Zeitschrift für Palliativmedizin 2018; 19(04): 167-168
DOI: 10.1055/a-0610-5170
Editorial
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Palliative Care Forum – Eine Initiative der Erzdiözese Freiburg

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Publication Date:
29 June 2018 (online)

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Stephan Burger

Viele Menschen blicken dem Ende des Lebens mit großer Verunsicherung entgegen. Die drängenden Herausforderungen des demografischen Wandels, der medizinische Fortschritt und die Pluralität von Werthaltungen in unserer Gesellschaft befördern gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen um die Gestaltung des Lebensendes. Während auf der einen Seite etwa über die Reichweite von Suizidbeihilfe gestritten wird, engagieren sich auf der anderen Seite Menschen im Bereich Hospiz und Palliativversorgung.

Für dieses vielfältige Engagement in Einrichtungen und Diensten, in Berufen und im Ehrenamt oder auch privat, bin ich als Erzbischof von Herzen dankbar. Ich habe immer wieder erlebt, welch großartigen und liebevollen Dienst etwa Hospizhelferinnen und -helfer für schwerkranke und sterbende Menschen in der Erzdiözese leisten. Dabei steht jedes einzelne Engagement in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang:

Die Gesetzgebung durch den Deutschen Bundestag vom November und Dezember 2015 hat das Thema „Sterben als Teil des Lebens – Sterben in Würde“ in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt: Es geht um unser Verständnis von Leben und Tod. Die Frage nach einem menschenwürdigen Sterben hängt elementar an der Frage nach einem menschenwürdigen Leben. Die Frage ist: Wie verstehen wir das? Was meint ein menschenwürdiges Sterben? Wie gestalten wir eine Kultur des Lebens und Sterbens in unserer Gesellschaft? Und welche Rolle haben Christinnen und Christen dabei – und welche Verantwortung übernimmt die Kirche?

Unserem christlichen Verständnis vom Menschen kommt dabei eine prägende Rolle zu. In der zentralen biblischen Botschaft, dass jeder Mensch Geschöpf Gottes und sein Ebenbild ist (Gen 1,26), gründet das Verständnis vom Menschen. In der Gottebenbildlichkeit liegt seine Würde begründet, die das Grundgesetz in Artikel 1 aufnimmt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ An diesem Leitsatz muss sich unser Handeln messen – und zwar immer, gegenüber allen Menschen, den jungen und alten, den gesunden und kranken, den sterbenden Menschen und denen, die das Sterben begleiten. Dabei ist für das christliche Verständnis vom Menschen bedeutsam, dass Menschsein niemals allein stattfindet, sondern immer schon in Beziehung steht: mit den Mitmenschen, mit sich selbst und mit Gott. Menschsein hat immer schon ein Gegenüber. Menschen beizustehen, die am Ende ihres Lebens auf Zuwendung, Begleitung und Fürsorge angewiesen sind, ist seit den Anfängen der Kirche Ausdruck gelebter Nächstenliebe und damit ein Verweis auf Jesus Christus selbst (Mk 12,28 – 34). Die Begleitung kranker und sterbender Menschen gehört zum Kern der Verkündigung Jesu und zum Grundauftrag der Kirche heute (Deus caritas est, Kap. 22). Das Sterben als Teil des Lebens zu verstehen, nimmt jede Einzelne und jeden Einzelnen von uns, es nimmt aber zugleich auch unsere Mitmenschen in die Pflicht. Mit Schmerz, Leid und Tod so umzugehen, dass dabei die Achtung vor der Würde des Menschen gewahrt bleibt, ist Verpflichtung und Herausforderung zugleich.

Es gilt heute, die im christlichen Glauben vorhandenen, aber oftmals verschütteten Zugänge zu einer Kultur des Sterbens neu zu entdecken. Das meint christliche Verantwortung in der Welt von heute: diese Zugänge klar zu fassen und als Dialogangebot in die gesellschaftlichen Debatten um eine Kultur des Sterbens einzubringen. Dazu gehört das weite Verständnis von „Sorge“ um den Sterbenden und seine Angehörigen im Zusammenspiel der unterschiedlichen Disziplinen (Medizin, Pflege, Seelsorge und andere), wie es „Palliative Care“ zum Ausdruck bringt. Zu einer Kultur des Sterbens gehört auch, anzuerkennen, dass nur im Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamtlichen eine angemessene Begleitung des Sterbenden und seiner Angehörigen wird gelingen können. Darauf setzt die Kirche: Im gemeinsamen Engagement Vieler, genährt aus christlicher Grundhaltung, bei der Gestaltung einer Kultur des Sterbens und Lebens mitzuwirken.

Die Erzdiözese Freiburg hat sich aus christlicher Grundhaltung und ethischer Verpflichtung – gegenüber der Gesellschaft im Allgemeinen und gegenüber schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen im Besonderen – das Ziel gesetzt, die Suche nach menschenwürdigen Perspektiven auf die vielfältigen Problemkonstellationen durch eigene Impulse zu unterstützen. Diesem Ziel dient das „Palliative Care Forum“. Als Initiative der Erzdiözese Freiburg verfolgt es auf der Ebene der Erzdiözese zunächst das Ziel, die Begleitung und Versorgung sterbender und schwerkranker Menschen und ihrer Angehörigen weiter zu verbessern. Damit verbindet sich die Idee, durch Leuchtturmprojekte mit Modellcharakter Anstöße und Dialogangebote für eine Gesellschaft zu machen, die auch schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen in einer sorgenden (Care) Haltung begegnet.

Das Palliative Care Forum versteht sich als Plattform, welche die verschiedenen Engagements im Bereich der Erzdiözese bündelt und vernetzt. Es setzt Impulse und initiiert Modelle in der Praxis. Das Palliative Care Forum bringt sich aus Verantwortung gegenüber Gott und der Welt aktiv in den gesellschaftlichen Diskurs ein.

Die Erzdiözese Freiburg ergreift mit dem Palliative Care Forum die Initiative. Sie zielt darauf, die gesellschaftliche Wertedebatte um das „Sterben in Würde“ mitzugestalten. Dabei bietet sich die Erzdiözese Freiburg mit dem Palliative Care Forum als aktive Dialogpartnerin im Aushandeln gesellschaftlicher Zukunftsperspektiven an. Sie steht dafür ein, eine Kultur zu befördern, die „Sterben als Teil des Lebens“ betrachtet: Sterbegestaltung ist Lebensgestaltung. Am Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen wird sich zeigen, wie human, wie menschenwürdig unsere Gesellschaft ist. Zuletzt ist es aber immer auch der christliche Glaube und die christliche Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, sondern Sterben den Übergang ins Ewige Leben bedeutet.

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Erzbischof Stephan Burger

Erzbischof Stephan Burger wurde von Papst Franziskus am 30. Mai 2014 zum Erzbischof von Freiburg ernannt. Er leitet seit September 2016 die „Kommission für caritative Fragen“ der Deutschen Bischofskonferenz.