgericht Marburg erstinstanzlich getan hat. Dabei ließen die vom Sozialgericht
Marburg in beiden Entscheidungen getroffenen rechtlichen Ausführungen daran zweifeln,
ob das VÄndG im Verhältnis zur alten Rechtslage bedeutsame Modifikationen für den
niedergelassenen Radiologen schafft. Die LSG Hessen Entscheidung hingegen stellt geringere
Anforderungen an die Erfüllung der genannten Begrifflichkeiten und bezieht erfreulich
deutlich Position bei der Konkretisierung der gesetzlichen Voraussetzungen.
Keine Beeinträchtigung der Versorgung am Vertragsarztsitz des Radiologen
Keine Beeinträchtigung der Versorgung am Vertragsarztsitz des Radiologen
Nach dem für den Radiologen anwendbaren Bundesmantelvertrag für Ärzte (BMV-Ä) [6] wird die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes
dann nicht beeinträchtigt, wenn der Radiologe mindestens 20 Stunden Sprechstunden
am Hauptsitz anbietet. Bei einem Teilversorgungsauftrag [7] reduziert sich die Präsenzpflicht auf mindestens 10 Stunden [8]. Die Präsenszeiten können auch durch einen angestellten Arzt sichergestellt werden.
Für die Zweigpraxis gilt, dass die Zeit in der Zweigpraxis die Zeit am Vertragsarztsitz
des Radiologen nicht überschreitet, d.h. bei einer Vollzulassung dürfte der Radiologe
bzw. ein angestellter Arzt maximal 19 Stunden in der Zweigpraxis Sprechstunden abhalten
[9]. Die Anzahl der in der Zweigpraxis möglichen Sprechstunden erhöht sich entsprechend,
wenn der Radiologe am Hauptsitz mehr als 20 Stunden präsent ist, weil es allein auf
die tatsächliche Tätigkeit ankommt. Die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes
[10] zum alten Recht (vor in kraft treten des VÄndG), nach der der Vertragsarzt an weiteren
Orten nicht mehr als 13 Stunden tätig sein durfte, weil hypothetisch auf eine 40-Stunden-Woche
abgestellt wurde, findet damit keine Anwendung mehr. Bestätigt wird dies durch die
Rechtsprechung des LSG Hessen, da das Gericht in seiner Entscheidung die Nichtanwendbarkeit
dieser Bundessozialgerichtsrechtsprechung für Zahnärzte klargestellt hat, und es nach
den Regelungen für Zahnärzte genauso wie für Radiologen auf die tatsächliche Dauer
der Tätigkeit ankommt [11].
Das LSG Hessen stellt ferner klar, dass eine einfache Fahrtstrecke von 45-minütiger
Dauer mit gut ausgebauter Wegstrecke die Residenzpflicht nicht verletzt und diese
damit der Genehmigung einer Zweigpraxis nicht entgegen steht. Dabei ist nach der Rechtsauffassung
des LSG Hessen zu berücksichtigen, dass in besonders dringenden Fällen auch der örtliche
Rettungsdienst angerufen werden kann und im übrigen bei Berufsübungsgemeinschaften
auch die anderen Zahnärzte für Notfälle zur Verfügung stünden. Für die Beurteilung
der akzeptierbaren Entfernung zwischen Hauptsitz und Zweigpraxis des Radiologen wird
es immer auf den konkreten Einzelfall ankommen. Der LSG Hessen Entscheidung lässt
sich jedoch entnehmen, dass die Anforderungen eher gering anzusetzen sind und Hauptpraxis
und Zweigpraxis auch in einiger Entfernung voneinander liegen können. Es wird auf
die angesprochenen Aspekte (Patientenstruktur, Notfallanfälligkeit, Entfernung, Ausbau
der Wegstrecke, Vorhandensein anderer Ärzte der Berufsausübungsgemeinschaft) ankommen.
Qualitative Verbesserung der Versorgung am Ort der radiologischen Zweigpraxis
Qualitative Verbesserung der Versorgung am Ort der radiologischen Zweigpraxis
Besonderes Behandlungsangebot aufgrund spezieller Kenntnisse
In der Entscheidung des Sozialgericht Marburg bzw. des LSG Hessen begründete der Zahnarzt
die qualitative Versorgungsverbesserung mit dem Tätigkeitsschwerpunkt "Kinderzahnheilkunde",
der anderweitig nicht angeboten würde. Das Sozialgericht Marburg vertrat die Rechtsauffassung,
dass allein die Behauptung, der Schwerpunkt der Leistungen liege in einem Bereich,
den die anderen niedergelassenen Vertrags(zahn-)ärzte nicht abdecke, nicht ausreiche.
