Dtsch Med Wochenschr 2018; 113(13): 983-984
DOI: 10.1055/a-0608-6767
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Antwort

Robert H.G. Schwinger
Klinikum Weiden, Medizinische Klinik II
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Publication Date:
04 July 2018 (online)

Mit großem Interesse habe ich den Leserbrief der Kollegin Stöllberger mit Co-Autoren gelesen. Es freut mich sehr, dass die differenzierte Betrachtung über Vor- und Nachteile der Therapie mit Beta-Blockern, ACE-Hemmern, AT1-Rezeptorantagonisten und Statinen geteilt wird [1]. Zur Betrachtungsweise der Empfehlungen zur oralen Antikoagulation, die im Leserbrief diskutiert wurde, möchte ich kurz Stellung nehmen. Der Beitrag bezieht sich nicht auf die Fragestellung, ob Vitamin-K-Antagonisten auf NOAK umzustellen sind, sondern gibt Informationen, was bei Neueinstellung zu tun ist, wenn Patienten eine Indikation für eine Antikoagulation z. B. bei Vorhofflimmern haben. Die Guidelines führen hier aus „When oral anticoagulation is initiated in a patient with AF who is eligible for a NOAC (Apixaban, Dabigatran, Edoxaban or Rivaroxaban), a NOAC is recommended in preference to a vitamin K antagonist“ (Klasse-Ia-Empfehlung; ESC Guidelines 2016). Somit sollten in der Neueinstellung auf OAK bei Patienten, die für NOAK geeignet sind, diese bevorzugt eingesetzt werden; dies gilt nach Datenlage auch für ältere Patienten.

Sehr richtig führen Stöllberger et al. aus, dass die randomisierten Studien mit Warfarin durchgeführt wurden und richtigerweise wird auch auf die unterschiedliche Halbwertszeit im Vergleich zu Phenprocoumon hingewiesen. Studien, die das in Europa häufig verwendete Marcumar vergleichend untersucht haben, gibt es leider nicht – und wird es auch nicht geben. Die angesprochenen Limitationen in Bezug auf die Verfügbarkeit von Studiendaten können auch Register (-studien) nicht ausgleichen. Meist sind Patienten, die in Studien behandelt werden, besser medizinisch, aber auch pharmakologisch kontrolliert. Das Erreichen eines bestimmten INR-Zielwertes ist unter Studienbedingungen meist besser als im täglichen Routinebetrieb. Selbstverständlich ist durch die INR-Selbstmessung eine hohe Rate an Zieleinstellungen erreichbar; diese INR-Selbstmessung fordert aber den aufgeklärten und eingebundenen Patienten; gerade im Alter sind hier Limitationen zu beachten.

Der Hinweis, dass die Autorenschaft in Leitlinien, hier die ESC-Leitlinien, Verbindungen mit der Pharmaindustrie oder gar selbst mit den durchgeführten Studien hat, ist korrekt und zeigt leider eine mögliche Interessenkonfliktsituation auf. Diese Limitation kann nicht oft genug angesprochen werden und zeigt, wie wichtig es ist, Pharma-unabhängige Fortbildungen durchzuführen. Wünschenswert wäre auch, dass Leitlinienkommissionen frei sind von Mitgliedern mit enger Verbindung zu selbst durchgeführten Studien (siehe auch Hypertonie-Leitlinien in den USA und SPRINT-Studie). Der kritische Gedanke des Verordnenden bleibt somit gefordert und auch die Limitationen der verschiedenen Studien können nicht oft genug betont werden; für die NOAK-Zulassungsstudien gilt, dass sie praktisch nicht direkt zu vergleichen sind!

