Aktuelle Urol 2018; 49(05): 369-370
DOI: 10.1055/a-0634-2600
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Palliative Chirurgie in der Uro-Onkologie

Axel Heidenreich
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Publication Date:
05 September 2018 (online)

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Prof. Dr. Axel Heidenreich

Die malignen Tumoren des Urogenitaltraktes gehören entsprechend der Analysen des Robert-Koch Instituts aus den Jahren 2013/2014 zu den 10 häufigsten Karzinomen der männlichen und weiblichen Bevölkerung [1]. So erkrankten 57 370, 11 680 und 9480 Männer sowie 4170 und 5480 Frauen am Prostata,- Harnblasen- bzw. Nierenzellkarzinom. In Abhängigkeit des Malignoms weisen zwischen 10 % und 30 % der Patienten bereits Metastasen auf, weitere ca. 20 % entwickeln Metastasen im Krankheitsverlauf. Die Sterbefälle lagen bei 13 704 Patienten für das Prostatakarzinom sowie bei 3243 und 2035 Patienten und Patientinnen für das Nierenzellkarzinom bzw. 3897 und 1795 Patienten und Patientinnen für das Harnblasenkarzinom.

Im Krankheitsverlauf können sowohl der sich noch in situ befindliche Primärtumor als auch Metastasen zu ausgeprägter Symptomatik und Komplikationen führen, die eine chirurgische Intervention aus palliativer Indikation erforderlich macht. Gerade in der heutigen Zeit, in der innovative, molekular-basierte und individualisierte Therapiekonzept mit hoher onkologischer therapeutischer Effektivität Überlebensraten induzieren können, die vor 10 Jahren noch undenkbar gewesen wären, werden wir häufiger mit symptomatischen Komplikationen des Primärtumors bzw. einer Metastase bei stabilen Restbefunden konfrontiert. Die Erfahrung im Umgang mit der medikamentösen Tumortherapie lehrt uns, dass isolierte lokale Progressionen selten bis gar nicht durch eine Umstellung der Systemtherapie zu erreichen ist. In diesen Situationen müssen sich die uro-onkologisch verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte mit der ethischen und moralischen Frage einer lokalen, symptomorientierten Maßnahme von hoher therapeutischer Effektivität bei geringer behandlungs-assoziierter Morbidität auseinandersetzen. Für die Patientinnen und Patienten gilt es unter Einbeziehung der Wünsche und Vorstellungen der Betroffenen und der Angehörigen in einem interdisziplinären Szenario die Optionen vom Watchful Waiting über minimal-invasive Maßnahmen bis hin zu radikalchirurgischen Eingriffen unter Berücksichtigung patientenspezifischer Parameter, der Tumorbiologie und des allgemeinen immunologischen Status zu diskutieren.

Aus meiner Sicht ist es in diesen Situationen unabdingbar, dass die uro-onkologisch tätigen Urologinnen und Urologen sich mit den Möglichkeiten der palliativen Chirurgie auseinandersetzen und die machbaren Operationskonzepte kennen. Ziel der vorliegenden Ausgabe der Aktuelle Urologie ist es, einen entsprechenden Überblick über die Möglichkeiten und Indikationen sowie potentiellen Komplikationen zu den verschiedenen palliativchirurgischen Maßnahmen der tumorbedingten Harnstauungsniere sowie dem symptomatischen Nierenzell-, Urothel- und Prostatakarzinom zu geben.

Heidegger et al. beleuchten dabei die wichtige Frage nach den Behandlungskonzepten bei tumorbedingter Harnstauungsniere. Nicht immer ist eine Korrektur durch die vermeintlich minimalen Eingriffe wie Platzierung einer endoluminalen oder perkutanen Harnableitung erforderlich. Nicht selten ist ein kontrolliertes Zuwarten bei asymptomatischer Stauung erlaubt und für den Patienten mit einer besseren Lebensqualität verbunden. In einigen Fällen sind bei guter Prognose durchaus rekonstruktive operative Maßnahmen vorzuziehen.

Gilbert und Mitarbeiter beschreiben die möglichen Optionen bei symptomatischem Nierentumor inklusive der Frage nach der präventiven Frage der zytoreduktiven Nephrektomie. Auch die aktuell publizierten der prospektiv randomisierten Studien SURTIME und CARMENA geben keine schlüssigen Antworten, so dass weiterhin ein individuelles Vorgehen auch unter Berücksichtigung der chirurgischen Expertise des Operateurs mit den Patienten diskutiert werden muss.

Palliative operative Maßnahmen beim metastasierten Urothelkarzinom müssen aufgrund der noch immer relativ kurzen Überlebenszeiten kritischer diskutiert werden als bei allen anderen Malignomen des Urogenitaltrakts. Hübner und Kollegen geben einen fundierten und kritischen Überblick über die aktuellen Optionen und geben den Kolleginnen und Kollegen sehr praktische Hilfestellungen für den klinischen Alltag.

Zuguterletzt beschreiben Haidl und Mitarbeiter die palliativen chirurgischen Maßnahmen bei metastasierten hormonnaiven und auch kastrationsresistenten Prostatakarzinom. Gerade hier werden wir aufgrund der langen Überlebenszeiten bei Kastrationsresistenz immer häufiger mit erheblichen Komplikation durch den lokal progredienten Primärtumor und seiner Metastasen konfrontiert. Eine Kenntnis der rekonstruktiven und radikalchirurgischen Möglichkeiten inklusive der Indikationsstellung und der assoziierten Nebenwirkungen sollten der/dem Uro-Onkologin/-en bekannt sein.

Ich hoffe, dass wir den Leserinnen und Lesern der Aktuellen Urologie mit diesem Themenheft wertvolle Informationen, Tipps und Gedankenanstöße für den praktischen Alltag im Umgang mit Patienten in der symptomatischen Terminalphase ihrer Erkrankung geben können.

Ich verbleibe mit den besten Grüßen
Ihr Axel Heidenreich