Diabetes aktuell 2018; 16(05): 173
DOI: 10.1055/a-0654-1376
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

DiabetoGoogle

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 September 2018 (online)

Wer behandelt Diabetes in der Zukunft? Stellt man die Frage so, erzeugt das sofort Widerstand. Es vermittelt das Gefühl, jemand will etwas wegnehmen. Es klingt sehr nach einer „entweder Die oder Wir“-Antwort. Fragt man aber, „wie können wir digitale Produkte in die Diabetes-Behandlung integrieren?“ kann das eine sehr konstruktive Diskussion eröffnen. Die allermeisten von uns stehen immer noch auf dem Standpunkt, dass digitale Produkte nichts mit Therapie zu tun haben und wenn überhaupt nur sehr kurzfristig irgendwelche nicht verifizierbare Wirkung haben können. Vor kurzem sagte mir eine Kollegin „… meine Patienten machen so etwas nicht“. Stimmen denn diese Vorbehalte oder ist es an der Zeit nachzudenken, ob wir digitale Produkte in unsere tägliche Arbeit einbinden können. Was bedeutet das aber und gibt es tatsächlich ein Potenzial für digitale Produkte?

Leider wird das in der Diskussion häufig alles über einen Kamm geschert. Digitale Produkte können aus Spielen – interaktiv oder nicht interaktiv –, Skype-Schulungen, YouTube-Tutorials, Instagram-Nachrichten und Apps und vielen vielen anderen mehr bestehen. Alleine die Apps werden vermutlich bereits den größten Teil dieses Marktes ausmachen und auch hier gibt es ganz große Unterschiede. Vor kurzem las ich, dass es mehr als 100 000 digitale Gesundheitsangebote für Diabetes-Patienten weltweit gibt. Ich bin mir sicher, dass es darunter Angebote gibt, die auch sinnvoll für unsere Patienten sind.

So wie wir viele unterschiedliche Medikamente für unsere Patienten personalisiert und individualisiert einsetzen, haben auch digitale Produkte eine Wirkung – und unter Umständen sogar eine nachhaltige Wirkung. Genauso wie in unserer Therapie ist es so, dass bestimmte digitale Produkte bei bestimmten Patienten besonders gut wirken. Leider gibt es dazu kaum Ergebnisse und praktisch keine Studien, die uns helfen, herauszufinden welcher Patient besonders von welchem digitalen Produkt profitiert.

Wir haben kürzlich ein Review erstellt, der digitale Angebote in Diabetes-Studien zusammenfasste. Mehr als 200 Studien weltweit haben mit einem RCT-Design digitale Produkte untersucht, bereits 17 Meta-Analysen existieren und die Ergebnisse sind eigentlich verblüffend, die Anwendung von digitalen Produkten über einen Zeitraum von 3 Monaten bis zu 2 Jahren erreichte eine HbA1c-Absenkung von 0,4–1,9 %. Das ist jetzt beides natürlich eine sehr große Spannbreite, was aber als Trend ganz klar zu erkennen ist, ist dass je jünger die Studien sind, umso höher war die Wahrscheinlichkeit einer größeren HbA1c-Absenkung. Nachteilig war, dass in den Meta-Analysen in der Regel alle Arten von digitalen Produkten gemischt wurden. Es war aber klar erkennbar, dass die jüngeren Studien deutlich mehr Smartphone-Apps untersucht haben, als Studien die 5 oder 8 Jahre alt waren. Das ist interessant, da es den Eindruck erwecken kann, dass Apps auf Smartphones, die der Patient permanent bei sich trägt, helfen können.

Ich glaube, dass digitale Produkte, wenn sie individualisiert und personalisiert auf den Patienten abgestimmt sind, den HbA1c stärker senken können, als eine Insulinisierung. Aber digitale Produkte machen keine Diabetes-Therapie. Die Stärke digitaler Produkte liegt in der Nähe zum Patienten. Die Installation auf dem Smartphone bei Patienten, die das Smartphone häufig täglich nutzen kann aber im Hinblick auf eine Lebensstiländerung, dem was ein Arzt erreichen kann, deutlich überlegen sein. Hier liegt auch die Stärke von vielen digitale Produkte heute – sie helfen dem Patienten Ziele zu erreichen, den Lebensstil zu ändern, geben ein intuitives Feedback und tragen sehr solide zur Motivation bei. Alle diese Punkte sind integraler Bestandteil einer Diabetes-Therapie und ich glaube in Zukunft sollten digitale Produkte genau das sein. Die digitalen Helfer werden eine Diabetes-Therapie kaum ersetzen, können aber in Kombination mit einer Therapie Behandlungsergebnisse in nicht dagewesenem Maße verbessern. Ich sehe also den Diabetologen in der Zukunft als jemanden, der den Patienten behandelt und dazu individuell geeignete digitale Produkte verschreibt.