Dialyse aktuell 2018; 22(07): 281
DOI: 10.1055/a-0637-4800
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wir brauchen eine „Kultur pro Organspende“

Stephanie Schikora
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Publication Date:
10 September 2018 (online)

Hat die Transplantationsmedizin in Deutschland den internationalen Anschluss verloren – zumindest was das Engagement für die Organspende und die Transplantationsergebnisse betrifft? Diese Sorge äußerte Prof. Paolo Fornara, Halle, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) beim Parlamentarischen Abend seiner Fachgesellschaft Anfang Juli 2018 in Berlin. „Wir sind heute in der Lage, medizinisch, chirurgisch, logistisch und technisch alles Nötige zu leisten, aber wir können es nicht, weil uns zu wenig Organe zur Verfügung stehen“, kritisierte er.

Tatsächlich ist die Zahl der Organspender in Deutschland erfreulicherweise deutlich gestiegen, dies teilte die Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO) Anfang Juli 2018 mit: So konnten im ersten Halbjahr 2018 484 Spendern Organe entnommen werden, das sind 72 – also rund 18 % – mehr Spender als in den ersten 6 Monaten des vergangenen Jahres. 2017 war die Zahl der Organspenden auf einen historischen Tiefstand zurückgegangen. Dies spiegelt sich auch bei den Nierentransplantationen wider: Wurden 2017 in der ersten Jahreshälfte „nur“ 686 Nieren transplantiert, wurden im 1. Halbjahr 2018 immerhin 811 Nierentransplantate gezählt. Nicht in die Statistik eingeflossen sind Transplantationen nach Lebendspenden bzw. Dominotransplantationen (www.dso.de). Trotzdem war die Zahl der postmortalen Organspenden mit insgesamt 797 Spendern niedriger als 20 Jahre zuvor. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland damit klar hinterher: Man rangiere noch hinter dem Iran, kritisierte Fornara. „Erfahrungen besagen, dass in Deutschland etwa 40 % der möglichen Organspenden abgelehnt werden, weil die Hinterbliebenen nicht wissen, wie sich ihr verstorbener Angehöriger entschieden hätte“, darauf hatte der DGU-Präsident bereits Anfang des Jahres hingewiesen.

Nicht nur die DGU fordert daher die Einführung einer verpflichtenden Erklärung zur Organspende oder die Einführung der Widerspruchslösung. Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder hat im Juni ebenfalls einstimmig für eine solche Lösung votiert. Für einen Kulturwandel plädierte auch Prof. Bernhard Banas, Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG), den er ebenfalls über eine Ablösung der derzeit hierzulande geltenden Entscheidungslösung durch die Widerspruchslösung erhofft, wie sie in anderen europäischen Ländern längst gelebt wird.

Die Steigerung der Organtransplantationen allein über eine Erhöhung der Spenderzahlen generieren zu wollen, ist jedoch zu kurz gegriffen. Denn der Mangel an Spenderorganen scheint zu einem großen Teil an einem Erkennungs- und Meldedefizit in den Kliniken zu kranken – und damit „hausgemacht“ zu sein. Zu diesem Schluss kommen Forscher rund um Dr. Kevin Schulte und Prof. Thorsten Feldkamp des Uniklinikums Schleswig-Holstein in Kiel in einer aktuellen Datenanalyse (vgl. Seite 296 in diesem Heft). Sie identifizierten organisatorische Defizite im Rahmen der Abläufe in den Kliniken als eine wesentliche Ursache der rückläufigen Transplantationszahlen. Allein zwischen den deutschen Universitätskliniken unterscheide sich die Anzahl der Organspendemeldungen an die DSO um den Faktor 20. Derzeit seien die Strukturen in den Krankenhäusern „nicht förderlich für die Organspende“. Diese strukturellen Defizite auszumerzen, habe zunächst Priorität, betonte Prof. Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, bei der gemeinsamen Sondersitzung der Ständigen Kommission Organtransplantation (StäKo) am 28.06.2018 in Berlin. Dazu gehört sicherlich auch, nicht nur die direkten Kosten für die Organentnahme zu decken, sondern auch die Aufwendungen für die verlängerten Liegezeiten auf der Intensivstation angemessen zu entschädigen.

Lassen Sie mich noch einmal auf die sehr niedrige Zahl der postmortalen Organspenden in Deutschland zurückkommen: Vielleicht lassen ja diese Daten diejenigen unter Ihnen, die noch keinen Organspendeausweis besitzen, zum Stift greifen, um einen Ausweis auszufüllen – zumindest um Stellung zu nehmen, ob Sie einer Organspende zustimmen möchten oder nicht!