retten! 2018; 7(02): 81-82
DOI: 10.1055/a-0603-0456
Editorial
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Pharmakologisches Wissen im Rettungsdienst

Stefan Leibinger
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Publication Date:
26 April 2018 (online)

Das Notfallsanitätergesetz (NotSanG) mit dem neuen Berufsbild des Notfallsanitäters als 3-jährigem Gesundheitsfachberuf trat am 1. Januar 2014 in Kraft. Der Gesetzgeber hat in § 4 Ausbildungsziele genannt, die die Ausbildung in sowohl invasiven Maßnahmen als auch heilkundliche Maßnahmen bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und Situationen umfassen, die vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) oder einem entsprechend zuständigen Arzt standardmäßig vorgegeben werden.

Dazu relevant ist der Wortlaut der zwei folgenden Textpassagen:

§ 4 Abs. 2 Nr. 1c NotSanG
„Durchführen medizinischer Maßnahmen (…) bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung (…), wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind“

§ 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG
eigenständiges Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen, die vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (…) bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen standardmäßig vorgegeben, überprüft und verantwortet werden“

Da im Gesetz keine konkreten Maßnahmen für den zukünftigen Notfallsanitäter beschrieben wurden, begannen kurz nach der Verabschiedung namhafte Fachleute des Rettungswesens auf Initiative des Bundesverbandes der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst Deutschland e. V. (BVÄLRD) einen Abstimmungsprozess.

Daran waren zumindest zeitweise neben den Ärztlichen Leitern Rettungsdienst auch berufsständische Vertreter der Rettungsassistenten und Notärzte, durchführende Rettungsdienstorganisationen, Berufsfeuerwehren, medizinische Fachgesellschaften, Rettungsdienstschulen, Prüfungsbehörden und die Bundesärztekammer beteiligt.

Das zu Beginn gesetzte Ziel war es, einen bundeseinheitlichen und länderübergreifenden fachlichen Konsens herzustellen. In der weiteren Folge wurde diese geplante Konsensfindung auch „Pyramidenprozess“ genannt. Fußend auf einer breiten Basis sollten am Ende dann an der Spitze die miteinander entwickelten Maßnahmen stehen:

Der nach fünf Sitzungen im Jahr 2014 entstandene Pyramidenprozess beschreibt zwei Gebiete, dies sind:

  • ein Maßnahmenkatalog, der die durch den Notfallsanitäter anzuwendenden „Invasiven Maßnahmen“ beschreibt. Diese müssen zukünftige Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter im Rahmen der Ausbildung erlernen, beherrschen und eigenverantwortlich bzw. eigenständig anwenden können.

  • ein Medikamentenkatalog, der für die Gabe durch den Notfallsanitäter in Frage kommenden Substanzen beinhaltet. Dieser muss während der Ausbildung an der Berufsfachschule sowohl in Theorie als auch in Praxis intensiv behandelt werden.

Welche Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden bzw. welche Medikamente durch den Notfallsanitäter eigenverantwortlich verabreicht werden, ergibt sich aus Standardarbeitsanweisungen oder auch Standard Operating Procedures (SOPs) des zuständigen Arztes.

Die ursprünglich angedachte Einheitlichkeit und das damit verbundene Überwinden des bisher bestehenden „Flickenteppichs“ in den 16 Ländern sind leider so nicht gelungen. Zumindest in Bayern geht man (wie so oft) einen eigenen und strikteren Weg. Eine Bewertung dazu will ich nicht abgeben, es wird sich sicher bald zeigen, welcher Weg der bessere ist, vielleicht gibt es aber auch mehrere.

In jedem Fall müssen regelhaft lebensbedrohliche Situationen im Rettungsdienst zeitnah beherrscht werden. Die meisten Medikamente werden intravenös appliziert, um so ein möglichst rasches Einsetzen der therapeutischen Wirkung zu gewährleisten. Andererseits führt das rasche Erreichen eines therapeutischen Wirkspiegels bei akzidenteller Über- bzw. Fehldosierung zu deutlich dramatischeren Komplikationen, als dies bei oraler bzw. subkutaner Applikation der Fall ist.

Obwohl sich auf der einen Seite das Spektrum der in der Notfallmedizin verwendeten Medikamente in den letzten Jahren wenig verändert hat (z. B. ist Adrenalin nach aktuellen Empfehlungen noch immer Medikament der ersten Wahl bei der Therapie des Herz-Kreislauf-Stillstands), gibt es auf der anderen Seite doch immer wieder von im Rettungsdienst tätigen notärztlichen Kollegen zum Teil durchaus berechtigt Anmerkungen oder auch Klagen über eine bisher zum Teil mangelhafte Ausbildung des Rettungsdienstpersonals hinsichtlich wichtiger pharmakologischer Kenngrößen der tagtäglich verwendeten Medikamente. Selbstverständlich muss der Mitarbeiter im RD gängige Handelspräparate mit gleichem Wirkstoff und wirkungsgleiche Medikamente mit ähnlichen Wirkstoffen kennen. Zudem ist fundiertes Wissen über Dosierung, Wirkung, Wirkmechanismus, Nebenwirkung, Kontraindikation sowie grundlegende Pharmakodynamik und Pharmakokinetik unerlässlich. Die Pharmakotherapie ist eine wichtige Säule der notfallmedizinischen Behandlung. Nur wer die Pharmakologie der angewendeten Medikamente beherrscht, kann sie zum Wohle des Patienten einsetzen!

Sie haben also genau die richtige Literatur in Ihren Händen. Die beiden Leitartikel befassen sich äußerst übersichtlich und verständlich mit den Grundlagen der Pharmakologie und berichten von einem dramatisch verlaufenden Einsatz.

Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen
Stefan Leibinger

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Stefan Leibinger