physioscience 2018; 14(02): 97-98
DOI: 10.1055/a-0600-5223
Veranstaltungsbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

1. Symposium Schmerz und Bewegung an der Hochschule Bremen

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Publication Date:
12 June 2018 (online)

Am 26. Januar hatte Prof. Dr. Axel Schäfer gemeinsam mit der AG Schmerz und Bewegung der Deutschen Schmerzgesellschaft zum 1. Symposium Schmerz und Bewegung an die Hochschule Bremen eingeladen, und über 100 Teilnehmende folgten der Einladung.

Bereits vor dem 1. Vortrag schwirrte die Luft, an den Tischen im Foyer redeten die Teilnehmenden angeregt miteinander. Es wurden neue Kontakte geknüpft und Neuigkeiten mit alten Bekannten ausgetauscht. Das Programm versprach einen spannenden Bogen von grundlegenden schmerzphysiologischen Erkenntnissen über ihre klinische Präsentation bis zu den Bedingungen in der ambulanten Versorgung zu schlagen.

Im Eröffnungsreferat von Prof. Dr. Jo Nijs erhielten die Teilnehmenden Einblick in neueste Forschungsergebnisse zur Entstehung chronischer Schmerzen. Dabei erläuterte er die multidimensionalen Eigenschaften des Schmerzes vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse aus der experimentellen und klinischen Forschung. Nijs ging dabei insbesondere auf Langzeitpotenzierung (engl.: long-term potentiation, LTP), zentrale Sensitivierung und auf die Bedeutung dieser Phänomene für therapeutische Interventionen, und die Kommunikation mit den Patienten ein.

Anschließend zeigte Prof. Dr. Axel Schäfer Risikofaktoren für die Entstehung chronischer Schmerzen auf, welche Bedeutung ihre Prävention hat und wie sie gelingen kann. Schäfer zeigte, wie wichtig es insbesondere in der ambulanten Versorgung ist, dass die Patienten in der akuten und subakuten Phase eine realistische Prognose erhalten und der richtigen Therapie zugeleitet werden. Er stellte in diesem Zusammenhang auch heraus, welche Verbesserungen es verspricht, dass die ICD-11 einen eigenen Diagnosekode für Zustände vorsieht, bei denen chronische Schmerzen zur Grunderkrankung geworden sind. Die Diagnose „MG40.0 Chronic primary pain“ mit ihren Unterkategorien ermöglicht es zukünftig, die Krankheit der Betroffenen sachlich richtig zu kodieren und damit auch ihrer Stigmatisierung als „Hypochonder“ vorzubeugen und zielgerichteter auf die passenden Interventionen hinzusteuern. In der ambulanten Versorgung sind Verbesserungen dringend notwendig, da viele Betroffene noch zu unspezifische und unwirksame Behandlungen erhalten, die oftmals lange Leidensgeschichten nach sich ziehen.

Ralf Schesser konzentrierte sich auf die klinische Präsentation der Schmerzmechanismen, welche Messinstrumente zum Einsatz kommen können und wie diese in multiprofessionellen und multimodalen Behandlungskonzepten im stationären Bereich eingesetzt werden können. Anhand einer Gliederung der zu beobachtenden Phänomene in die Bereiche Input, Verarbeitung und Output und anhand des Beispielpatienten „Luggi“ verstand er es gekonnt, die komplexe klinische Präsentation der Schmerzen lösungs- und handlungsorientiert zu strukturieren. Dabei gab er auch praxisrelevante Tipps, welche Aspekte wie bereits in der Anamnese berücksichtigt werden können.

Um Schmerz-Assessments bei älteren Menschen ging es im Vortrag von Marjan Laekeman. Sie zeigte, wie es gelingen kann, auch bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen Schmerzen und Mobilität zu messen, welche schmerzphysiologischen Veränderungen im Alter zu erwarten sind, welche Folgen das für die Schmerzempfindung und -messung hat und wie gegebenenfalls das Umfeld der Betroffenen miteinbezogen werden kann.

Einen interprofessionellen Beitrag lieferte Prof. Dr. Gabriele Schäfer. Sie stellte unterschiedliche Kommunikationskonzepte aus der Psychologie vor und beschrieb, wie diese gewinnbringend in der Gesprächsführung bei Schmerzpatienten eingesetzt werden können. Sie umriss dazu Details und das zugrundeliegende Menschenbild bei der klientenzentrierten Gesprächsführung, dem narrativen Ansatz, der lösungsorientierten Gesprächsführung und dem Vorgehen in der kognitiven Verhaltenstherapie.

Sehr praxisbezogen und detailliert, aber dennoch unter Bezug auf die vorangegangenen Beiträge, stellte Dagmar Seeger die multimodale Schmerztherapie dar, wie sie die Schmerztagesklinik und Schmerzambulanz der Universitätsmedizin Göttingen anbieten. Sie betonte, dass die weiterführende Behandlung in ambulanten Praxen eine Herausforderung darstellt, weil diese das Konzept oftmals nicht genau genug kennen und die Therapien deshalb nicht an der passenden Stelle fortführen können.

In der abschließenden Podiumsdiskussion wurden Anspruch und Wirklichkeit in der ambulanten Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Dabei wurde deutlich, dass sich ein evidenzbasiertes Vorgehen vor allem aufgrund starrer Vergütungsvorgaben nicht ohne weiteres umsetzen lässt. Ein Ausweg hierfür könnte der Zusammenschluss zu Netzwerken mit mehreren Leistungsanbietern sein, die dann mit einzelnen Krankenkassen Selektivverträge aushandeln könnten, die wiederum eine kostendeckende Vergütung und ausreichende Flexibilität in der Therapiegestaltung ermöglichten. Alle Diskutierenden waren sich darin einig, dass für eine bedarfsgerechte Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen noch vieler Verbesserungen in der stationären und insbesondere in der ambulanten Therapie notwendig sind. Die Dringlichkeit solcher Verbesserungen unterstreicht die hohe Anzahl von 12 – 15 Millionen Patienten mit chronischen Schmerzen in Deutschland, die oft zu lange und vermeidbare Einschränkungen ihrer Gesundheit hinnehmen müssen.

Insgesamt bot dieses Symposium sowohl den praxisorientierten als auch den forschungsaffinen Teilnehmenden interessante Eindrücke und neue Erkenntnisse. Die Beiträge waren inhaltlich gut aufeinander abgestimmt und die Vortragenden sehr kompetent. Viele interessante Gespräche rundeten die Veranstaltung ab. Da es sich um den Auftakt zu einer Reihe von Symposien mit den Themen Schmerz und Bewegung handelt, dürfen alle gespannt auf die nächste Ankündigung sein.