Einleitung
Einleitung
Als Vaskulitis werden entzündlich-nekrotisierende
Veränderungen der Blutgefäße bezeichnet, die als primäre
idiopathische Gefäßerkrankungen in Erscheinung treten oder sich
sekundär als Gefäßmitbeteiligung einer anderen ursächlich
zugrunde liegenden Erkrankung (z. B. Infektionen, Kollagenosen,
Hypersensitivitätsreaktionen) manifestieren [1]. Bei
den primären systemischen Vaskulitiden erfolgt heutzutage nach der
Chapel-Hill-Konsensus-Konferenz von 1994 die nosologische Einteilung nach der
Größe der vornehmlich vom entzündlichen Erkrankungsgeschehen
befallenen Gefäße unter zusätzlicher Berücksichtung
histologischer Entzündungscharakteristika, wodurch sich bestimmte
distinkte klinische Entitäten voneinander abgrenzen lassen werden (siehe
[Tab. 1]) [2].
Tab. 1 Chapel-Hill-Nomenklatur
primär systemischer Vaskulitiden [2].
Befall
vorwiegend der großen
Blutgefäße
Riesenzellarteriitis
Takayasu-Arteriitis
|
Befall
vorwiegend der mittelgroßen
Blutgefäße
Polyarteriitis nodosa
Kawasaki-Erkrankung
|
Befall
vorwiegend der kleinen
Blutgefäße
Wegener-Granulomatose*
Churg-Strauss-Syndrom*
mikroskopische Polyangiitis*
Purpura Schönlein-Henoch
essenzielle kryoglobulinämische
Vaskulitis
kutane leukozytoklastische Angiitis
|
* ANCA-assoziiert.
|
Die ANCA-assoziierten systemischen Vaskulitiden (AASV) befallen
vorwiegend die kleinen bis mittelgroßen Gefäße
[2]. Sie sind die am häufigsten vorkommenden
primären Vaskulitiden der kleinen Gefäße des Erwachsenen
[3]. Zu ihnen zählen die Wegener-Granulomatose (WG),
die mikroskopische Polyangiitis (MPA) und das Churg-Strauss-Syndrom (CSS)
(siehe auch [Tab. 1]) [2].
Die Inzidenz dieser Erkrankungen liegt je nach Entität bei 2 bis 10
Fällen pro 1 Million Einwohner [3]. Bei allen liegt
pathohistologisch eine leukozytoklastische, fokal-nekrotisierende Vaskulitis
vor. Es finden sich jedoch sowohl morphologisch in Bezug auf die
entzündliche Umgebungsreaktion des betroffenen Gewebes als auch klinisch
deutliche Unterschiede (siehe [Tab. 2])
[2]
[3].
Tab. 2 Pathohistologische und
klinische Charakteristika [2].
Wegener-Granulomatose
granulomatöse
Entzündung des Respirationstrakts
nekrotisierende Vaskulitis der kleinen bis
mittelgroßen Gefäße
Pauci-immune nekrotisierende Glomerulonephritis
häufig
|
Mikroskopische Polyangiitis
nekrotisierende
Vaskulitis kleiner und mittelgroßer Gefäße
häufig pauci-immune nekrotisierende GN
häufig pulmonale Kapillaritis
|
Churg-Strauss-Syndrom
eosinophilenreiche und
granulomatöse Entzündung des Respirationstrakts
nekrotisierende Vaskulitis der kleinen bis
mittelgroßen Gefäße
Bluteosinophilie
assoziiert mit Asthma
|
Die AASV sind weiterhin durch den Nachweis zirkulierender
Autoantikörper gegen Bestandteile der azurophilen Granula respektive der
Lysosomen von Neutrophilen und Monozyten gekennzeichnet, den so genannten
„anti-neutrophil cytoplasmic antibodies” und werden deshalb als
ANCA-assoziiert bezeichnet [2]. Die Diskrepanz zwischen
diesen bei der Mehrzahl der betroffenen Patienten nachweisbaren zirkulierenden
Autoantikörpern und den fehlenden oder nur spärlich histologisch
nachzuweisenden Immunglobulinen in den betroffenen Gefäßen hat auch
zu der Bezeichnung „pauci-immune Vaskulitis” geführt
[3]. Dieser Begriff, der vorwiegend seine Anwendung in
der Differenzialdiagnose der rasch-progredienten Glomerulonephritiden findet
[4], sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass
sich gerade bei Hautbiopsien bei einer signifikanten Anzahl von Patienten
relevante Immunglobulinablagerungen nachweisen lassen [5].