Ihre Hinweise auf Limitationen in der Anwendung der oralen Antikoagulation bei älteren Patienten sind berechtigt und klinisch relevant. Häufig leiden Patienten an Niereninsuffizienz. Hier kann zwar die INR-Bestimmung zur Dosiseinstellung unter Marcumar helfen; für NOAK sind aber ebenso gut validierte Dosierungsangaben verfügbar, die meist in Abhängigkeit von der GFR eine Dosisreduktion vorsehen. Ähnliches gilt für die Polymedikation und mögliche Medikamenteninteraktionen mit Vitamin K; dies ist zwar für die Wirksamkeit von VKA mit Hilfe der INR-Messung abzuschätzen, gilt aber nicht für die Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten auf andere Wirksubstanzen. Polymedikation selbst ist ein Problem, gerade für Patienten im fortgeschrittenen Lebensalter und ist am besten zu umgehen, indem nur das wirklich Notwendige – und das war Intention der Arbeit – verordnet wird. Betagte neigen zwar häufig zu Stürzen, wir wissen aber, dass der Schutz vor thromboembolischen Komplikationen durch eine orale Antikoagulation bei weitem die Gefährdung überwiegt. Im Falle von Blutungen sind Antidots wünschenswert; diese liegen für ein NOAK vor, für Vitamin-K-Antagonisten gibt es kein „echtes“ Antidot (Vitamin K wirkt viel zu langsam; PPSB ist kein wirkliches Antidot). Auch der Hinweis auf die kognitive Beeinträchtigung im Alter ist per se korrekt und wesentlich, hier kann zwar die INR-Bestimmung die antikoagulatorische Effektivität belegen, aber gerade auch die kognitive Beeinträchtigung kann es schwer machen, exakte Dosierungsschemata zu befolgen. Hier kann sowohl eine einmalige, aber auch eine geregelte Zweimalgabe durchaus als Sicherheitsaspekt gelten. NOAKs haben im Hinblick auf die Risikosenkung von schweren Blutungen (Edoxaban, Apixaban, Dabigatran 110 mg) und intrakraniellen Blutungen (alle NOAKs) einen signifikanten Vorteil gegenüber Warfarin. Dieser Vorteil gilt auch für ältere, multimorbide Patienten. Leider handelt es sich in diesen Zulassungsstudien um industrieabhängige Daten; andere sind nicht verfügbar. Aber auch firmenunabhängige Register konnten diese Aussagen untermauern; sind als Registerdaten in ihrer Aussage aber limitiert! Vorhofflimmern ist gerade bei älteren Patienten häufig und gerade diese Patienten profitieren von einer konsequenten Antikoagulation. Die vorhandenen Daten – zu Recht weisen die Autoren auf die Limitationen der Firmenabhängigkeit hin – belegen, dass NOAK auch bei älteren Patienten sicher einzusetzen sind [2]. Aus meiner eigenen klinischen Tätigkeit als Internist und Kardiologe an der Universitätsklink Köln (über 13 Jahre) und nun seit mehr als 13 Jahren als Chefarzt an einer internistischen Klinik mit kardiologischem Schwerpunkt an einem primärversorgenden Klinikum (Versorgungsregion für ca. 250 000 Einwohner) habe ich erfahren, wie wichtig die konsequente Antikoagulation zur Prophylaxe thromboembolischer Komplikationen bei Vorhofflimmern ist; hier haben Vitamin-K-Antagonisten zweifelsohne ihren Stellenwert (gut eingestellte Patienten; Z. n. mechanischem Klappenersatz; Patienten mit hochgradig eingeschränkter Niereninsuffizienz, etc.) – aber der zweifelsohne bestehende Nutzen der NOAKs in der Anwendung, gerade auch für ältere Patienten, ist bemerkenswert. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema ist wichtig, denn nur so können wir für den uns anvertrauten Patienten „klug“ entscheiden.

 
  • Literatur

  • 1 Schwinger RHG. Medikamentöse Therapie kardiologischer Erkrankungen im Alter. Deutsche Medizinische Wochenschrift 2018; 143: 236-243 . doi:10.1055/s-0043-018475
  • 2 Kim IS, Kim HJ, Kim TH. et al. Non-vitamin K antagonist oral anticoagulation have better efficacy and equivalent safety compared to warfarin in elderly patients with atrial fibrillation: A systematic review and meta-analysis. J Cardiolog 2018; 5 . doi:10.1016/j.jjcc.2018.01.015 (in Press)