Dabei war für das Gericht ausschlaggebend, dass die besondere Ausbildung im Bereich
der Kinderzahnheilkunde weiterbildungsrechtlich nicht abgebildet ist. Das Gericht
ging davon aus, dass jeder niedergelassene Vertragszahnarzt kinderzahnheilkundliche
Leistungen in (qualitativ) gleichwertiger Weise erbringt. Das LSG Hessen stellte klar,
dass das Sozialgericht Marburg verkannt hat, dass die Landeszahnärztekammer die Führung
des Tätigkeitsschwerpunktes "Kinderzahnheilkunde" nach Durchlaufen einer strukturierten
curriculären Fortbildung ("Curriculum") genehmigt und damit vertiefende Kenntnisse
in diesem Bereich vorliegen, welche die Versorgung verbessern. Die fehlende weiterbildungsrechtliche
Anerkennung hindert also nicht die Annahme der Verbesserung der Versorgung, da es
allein darauf ankommt, dass die Tätigkeit von der Zahnärztekammer zertifiziert ist.
Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine qualitative "Verbesserung"
der radiologischen Versorgung am Ort der radiologischen Zweigpraxis eintritt [12], wobei zunächst festzuhalten ist, dass eine Verbesserung in qualitativer Hinsicht
unabhängig von der Bedarfsplanung ist. Daher besteht auch in gesperrten Planungsbereichen
ein Anspruch des Radiologen auf Genehmigung einer Zweigpraxis. Besitzt der Radiologe
nach der Weiterbildungsordnung die Schwerpunktbezeichnung "Kinderradiologie" oder
die Schwerpunktbezeichnung "Neuroradiologie" und werden diese Bereiche in dem Planungsbereich
nicht oder nicht in ausreichendem Umfang abgedeckt, so liegt eine qualitative Versorgungsverbesserung
vor, mit der Konsequenz, dass die radiologische Zweipraxis zu genehmigen ist. Auch
eine Zusatzbezeichnung nach der Weiterbildungsordnung kann ausreichen [13], wobei für Radiologen kaum interessante Leistungsspektren in Frage kommen. Die Entscheidung
des LSG Hessen stellt ferner klar, dass eine weiterbildungsrechtliche Abbildung des
in der Zweigpraxis angebotenen Leistungsspektrums nicht erforderlich ist, da auch
"curriculäre Fortbildungen" ausreichen. Solche "curriculären Fortbildungen" gibt es
auch im humanmedizinischen Bereich [14]. Diese beruhen nicht auf dem Weiterbildungsrecht, sondern vielmehr auf der Berufsordnung
der zuständigen Landesärztekammer. Für die Radiologen sind in im Bereich der "curriculären
Fortbildungen" keine interessanten Leistungsbereiche ersichtlich, mit denen eine solche
Versorgungsverbesserung begründbar wäre
Besondere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Eine qualitative Versorgungsverbesserung lässt sich ferner mit in der Zweigpraxis
angebotenen speziellen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden begründen [15], wobei natürlich denkbar ist, dass kumulativ sowohl ein besonderes Behandlungsangebot
aufgrund spezieller Kenntnisse besteht als auch besondere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
im Sinne von z.B. spezieller apparativer Ausstattung vorliegen. Verwiesen sei in diesem
Zusammenhang auf die verschiedenen Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
zur Qualitätssicherung in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung, wo fachliche,
apparative und organisatorische Anforderungen festgeschrieben werden. Beispielhaft
sei die neue Qualitätssicherungsvereinbarung zur MR-Angiografie, die Qualitätssicherungsvereinbarung
zur interventionellen Radiologie oder die Kernspintomographie-Vereinbarung genannt.
Eine besondere Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne einer besonderen apparativen
Ausstattung dürfte das 3Tesla-MRT darstellen, welches aufgrund seiner kontrastreicheren
Bildgebung im Vergleich zu den 1,5Tesla-MRT`s eine bessere Diagnostik ermöglichen
und damit die Versorgung verbessern kann.
Fazit
Fazit
Die Entscheidung des LSG Hessen stellt geringere Anforderungen an die Genehmigungsvoraussetzungen
einer Zweigpraxis, weil das Gericht für die qualitative Versorgungsverbesserung weniger
fordert, als es das Sozialgericht Marburg erstinstanzlich getan hat. Dabei wird der
Radiologe detailliert darstellen müssen, warum er aufgrund welcher speziellen Kenntnisse
ein besonderes Behandlungsangebot hat, welches von anderen niedergelassenen Radiologen
so oder nicht in dem Umfang nicht angeboten wird. Sofern der qualitative Versorgungsbedarf
mit speziellen Kenntnissen begründet wird, forderte das Sozialgericht Marburg, dass
eine entsprechende weiterbildungsrechtliche Anerkennung gegeben sein muss. Für den
Radiologen kommen hier die Schwerpunktbezeichnungen "Kinderradiologie" oder "Neuroradiologie"
in Frage. Das LSG Hessen hingegen lässt bereits "curriculäre Fortbildungen" ausreichen,
die von der zuständigen Kammer zertifiziert sind. Die Gründung einer Zweigpraxis wird
sich für den Radiologen im Hinblick auf GKV-Patienten dann lohnen, wenn er an seinem
Hauptsitz sein Budget noch nicht voll ausgeschöpft hat. Denn ein zusätzliches GKV-Budget
erhält der Radiologe über die Zweigpraxis nicht.