Klinisch handelt es sich bei den AASV typischerweise um mehrphasisch
verlaufende entzündliche Systemerkrankungen mit häufig begleitendem
rheumatischem Beschwerdekomplex [1]. Grundsätzlich
kann durch die AASV so gut wie jedes Organ befallen werden. Bei der WG und der
MPA findet sich typischerweise eine pauci-immune nekrotisierende
Glomerulonephritis beziehunsgweise eine pulmonale Kapilariitis
[1]. Die WG und das CSS zeigen weiterhin beide
granulomatöse Entzündungen im Bereich der oberen- und unteren
Luftwege [1]. Spezifisch für das CSS ist neben der
immer vorliegenden Asthma-Anamnese eine ausgeprägte Blut- und
Gewebseosinophilie, darüber hinaus besteht sehr häufig eine
Herzbeteiligung [1]. Eine kutane Beteiligung zeigen
40 – 60 % der AASV-Patienten, wobei klinisch
sich in der Mehrzahl eine klassische palpable Purpura an abhängigen
Körperpartien findet. Es sind allerdings je nach Größe und Lage
der befallenen Gefäße auch Erytheme, Hämorrhagien, subkutane
Knoten, Ulcerationen oder Nekrosen als Hautbeteiligung beschrieben
[6].
Vor der Etablierung des Stickstofflost-Derivats Cyclophosphamid
(CYC) Anfang der 70er-Jahre war die Prognose der WG ohne Behandlung mit einer
mittleren Überlebenszeit von fünf Monaten und einer Mortalität
von 80 % innerhalb von 12 Monaten infaust [7]. Mit der zu dieser Zeit eingesetzten Steroidmonotherapie
konnte trotz der Verwendung hoher Dosierungen und zu beobachtender
kurzfristiger Verbesserungen nur eine unbefriedigende Verlängerung des
mittleren Überlebens auf 12,5 Monate erzielt werden [7]. Erst durch die Einführung einer
Kombinationsbehandlung bestehend aus CYC und oralen Glukokortikoiden (GC) wurde
die Prognose dieser Patienten dramatisch verbessert. Durch dieses auch als
Fauci-Schema bezeichnete Therapieregime konnten 75 bis 90 % der
Patienten in Remission gebracht werden [8]. Es zeigte
sich allerdings auch, dass es sich nicht um selbst-limitierte sondern um
chronisch-rezidivierende Erkrankungen handelt, bei denen es innerhalb von
fünf Jahren in 30 bis 50 % der Patienten zu
Rückfällen kommt [8]. Die deshalb in vielen
Fällen notwendige andauernde oder erneute CYC-Gabe führte, bedingt
durch dessen ausgeprägte Blasen- und Myelotoxizität sowie durch eine
deutlich erhöhte Malignom- und Infektionsrate, zu einer erheblichen
therapiebedingten Morbidität und Mortalität in bis zu
40 % der Patienten [9].
Aktuelle Behandlungsstrategien
Aktuelle Behandlungsstrategien
Die oben genannten Probleme des Fauci-Schemas führten dazu,
dass ab Mitte der 90er-Jahre verstärkt differenzierende stadien- und
schweregradadaptierte Behandlungskonzepte in die Therapie der AASV
eingeführt wurden, um hierdurch die Exposition mit CYC zu reduzieren
[10]. Prinzipiell wird heutzutage zwischen der
Behandlung einer floriden Erkrankungsphase mit dem Ziel der
Remissionserreichung, der so genannten Induktionstherapie, und einer
Erhaltungstherapie zur Rezidivprophylaxe bei Patienten in Remission
unterschieden. Weiterhin wird bei der Induktionstherapie der Schwere- und
Ausbreitungsgrad des vaskulitischen Organbefalls bzw. die Schwere der renalen
Beteiligung berücksichtigt (siehe [Abb. 1]).
Abb. 1 Therapiealgorithmus AASV
(modifiziert nach [12]). Abkürzungen: AASV,
ANCA-assoziierte Vaskulitis; S-Krea, Serum-Kreatinin; Pred, Prednisolon; MTX,
Methotrexat; CYC, Cyclophosphamid; PS, Plasmaseparation; AZA, Azathioprin.
Es werden hierbei lokalisierte bzw. früh-systemische Formen
ohne unmittelbar bedrohliche Organmanifestationen von generalisierten Formen
mit manifester oder drohender Organbeteiligung und schließlich den
schwersten Verläufen mit Befall vitaler Organe unterschieden.
Weitestgehend evidenz-basierte Therapieempfehlungen, die auf diesen Rationalen
beruhen, sind inzwischen von internationalen medizinischen Fachgesellschaften
veröffentlich worden [11]
[12]. Die wichtigsten Grundzüge stellen sich wie folgt
dar, für eine schematische Übersicht siehe bitte [Abb. 1].
