Informationen aus Orthodontie & Kieferorthopädie 2018; 50(02): 141-142
DOI: 10.1055/a-0634-5691
Kurzmitteilung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Moderne Kieferorthopädie – Grenzen der Digitalisierung

Modern Orthodontics – Boundaries of Digitalization
Ulrike Palenberg
1   Universitätsklinik für Kieferorthopädie, Medizinische Universität, Innsbruck, Österreich
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Publication Date:
13 July 2018 (online)

Heutzutage wird eine moderne, dabei nahezu vollständig digitalisierte Praxis oder Klinik häufig als ein Qualitätsmerkmal angesehen. Manche Grenzen bei der oft leicht erscheinenden, fast wie von selbst arbeitenden, digitalisierten Therapie sollten vom Behandler berücksichtigt werden, um schlussendlich den Workflow nicht zu behindern. Virtuelle Abdrücke von einem Intraoralscanner werden zur Diagnostik, Planung, Archivierung und auch zur Herstellung von Apparaturen herangezogen [1] ([Abb. 1]). Unkompliziert können diese Daten durch ein additives, substraktives oder formendes Verfahren in ein plastisches, handfestes Modell umgewandelt werden, um wie ein konventionelles Gipsmodell verwendet zu werden [2] ([Abb. 2]). Dies bietet die Möglichkeit eines schnellen Austausches der unverschlüsselten Datensätze, der bei einer interdisziplinären Behandlung nicht mehr wegzudenken ist. Dabei findet dieser Informationsaustausch – dank der Digitalisierung – nicht nur innerhalb eines Institutes oder Klinik statt, sondern geschieht mühelos weltweit ohne sichtbare Grenzen. Diese nicht sichtbaren Grenzen erscheinen aber auch beim Datenschutz zur Wahrung der Schweigepflicht als nicht greifbar und sorgen nicht selten für ein gewisses Unbehagen. Die weltweit laufenden Änderungen im Datenschutz, nicht nur im Umgang mit medizinischen Daten, deuten auf ein noch nicht abschließend entwickeltes und sicheres System hin. Die anfänglichen Schwierigkeiten der Digitalisierung mit enorm großen Datensätzen zu arbeiten, sind im Laufe der letzten Jahrzehnte durch stetige Verbesserung verringert worden, obwohl nach wie vor bei der Umwandlung von 3D-Körpern in digitale Datensätze Redundanzen nicht vermieden werden, ist das STL-Format der Industriestandard [3]. Andere Formate wie das VRML-Format vermeiden zwar diese Redundanzen und weisen eine geringere Menge an Daten auf, sind allerdings nicht mit allen Systemen kompatibel und behindern somit einen weltweit unkomplizierten Workflow. Eine Veränderung oder gar Umstellung des STL-Formates auf ein anderes Format erscheinen zum jetzigen Zeitpunkt nicht als förderlich für den ungehinderten Informationsaustausch.

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Abb. 1 Konventionelle Abdrücke werden schon in vielen Ordinationen durch Intraoralscanner ersetzt und erleichtern den modernen Workflow.
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Abb. 2 Digitale Abformungen lassen sich leicht in plastische Modelle überführen.

Einer immer größeren Beliebtheit erfreut sich das CBCT, jedoch weist es für eine vollständige kieferorthopädische Diagnostik noch erhebliche Grenzen auf. Wie bei der Computertomografie handelt es sich bei der digitalen Volumentomografie um eine Schichtaufnahmetechnik, die eine 3-dimensionale Darstellung ermöglicht. Dies bietet z. B. in der Kieferorthopädie die Möglichkeit, die genaue Position von verlagerten Zähnen zu bestimmen, die apikale Basis und somit die vorhandenen knöchernen Ressourcen darzustellen, um diese in eine individuelle Planung einfließen zu lassen. Vor allem bei der Therapieentscheidung, ob es sich um einen Ex- oder Non-Ex-Kasus handelt, sind 3-dimensionale Informationen durchaus ausschlaggebend. Ein Vorteil der digitalen Volumentomographie gegenüber einer Computertomografie ist die selbstständige Anwendung bei entsprechender Fachkunde in den eigenen Praxisräumen und entsprechend auf kein Röntgeninstitut angewiesen zu sein. Daraus resultiert nicht nur eine Zeitersparnis für die Planung des Behandlers, sondern auch für den Patienten ergibt sich eine Zeitersparnis und die Umstände werden vereinfacht. Die digitale Volumentomografie weist auch im Gegensatz zur Computertomografie weniger Störschatten, z. B. durch Zahnrestaurationen auf, jedoch ist eine detaillierte Darstellung der okklusalen Strukturen nicht ausreichend, um ein DVT zur spezifischen Auswertung und Therapieplanung in der Kieferorthopädie heranzuziehen [4].

