Dtsch Med Wochenschr 2018; 143(20): 1421
DOI: 10.1055/a-0669-1618
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Brauchen wir einen Facharzt für Digitale Medizin?

Do We Need a Specialist Physician for Digital Medicine?
Georg Ertl
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Publication Date:
04 October 2018 (online)

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Prof. Dr. med. Georg Ertl

Die Errungenschaften der Physik und Chemie wurden im 19. Jahrhundert in der Medizin noch teilweise abgelehnt [1]. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin wurde 1882 gegründet, „damit die Praktische Heilkunde nicht dem Untergang anheimfalle“. Aus medizinisch-wissenschaftlicher, nicht aus standespolitischer Sicht, machten sich die Gründungsväter Sorgen um die Medizin. Es war der Siegeszug der Naturwissenschaften und ihrer Methoden, die es galt in die medizinische Wissenschaft zu integrieren. „Die Medicin findet in den exacten Naturwissenschaften ihr festes unverrückbares Fundament, aber sie unterscheidet sich dadurch, dass sie […] eine practische Wissenschaft sein soll“, so von Leyden in seiner Eröffnungsrede des 5. Internistenkongresses 1886. Die Medizin muss darüber hinaus die Sozialwissenschaften, Psychologie, Philosophie und nicht zuletzt die Ethik integrieren. Mit ihnen zusammen suchen wir den Weg in die beste Versorgung und deren Sicherstellung in der Gesellschaft.

Bis heute blieben Physik und Chemie wichtige Hilfswissenschaften der Medizin, sie sind im Medizinstudium fest verankert und haben die fachärztliche Weiterbildungsordnung für Radiologie, Nuklearmedizin oder Labormedizin entscheidend geprägt. Zweifellos sind wir einer Medizin als exakte Wissenschaft auf diesem Wege nähergekommen. Nun ist es die Informatik, deren Errungenschaften aus der Medizin längst nicht mehr wegzudenken sind. Big Data, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen (machine learning) sind die neuen Methoden, mit denen der Arzt umgehen, die er für seine Patienten nutzen muss. Die Zukunft der personalisierten Medizin hängt ebenso davon ab, wie die Entwicklung diagnostischer und telemedizinischer Verfahren, einschließlich der heute schon weit verbreiteten Möglichkeiten, Gesundheit und Krankheit mit dem Smartphone zu monitorisieren. Es ist in der Verantwortung der Ärzte, zu verhindern, dass es durch die Informationstechnik zur Entpersonalisierung der Medizin kommt [2].

Das Medizinstudium muss das berücksichtigen; wie Physik und Chemie gehört Informatik in den Masterplan 2020. Wir brauchen Ärzte mit vertieften Informatikkenntnissen und können das nicht nur einem „Learning by Doing“ überlassen. Es fehlen in den Kliniken und Praxen Kommunikatoren zwischen Medizin und Informatik, so wie wir sie beispielsweise durch den Facharzt für Laboratoriumsmedizin für die Integration der Chemie in die Medizin etabliert haben. Im Gegensatz hierzu ist die Medizininformatik heute eine spezielle Ausbildung für Informatiker; Medizininformatiker tun sich aber schwer, die Bedürfnisse des Arztes abzubilden. Elektronische Patientenakten und Krankenhausinformationssysteme haben größte Schwierigkeiten, von Ärzten akzeptiert zu werden, wenn sie nicht von Ärzten (mit-)entwickelt wurden. Ein erster Weg innerhalb der Medizin ist die Zusatz-Weiterbildung Medizinische Informatik. Die Weiterbildung findet allerdings im Wesentlichen in Kursen und Seminaren statt, eine Übersicht der Weiterbilder findet sich auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS). Es handelt sich meist um Programme, die für die ärztliche Weiterbildung geforderte Inhalte vermissen lassen, mit Schwerpunkten in der Gesundheitsökonomie, Betriebswirtschaftslehre und im medizinischen Controlling. Es fehlt also an Weiterbildungsstätten für die Zusatz-Weiterbildung, eine Aufgabe, die am ehesten noch Universitätskliniken mit ihrem Zugang zur Medizininformatik leisten könnten. In der Zukunft brauchen wir vermutlich einen Facharzt für Medizininformatik.

 
  • Literatur

  • 1 Simon F. Hrsg. Beiträge zur physiologischen und pathologischen Chemie und Mikroskopie in ihrer Anwendung auf die praktische Medizin, unter Mitwirkung der Mitglieder des Vereins für physiologische und pathologische Chemie und anderer Gelehrten. 1. Band. Berlin: Verlag August Hirschwald; 1844
  • 2 Sigrist S, Lesmono K, Folkers G. Die entpersonalisierte Gesundheit: Zur Zukunft der datenbasierten Medizin. 1. Auflage Zürich: W. I. R. E., Think Tank der Bank Sarasin & Cie. AG und des Collegiums Helveticum von ETH und Universität Zürich; 2016