Z Gastroenterol 2018; 56(05): 511
DOI: 10.1055/a-0607-5148
Mitteilungen der DGVS
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ismar Boas – Begründer der Gastroenterologie

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Publication Date:
07 May 2018 (online)

Erinnerung

Am 15. März 2018 vor 80 Jahren nahm sich Ismar Boas – Begründer der Gastroenterologie weltweit – in Wien das Leben. Es war jener Tag him März 1938, an dem der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht vollzogen wurde. Boas und seine Ehefrau wurden 1936 wegen der antijüdischen NS-Politik aus Deutschland vertrieben; sie hielten sich seither in der österreichischen Hauptstadt auf. Franz Werfel beschrieb in dem Monodrama Der Arzt von Wien Boas’ Ausweglosigkeit und setzte ihm ein eindrückliches literarisches Denkmal: Der fiktive Dialog zwischen Boas und dem berühmten Internisten Hermann Nothnagel kreist um die Fragen des Arztseins, des guten Arztes, einer menschlichen Haltung sowie um Antisemitismus, Hass und die Verfolgung der Juden.

Ismar Boas, 1858 in Exin/Kcynia in der früheren Provinz Posen geboren, hatte seit 1882 über 54 Jahre in Berlin als Arzt und Forscher gewirkt. Frühzeitig beschäftigte er sich, angeregt durch seinen Mentor Carl Anton Ewald, mit der Physiologie und Pathophysiologie der Verdauung. Zunächst als praktischer Arzt niedergelassen, eröffnete er 1886 eine Spezialpraxis sowie die erste Poliklinik für Magen- und Darmkrankheiten. Damit etablierte Boas erstmals die Gastroenterologie als eigenständiges Fachgebiet innerhalb der Inneren Medizin. Er plädierte zu einem frühen Zeitpunkt für eine konsequente Spezialisierung, hielt in Berlin zahlreiche Fortbildungskurse über Magen- und Verdauungskrankheiten ab und prägte viele der frühen „Magen-Darm-Ärzte“. 1895/96 begründete Boas das Archiv für Verdauungskrankheiten unter Einschluss der Stoffwechselpathologie und Diätetik, das rasch zum führenden Fachorgan wurde und dessen Schriftleitung er bis 1933 innehatte. Seine unermüdlichen Initiativen führten im April 1914 zur Ersten Tagung über Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Dieser erste Spezialkongress für Gastroenterologie in Deutschland stellt den Beginn der Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten dar, die sich supranational und europäisch verstand (die Bezeichnung „Deutsch“ erhielt die Fachgesellschaft erst 1938). Die Bestrebungen um das neue Fachgebiet fanden ihre Anerkennung mit der Einführung des Facharztes für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten während des Deutschen Ärztetages 1924.

Wissenschaftlich befasste sich Boas mit der Magenfunktion und der Säuresekretion, mit dem Magenulkus sowie dem Magenkarzinom. Er beschrieb wegweisend den Nachweis von okkultem Blut im Stuhl als Maßnahme zur Früherkennung von Tumorerkrankungen des Magen-Darm-Traktes und machte 1903 die Colitis ulcerosa in Deutschland bekannt. Seine Lehrbücher über Magenkrankheiten sowie die Lehre von den okkulten Blutungen waren Standardwerke in jener Zeit. Stets plädierte Boas für eine fundierte wissenschaftliche Medizin, ein kontinuierliches Hinterfragen der gewonnenen Erkenntnisse, ein interdisziplinäres Vorgehen und forderte unabhängige Institute zur Überprüfung der Wirksamkeit der Arzneimittel.

Nach 1945 war Ismar Boas in Deutschland zunächst vergessen. Die DGVS ehrte den großen Forscher und Lehrer der Gastroenterologie 1992 mit einer Gedenktafel in der Berliner Charité. Während der Kongresse der DGVS werden seit Anfang der 1990er-Jahre die Boas-Medaille und die Boas-Preise verliehen.

Boas’ Grabstätte befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weissensee. Seine Ehefrau Sophie, geborene Asch, hatte für die Bestattung im Grab ihrer Familie in Berlin gesorgt. Sie selbst emigrierte 1938 über die Schweiz nach Holland; im März 1943 wurde Sophie Boas in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und ermordet. Der Sohn Kurt Ferdinand Boas, niedergelassener Dermatologe, war 1935/1936 im KZ Sachsenburg/Sachsen inhaftiert, vermutlich ist er 1938 nach Südamerika gelangt. Die Tochter Claire emigrierte in die USA, sie starb 1959 in New York.

Boas’ Grab wird von der DGVS gepflegt. Anlässlich seines 80. Todesjahres wurde die Grabtafel mit der Erinnerung an Ismar Boas restauriert.

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Ismar Boas um 1895, Heliogravüre einer Fotografie (Verlag Adolf Eckstein, Berlin), Privatsammlung Harro Jenss.
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Restaurierte Grabtafel, Grabstätte Ismar Boas, Jüdischer Friedhof Berlin-Weissensee, Foto Olaf Ziegenhagen.

Dr. med. Harro Jenss
Archivar der DGVS