Induktionsbehandlung
Induktionsbehandlung
Das klassische Induktionsregime bei Patienten mit aktiver AASV und
manifester bzw. unmittelbar bevorstehender relevanter Organbeteiligung
(Glomerulonephritis, alveoläre Hämorrhagie, vaskulitische
Neuropathie, etc.) besteht aus der Kombination von Hochdosis-Glukokortikoiden
(GC, 1 mg/kg) und CYC. In jüngster Zeit wird allerdings die
kontinuierliche perorale CYC-Gabe (2 mg/kg) immer mehr durch die
intermittierende i. v.-Puls-Gabe (15 mg/kg) verdrängt
[11]
[12], da diese bei
vergleichbarer Effektivität wegen der verringerten kumulativen CYC-Dosis
wahrscheinlich besser verträglich ist [13]. Hierbei
werden die ersten 3 Pulse alle 14 Tage gegeben, die folgenden in
3 – 4-wöchigen Abständen. Remissionsraten um
90 % sind mit beiden Methoden innerhalb von 6 Monaten
möglich [13]
[14]. Bei
schwerster Nierenbeteiligung, d. h. bereits bestehender oder kurz
bevorstehender Dialysepflichtigkeit, sollte zusätzlich innerhalb der
ersten 14 Behandlungstage ein 5 – 7-maliger Plasmaaustausch
durchgeführt werden, da die renale Prognose hierdurch verbessert wird
[15].
Bei Patienten mit weniger schweren Verläufen, d. h. ohne
relevanten Nierenbefall und ohne unmittelbare Bedrohung vitaler Organfunktionen
kann als Alternative eine Kombination von Hochdosis-GC und Methotrexat (MTX,
15 – 25 mg/Woche) durchgeführt werden. Hier
liegen vor allem Erfahrungen bei Patienten mit WG und Befall der oberen und
unteren Luftwege vor. Auch hier sind Remissionsraten um 90 %
möglich. Es muss allerdings unter MTX von einer im Vergleich
verlängerten Zeit bis zum Erreichen einer Remission ausgegangen werden
[16].
Die Induktionsregimes werden immer in Kombination mit GC
durchgeführt. Üblich sind initial Hochdosisgaben mit 1 mg/kg
Prednisolon, wobei bei schwerster Organbeteiligung mit einer
Methylprednisolonpulsbehandlung mit 1 gr/die über 3 Tage begonnen
werden kann. Die GC werden dann schrittweise innerhalb von 3 Monaten auf
0,25 mg/kg bzw. dann nach 6 Monaten auf
7,5 – 10 mg reduziert [17].
Vaskulitispatienten benötigen in der Regel eine längerfristige
GC-Behandlung über der Cushingschwellendosis und benötigen deshalb
eine medikamentöse Osteoporoseprophylaxe mit Vitamin D3 und Calcium bzw.
beim Vorliegen besonderer Risikofaktoren zusätzlich Bisphosphonate.
Während der Induktionsphase besteht für die Patienten eine
erhöhte Infektgefahr insbesondere auch für opportunistische Erreger,
der durch geeignete medikamentöse Prophylaxen begegnet werden muss.
Bewährt haben sich als Pneumocystis jiroveci Prophylaxe die Gabe von
Sulfamethoxazol/Trimethoprim (SMX/TMP) 3 × Woche
800/160 mg. Bei Patienten mit WG sollte SMX/TMP unter Beachtung der
Kontraindikationen in voller Dosierung von 2 × 1
täglich zusätzlich über den gesamten Behandlungszeitraum gegeben
werden, weil hierdurch die Rezidivrate vor allem in HNO-Bereich signifikant
gesenkt wird [18]. Bei allen CYC-enthaltenden Regimen,
insbesondere bei i. v.-Gabe, muss an die beträchtliche
Blasentoxizität des Medikamentes gedacht werden und eine entsprechende
Prophylaxe mit MESNA erfolgen [11]
[12].
Remissionsbehandlung
Remissionsbehandlung
Die Remissionsinduktion gelingt in der Regel bei der Mehrzahl der
Patienten. Problematischer gestaltet sich häufig der Remissionserhalt.
Grundsätzlich muss bei den AASV von Rezidiven in bis zu 50 %
der Patienten innerhalb von 5 Jahren ausgegangen werden. Sichere Kriterien, die
den individuellen Krankheitsverlauf vorhersagen, sind nicht verfügbar. Als
Remissionserhalt hat inzwischen das Azathioprin (AZA, 2 mg/kg) das CYC
verdrängt, da es wesentlich besser verträglich und bei Patienten in
Remission zur Rezidivprophylaxe dem CYC gleichwertig ist [14]. Als Alternative bietet sich das MTX an, wobei hier
eine eingeschränkte (S-Krea > 2 mg/dl) oder eine
instabile Nierenfunktion Kontraindikationen darstellen. Es muss ebenfalls unter
MTX mit einer erhöhten Rezidivgefahr [14], vor
allem auch in der Niere, gerechnet werden.
