Seit der Antike ist bekannt, dass ein erhöhter Alkoholkonsum das Auftreten epileptischer
Anfälle begünstigt. Die neurobiologische Grundlage dieses Zusammenhangs ist komplex
und bisher nicht in allen Details verstanden. Obwohl im neurologischen und psychiatrischen
Klinikalltag alkoholbezogene epileptische Anfälle ein häufiges Problem darstellen,
gibt es keine einheitlichen Richtlinien hinsichtlich des diagnostischen Managements
und des therapeutischen Vorgehens. In den aktuellen Suchtleitlinien findet das Problem
epileptischer Anfälle im Alkoholentzug nach akutem oder chronischem Konsum keine Berücksichtigung.
Ein nichtrisikoarmer Alkoholkonsum stellt vor allem in den Industrienationen ein weit
verbreitetes Problem dar. So besteht in Deutschland bei etwa 1,6 Millionen Menschen
eine Alkoholabhängigkeit, bei 2,7 Millionen ein Alkoholmissbrauch, d.h. ein schädlicher
Gebrauch mit Beeinträchtigung der physischen und psychischen Gesundheit, und bei 5
Millionen ein riskanter Konsum, d.h. eine tägliche Alkoholeinnahme von 31 bis 60 g
bei Männern und 21 bis 40 g bei Frauen. Eine abrupte Alkoholkarenz bei zuvor chronischem
Konsum führt bei vielen Patienten über mehrere Tage zu mannigfaltigen psychiatrischen
und vegetativen Symptomen. Im Rahmen des Alkoholentzugssyndroms treten bei etwa 8
bis 10 % der Patienten epileptische Anfälle auf. Die meisten dieser Symptome sind
Folge einer alkoholbedingten Dysbalance von inhibitorischen und exzitatorischen Neurotransmittern
und der entsprechenden Rezeptoraktivität. Eine pharmakologische Verstärkung der neuronalen
Inhibition lindert die meisten Symptome des Alkoholentzugssyndroms und die Wahrscheinlichkeit
epileptischer Anfälle wird signifikant reduziert.
Bei Patienten mit einer Epilepsie finden sich Alkoholabhängigkeit und –missbrauch
sowie ein riskanter Konsum nicht seltener als in der Gesamtbevölkerung. Diese häufige
Komorbidität und ihre Folgeerscheinungen stellen die antiepileptische Therapie vor
dem Hintergrund pharmakodynamischer und –kinetischer Besonderheiten vor ganz spezifische
Herausforderungen. Primär neuronal inhibitorisch wirkende Antiepileptika können in
ihrer Effizienz bei reduzierter Rezeptoraktivität beeinträchtigt sein. Leichte und
schwere Leberfunktionsstörungen bei erhöhtem oder chronischem Alkoholkonsum bedingen
eine gesteigerte oder auch deutlich reduzierte hepatische Metabolisierung lebergängiger
Antiepileptika. Die Folge sind zum Teil drastische Änderungen der Serumkonzentrationen
der antiepileptischen Substanzen, die entsprechende Dosisanpassungen in Abhängigkeit
vom Stadium der Leberschädigung erforderlich machen. Neuere Antiepileptika mit einer
geringen hepatischen Verstoffwechselung haben hier in der Regel günstigere pharmakokinetische
Eigenschaften als die konventionellen Substanzen.
Ein akut erhöhter Alkoholkonsum gepaart mit Schlafentzug ist häufig ein Trigger –
nicht die Ursache – für die Erstmanifestation einer Epilepsie. Gerade bei jugendlichen
Patienten mit einer idiopathisch generalisierten Epilepsie führt diese Konstellation
mitunter zum Auftreten eines ersten epileptischen Anfalls.
Letztendlich bleibt die Frage, ob Patienten mit Epilepsie generell von Alkoholkonsum
abgeraten werden sollte. Die vorhandenen Daten geben jedoch keinen ausreichenden Anhalt,
dass sich ein maßvoller Alkoholkonsum negativ auf die Epilepsie auswirken kann. So
lässt sich bei den meisten Patienten mit Epilepsie eine weitere Stigmatisierung vermeiden.
In diesem Schwerpunktheft werden unterschiedliche Aspekte des Zusammenhangs von epileptischen
Anfällen und Epilepsie sowie akutem und chronischem Alkoholkonsum aus neurologisch–epileptologischer
und psychiatrischer Perspektive diskutiert.