Aktuelle Urol 2019; 50(02): 121-122
DOI: 10.1055/a-0808-6167
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychologische Verfahren in der Urologie und Arztgesundheit

Dieter Jocham
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Publication Date:
21 March 2019 (online)

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Prof. Dr. med. Dieter Jocham

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

nahezu alle Themenschwerpunkte der „Aktuellen Urologie“ beschäftigen sich gemäß den klassischen urologischen Fragestellungen mit dem Soma.

In der aktuellen Ausgabe werden demgegenüber einmal psychologische Aspekte, die für unser Fach von Bedeutung sind, gezielt beleuchtet. Dies geschieht gerade angesichts der vorhandenen breiten Akzeptanz, dass die Psychologie bei zahlreichen urologischen Erkrankungen eine relevante Komponente sowohl des Krankheitsgeschehens selbst, seiner Bewältigung als auch der Salutogenese darstellt.

Ärztliche Empathie und Berufserfahrung können im urologischen Alltag ohne Frage einen Gutteil der Betreuungserfordernisse erfolgreich bedienen. Noch junge Wissenschaftszweige wie z. B. die Psychoneuroimmunologie, die Erforschung der Rolle des Mikrobioms mit seiner Beeinflussung psychischer Prozesse oder die Epigenetik mit transgenerationalem Prägungspotential zeigen andererseits, dass die Bidirektionalität der Interaktionen zwischen Psyche und Soma viel weiter reicht als noch vor wenigen Jahren vermutet.

Im Themenschwerpunkt werden Aspekte adressiert, deren Relevanz sowohl in der urologischen ambulanten Versorgung als auch in der Klinik belegt ist – die Psychoonkologie, die Palliativmedizin und die Psychosomatik. Dem gesetzten Rahmen geschuldet konnten weitere interessante Bereiche mit deutlicher psychologischer Einflusssphäre wie die Sexualmedizin, die psychische Belastung betroffener Paare bei überdauernden Fertilitätsstörungen, genderspezifische Aspekte z. B. des Copings oder sich in Zeiten von Medizin 4.0 eröffnende Möglichkeiten einer App-basierten psychologischen „online“-Betreuung von (uro)-onkologisch Erkrankten keine Berücksichtigung finden.

Peter Herschbach, München, u.a. seit vielen Jahren mit der Rolle der Psychoonkologie in der Urologie beschäftigt und als Referent zum Thema mehrfach in der urologischen Fort- und Weiterbildung engagiert, beschreibt den Stellenwert der Psychoonkologie, die zugehörige Evaluation und die Versorgungsbedürftigkeit uro-onkologischer Patienten. Er empfiehlt uns den Erwerb spezifischer kommunikativer Kompetenzen.

Friederike Kendel und ihre Mitarbeiterin Caren Hilger, Berlin, haben sich auf urologischem Gebiet langfristig mit Patienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom beschäftigt. Die Autorinnen bieten uns strukturierte Handlungsempfehlungen zur Kommunikation mit PatientInnen im Rahmen der psychoonkologischen Betreuung an.

Jochen Gleißner, Wuppertal, beleuchtet als mit dem Thema langfristig Vertrauter die Spezifika der palliativmedizinischen Betreuung Betroffener mit urologischem Erkrankungs-Background. Seiner Aussage entsprechend sind ca. 30 % der deutschen Urologen palliativmedizinisch ausgebildet und in vielen Fällen in strukturierte ambulante Versorgungskonzepte eingebunden.

Ulrike Hohenfellner, Heidelberg, beschreibt die psychosomatischen Aspekte chronisch-urologischer Erkrankungen mit exemplarischem Eingehen auf die Bedeutung bei chronisch-rezidivierenden Harnwegsinfekten, der somatoformen überaktiven Blase und der Enuresis bei Kindern und Erwachsenen. Zugrundeliegende psychogene Störungsfelder und resultierende psychosoziale Belastungen werden häufig langfristig nicht erkannt. Therapieansätze mit Orientierung an dem somatisierten Erscheinungsbild bleiben typischerweise ohne den angestrebten Erfolg. Dargelegt werden Konzepte und Vorgehensweisen zur Überwindung der Probleme.

Einen eigenständigen Schwerpunkt stellt die Thematisierung der Arztgesundheit dar. Wie fürsorglich oder aber riskant gehen wir als Ärztinnen/Ärzte mit unserer eigenen Gesundheit um? Können bzw. müssen wir mehr als derzeit üblich tun, um unsere persönliche Widerstandsfähigkeit – unsere Resilienz – gegenüber den vielfältigen Herausforderungen des eigenen beruflichen Alltags und des Gesundheitssystems zu bewahren oder eventuell auch zu stärken? Ist dies überhaupt realistisch? Zwei Beiträge beschäftigen sich mit dieser Thematik, die – Ausdruck der Aktualität und Brisanz – beim kommenden Ärztetag in Münster im Mai 2019 ebenfalls breit diskutiert werden soll. Thomas Kötter, Lübeck, stellt dar, dass es bereits während des Medizinstudiums sinnvoll ist, die Selbstfürsorge der Studierenden und die Stärkung individueller Ressourcen durch gezieltes Training zu fördern. Dies gelingt mit Langzeit-Effekt aktuell bereits mit standardisierten Konzepten. Dargelegt wird aber auch, dass die Evaluation verschiedener Verfahren und ihr Wirksamkeitsvergleich untereinander komplex und herausfordernd sind.

Das Thema der Arztgesundheit und die Hintergründe und Bedeutung der Resilienz in diesem Kontext werden ebenfalls von Jörg Braun, Großhansdorf und Dieter Jocham, Lübeck, thematisiert, dies mit steigender Dringlichkeit angesichts der bei Ärzten zunehmenden Raten von Burnout, Depression und Suiziden, letztere mit einem gegenüber der sonstigen Bevölkerung besonders hohen Anteil auch bei Ärztinnen. Generelles Problembewußtsein bezüglich der zahlreich vorhandenen Auslöser, Stärkung der eigenen Achtsamkeit – u. a. für individuelle Anfälligkeiten – und spezifische Konzepte der sog. Mind-Body-Medizin schaffen die Voraussetzungen für den persönlichen Umgang mit den Anfechtungen des beruflichen Alltags.

Ich wünsche Ihnen viele Anregungen und Neugierde und daraus vielleicht abgeleitet eine vertiefte Beschäftigung mit den verschiedenen Themen, nach eigener Erfahrung durchaus lohnend.

D. Jocham