Li Jun et al. untersuchten daher 3 verschiedene Methoden zur Übertragung von digitalisierten Dentalmodellen in ein digitales Volumentomogramm [5]. Definierte Referenzpunkte wurden überlagert und die Abweichungen gemessen, um eine verlässliche und effiziente Methode zur Eingliederung eines Intraoralscans in ein DVT zu beschreiben. Dabei wurden 3 verschiedene vorab definierte Referenzstrukturen untersucht:

  1. nur die bukkalen Flächen dienten zur Referenz (R1),

  2. die frontalen Inzisalkanten, die Bukkalflächen sowie die distalen Randleisten der zweiten Molaren (R2) und

  3. zusätzlich dienten zu R2 noch die bukkalen Höcker der zweiten Molaren als Referenz (R3).

Alle Messungen wurden 3-mal wiederholt und zur visuellen Darstellung wurden die Differenzen farblich hervorgehoben. Die Studie ergab, dass die Methode R1, also lediglich die Bukkalflächen als Referenzstrukturen zu nutzen, für eine exakte Übertragung nicht ausreicht. Hingegen konnte bei den Methoden R2 und R3 kein relevanter Unterschied erfasst werden. Beide Möglichkeiten werden als klinisch ausreichend erachtet, um eine Übertragung eines digitalen Modells in ein digitales Volumentomogramm mittels Überlagerung von Referenzstrukturen durchzuführen. Die exakte Achsenneigung der Wurzeln sowie die Position eines Zahnes im Knochen, nicht nur die koronalen Anteile, lassen sich – auch nach simulierter Bewegung – genau darstellen. Ein Trugschluss in der modernen Kieferorthopädie ist, dass eine kieferorthopädische Behandlung schneller und effektiver ablaufen sollte. Andrew T. DiBase et al. untersuchten die Wirkung des AcceleDent (OrthoAccel Technologies, Houston, Texas) beim Lückenschluss. Dies ist ein Gerät, welches mit Vibrationskräften arbeitet, um die Effektivität der Behandlung zu steigern [6]. 61 Probanden mit Extraktions-Kasus unter 20 Jahren und einer Multibracketapparatur wurden in 3 Gruppen aufgeteilt. Die Testgruppe erhielt zusätzlich zu ihrer festsitzenden Therapie eine Behandlung (20 Min pro Tag) mit dem AcceleDent, eine weitere Gruppe erhielt einen augenscheinlich identischen AcceleDent jedoch ohne Vibrationskräfte und eine dritte Kontrollgruppe wurde ausschließlich mit einer Multibracketapparatur therapiert. Einen initialen Lückenschluss von 0,89 mm pro Monat wurde in allen 3 Gruppen erreicht. Auch beim sekundären Outcome konnten bei den 3 Gruppen keine signifikanten Unterschiede eruiert werden. Die moderne, digitalisierte Kieferorthopädie vermittelt, nicht alleine durch eine irreleitende Werbung, den Patienten und auch den Kieferorthopäden selbst hin und wieder eine verringerte Therapiedauer und unrealistische Behandlungsergebnisse. Umso mehr liegt es in der Verantwortung des Behandlers durch Fachkunde keine übertriebenen Versprechungen zu äußern oder illusorische Therapien zu beginnen. Die umfangreichen Weiterentwicklungen erleichtern auf vielen Ebenen die kieferorthopädische Behandlung, dürfen aber letztlich nicht durch Unwissenheit oder Unaufmerksamkeit des Kieferorthopäden zu vermehrten Kunstfehlern führen.

 
  • Literatur

  • 1 Zhang F, Suh K-J, Lee K-M. Validity of Intraoral Scans Compared with Plaster Models: An In-Vivo Comparison of Dental Measurements and 3D Surface Analysis. PLoS ONE 2016; 11: e0157713 10.1371/journal.pone.0157713
  • 2 Palenberg U, Crismani A. Digitalisierung – Fähigkeiten und Herausforderungen für einen gesteigerten Workflow. Kieferorthopädische Nachrichten Mai 2017 Nr.5
  • 3 All3DP. Im Internet: www.all3dp.com
  • 4 Schulze R, Heil U, Gross D. et al. Artefacts in CBCT: a review. Dentomaxillofac Radiol 2011; 40: 265-273 10.1259/dmfr/30642039
  • 5 Sun L, Hwang HS, Lee KM. Registration area and accuracy when integrating laser-scanned and maxillofacial cone-beam computed tomography images. Am J Orthod Dentofacial Orthop. 2018; 153: 355-361 10.1016/j.ajodo.2017.06.027
  • 6 DiBiase AT, Woodhouse NR, Papageorgiou SN. et al. Effects of supplemental vibrational force on space closure, treatment duration, and occlusal outcome: A multicenter randomized clinical trial. Am J Orthod Dentofacial Orthop. 2018; 153: 469-480.e4 10.1016/j.ajodo.2017.10.021