Bei Patienten mit Unverträglichkeiten auf die genannten
Medikamente bieten sich als Alternativen in der Erhaltungstherapie die
Immunsuppressiva Mycophenolat Mofetil [19] oder das
Leflunomid [20] an, wobei für beide Medikamente nur
kleine Kohorten untersucht sind.
Bezüglich der begleitenden CG-Behandlung hat sich bisher kein
Standard etablieren können. Die diesbezüglich verfügbaren
Studien befürworten eher eine längerfristige GC-Begleitbehandlung in
Höhe von 7,5 mg/die Prednisolonäquivalent, da in allen
Kohorten ohne GC bzw. mit frühem Absetzen eine gesteigerte Rezidivgefahr
beobachtet werden konnte [17].
Die optimale Dauer der Erhaltungstherapie ist ebenfalls nicht
gesichert. Auch hier legen die verfügbaren Daten eher einen längeren
als einen zu kurzen Zeitraum nahe. Aktuelle Richtlinien empfehlen eine
Behandlung über 18 bis 24 Monate nach Erreichen einer Vollremission mit
einem remissonserhaltenden Regime, welches dann schrittweise reduziert wird
[11]
[12].
Besonderheiten des CSS
Besonderheiten des CSS
Das CSS nimmt therapeutisch innerhalb der AASV eine Sonderstellung
ein, da es besser auf eine Monotherapie mit GC anspricht. Zudem liegen im
Vergleich zur WG oder MPA weniger randomisierte Studien zur Therapie vor.
Grundsätzlich ist allerdings auch hier davon auszugehen, dass beim
Vorliegen negativer prognostischer Prädiktoren (Herz-, Darm-, Nieren- oder
ZNS-Beteiligung) oder bei Rezidivneigung unter einer GC-Monotherapie eine
frühzeitige Kombination mit CYC in Analogie zur WG oder MPA unter
Verwendung des i. v.-Bolus-Regimes vorteilhaft ist [21].
Experimentelle Therapieansätze
Experimentelle Therapieansätze
Bei Patienten mit therapierefraktärem Verlauf wurden in Studien
oder als Heilversuch bereits verschiedene andere immunsuppressive Konzepte
erfolgreich eingesetzt. Zum einen war die T-Zell-depletierende Therapie mit
Antithymocytenglobulin (ATG) erfolgreich [22]. ATG
enthält polyklonale anti-T-Zell-Antikörper und führt so zum
T-Zell-Zerfall; es wurde gut toleriert, wenn zuvor simultane Infektionen
ausgeschlossen wurden. Ein anderer in einer kleinen Studie erfolgreicher
Therapieansatz bei therapierefraktären Patienten ist die zyklische Gabe
von 15-Deoxyspergualin (DSG), ein synthetisches Spergualin-Analog, das
zunächst in der Transplantationsimmunologie eingesetzt wurde
[23]. Eine andere vielversprechende therapeutische
Alternative bei Patienten, die nicht hinreichend auf Cyclophosphamid und
Steroide ansprechen, bietet die B-Zell-Depletion mit Rituximab. Rituximab ist
ein anti-CD20-Antikörper, der zu einer Depletion der CD20-positiven
B-Zellen und zum Rückgang der ANCA-Titer führt, ohne jedoch eine
generalisierte Immunsupression zu verursachen. In mehreren kleineren Studien
und Fallberichten wurde Rituximab erfolgreich zur Remmisionsinduktion
eingesetzt [24].
Fazit für die Praxis
Fazit für die Praxis
AASV müssen trotz ihrer relativen Seltenheit grundsätzlich
in die Differenzialdiagnose unklarer systemischer Krankheitszustände,
insbesondere wenn sie entzündlicher Natur sind, einbezogen werden.
ANCA-Bestimmungen zählen heute zu den Standardbestimmungen in der
Differentialdiagnostik vaskulitischer Erkrankungen und haben die Diagnose der
AASV wesentlich erleichtert. Die chronisch-rezidivierend verlaufenden AASV
benötigen eine stadien- und schweregradadaptierte immunsuppressive
Therapie, die inzwischen in weiten Teilen evidenzbasiert sind und eine
verbesserte und differenzierte Behandlung dieser Erkrankungen
ermöglichen.