Aktuelle Urol 2018; 49(03): 201-202
DOI: 10.1055/a-0563-1209
Editorial
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Stephan Roth
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Publication Date:
22 May 2018 (online)

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Stephan Roth

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

nach dem Themenschwerpunkt der Immunonkologie des letzten Heftes dieses Mal ein Potpourri, das einmal mehr die Vielfältigkeit der Urologie zeigt.

Über das Peniskarzinom und die geplante S3-Leitlinie

Die Autorengruppe um Herr Roiner aus Straubing gibt uns einen Überblick über den seltensten der urologischen Tumore, das Peniskarzinom. Auch wenn sich wegen der niedrigen Inzidenz dieses Tumors nur schwer randomisierte Studienergebnisse verwerten lassen, so hat doch gerade die Zentralisierung in einigen europäischen Nachbarstaaten bei der Diagnostik und Therapie des Peniskarzinoms zu einem klinisch verwertbaren Erkenntnisgewinn geführt. Auch in Deutschland hat sich auf Initiative der Rostocker Universitätsklinik eine Studiengruppe etabliert, die sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit dieser Entität befasst. Diese Gruppe hat im November 2017 bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ein S3-Leitlinienvorhaben zur „Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Peniskarzinoms“ mit Fertigstellung bis Ende 2019 angemeldet. Wir können somit hoffen, dass zum Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie im September 2019 in Hamburg unter der Präsidentschaft von Prof. Hakenberg als einem der Wegbereiter der Studiengruppe zumindest bereits eine Konsultationsfassung dieser Leitlinie zum Peniskarzinom vorliegt. Und wer nicht so lange warten kann oder möchte, lese vorab die vorliegende Übersichtsarbeit.

Organerhaltende Nierentumorchirurgie und redaktioneller Kommentar über die Geschichte der Sonografie (als Werkzeug zur Frühdiagnostik)

Thema der Originalarbeit von Herrn Ralla von der Charité ist die operative Therapie des Nierenzellkarzinoms im Frühstadium. In der retrospektiven Analyse der Charité-Daten bei 758 Patienten mit einem Nierenzellkarzinom im Stadium T1/T2 bestätigt sich der weltweite Trend zur Organerhaltung auch bei gesunder Gegenniere. Das wir heutzutage zunehmend kleinvolumige Nierentumore behandeln (können), ist Folge der wachsenden Bedeutung moderner bildgebender Verfahren. Ist es derzeit die nahezu ubiquitäre diagnostische Anwendung der Computer- und Kernspintomografie, so war es vor ca. 30 – 35 Jahren Folge der sich entwickelnden Sonografie, die einen ersten Schub in der Frühdiagnostik von Nierentumoren erzeugte. Sieht man die modernen Sonografiegeräte mit hervorragender Bildqualität, aber nur noch in Handygröße, so schmunzelt man, wenn man einmal die Geschichte der Sonografie recherchiert. So beschreibt Herr Dr. Frenzel-Beyme, der das Museum zur Ultraschalldiagnostik in Berlin leitet, in seinem Geschichtsüberblick [1], dass ein Herr Skolnik im Jahre 1968 bei der damals geführten Diskussion bezüglich der Zukunft der Ultraschalldiagnostik sagte: „Mit dem momentanen Stand der Technik ist der Ultraschall mehr eine Kunst als eine Wissenschaft“. Und weiter berichtet er, dass noch Ende der 70er-Jahre die „Ultraschaller“ als belächelte Einzelkämpfer angesehen wurden, die „Mondlandschaften in dunklen Räumen auf mysteriöse Art und Weise bildlich darstellten“ [1]. Und man stelle sich heute die Urologie ohne Ultraschall vor – tatsächlich unvorstellbar und mit einem mehr als offensichtlichen Qualitätseinbruch – und das nicht nur bei der Detektion von Nierenzellkarzinomen im Frühstadium.

Urologische Fallberichte – und ein redaktioneller Hinweis, dass Fallberichte Medizingeschichte schreiben können

In einer medizinischen Welt, die nach objektivierbaren, weil nachvollziehbaren, Daten schreit, werden Fallberichte immer schwerer publizierbar. Aber auch hier scheint sich das Blatt wieder zu wenden. Seit kurzer Zeit gibt es im vielgelesenen Deutschen Ärzteblatt die Rubrik „Der klinische Schnappschuss“ – eine – wie es scheint – erfolgreiche und gut akzeptierte Wiederaufnahme des klinischen Einzelfalles, aus dem man viel lernen kann.

Und wenn man sich an sein eigenes Studium erinnert, was blieb im Gedächtnis – meist exemplarische Einzelfälle statt Daten von Sammelstatistiken. Keine Angst, ich will keine Rückkehr zur kasuistischen und damit eher eminenz- statt evidenzbasierten Medizin. Aber die Bedeutung des Einzelfalles – die erscheint mehr denn je unverzichtbar. Und medizinhistorisch sowieso.

1832 schrieb ein T. Hodgkin „Über einige krankhafte Erscheinungen der absorbierenden Drüsen und der Milz“ – es war die Erstbeschreibung des Morbus Hodgkin [2] – und 1947 publizierte ein CS Beck in JAMA über die „Beseitigung von langanhaltendem Kammerflimmern durch elektrischen Schock“ – die Erstbeschreibung der Defibrillation [3].

Und auch in der jungen Vergangenheit gab es Fallberichte, die die Medizin bzw. Therapie von Patienten entscheidend beeinflussen. Im Jahre 2008 beschrieben Autoren im NEJM den Fall eines Kindes, das wegen eines großen Hämangioms hochdosiert mit Cortison behandelt wurde – dann aber eine Herzinsuffizienz entwickelte, die akut mit Propranolol behandelt werden musste. Und siehe da – fast simultan mit dem Einsetzen des Beta-Blockers kam es zur dramatischen und bisher nie erreichten Reduktion des Hämangioms [4]. Nachfolgende Untersuchungen haben diese Zufallsentdeckung bestätigt und die als Fallbericht beschriebene Erstbehandlung mit Propranolol gilt heute als Standardtherapie bei kindlichen Hämangiomen.

Auch wenn die in diesem Heft beschriebenen Fälle eines ungewöhnlichen Blasentumors, der krankhaften Verbindung von urogenitalem und dem vaskulären System als uretero-iliakale Fistel und der Befund eines außergewöhnlichen Nebenhodentumors mutmaßlich keinen „Propranolol-Effekt“ haben werden – sie sind als Fallberichte hilfreich und gehören zu den eher unvergessenen Ereignissen im Leben eines auszubildenden Arztes.

Da in diesem Heft noch interessante und hochwertig kommentierte aktuelle wissenschaftliche Beiträge aus anderen Zeitschriften und operative „Hands-on“ und Tipps und Tricks beschrieben werden, hoffe ich, dass Sie eine weiterhelfende und stimulierende Aktuelle Urologie genießen werden.

Mit besten Wünschen Ihr/Euer
Stephan Roth